PAKISTAN unter dem Diktat der USA
Pakistan
ist ein Staat, der doppelt so viele Einwohner zählt wie die BRD
inklusive Ostzone. Das Bruttoinlandsprodukt, wichtiger Gradmesser der
Stellung in der Staatenhierarchie, erreicht dagegen nicht einmal 5 %
von dem der BRD.
Alles überwiegender Staatszweck ist seine Selbstbehauptung gegen
den Nachbarn Indien. Daraus ergibt sich die starke Stellung der
Streitkräfte, die einen Gutteil des geringen Geld-Reichtums des Landes für
sich beanspruchen. Das ökonomische Zurückbleiben [trotz der
seit 2002 rasanten Wachstumsraten haben die Anleger - laut Börsen-Newsv.
27.08.2007 - die Börse in Karachi nahezu ignoriert*]
gegenüber dem zum Global Player aufgestiegenen Nachbarland tut ein
Übriges, die Schlüsselstellung des Militärs zu
zementieren.**
Einigendes Band des ganzen Staates ist der Islam, zumal wichtige
Sprachen (Panjabi, Urdu) diesseits und jenseits der
pakistanisch-indischen Grenze gesprochen werden. Auf der
anderen Seite des Landes, nach Afghanistan hin, ging es lange Zeit
vergleichsweise unproblematisch zu. Auch hier werden Sprachen diesseits
und jenseits der Grenzen gesprochen (Paschtu, Balutschi), doch die
Religion ist die gleiche.
Die Wirtschaft selbst wird - wie sollte es anders sein? - von einer Bourgeoisie bestimmt, deren Clans
sich allenthalben mit Religion und Militär ins Benehmen setzen
müssen, ob sie das nun wollen oder nicht. Bekanntester und alle
anderen überragender dieser Clans, deren Korruptheit also der
Notwendigkeit und nicht dem schlechten Charakter geschuldet ist, ist
der Bhutto-Clan. Großgrundbesitzer Zulfiqar Ali Bhutto hatte 1967
seine Machtambitionen mit der Gründung einer populistischen
Partei, der Pakistan Peoples Party unterstrichen. Als Pakistan nach der
Niederlage im Krieg gegen Indien einen neuen Aufbruch suchte, fiel ihm
die Macht 1971 sozusagen in den Schoß. 1972 führte er dann
seine Partei zum Wahlsieg und 1973 ließ er eine neue Verfassung
verabschieden.
Freilich dauerte es nicht lange, bis das Militär sich wieder
berappelte und die Machtfrage wiederum in seinem Sinne entschied.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Berechnung, die der putschende
General Mohammed Zia ul-Haq und sein Inlandsgeheimdienst ISI
(Inter Services Intelligence) bezüglich den USA vornahmen. Und sie hatten sich nicht
getäuscht. Mag es 1977 auch noch nicht offenkundig danach ausgesehen haben,
nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan wußte man sich als
unverzichtbare Hilfskraft der USA zur Eindämmung des
Kommunismus. Die USA wußten die Rolle Zia ul-Haqs
entsprechend zu schätzen. So konnte Pakistan seine eigenen
Ambitionen unter den Fittichen der USA vorantreiben; während die
USA zusammen mit Pakistan die afghanischen Mujaheddin
unterstützten, versuchte Zia den Jihad im eigenen Land
durchzusetzen (symbolisch wurde die Retortenstadt Islamabad vor den
Toren von Rawalpindi endlich zur neuen Hauptstadt erklärt),
führte die Scharia ein, konfrontativ gerade gegen die, die
aufgrund ihrer ökonomischen Ambitionen viel eher den USA
nahestanden als er selber. Das führte zu der etwas kuriosen Situation,
daß ausgerechnet diese Kreise - hier ist wiederum der Bhutto-Clan
hervorzuheben; Zulfiqars Tochter Benazir riskierte von nun an eine
dicke Lippe - gar nicht gut auf die USA zu sprechen waren. Auf der anderen Seite war auch längst nicht allen Mullahs die
Instrumentalisierung der Religion für staatliche Belange recht und
billig, ihnen mußte eine solche geradezu als Entwürdigung der
Religion erscheinen.
