Die SPD und die Größe der Nation

Nach der Wahl wird auf die große Koalition hingearbeitet, die sich vorher schon angedeutet hat. Natürlich dauern die Scheingefechte noch an, denn jede Partei will dem Ergebnis ihren Stempel aufdrücken: So sehr,
daß darüber gar das große gemeinsame, das nationale Projekt, das abgestempelt werden soll, ziemlich in den Hintergrund gerät.

Wirft man einen Blick zurück:
Wenn der Spitzenkandidat der SPD in Bayern behauptet — so in einer Debatte zur letzten dortigen Landtagswahl —, die CSU hätte von ihm und seiner Partei abgeschrieben, also den Erfolg, der dem Urheber gebührt, auf geradezu unehrliche Weise auf ihre Mühlen gelenkt, dann stellt sich die Frage: Wo ist denn nun in der Sache der Unterschied — von Gegensatz gar nicht zu reden — zwischen den Parteien, die sich ja allen Ernstes als Alternative zur jeweils anderen aufgestellt haben? Eine sachliche Differenz gibt es also offenkundeig gar nicht wirklich...
Umgekehrt behauptet die CSU natürlich gerne, die SPD sei ja nur neidisch auf ihren Erfolg. Und so geht es lustig hin und her, jenseits aller feststehenden politischen Inhalte. Bei soviel Abstimmung untereinander: Worüber also sollte ein Abstimmungsberechtigter da also noch abstimmen? Wem die Ehre seiner Verarschung gebührt? Wer verbürgt sie mehr? Darüber mag man in der Tat geteilter Meinung sein: Nicht umsonst fordern die Politiker selber immer voneinander, nicht »populistisch« zu sein, dem Volk reinen Wein einzuschenken, die anstehenden Härten klar zu benennen; 
selbstverständlich halten sie sich selber jeweils für die diesbezüglich Ehrlichsten überhaupt.

Die Leute, das »Volk«, gelten demnach als ziemlich beschränkt — in den Augen der großen Politik, denn sie wackeln unverdrossen zur Urne, auch und gerade wenn ihnen ihre Obrigkeit erzählt, daß neue Härten auf sie zukommen, daß alle den Gürtel enger schnallen müssen; »Steuergeschenke« gibt es eh schon seit Jahr und Tag nicht mehr, schon gleich nicht für die vielen kleinen unter den Leuten.
Lesen die Leute nun mehr in die Veranstaltung »Wahlen« hinein als drinnen steckt? Müssen Wahlen nicht gerade als das anmuten, was sie sind: Ein Accessoire der Herrschaft, das sie genau so gut weglassen könnte, wenn es sie stören sollte (etwa dann, wenn — was hierzulande, einer unrühmlichen Vergangenheit geschuldet, nie wieder passieren kann — irgendwelche falsche Nationalisten die Wahlen gewinnen).

Nehmen die Leute, die unverdrossen zur Urne schreiten, Wahlen tatsächlich als das war, zu dem die Medien sie hochspielen: als »Richtungswahlen«? Wenn ja, dann müßten sie sich gerade in der SPD gewaltig täuschen: Diese Partei steht wie keine andere als nationale Speerspitze für den Erfolg des deutschen Staates und seiner Ökonomie in aller Welt ein: Das hat sie immer wieder dadurch bewiesen, daß sie klargestellt hat, wer die Kosten für den nationalen Erfolg zu tragen hat: Eben gerade ihr sozial-bedürftiges Wählerklientel! Deshalb verschließt sie sich nie und nimmer nationaler Verantwortung! Das ist seit über 100 Jahren so, das kann man ihren der politischen Konjunktur angepaßten Programmen entnehmen wie ihren konkreten politischen Forderungen, die sie immer dann durchgesetzt hat, wenn sie die Gelegenheit hatte, die nationale Verantwortung, nach der sie lechzt, in Regierungsverantwortung (mit) zu übernehmen: Die Leute, das Wahlvolk möge ihr das honorieren! Aber auch die politische Konkurrenz möge ihr das hoch anrechnen!
Dieses Betteln um Anerkennung ihrer selbst erlangte einen historischen Höhepunkt im Jahre 1933, als sich ihr Reichstagsfraktionschef Otto Wels bei der NSDAP anzuschleimen versuchte, ihr ein Koalitionsangebot machte, das jene nicht bloß deshalb, weil sie eh die Mehrheit hatte, brüsk ausschlug: Die SPD war selten als das anerkannt, als was sie anerkannt sein will, eben als Speerspitze der Nation.

Genaugenommen war sie nur dreimal in ihrer Geschichte so wirklich anerkannt: Das erste Mal, nach dem 1. Weltkrieg, als sie die Revolution in eine moderne, demokratische Klassengesellschaft  umgebogen und sich zu diesem Zwecke mit den alten nationalen Kräften verbündet hatte (unter Führung ihrer als »Bluthunde« in die Geschichte eingegangenen Führer Ebert und Noske, auch Wels war schon mit von der Partie). Das zweite Mal, als unter Willy Brandt Ende der 60er Jahre der Muff des Ewiggestrigen aus der deutschen Politik getilgt werden sollte und die Partei sich dafür als moderne Partei eines neuen nationalen Aufbruchs in Szene zu setzen verstand. Das dritte Mal dann unter Gerhard Schröder, dem Autokanzler, der mit der Agenda 2010 der deutschen Ökonomie die Rückgewinnung ihrer angegriffenen globalen Überlegenheit nicht bloß versprochen hatte.

