Die gewichtige Tour des US-Diplomaten* Holbrooke (noch eine, vielleicht nicht einmal die letzte)



Richard Ch. A. Holbrooke ist nicht der, der die Direktiven vorgibt. Er eruiert vielmehr deren Durchsetzbarkeit und dringt auf ihre Durchsetzung mit der Schaffung und Verdolmetschung des us-amerikanischen Interesses gegenüber den NATO- und sonstigen Verbündeten, die er selbstredend nicht als Vasallen bezeichnet. Denn alle sollen in völliger Freiheit einzusehen bereit sein, daß an einer durch die USA und deren Interessen geordneten Welt kein Weg vorbeiführt. Für diese schwierige und schmierige Arbeit erhielt er im Dezember den mit 10.000 Euro dotierten "Augsburger Universitätspreis für Versöhnung und Völkerverständigung" 2009.

"Unsere Probleme in Afghanistan und Pakistan können nicht getrennt behandelt werden, sie sind eng verbunden. El Kaida befindet sich zwar in Pakistan, dort gibt es aber keine ausländischen Truppen. Es handelt sich um ein souveränes Land. Deshalb müssen wir Pakistan ökonomische Unterstützung bieten, um die Wirtschaft zu stärken und das Land ermutigen, selbst stärker gegen El Kaida und die Taliban vorzugehen. Wenn dies nicht gelingt, werden wir auch das Problem in Afghanistan nicht lösen können."
(Holbrooke im Interview, Augsburger Allgemeine v. 10.12.09, im folgenden: AZ)

Das Wort "Probleme" ist eine Verharmlosung der Ansprüche der USA. Über die, die darin bestehen, Ruhe & Ordnung für die US-Weltordnung aufrechtzuerhalten bzw. (wieder)herzustellen, will Holbrooke gar nicht erst reden, die verstehen sich für ihn von selber. Anders ausgedrückt: Der weltweite Kapitalismus unterliegt der US-Aufsicht und steht nicht zur Debatte oder gar zur Disposition. Und das gute an dieser ideologischen Weltsicht ist, er braucht gar nicht darüber zu reden, woher denn die "Probleme" mit Völkern anderswo kommen. Mit der ökonomischen Unterstützung Pakistans ist es im übrigen seit Jahr und Tag nicht weit her - damit ist also nicht ein "Problem" benannt, sondern schlichtweg eines erdichtet. Wenn er denn anfängt, einmal über ein richtiges "Problem" zu sprechen, dann alles andere als sachgerecht, nämlich so:

Afghanistan"Lage und Kultur. Das zaristische Rußland und das koloniale Britannien sahen hier den Schlüssel zu Indien und zu den Häfen im Süden. Heute wird das »Great Garne« immer noch gespielt, aber mit anderen Spielern. Die Pakistaner müssen Afghanistan kontrollieren, weil sie sonst eine Umzingelung durch die Inder fürchten. Die Inder wollen eine Ausdehnung des pakistanischen Einflusses nach Westen verhindern. Die Iraner wollen Stabilität im Osten, und sie wollen den Drogenfluß abschneiden. Die Chinesen sorgen sich um Instabilität in den Minderheiten-Regionen im eigenen Westen. Und wir im Westen fürchten uns vor Terrorattacken." -  "Auch klassische afghanische Fremdenfeindlichkeit spielt dabei eine Rolle."
(Holbrooke im Interview, Süddeutsche Zeitung v. 09.12.09, im folgenden: SZ)

Es ist eine seltsame Begründung, die unterstellt, daß Rußland, Großbritannien, China, Pakistan und Indien selbstverständlich im Prinzip ähnliche Interessen verfolgen wie die USA, nur - im Unterschied zu diesen - zwar verständliche, aber deshalb auch völlig inakzeptabel eigennützige. [Daß ihm dazu auch einiges einfällt, was sachlich ziemlicher Quatsch ist (indische "Umzingelung" Pakistans; indische Befürchtung über pakistanischen Einfluß in Afghanistan**), sei nur am Rande vermerkt.] Gerade deshalb sei die sozusagen zivilisatorisch-moralische Oberaufsicht der USA quasi jenseits aller staatlichen Interessen geboten: Ihr Interesse fällt mit dem wohlverstandenen aller anderen Staaten in eins. Die USA leiten aus ihrer Stellung als Supermacht ab, auch im Namen aller anderen das für alle Beste zu wollen. Dafür, so tut der Oberdiplomat verlogen, würden die USA den Job im Nahen und Mittleren Osten erledigen, diese ach so schwere Bürde tragen, als verfolgten sie gar keine "bloß" eigenen strategischen Interessen. Terrorattacken führt er allein dafür an.
Da wird er dann sogar selbstkritisch:

"Das Problem war, daß sich die USA nach Fortschritten zweimal von dem Land abwandten. Das erste Mal war 1989 nach dem Abzug der Sowjet-Truppen. Der zweite Fehler war, daß wir uns 2003 auf den Irak konzentrierten." (AZ)

Da steht dann die Welt auf dem Kopf: Nicht daß die USA anderen Ländern mit ihrer Präsenz "Probleme" bereit hätten, nein, die zeitweilige Nicht-Präsenz der USA bereitet(e) den anderen Ländern "Probleme", welche die USA doch nur lösen wollen. Leider, leider hat es den USA selber an Konsequenz gemangelt, immerzu die Oberaufsicht auszuüben. Alle anderen Staaten sollten gefälligst froh darüber sein, wenn und daß sich die USA engagieren. Das sollten sie gefälligst und pflichtschuldigst den USA gegenüber auch beweisen, am besten indem sie möglichst viele eigene Truppen schicken.

