Die Flutkatastrofe in Pakistan
brachte das rassistische Faß deutscher (Leit-)Kultur zum
Überkochen.* Mit einem Mal entfiel das sonst so geheuchelte
Verständnis für ein - strategisch nicht gerade unbedeutendes
- Land der sogenannten Dritten Welt. Auf einmal war auch nicht die
Bekräftigung des - insbesondere US-imperialistischen - Auftrags, unter den Pakistan seit Jahr und Tag gestellt ist,
Thema, sondern dessen Vergehen an ihm! Dabei ist es keineswegs so,
daß Pakistan dem Auftrag nicht nachkommt. Jetzt allerdings wurde
westlicherseits nicht bloß herausgefunden, daß es dem viel
zu wenig, also überhaupt nicht recht und richtig nachkomme, jetzt
wurde gar moniert, daß sich der pakistanische Staat - sei es in
Gestalt seines Geheimdienstes oder überhaupt - eigene Berechnungen
leiste, für die er mitnichten ein Plazet in Washington und Berlin
einhole. Pakistan, so der Vorwurf, spiele geradezu die Taliban gegen
den Westen und umgekehrt, den Westen gegen die Taliban, aus. Bei diesem
Geistesblitz der Erkenntnis riß dem freien Westen der
Geduldsfaden - und zwar anläßlich einer Naturkatastrofe!
Daß in Pakistan von der Korruption angefangen bis zur tiefen
Kluft zwischen Volk und Führung so ziemlich alles Scheiße
sei, weil es ja so ganz anders zuginge als in der sagenhaft famosen
Bundesrepublik Deutschland etwa, ist da nur noch das Tüpfelchen
auf dem I. So muß sich ein deutscher Leser schon fragen, wem und
warum westliche Staaten überhaupt - wenn auch noch so bescheidene
- »Katastrofen«-hilfe leisten, wo doch dieser Staat selber
eine einzige Katastrofe ist.
So ist es übrigens gar nicht unverständlich, wenn sich die
Bevölkerung mit Spenden zurückhält, wo sie doch sonst
immer ihren Staat - nicht nur an dieser Front - tatkräftig zu
entlasten weiß.
Als ideologischer Obereinpeitscher geriert sich ein gewisser Reinhard Brennecke in der Braunschweiger Zeitung vom 13.08.10, dessen Kommentar der Augsburger Allgemeinen
- und nicht nur ihr - es wert erschien, auszugsweise wiedergegeben zu
werden, kommentarlos, weil offenbar unmittelbar einleuchtend, die
pluralistische Meinungsmache bereichernd obendrein.
An dieser Stelle einmal die demokratische Agitation par excellence in voller Länge, versehen mit Anmerkungen:
Geschäft mit der Armut
Von Reinhard Brennecke
In Deutschland sei Hochwasser nach wenigen Wochen oder Monaten vergessen. "In Pakistan zerstört es gerade das Leben von Millionen Menschen", sagt Udo Stolte, Direktor des Hilfswerks »Shelter Now« mit Sitz in Braunschweig. Damit verdeutlicht er die Dimension der Katastrofe, auch wenn sie unbegreiflich bleibt.
Erst einmal läßt sich von einem trockenem deutschen Büro aus ganz hervorragend auf die »unbegreifliche«
Katastrofe herabschauen, was elitäre Schreibtischtäter
sowieso am allerliebsten tun. Kronzeugen harmlos erscheinender NGOs
bieten sich immer an.
In der Bundesrepublik helfen der Staat, Hilfsorganisationen und
Nachbarn, mag es auch zuweilen dauern. Immerhin halten die Medien den
Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf Schicksale, auf Fehler und
Pannen, damit die Opfer nicht doppelt gestraft sind.
Was in Pakistan ja sowieso ganz anders ist:
Daß der neugewählte Bundespräsident als erste
Amtshandlung gleich mal Urlaub bei einem Kapitalistenfreund macht,
daß die Kanzlerin Gast auf der Geburtstagsparty des Deutschen
Bank-Chefs ist, daß die Vorsitzende des
Bundestagsverteidigungsausschusses bei deutschen Rüstungsfirmen zu
Gast ist, usw. usf., das ist hierzulande business as usual und
fällt nie und nimmer unter Korruption; so etwas gehört
einfach zum Geschäft eines renommierten kapitalistischen Staates.
- Und eine »freie Presse«, da ist sich ein deutscher Kommentator ganz sicher, haben die dort in Pakistan bestimmt nicht!