Dreimal also konnten sich die deutschen Wähler, Nationalisten allemal, und die nationale politische Konkurrenz bei der SPD bedanken, daß sie den deutschen Karren aus dem Dreck gezogen hatte. Bedankt haben sie sich trotzdem so gut wie nie. Im Gegenteil, immer erneut
bezichtigen sie die SPD das nationale Wohl aufs Spiel zu setzen. Sie würde im Grunde etwas ganz anderes beabsichtigen, als den Erfolgsweg der Nation im Blicke zu haben (egoistische Machtinteressen beispielsweise). Das zu dementieren wird die SPD seit Jahr und Tag nicht müde: Besonders gerne tun ihre Führer das in der deutschen Nationalzeitung, dem Spingerblättchen BLÖD.
Mitleid zu haben mit der SPD, weil ihre nationale Moral das verlangt, das hätte die Partei nur allzu gerne: Und in der Tat gibt es nicht wenige, denen nicht einmal das zu blöd ist!

Keine Partei versteht sich besser darauf — das muß man der SPD lassen! — sich denjenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft lebensnotwendig ver- und angewiesen sind, die nationale Rechnung ebenso gesalzen wie mitfühlend zu präsentieren: Diese Unverschämtheit sich vor Augen zu führen, wäre ratsam. Deshalb, weil nur dann der Handlungsgspielraum der Partei eingegrenzt werden kann und nicht nur der im Inland: Selbst auf internationaler Ebene nimmt sich diese Partei Freiheiten heraus, die den Bevölkerungen anderer Staaten gar nicht gut bekommen. Sie steht für den Aufstieg der deutschen Gewalt zur Weltmacht, in ökonomischer wie politischer Hinsicht. Sie treibt den deutschen Export an, verhindert nie und nimmer ein Rüstungsprojekt, einen Krieg und überhaupt, sie versucht immer das zu drehen, was sich im nationalen Interesse drehen läßt. Auch gegen die USA stinkt sie schon mal an, wenn die beim deutschen Staat nicht rechtzeitig anfragt, ob es dem genehm sei, wenn sie es
für nötig erachtet, beispielsweise in den Irak einzumarschieren: Mit Antiamerikanismus bei deutschen Nationalisten punkten, aber immer doch!

In den Jahren nach ihrem Kanzler Schröder hat es die Partei allen Anstrengungen zum Trotz nicht geschafft, sich als nationaler Anspruchssteller so großartig in Szene zu setzen, wie das anspruchsvolle, national gesonnene, demokratische Untertanen (die demokratischen Medien eingeschlossen) gerne zu sehen bekommen. Sicher, die Erfolge deutscher Macht sind so gewaltig, daß darauf noch draufzusatteln, jeder Partei schwerfallen muß. Andrerseits sind der Herausforderungen und Ansprüche ja gerade deshalb nie genug: Die scheinen derzeit mit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise des deutschen EU- und Euro-Projekts etwas im politischen Alltagsmanagement unterzugehen. Das will sie, die nationale Speerspitze schlechthin, daher nicht der Konkurrenz überlassen, zumal dieses Management ja gerade die deutschen Ambitionen — so wähnt sie die Lage — gar nicht mehr richtig erkennen lasse.

Das nationale Vorankommen bloß als kleinerer, »minderwertiger« Koalitionspartner voranzutreiben, das muß jedem Parteigenossen allerdings den Deckel hochgehen lassen: Wo bleibt denn da die nationale Einzigartigkeit der ruhmreichen 150-jährigen SPD? Muß die Parteiführung ihrerseits erst mal wieder zu einer »gemeinsamen nationalen Kraftanstrengung« aufrufen, zur deutsch-demokratischen Einheitsfront gegen das böse Ausland (und ihre gar nicht subversiven Helfershelfer im Inland — sie werden in der politischen Parteienkonkurrenz vermutet, insofern sie diese Anstrengung nicht will), welches Deutschland gerade dann schaden kann [z.B. mit Dumpingpreisen auf seine Waren], wenn es zu keiner gescheiten nationalen Führung kommen sollte?

Insofern hat ein Kommentator nur sehr eingeschränkt recht, wenn er behauptet, die Partei sei "vorrangig mit sich selbst beschäftigt und manövriert sich dadurch ins Abseits. Den großen Debatten in der Republik drücken GRÜNE und Union den Stempel auf, die SPD findet nur am Rande statt." (Walter Roller, »Die Krise der SPD« in AZ v. 12.01.2011)  
Bei einer Partei wie der SPD fallen Beschäftigung mit sich selber und Sorge um das Wohl der Nation in eins! Die SPD macht sich soviel Gedanken um die Nation und ihre Ökonomie wie die CDU um die Wirtschaft und ihren Standort. Beide wissen sehr gut um die Bedeutung des Kapitals für das Kapital der Nation. Und beide wissen, wem sie dafür immer noch etwas mehr abzwacken können.

(16.11.13)