Atomkraft im nationalen Energiemix – eine Waffe der Konkurrenz

1. Energiepolitik: Versorgung mit Energie für die Konkurrenz um Wachstum
Das Leben in der modernen kapitalistischen Gesellschaft, das Privatleben, die staatliche Verwaltung, die Produktion, Transport und Verkehr sind abhängig von der Versorgung mit Strom und Brennstoffen. Klar, das ist die technische Grundlage jeder modernen Gesellschaft. Auch Atomkraftgegener wollen in der Regel nicht zurück in die Steinzeit.

1.1 Um welchen Energiebedarf geht es hier?
In der Marktwirtschaft konkurrieren Kapitale um einen immer größeren Überschuß an Kapital über den getätigten Vorschuß durch den Einsatz von rentabler Arbeit. Ob Autos oder Bier, die Produkte sind gleichgültig, es kommt darauf an, daß die Arbeit billig ist, so wenig Lohnkost pro Produkt wie möglich anfällt, so viel Leistung wie möglich pro bezahlter Arbeitsstunde herausgeholt wird. Das Resultat, eine in Geld gemessene Größe des Eigentums, hat einzig den ökonomischen Zweck, immer wieder für die Vermehrung des Kapitals tauglich zu sein.
Unternehmen setzten alle Mittel ein, um kostengünstiger als die Konkurrenz zu produzieren.. Dafür müssen sie sicher und in unbegrenztem Umfang über Energie verfügen können. Das ist die technische Grundlage für die entscheidende ökonomische Rolle, die der Preis der Energie in der Marktwirtschaft spielt. Er geht als ein ständig anfallender Posten nicht nur in jede Haushaltsrechnung ein, sondern vor allem in jede kapitalistische Kostenkalkulation. Von dem Preis für Energie sind in erheblichem Umfang sämtliche Kostpreise bestimmt, mit denen konkurriert wird. Der Kostenfaktor Energie ist mit entscheidend für den Erfolg des nationalen Kapitals auf dem Weltmarkt, des Wachstums, an dem kapitalistische Nationen ihren Erfolg messen und aus dem sie ihre Machtansprüche herleiten.
Auch der Energiesektor wird als kapitalistisches Geschäft betrieben. Er ist in doppelter Weise entscheidend für das Wirtschaftswachstum. Als großer kapitalistischer Wirtschaftszweig bringt er erstens sehr viel Geldreichtum hervor, und zwar zweitens damit, daß er für die ganze Gesellschaft den Energiebedarf zum Zwecke der Vermehrung von Kapital bedient.
Der Energiebedarf, um den es da geht, bemißt sich also nicht an irgendeiner berechenbaren Menge, die "wir" so brauchen, "wir" als die Summe aller Bewohner. Der Energiebedarf dieser Gesellschaft ist so maßlos wie deren bestimmender ökonomischer Zweck.
Auf ihre Weise sagen Politiker, die energiepolitisch unterwegs sind, es selber, wenn sie bei dem aktuellen energiepolitischen Programm, Abteilung Energieeffizienz, davon reden, daß Wachstum und Energieverbrauch voneinander "entkoppelt" werden sollen. Sie sind also aneinander gekoppelt, je mehr Wachstum, und davon gibt es nie genug, desto größer der Energiebedarf. Das "Entkoppeln" durch effektivere Nutzung der Energie ändert an dem prinzipiellen Verhältnis nichts, sondern verschärft es: Noch mehr Wachstum durch weniger Energiekosten pro produziertem Stück, also höherem Gewinn, der erneut für Wachstum eingesetzt wird.

1.2 Energieversorgung ist in der Marktwirtschaft wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für Wachstum eine Staatsangelegenheit.
Das ist bemerkenswert, denn in der Marktwirtschaft ist die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern, selbst der lebensnotwendigen Güter, kein gesellschaftlicher Zweck, für den planmäßig gesorgt würde. Die Güter, die die Leute zum Leben brauchen, Nahrung, Kleidung, Erholung, Wohnen, Verkehrsmittel, Medizin, sind Mittel des Geschäfts von Unternehmen. Es ist der privaten Anstrengung des Einzelnen überlassen, das nötige Geld für seine Versorgung mit all den Waren zu beschaffen. Versorgung ist das, was abfällt – oder auch nicht – bei der Vermehrung des Geldreichtums, die als Konkurrenzkampf der kapitalistischen Warenproduzenten und des Handels gegeneinander und gegen die Käufer der Waren um deren Zahlungsfähigkeit stattfindet. Ohne Geld gibt es keine Versorgung, die Güter, sofern sie nicht verkauft werden können, sind wertlos, das Bedürfnis nach ihnen zählt nicht, wird also nicht befriedigt. Hungersnöte auf der einen und maßlose Verschwendung auf der anderen Seite sind die Normalität der Marktwirtschaft weltweit.
Anders verhält es sich mit der Energieversorgung. Wegen der elementaren Bedeutung des Energiesektors mit seinen Produkten und Preisen für das Wachstum bleibt die Versorgung mit Energie nicht dem marktwirtschaftlichen Treiben überlassen, sondern wird zu einem Staatszweck.