"30 Jahre Krieg, die Sowjets, die Taliban, die Situation jetzt - all das hat das Land zerrissen. Es dauert eine Weile, um ein solch kaputtes Land wieder aufzubauen. Außerdem gibt es einen Rückfall ins Konservative. Viele der Freiheiten, die unter dem König in den 60er und 70er Jahren gewährt wurden, sind nicht mehr denkbar." (SZ)
"Wir denken tatsächlich, daß die Regierung mehr tun könnte. Im Hinterkopf aber muß man behalten, daß dieses Land von 30 Jahren Krieg zerrissen ist. Es ist eines der ärmsten Länder außerhalb Afrikas, viele Leute können nicht lesen und schreiben. Der Aufbau wird ein Langzeitprojekt bleiben." (AZ)

Dies ist nochmal eine - diesmal explizite -  "Begründung" dafür, alle anderen Staaten als kontraproduktiv hinzustellen, ganz im Gegensatz zu den USA, die ja streng genommen eigentlich nie Krieg führen, sondern nichts anderes tun als aufbauen (die kapitalistische Weltordnung ihrer Verfügungsgewalt). Dafür erwähnt er dann auch noch eine problemlos escheinende örtliche Berufungsfigur: Einen Statthalter vor Ort, der die US-Weltsicht als die seine begreift. Das ist die - einzig erlaubte - "Freiheit", der natürlich ein depperter Monarch am ehesten gerecht wird - siehe Afghanistan damals unter dem König, siehe Jordanien und Saudi-Arabien heute noch.
Man will ihn gar nicht fragen, wie es denn mit dem "Aufbau" nach dem Abzug der Sowjets bestellt war: "Langzeitprojekt" bedeutet, daß betroffene Länder und Leute sich selber berappeln müssen oder aber bleiben können, wo sie "kulturell" sind. Hauptsache, sie liefern den USA keinen Vorwand, indem sie sich ihnen gegenüber störend verhalten.

Apropos Bündnisverpflichtung:

"Die Sache mit den Verantwortungen war schwierig. Die Briten sollten sich um die Drogen kümmern, die Deutschen um Ausbildung, die Italiener um das Rechtssystem. Das Ganze war unkoordiniert und hat uns nicht sonderlich weit gebracht. Im Ergebnis fangen wir im neunten Jahr des Krieges wieder von vorne an." (SZ)
"Ich höre immer die Zahl 160.000 Mann [afghanische Polizisten] in drei bis vier Jahren. Es wäre schön, wenn das klappt. Ich habe genug von Programmen, in denen eine Planungsgruppe willkürlich Zahlen nennt, die keinen Bezug zur Realität haben." (SZ)
"Wir hoffen, daß unsere Verbündeten ebenso zusätzliche Truppen bereitstellen. Einige Länder haben bereits Zusagen gemacht, andere denken darüber nach." (AZ)

Es ist klar, daß die USA von den Tätigkeiten ihrer NATO-Bündnispartner nicht viel halten. Zu schwach, zu wenig, zu nebensächlich, kurz: zu unrealistisch mischen sie mit. Daß sie mitmischen, findet er zwar gut, weil es deren Unterwerfungsbereitschaft dokumentiert; wie sie sich einordnen, das findet er allerdings überhaupt nicht zufriedenstellend. Ärgerlich findet er es, wenn er, um mehr aus ihnen herauszukitzeln, sie auch noch loben muß:

"Nun, der Präsident sagte nicht, daß alle Truppen im Sommer 2011 abgezogen werden. Dies wird nur der Beginn einer langsamen, vorsichtigen Übergabe der Macht an die afghanischen Sicherheitskräfte sein. Deshalb ist und bleibt es das Wichtigste, die afghanische Polizei und Armee zu stärken. Darum ist der deutsche Einsatz mit seinem Stützpunkt in Mazar-e-Sharif so wichtig." (AZ)
"Jeder, auch Deutschland, trifft seine eigene Entscheidung. Wenn dazu noch sechs Wochen nötig sind - kein Problem. Wir haben auch einige Monate gebraucht." (SZ)