Das Buch des Pakistani Mohammed Hanif "Eine Kiste explodierender Mangos" erzählt
mehr der Realität entnommenes aus der Ära Zia ul-Haqs als er
selber zuzugeben bereit ist. Nichtsdestotrotz und gerade deshalb wohl ist das Buch in Pakistan
verboten, unter der Hand kursiert jedoch eine in Indien verlegte
Ausgabe auf Urdu. -
Hoch interessant die Rolle des CIA, auf den sich dieser
ganze Staat als Dreh- und Angelpunkt zu beziehen hat(te), so sehr,
daß die Neu-Kalkulation der USA nach Abzug der Sowjets aus
Afghanistan mit all ihren Konsequenzen, wenn überhaupt,
sehr spät erst bemerkt wurde. Bis heute jedenfalls ist der
Absturz der Pak
One-Maschine am 17.08.1988 ungeklärt. Neben Zia ul-Haq war fast
die
gesamte "Lametta-Riege", u.a. auch Geheimdienstchef General Akhtar, an
Bord, ebenso US-Botschafter Arnold Raphel. Das Buch ventiliert einige
Möglichkeiten der Hintergründe, legt sich aber letztlich
nicht auf eine Version fest. Die vielfältigen Kalkulationen in der
pakistanischen Gesellschaft*** selber kontrastieren scharf mit dem
stringenten Vorgehen der USA und ihrem Interesse an Pakistan; an einem
Pakistan, das sich für sie benutzen läßt und seine
eigenen Kalkulationen an denen der USA auszurichten hat. Also ein
typischer Fall von US-Imperialismus hier wie überall auf der Welt.
Dafür spielt es für die USA dann auch keine Rolle, ob gerade
mal eine Militärregierung oder eine zivile ihr
"Verhandlungs"partner ist.
Nachdem Zia also 1988 ums Leben gekommen war, war mal wieder der Weg
frei
für eine zivile Regierung. Die Wahlen gewann - wie könnte es
anders sein - die "Freiheits"kämpferin Benazir Bhutto. Doch schon
bald machten ihr schwerwiegende Korruptionsvorwürfe zu schaffen.
1990 übernahm Nawaz Sharif von der Muslimliga die
präsidialen Amtsgeschäfte; sie kehrte zwar 1993 noch einmal
ins Amt
zurück, wurde aber erneut von Nawaz Sharif 1997 endgültig aus
dem Amt gedrängt. Lange sah das Militär dem Treiben zu, bis
es 1999 unter General Pervez Musharraf putschte, um das Land aus der
Dauer-Krise zu
führen. Wiewohl die
Bhutto-Partei in Regierung und Parlament den Ton angab (freilich nicht
mit absoluter Mehrheit), blieb er bis 2008 Präsident: Das macht
die
Geteiltheit des Landes, was seine militärische und
politisch-ökonomische Führung anbelangt deutlich. Am 09.09.08
trat Asif Ali Zardari, Witwer Benazirs und PPP-Vorsitzender, das
Präsidentenamt an, nachdem Musharraf eine "Nationale
Versöhnungsverordnung"**** erlassen hatte. Zardari verdankte diese
Ehre des Militärs seinen gesellschaftlich integrativen
Bemühungen, was ihm später dann auch erlaubte, mit dem neuen
islamistischen Wahlbündnis Muttahida Majlis-e-Amal (MMA), welches
2002 von Musharraf aus der Taufe gehoben wurde, ganz im Sinne der USA
zu brechen, ohne um sein Amt seitens des Militärs gleich wieder
ernsthaft fürchten zu müssen.
Präsident Musharraf suchte übrigens das Gespräch mit Benazir Bhutto bezüglich einer Machtbeteiligung schon im Juli 2007 (in Abu Dhabi), welches
sie im September für gescheitert erklärte. Benazir Bhutto
überlebte daraufhin, aus dem Exil zurückgekehrt, am
19.10.2007 einen Anschlag, doch selbst die Tatsache, daß sie
am 9.11.07 unter Hausarrest gesetzt wurde, nachdem sie versucht
hatte,
das Land mit dem Aufruf zu Massenprotesten zu destabilisieren, war ihr
nicht Warnung genug. Am 27.12.07 wurde sie bei einem Attentat zerfetzt,
was dazu führte, daß sich eine große Masse mit ihrer
Partei
solidarisierte und die Parlamentswahlen im Januar 2008 von der PPP
gewonnen wurden.
In dem Buch Hanifs findet sich auch ein Verweis auf Indira Gandhi, die
im Nachbarland ebenfalls einem Anschlag zu Opfer fiel (1984), weil sie
die Gefahr, die von einem militanten Teil der Religionsgemeinschaft der
Siks ausging, nicht wahrhaben wollte. Bekanntlich sah sie keinen Grund
aus ihrer Leibwache die Siks zu entfernen, obschon jene in den Jahren
zuvor zur Offensive geblasen hatten und entsprechend vom indischen Staat
die Quittung erhielten. Zia ul-Haq war bei den Beisetzungsfeierlichkeiten
zugegen, was seine Abneigung gegen den Hinduismus verschärfte.