1.3 Wie wird Energieversorgung hergestellt?

Das heißt nicht notwendig, daß Staatsbetriebe die Energieversorgung betreiben. In Aufbaufasen und in Nachkriegszeiten wurden Grundstoffindustrien und Kraftwerke auch schon mal als Staatsbetriebe bzw. unter kommunaler Verwaltung geführt. Inzwischen wurde "privatisiert". Ehemals staatlich betriebene Versorgung mit Energie beurteilt der Staat heute als Kosten, die er viel zweckmäßiger einsetzen kann, wenn er private Betreiber mit der nötigen Kapitalgröße ausstattet, damit sie in seinem Auftrag und unter seiner Aufsicht die Energieversorgung leisten und dabei zum Wachstum beitragen.
Der staatliche Auftrag an die Energieversorger lautet, Strom flächendeckend und sicher für jeden Bedarf in der Gesellschaft, Schwankungen der Abnahme eingeschlossen, bis ins letzte Dorf zu liefern.
Ein mit diesem Auftrag versehenes Kapital hat von seinem Standpunkt des Profitmachens her das "Problem", daß da jede Menge unproduktiver Kosten zu veranschlagen sind. Wozu bis ins letzte Dorf? Da ist nichts zu verdienen. Wozu Versorgungssicherheit für wechselnden Bedarf? Das kostet.
Dieser Widerspruch erzeugt einen Dauerstreit zwischen staatlichen Aufsichtsbehörden, die mehr oder weniger,
im Prinzip aber schon darauf dringen, daß Versorgung gesichert wird, und den Energiekonzernen, die höchst offiziell
berechtigt sind, auf ihre Gewinne zu achten.

1.4 Wie wird passend gemacht, was unter dem Gesichtpunkt des lohnenden Einsatzes von Kapital nicht zusammenpaßt?
Eine flächendeckende, sichere Energieversorgung erfordert riesige Kapitalvorschüsse, die langfristig angelegt sind, also dem Zweck Rendite nur dann entsprechen, wenn das Produkt zu hohem Preis an den Verbraucher gebracht werden kann.
Der staatliche Auftraggeber will niedrige Energiekosten, mit denen das Wachstum seiner Wirtschaft in der Konkurrenz
der Nationen der Sieger ist.
Jeder kennt das öffentliche Getöber um die Strompreise. Privatisierung wurde als Weg, den Strompreis zu senken, propagiert. Tatsächlich steigen die Preise für die privaten Verbraucher ständig. Was macht man da? "Marktmacht" ausüben, den Anbieter wechseln. Da hat König Kunde viel zu tun! Heute RWE, morgen Vattenfall.
Der Auftrag an die Energiekonzerne ist widersprüchlicher Natur: Die Energiepreise sollen wegen der nationalen Konkurrenzposition niedrig sein, zugleich sollen die berechtigten und vom Staat gewollten Wachstumsinteressen der Energiewirtschaft bedient werden.
Das zu leisten erfordert nach innen wie nach außen den Einsatz staatlicher Mittel. Der Staat kümmert sich um Energieversorgung als Gesetzgeber, als Aufsicht und Verwaltung, als Geldgeber. Damit schafft er sich die Basis seiner außenpolitischen Einflußnahme zur strategischen Sicherung des Zugangs zu Energie.