Das Lob erfolgt natürlich einzig mit dem Ziel, die BRD zu mehr "Verständnis" gegenüber den USA zu ermutigen: Dafür hat sie ihre Souveränität. Gerne hört er zwar hin, wenn Bündnispartner sich zum Thema äußern, aber im Grunde nur, um sie dann zurück- und auf das "Kernproblem" hinzuweisen. Unstimmigkeiten im Bündnis können nicht gebraucht werden, wie sie überhaupt auf NATO-Ebene unerwünscht sind:

"Wir werden die Strategie in London nicht umschreiben. Wir gehen nach London, um einen internationalen Konsens dafür zu bekommen, wie wir den Afghanen helfen können. Aber: Der Krieg wird nicht auf Konferenzen entschieden. Er wird in den Wüsten und Bergen Afghanistans, durch die Taktik der neuen Kräfte, durch das Verhalten der Taliban und der Afghanen entschieden." (SZ)
"Das machen wir doch seit sechs Jahren. Konferenzen, Verpflichtungen, Zusagen. Aber nichts geschieht. Leute verpflichten sich auf Konferenzen zu Dingen, von denen sie nicht wissen, wer sie umsetzt. Die Geschichte Afghanistans ist voller schicker Konferenzen." (SZ)

Diplomatischer läßt sich der Kriegswille der USA nicht ausdrücken. Konferenzen sind ihnen lästig, ja mehr als lästig. Und dennoch möchte er sie nicht missen als das schlagende Argument für den Krieg: Die USA hätten ja alle friedlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Daß die nichts anderes waren als Erpressungen, die idealerweise den USA den Krieg erspart hätten, räumt er gerne auch ein, wenn er schon diesbezüglich gefragt wird:

"Man bietet ihnen eine Amnestie an, wenn sie al Qaida abschwören und ihre Waffen niederlegen. Geld ist für viele der Kämpfer attraktiv, aber die höheren Ränge haben ein messianisches Sendungsbewußtsein." (SZ)

Man sieht, eine Leisetreter ist er wirklich nicht. Da liegt denn die Frage schon nahe, was denn die USA demnächst so oben auf die Tagesordnung setzen:

"Afrika. Ganz sicher. Der Kontinent wird an Wichtigkeit gewinnen. Und die Probleme dort werden wachsen. Außerdem gibt es sehr viele Konflikte in der ganzen Region vom Mittelmeer bis nach Indien, den Nahen Osten eingeschlossen. Hier brauchen wir viel mehr gemeinsame Führung. Wir müssen zu jener Zeit zurückfinden, als die USA und die europäischen Länder eng zusammenarbeiteten und es eine starke transatlantische Partnerschaft gab." (AZ)

Dafür braucht es eine starke - internationale - Schicksalsgemeinschaft, die Holbrooke pikanterweise auch noch historisch untermauern kann:

"Tatsächlich ist meine Mutter in Stuttgart geboren und in Hamburg aufgewachsen. Sie verließ 1933 das Land [zusammen mit seinem Großvater, nachdem dieser "Mein Kampf" gelesen hatte], als sie sehr jung war . Die Familie war jüdisch. 60 Jahre lang ist sie dann nie nach Deutschland zurückgekommen. Sie kam erst, als ich 1993 Botschafter in Berlin wurde. Es war eine bedeutende Reise für sie und gab ihr Aufschluß darüber, wie ihr Leben von dem geprägt wurde, was hier passierte. Sie liebte ihre Kindheit in Hamburg, die mit einem Tag einfach aufhörte." (AZ)

Und ein bißchen Selbstverherrlichung kann auch nicht schaden, wenn es gilt, den Auftrag voranzubringen:

"Ich war in jener Zeit [1963 bis 1978] in Afghanistan als Freiwilliger des Friedenskorps - in Kabul, Bagram, Bamian und im Hindukusch. Damals habe ich mich in das Land verliebt." (SZ)

Ein solch geradliniger Typ ist wie geboren für den Imperialismus, wiewohl er unverkennbar dessen Produkt ist. Nur schade, daß dieser heiße Kandidat auf den Friedensnobelpreis im Falle Ex-Jugoslawien dem finnischen EU-Beauftragten Ahtisaari den Vortritt lassen mußte - wieschon er in Bosnien wirklich nicht weniger durchzusetzen vermochte als der Europäer im Kosovo - und jetzt erst einmal sein oberster Boß ausgezeichnet wurde - wobei es sich erst zeigen wird, ob der mit bzw. ohne Richard Lorbeeren einzuheimsen überhaupt verdient hat. Ob ihm deshalb das Lächeln so schwerfällt? Mit dem Nahost-Beauftragten George J. Mitchell hat er für heuer einen ziemlich harten Konkurrenten im eigenen Lager...

03.01.09

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Abbildung von Franck Dhurmes Dum (Frankreich): Auch die Afghanen sollten einmal den festen Teppich zu schätzen wissen, auf dem sie stehen!

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Literaturhinweis: Diplomatie - Handwerkszeug der zwischenstaatlichen Konkurrenz

** zu der pakistanischen Interessenlage siehe: Pakistan unter dem Diktat der USA