Im Vergleich dazu ist Pakistan ein anderer Planet. Die Regierung ist
korrupt, ein Teil der Hilfsgelder dürfte in unüberschaubaren
Kanälen verschwinden. Präsident Zanardi war nur schwer zu
überzeugen, seine Europareise abzubrechen. Er gehört zu jener
Kaste, die Lichtjahre vom eigenen Volk entfernt ist und sich dennoch
immer wieder auf das Volk beruft, um Legitimität der
Entscheidungen vorzugaukeln.
»Wir«
brachen die Legitimität einer Regierung auch nicht vorzugaukeln,
bei uns sind die Untertanen frei und gebildet genug, daß sie ganz
von selber ihre Stimmen in die Urnen werfen; sobald sie dazu
aufgefordert werden, lassen sie sich dazu nicht lange bitten. -
Daß die Armut dort mit dem Reichtum hier etwas zu tun haben
könnte, fällt einem wie Brennecke sowieso nicht im Traum ein.
Der Zynismus der herrschenden Schicht findet seine Entsprechung im
Zynismus der Taliban und anderer islamistischen Gruppen, denen die
Menschen nicht minder gleichgültig sind. Sie nutzen die
Naturkatastrofe, indem sie gegen westliche Unterstützung hetzen
und zugleich den Ärmsten der Armen in bescheidenstem Umfang
helfen. Sie sprechen die Sprache des Volkes – eines Volkes, das
nicht in der Lage ist, Hintergründe zu durchschauen.
Schon immer haben Ideologen gewußt, daß man Heimsuchungen und
Schicksalsschläge instrumentalisieren kann, daß man sie zum
Vorteil ummünzen kann. Diese Auseinandersetzung kann der Westen
nicht gewinnen:
Wie Instrumentalisierung geht, das weiß nun wirklich
niemand besser als ein Ideologe der Demokratie: Schließlich
erhebt sie auf dieses Verfahren einen Monopolanspruch. Das Deuten
darauf, daß auch andere, Feinde des freien Westens das
können, zielt dann auch geradewegs darauf, an das Wollen zu
erinnern, das westlicher- bzw. deutscherseits zu wünschen
übrig lassen müsse, wenn die Gegenseite sich die Frechheit
erlaube, das ebenfalls zu können. Nach genuin abendländischer
Ideologie versetzt allein der Wille Berge: Wollt Ihr den totalen Sieg?
(Von wegen also nicht gewinnen können!)
Auf militärischen Gebiet dämmert den Strategen bereits die
Wahrheit, die sie aus berechtigter Furcht vor dem Atomwaffenarsenal
Pakistans verdrängen.
Das ist natürlich gelogen, schließlich weiß
der freie Westen sehr gut, was er an einem atomaren Gleichgewicht in
der Region (zwischen Indien und Pakistan) hat. Doch noch einmal soll
der westliche Kampfes- und Kriegswille an- und aufgestachelt werden.
Was die materielle Hilfe angeht, so sollte sie um der Menschen willen
geleistet werden. Aber die damit verknüpfte Hoffnung auf Akzeptanz
bei der Bevölkerung ist wirklichkeitsfremd. Sympathie läßt
sich nicht mit einem Sack Reis und einer Decke kaufen. Auch diese
Wahrheit dämmert langsam herauf.
Angesichts des vorher Gesagten ist die Hilfe für die
Not leidenden Menschen natürlich zu überdenken, nämlich
insofern sie sich nicht für die richtige, also »unsere«
Seite auszahlt. Doch was würde dann aus der Ideologie des
Humanismus, mit dem Demokraten ihre Untertanen so lässig bei der
schwarz-rot-goldenen Fahnenstange halten? Bei aller Selbstlosigkeit,
liebe Untertanen, habt Verständnis für »unsere« staatlichen Berechnungen! »Wir« müssen
nach wie vor Milliarden in den Krieg gegen die Taliban stecken, der
bekanntlich beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze
wütet, und deshalb ist jeder Euro für humanitäre Hilfe
im Grunde viel zu schade. Es stinkt daher zum Himmel, daß
»wir« jetzt doch tatsächlich 25 Milliönchen
Hilfsgelder locker machen, also zweckentfremden müssen, die dann
ziemlich sicher in den Fluten pakistanischen Unvermögens,
pakistanischer Korruption und pakistanischer Eigenwilligkeit verloren
gehen. Doch sind diese Gelder das Unterpfand des Krieges!
Deshalb also diese flammende, gar nicht unbegreifliche Klarstellung ans deutsche Volk!
(23.08.10)
_______
* - Wer glaubt, daß sich in diesem
Faß nichts als Scheiße befindet, liegt sicher richtig.
Allerdings ist sie nicht allein braun, sondern weist sämtliche
Farben des Parteienspektrums auf.