1.5 In Energiefragen sind Politiker weltmarktkritisch!
So sehr der Weltmarkt nämlich geschätzt wird als Mittel für das nationale Wachstum: Alles läßt sich kaufen und verkaufen. Keine politische Schranke wird bei anderen Staaten geduldet, die das Niederkonkurrieren von heimischen Produkten durch die mit der überlegenen Rentabilität hergestellten Importwaren verhindern möchte. Keine noch so entlegene Gegend kann sich dem Anspruch, für die Vermehrung des potentesten Geldes zu dienen, entziehen. Diese Freiheit des Weltmarktes wird von Politikern unentwegt ideologisch schöngefärbt als wunderbare Arbeitsteilung. Hier Maschinen, dort Erdnüsse, jeder kriegt doch, was er braucht, wenn er zahlen kann.
Bei der Energiefrage stehen die gleichen Politiker dem Weltmarkt äußerst kritisch gegenüber. Daß sich Energierohstoffe auf fremdem Territorium befinden, sehen sie als Abhängigkeit. Deutschland wird als "ein rohstoffarmes Land" bezeichnet. Warum?
Der unbegenzte, sichere Zugang zu Energie ist die Grundlage des Konkurrierens auf dem Weltmarkt. Darüber entscheidet sich, wer Sieger, wer Verlierer ist. Also wird "Abhängigkeit" nicht hingenommen, sondern es werden alle Mittel in Anschlag gebracht, die Staaten, die auf dem Öl und Gas sitzen, zu abhängigen Lieferanten zu machen.

1.6 Die Abhängigkeit soll umgedreht werden
.
Ein sehr wesentliches Mittel dafür war der Aufbau der Atomindustrie.
Die BRD hat gewaltige Summen aufgeboten, um den Aufbau von Atomkraftwerken plus Nukleartechnologie voranzubringen, mit der dieser Staat zur Atommacht wurde, bemerkenswerter Weise ohne eigene Atombombe.
Die damit hergestellte ökonomische Potenz der deutschen Atomwirtschaft wurde als Mittel eingesetzt, den Zugriff auf die auswärtigen Quellen der Energierohstoffe zu sichern. Wenn ein Drittel der Energie des Standorts Deutschland von den eigenen Atomkraftwerken geliefert wird, dann bestimmen deren Preise, die dank staatlicher Anschubfinanzierung niedrig gemacht sind, die Weltmarktpreise mit.

1.7 Der Anspruch auf Energiesicherheit erfordert Einmischung in die Staatenwelt.
Wenn es darum geht, das Verhältnis der Abhängigkeit umzudrehen, dann werden Staaten, die über Energierohstoffe auf ihrem Territorium verfügen, in Abhängigkeit gebracht, sie werden zu Lieferländern, "Ölstaaten", gemacht. Ihr staatliches Interesse soll nach Möglichkeit darin aufgehen, ihr Gas, ihr Öl an die Staaten liefern zu dürfen, die damit kapitalistisch wirtschaften, und zwar zu Preisen, die der Kalkulation von deren Energiewirtschaft und dem Wachstum, das sich damit bewerkstelligen läßt, entsprechen. Dafür sollen sie funktional sein, d.h. im Innern wohlgeordnet für den reibungslosen Abtransport, nach außen offen für den Einfluß ihrer Kundschaft.
Mit deren eigenen nationalen Interessen stimmt das in der Regel nicht so ganz überein.
Kein Wunder, daß es so konfliktreich, so imperialistisch, zugeht in Energiefragen. An Beispielen fehlt es nicht:
– Wenn Ölstaaten eine OPEC gründen und Preisabsprachen treffen, heißt es, es sei "Ölkrise".
– "Unser Öl" liegt meistens in Gegenden wie dem Nahen Osten, wo es, wie es heißt, an Stabilität fehlt. Der oberste Weltordner, die USA, führen Krieg um die Herstellung einer für sie passenden Ordnung. Ein Staat wie die BRD kann da nicht tatenlos zusehen und ringt im Nahen Osten um eine eigene Rolle bei dem zerstörerischen Geschäft des Weltordnens.
– Dagegen die gute Nachricht: Die Auflösung der UdSSR führte dem Weltmarkt jede Menge Öl und Gas zu. Der freie marktwirtschaftliche Zugang zu einem riesigen Gebiet zu nutzender und zu erschließender Rohstoffe, die kein antikapitalistisches System mehr der Profitmacherei vorenthält, wurde begrüßt und deren Nutzung in Angriff genommen. Zugleich wurde jede Regung eines nationalen Interesses Rußlands an seinen Resourcen als Gefahr für die westliche Energiesicherheit betrachtet.