[Auf dem Foto: Zulfiqar Ali Bhutto, Indira
Gandhi und Zulfiqars 19-jährige Tochter Benazir, 03.07.72, anläßlich
des Simla-Übereinkommens bezüglich Bangla Desh und Kaschmir]
Kurzum, die Tatsache, daß die USA auf die zuvor geförderten
islamischen Fundamentalisten in Afghanistan, die ihre
antikommunistische Pflicht und Schuldigkeit getan hatten, pfiffen und
ihnen die Unterstützung entzogen, warf für Pakistan die Frage
auf, worauf man, wollte man weiter auf die USA als Verbündeter
setzen, zählen konnte. In den 1990er Jahren war das eine
weitgehend offene Frage und erst mit der Kriegserklärung an Al
Qaida war das Ausmaß klar, in welchem Dilemma der Staat steckte.
Explizit wurde das nochmal durch den US-Diktat unterstrichen, das
aus Pakistan einen "Hauptverbündeten außerhalb der NATO"
machte (2004). Gerade die Grenze zu Afghanistan, die im Gegenzug zur
indischen geradezu unproblematisch war, wurde zum Problem, das die
ganze Staatsräson, seinen Träger, das Militär, und seine
einigende Religion, infrage stellte und bis heute infrage stellt.
Musharraf hatte das 2001 schnell begriffen, die Taliban fallengelassen
und sich vom Fundamentalislam distanziert.
Er verfolgte eine Politik strikter Unterordnung der Religion unter den
Staat ("aufgeklärte Mäßigung") und schickte 2004 dann
auch erstmals Truppen in die Gebiete der islamischen Fundamentalisten
in die Grenzregionen zu Afghanistan.
Der Antiamerikanismus vertieft sich erneut und muß sich
vertiefen, weil die USA dem pakistanischen Staat keinerlei Angebote
für dessen Probleme machen. Das einzige, was Pakistan erhält
sind Waffen, von denen es freilich noch nicht einmal in eigener Hoheit
Gebrauch machen kann und soll.
Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung, arm und von der
Hand in den Mund lebend, hat im Grunde nur eine Chance: Es muß
einem beizeiten gelingen, in den Staatsdienst zu treten. So sind
gleichsam Militär und
Polizei die Schule einer ganzen Nation. Andersherum: Das Bildungsniveau
der aus solcherart Schule hervorgehenden Größen der Nation
ist
entsprechend. Hanif erlaubt sich Zia ul-Haq zum Gespött zu machen
und das scheint auch das einzig Makabre an dem Buch zu sein:
Hier schlägt seine Profession als BBC-Reporter durch, dem bei
allem Verständnis diese Tatsache der Dummheit völlig
unhaltbar
anmutet.
Im übrigen erfährt man auch, daß es Linke gibt,
Maoisten
und dergleichen, die den Staat für's und im Namen des Volkes
retten wollen, deren Zerwürfnisse untereinander in der richtigen
- opportunistischen - Haltung zu Staat beziehungsweise zum Volk liegen
und die sich darob das Leben
selber schwerer machen, als es der Hochsicherheitstrakt, die alte
Festung von Lahore - erbaut übrigens vom Baumeister des indischen
Taj Mahal, dem Mogulkönig Shahjahan -, ohnehin erlaubt.
25.12.09
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* Der Institutional Investor sieht im Dez. 2009 folgende
Rangliste der Kreditwürdigkeit (Auszug): 6. BRD, 11. USA, 51.
Indien, 137. Bangla Desh, 138. Nepal, 143. Pakistan, 144. Irak, 145. Ost-Timor, 166.
Afghanistan (von 178)
** "Doch auch der eifrigste IWF-Bürokrat wird im pakistanischen
Haushalt kaum Sozialausgaben finden, die noch gekürzt werden
können. Die Gesundheit läßt sich die Regierung
umgerechnet 30 Eurocent pro Kopf kosten; und selbst wenn Pakistan in
Zukunft gar nichts mehr für die Bildung ausgäbe, würde
das nur 200 Millionen US-Dollar einbringen." (analyse & kritik, 21.11.2008)
*** Die Vielfältigkeit zeigt sich an den Meinungsverschiedenheiten
in so mehr oder weniger profanen Dingen wie Frage: Asha oder Lata?
[zwei populäre indische Sängerinnen], an der Frage Kaffee
oder Tee?, Cola oder Pepsi?, Maoist oder Leninist?, Shia oder Sunna?
[Glaubensrichtungen des Islam]. (Hanif, S. 88)
**** Wie die indische Nachrichtenagentur PTI [Press Trust of India] am
22.12.09 meldete, verteidigte Musharraf die NRO [National
Reconciliation Ordinance] als im besten nationalen Interesse unter
schwierigsten Umständen zustandegekommen; die damit verbundene
Amnestie, die vom obersten Gerichtshof aufgehoben wurde, sei jedoch ein
Fehler gewesen. Allerdings: "NRO is not responsible for corrupt
politicians sitting in assemblies, or being appointed as ministers. All
this happened through the votes of the people of Pakistan. NRO is not
responsible for all parliamentarians of provincial and national
assemblies and Senate having overwhelmingly voted for Asif Zardari as
President."