Ein Fazit:

Eine nationale Energiepolitik, die "Energiesicherheit" herstellen will, beansprucht das Recht auf Einmischung in die Staaten, von denen sie sich als abhängig definiert hat. Die eigenen weltweiten Interessen sind für Imperialisten der zwingende Grund, in Ländern, in denen sie Interessen so elementarer Art wie die an Energie haben, für die passenden politischen Verhältnisse sorgen zu wollen.
Das Ideal nationaler Energiepolitik besteht darin, über den entscheidenden Stoff des Wirtschaftslebens in eigener Regie zu verfügen, auf keine politischen Machtverhältnisse, keine Kalkulationen anderer Staaten Rücksicht nehmen zu müssen.
Dieses Ideal der Freiheit von jeglicher Abhängigkeit von äußeren Mächten und des schrankenlosen Verfügens über Energie verdankt sich der Maßlosigkeit des politökonomischen Zweckes Wachstum.
Bei Energiepolitik geht es daher um wesentlich mehr als den Strom für deine und meine Nachttischlampe. In vielen Flugblättern von AKW-Gegnern heißt es: "Wir brauchen keine AKWs, mit alternativen Energien können wir den Bedarf decken." Das geht an der Sache vorbei, sie meinen vermutlich nicht den Bedarf, den die Energiepolitik im Auge hat.
Für die Machthaber eines kapitalistischen Staates, die Unabhängigkeit in Energiefragen anstreben, ist der Nutzen,
den Atomenergie verspricht, unwiderstehlich: Aus sehr wenig Material läßt sich ungeheuer viel Energie erzeugen.
Die Nation gewinnt, so denken sie, über den nuklearen Kreislauf eine quasi unerschöpfliche Energiequelle,
die sich in nationaler Verfügung in Gang setzten und zu einer Profitquelle machen läßt.

2. Was leistet die atomare Option für Staat und Kapital?

Für eine führende Weltmarktnation wie die BRD, für deren Interesse an Energiesicherheit, war und ist die atomare Option unentbehrlich. Der Besitz einer solchen nationalen Energiequelle verschafft der Nation die Freiheit, die Abhängigkeit von den Rohstoffen, über die andere Staaten territorial verfügen, umzukehren.
Kosten wurden für das Projekt nicht gescheut. Die Milliarden, mit denen der Aufbau der Atomindustrie in Deutschland, 19 Atommeiler und ein fertig entwickelter nationaler Brennstoffkreislauf, angeschoben wurde, sorgten dafür, daß diese Industrie zu einer Profitquelle wurde, die heute 30% des Energieverbrauchs liefert.
Die Stromproduktion aus dieser Quelle hat dazu beigetragen, daß ausländische Energielieferanten die neue Freiheit ihres Abnehmers berücksichtigen müssen. Mit 30% Atomstrom aus eigener Produktion ist ein Datum in der Konkurrenz gesetzt, das auf Preise und Bedingungen wirkt.
Atomenergie hat sich so als ein Mittel bewährt, die Kosten für den Standort, für sein Wachstum, für die Konkurrenzfähigkeit seiner Waren auf dem Weltmarkt zu senken.
Im Verhältnis zu dieser Leistung und in voller Kenntnis der schädlichen Wirkungen und der Risiken wurde die Sicherheitsfrage als hinnehmbar beurteilt. Sie war von vornherein ein Bestandteil der Kalkulation.
Diese Kalkulation der Energiepolitiker galt und gilt nach wie vor dem Standort und dessen Resourcen für das Kapitalwachstum, d.h. das gesamte gesellschaftliche Leben ist nur unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit dafür von Interesse. Die Unversehrteit der Bewohner dieses Standorts ist sehr bedingt von Interesse, nämlich insofern, als sie Mittel für Wachstum sind.
AKW-Gegner wollen diese Differenz nicht wahrhaben, wenn sie seit 30 Jahren auf die Gefahren der AKW-Wirtschaft hinweisen, so als ob der Staat, an den sie appellieren, die nicht kennen würde.
Folgende Leistungen machen die Nutzung der Kernenergie für diese Nation unverzichtbar:
Ein fertig entwickelter nationaler Brennstoffkreislauf hat sich als gute Voraussetzung für das Weltmarktgeschäft mit Atomtechnologie erwiesen, die begehrt ist bei den Nationen, die eine eigene industrielle Basis für ihren Anspruch auf "Energiesicherheit" nicht hinkriegen. Dabei war es von Vorteil, daß diese Republik die Produktion von Atomwaffen selber nicht im Programm hatte, ihre Exportgeschäfte also jenseits der Beschränkungen des Regimes der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen betreiben konnte.
Der Dual-use-Charakter von Nukleartechnologie war dabei nicht erst seit dem Konflikt der imperialistischen Staaten mit dem Iran klar. Der Machtzuwachs wurde von den USA hingenommen, weil die BRD im westlichen Bündnis gegen die SU als starker Staat einkalkuliert war. Die Erlaubnis galt nicht im Hinterhof der USA. Gegen ein deutsches AKW in Brasilien legten die USA damals ihr Veto ein.
Die BRD ist so eine Atommacht geworden, ohne Bombe, aber ausgestattet mit den technologischen und ökonomischen Potenzen, Atomwaffen zu beschaffen, wenn das die nationale Interessenlage erfordert.
Es ist ein Zugewinn an strategischer Macht, weltweit führend zu sein bei der Belieferung mit Nukleartechnologie, denn wer das Gerät liefern kann, bestimmt auch darüber, wem diese Technologie zusteht und wem nicht. Er macht andere Staaten von sich abhängig in der Energiefrage und damit potentiell in der Frage des Verfügens über den Stoff für die Atombombe, also höchsten Souveränitätsfragen.
Heute geht die BRD selbstverständlich davon aus, daß sie zu den Staaten gehört, denen die Kontrolle über den Besitz und die Weitergabe von Atomwaffen obliegt, siehe Iran. Im Irankonflikt ist die BRD eine der Weltmächte, die über den Einsatz von Sanktionen und die Frage wann Krieg ansteht, mit entscheiden.

3. Die Gefahren und Schäden der Stromgewinnung aus Kernspaltung und die staatliche Kalkulation damit

3.1 Atomstrom – Was passiert beim Betreiben eines AKW?
Beim Benutzen der Kernspaltung für die Atombombe sind die zerstörerischen Wirkungen das Potenzial, auf das es militärisch ankommt: Die Strahlung, die Gewalt der Explosion, die radioaktiven Spaltprodukte.
Der im Prinzip gleiche Prozeß findet beim Benutzen der Kernspaltung für die friedlichen Zwecke der Konkurrenz statt, nur kommt es da auf Energiegewinnung an. In dem Prozeß selber sind jedoch die zerstörerischen Wirkungen von den gewollten, nützlichen nicht zu trennen.

– In einem AKW wird mit der Kernspaltung die Kettenreaktion in Gang gesetzt und moderiert, so daß es im Normalbetrieb nicht zu einer Explosion kommt. Die Anzahl der freigesetzten Neutronen wird verringert durch das Dazwischenschalten von Moderatoren, Grafitstäbe in Tschernobil, Wasser in deutschen AKWs. Damit wird die Zahl der neu ausgelösten Kettenreaktionen begrenzt und die erzeugte Energie kann genutzt werden.
– Das geht. Das ist technisch machbar, nur werden alle schädlichen Wirkungen dabei nicht ausgeschlossen, das ist nicht möglich, sondern sie werden allenfalls eingedämmt.
– Wenn bei der "kontrollierten Kettenreaktion" mehr als die üblichen Störungen passieren und ein AKW "durchgeht", dann ist eine ganze Region samt menschlichem Inventar kaputt und so verstrahlt, daß sie auf unabsehbare Zeit nicht mehr benutzt werden kann.
– Denn der radioaktive Zerfall, also die Strahlung, läuft nach den fysikalischen Gesetzmäßigkeiten des jeweiligen Stoffes, dessen Halbwertzeit, ab, und es ist kein Mittel bekannt, die einmal in Gang gesetzte Strahlung zu stoppen.
– Schon die radioaktive Strahlung, die im normalen Betrieb anfällt, verseucht und zerstört mehr oder weniger schnell alle Stoffe, auf die sie trifft.

Wenn sie auf lebende Organismen trifft oder wenn Tiere oder Menschen radioaktiv verseuchtes Material einatmen oder mit dem Wasser und der Nahrung aufnehmen, führt das zur Veränderung von Zellen, was Krebs und andere Krankheiten auslöst.
Alles Material, aus dem ein AKW besteht, von den Rohrleitungen bis zu den Betonmauern und er Arbeitskleidung der Beschäftigten wird durch die Strahlung angegriffen und zersetzt, korrodiert, wird brüchig. Teile, die in schneller Folge ersetzt werden müssen, vergrößern die Berge an radioaktivem Abfall, schaffen also ständig, zusammen mit stillgelegten AKWs und abgebrannten Brennstäben, das unlösbare Problem der "Entsorgung".
Von staatlicher Seite wird eine sichere Lagerung der Abfälle gefordert, sicher vor geologischen Veränderungen der Lagerstätte und sicher vor unkontrolliertem Zugriff auch künftiger Generationen möglicher Übeltäter. Dieser Anspruch ist gesetzlich festgelegt. Die Atomgesetzgebung verlangt ausdrücklich den Nachweis einer in diesem Sinne sicheren Endlagerung als Bedingung für die Erlaubnis zum Betreiben von AKWs. Ungeachtet dessen stehen etwa 19 AKWs in der deutschen Landschaft. Wie das?
Rechtlich ist jedenfalls alles bestens geregelt!

3.2 Der staatliche Umgang mit dem "Restrisiko"
"Deutsche AKWs sind die sichersten der Welt", sagt Frau Merkel.
Mag sein, daß es welche gibt, die dünnere Außenwände haben, weniger Notstromaggregate, und in denen noch sorgloser bzw. betriebswirtschaftlich berechnender mit den allgegenwärtigen Störungen umgegangen wird als z.B. in Krümmel durch den Betreiber Vattenfall.
Relativ sicher also. Man soll sich das übersetzen in "unbedenklich". Hundertprozentige Sicherheit gebe es ja sonst auch nirgends. Ein Flugzeug könne abstürzen. Nur Wenige ließen sich deswegen vom Fliegen abhalten.
Dieser Vergleich ist falsch. Ein Flugzeug stürzt normalerweise nicht ab, ein AKW hingegen produziert im Normalbetrieb Strahlung. Der Fall, daß eine kontrollierte Kettenreaktion in eine unkontrollierte übergeht, ist in Tschernobil und in Harrisburgh zu besichtigen, ist also keineswegs ein zu vernachlässigendes "Restrisiko". Das Gerede von "Restrisiko" ist vielmehr die Ideologie zu dem eigentümlichen Risikobewußtsein, das die Verantwortlichen praktizieren.
Der Bürger soll Kenkraftwerke für "unbedenklich" halten. Das staatliche Urteil über diese Industrie ist das nicht, denn die fysikalischen Fakten sind den Verantwortungsträgern bekannt. Ihr Beschluß, Atomkernspaltung als Energiequelle zu nutzen, macht einen Zynismus des Umgangs mit dem sehr wohl bekannten "Schadenspotenzial" notwendig.
Denn der Inhalt der energiepolitschen Kalkulation ist folgender:

Wegen der Leistungsfähigkeit dieser Energiequelle für die Nutzung der Resourcen des Kapitalstandorts Deutschland wird die Gefährdung dieser Resourcen, des Territoriums des Staates mit allem, was draufsteht und was da lebt und arbeitet, in Kauf genommen. Die Gefahren der ökonomischen Nutzung der Kernenergie betreffen die staatliche Hoheit selbst in ihrem Material.

Ein Stab von Wissenschaftlern und Technikern wird ans Werk gesetzt, die den Staatsauftrag verantwortungsvoll umzusetzen haben, die Nukleartechnologie unter den gegebenen Standortbedingungen betreibbar zu machen, dieses Gefahrenpotenzial in den Griff zu kriegen. Mit Erfolg bislang, die Akws liefern den Strom und den Profit für ihre Betreiber.
Selbstverständlich bringen Reaktorwissenschaft und Reaktortechnologie dabei Fortschritte zustande, auch hinsichtlich des Eindämmens der für Mensch und Material schädlichen Strahlung. Diese technologischen Fortschritte sind allein schon deswegen notwendig, damit der Betrieb selber gewährleistet werden kann. AKWs wurden ja in die Landschaft gesetzt ohne viel Erfahrung im industriellen Umgang mit der Kernspaltung. Verbesserung der Reaktortechnologie findet als Experiment im laufenden Betrieb statt, da zeigt sich, welche Materialien unter welchen Bedingungen wie lange ihre Funktion erfüllen. Wissenschaft und Technologie können die unvermeidlichen Wirkungen nicht beseitigen, aber sie sollen den Umgang mit ihnen berechenbarer machen.
Es wird schon an dem Aufwand, den der Staat mit der rechtlichen und verwaltungsmäßigen Organisation hier treibt, erkennbar, daß es darum geht, eine Gefährdung der Quellen staatlicher Macht in den Griff zu kriegen.
Die Atomindustrie ist unter besondere Staatsaufsicht gestellt, Genehmigungsverfahren sind langwierig, Störfälle sind meldepflichtig, nicht selten müssen die Betreiber wegen aller möglichen Vorschriften AKWs ausschalten, wodurch ihnen sehr viel Gewinn entgeht, auf den es diesem Industriezweig und auch dem Staat ankommt. Aufsichtsbehörden und Betreiber streiten darüber, ob in diesem oder jenem Fall das Abschalten notwendig war.
Kein Arbeitnehmer läuft ohne Strahlenzähler im AKW herum, und wenn die vorgeschriebene Strahlendosis erreicht ist, hat er seinen Arbeitsplatz zu verlassen. Es werden angeblich "unschädliche" Strahlengrenzwerte bei Emission von Gasen und Flüssigkeiten festgelegt, deren Überschreitung verboten ist. Es werden tolerierbare Risiken und Umgangsweisen im Normalbetrieb von verbotenen Praktiken unterschieden. Die Betreiber werden auf aufwendige Reaktorsicherheitssysteme und GAU-Vorsorge verpflichtet.
Das alles gibt es, aber es spricht nicht für Entwarnung, denn was heißen z.B. ...
Grenzwerte für Strahlung?
Für all die üblichen schädlichen Einflüsse, denen die Leute in dieser Gesellschaft ausgesetzt werden, ob es sich um Luftverschmutzung, Lärmbelastung am Arbeitsplatz oder Schadstoffe in der Nahrung handelt gibt es "Grenzwerte". Es sind statistisch ermittelte Werte, die nichts aussagen über die jeweilige Schädigung des Menschen unter Berücksichtigung der Besonderheiten seines Organismus. Sie unterbinden die Schädigung nicht, sondern erlauben sie in einem als hinnehmbar definierten Umfang. Die Ausfallrate, mit der gerechnet wird, soll nicht das weitere Verbrauchen des Volkes für Wirtschaftswachstum behindern. Ein ganzes Gesundheitssystem sorgt so für eine gewisse Haltbarkeit der Leute, damit sie ge- und verbraucht werden können, – das ist hierzulande marktwirtschaftliche Normalität.
Grenzwerte für Strahlung, angesichts dessen, daß es keine Strahlendosis gibt, die unschädlich ist, sind Tests bei laufendem Betrieb darauf, wieviele Krebsfälle in welchem Zeitraum bei Beschäftigten, bei Anwohnern, im Volk allgemein anfallen. Was hier nachgemessen wird, ist die fortwährende im Prinzip unkalkulierbare Schädigung der staatlichen Resource Bevölkerung.
Das Atomprogramm ist offenbar für diesen Staat von so unbedingtem Interesse, daß er den üblichen, auch nicht menschenfreundlichen, sondern eben ökonomischen Umgang mit dem Leben seiner Bevölkerung hintan stellt und eine extrem hohe Risikoschwelle für angemessen erklärt. [
Anm.: Die Evakuierungsplanung im Falle eines schweren Zwischenfalls verlangt von dem medizinischen Personal die Durchführung einer Triage.]

Und wie sieht es aus mit der gesetzlich vorgeschriebenen Reaktorsicherheit?
Der Produktionsprozeß im AKW zerstört notwendig das Material der Produktionsmittel, mit denen er durchgeführt wird. Wenn von deren Funktionieren die Moderation der Kettenreaktion abhängt, dann sind auch die Sicherheitsvorkehrungen Tests bei laufendem Betrieb. Wenn nichts passiert, was nicht in den Griff zu kriegen ist, geht es, ist die Sache machbar.
Mit dieser "Risikotechnologie" wird von privaten Unternehmen Profit produziert, also spielt der Gesichtspunkt der Reduzierung der Kosten im Verhältnis zum Gewinn eine wesentliche Rolle. Wann darf welche Störung zur Unterbrechung der Gewinnmaschine AKW führen? Wer ist qualifiziert und berechtigt, zu beurteilen, wie ernst ein Störfall zu nehmen ist? Das ist eine Kostenfrage!
Auch in AKWs wird an Personalkosten gespart, das richtige Verhältnis von qualifiziertem, also teurem zu unqualifiziertem, also billigerem Überwachungspersonal muß ökonomisch stimmen. Wie die jüngsten Störfälle zeigen, sind nicht immer die qualifizierten Leute vor Ort, die befugt sind, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. So kommt es zu dem berühmten "menschlichen Versagen" als Ursache von Störungen.
Für einen AKW-Betreiber gilt allerdings das Profitinteresse nicht unbedingt, da ist die staatliche Aufsicht davor.
So sah sich kürzlich die Atomaufsichtsbehörde genötigt, nach den Störfällen in Krümmel und Stade den Betreiber Vattenfall zu ermahnen, er möge schärfer darauf achten, daß nicht Wirtschaftlichkeit vor Sicherheit gehe. Die staatliche Aufsicht übersetzt den Irrsinn der betriebswirtschaftlichen Kalkulation, das Austesten, wann abgeschaltet werden muß und was das dann wieder kostet, in die Frage der Einhaltung von Vorschriften, bei "vernünftiger" Abwägung ihrer Gesichtspunkte. Wirtschaftlich rechnen sollen die AKW-Betreiber schon, aber dabei nicht die Grundlagen des Wirtschaftens kaputtmachen.
AKW-Gegner werfen den staatlichen Aufsichtsbehörden immer wieder das Fehlen verantwortungsvoller Überwachung der Atomindustie vor. Das ist ungerecht. Die Überwachung findet statt, nur ist sie nicht von Zweifeln an dem Programm geleitet, sondern vom Willen zu seiner erfolgreichen Nutzung.
Die hat der Nation erweiterte Freiheit im Umgang mit den auswärtigen Energiequellen eingebracht, so daß jetzt die Bedeutung der Nuklearindustrie auf dem deutschen Standort neu kalkuliert werden kann.
Wie staatliche Beaufsichtigung geht, ist den jetzt öffentlich gewordenen Problemen mit dem Atommülllager Asse zu entnehmen.

3.3 Die Asse – ein Ergebnis von 30 Jahren staatlich beaufsichtigter Atomindustrie
Die Fakten: 126.000 vergammelte Fässer mit radioaktiven Abfällen befinden sich in einem absaufenden, einsturzgefährdeten Salzbergwerk in 500 bis 750 m Tiefe in einer dichtbesiedelten Industrielandschaft mitten in Europa. Der Zustand der Behälter und zum Teil deren Inhalt ist nicht bekannt. Eine Verseuchung des Grundwassers ist nicht auszuschließen.
Was tun? Zuschütten und abwarten oder herausholen, aktuell vermehrte Strahlenbelastung in Kauf nehmen und vor dem Problem der "sicheren" Endlagerung stehen?
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat sich für die Option "Rückholung" statt "Vollfüllung" entschieden, unter dem Vorbehalt, daß das technisch überhaupt möglich ist. Als Deponie ist Schacht Konrad vorgesehen, das "einzig gerichtsfeste Endlager" in Deutschland, so das BfS. Schacht Konrad ist allerdings laut Genehmigung, mit den bis 2040 anfallenden Abfällen aus den laufenden AKWs bereits ausgelastet.
Die Lage ist also außer Kontrolle, aber es wird munter versichert, die Strahlenbelastung werde nicht die Grenzwerte überschreiten, die Schädigung von Land und Leuten also im Rahmen des gesetzlich Erlaubten stattfinden.
Bei all dem ist durchaus keine kriminelle Fahrlässigkeit oder besonders gierige Profitgier bei Betreibern, Kontrollinstitutionen
oder Gesetzgeber am Werke, sondern das ist der Umgang mit dem Widerspruch, eine unbeherrschte Energiequelle wegen ihres Nutzens für den Standort unbedingt einsetzen zu wollen, und dabei den Standort in seiner Qualität als Lieferant für Wirtschaftswachstum nicht zu beeinträchtigen. Dafür steht z.B. die gesetzliche Vorschrift, daß das Betreiben von AKWs nur unter der Bedingung erlaubt wird, daß die Endlagerung geklärt ist. "Langzeitsicherheit" fordert das Gesetz, also Sicherheit vor geologischer Veränderung wie vor unbefugtem Zugriff bis in alle Ewigkeit. Diese gesetzliche Vorgabe ist insofern bemerkenswert, als sie keinerlei materielle Grundlage hat und es keinerlei praktische Handlungsmöglichkeit gibt, um sie umzusetzen. Allen Beteiligten war – und ist – klar, daß "Langzeitsicherheit" auch mit keinem noch so stringenten Einsatz der Staatsgewalt zu haben war und zu haben ist.
Ein Gesetz ist da und die Staatsgewalt zu seiner Durchsetzung ist da, nur läßt sich das Delikt – fehlende Langzeitsicherung – nicht aus der Welt schaffen!
Also wurde die Entsorgung zum wissenschaftlichen Experiment erklärt.
Die ursprüngliche Funktion der Asse war ein Experiment, durchgeführt von einem wissenschaftlichen Institut, das rechtlich nicht der Atomgesetzgebung, sondern dem Bergrecht, also den Vorschriften für den Umgang mit allem, was untertage getrieben wird, unterstellt ist.
Es sollte herausgefunden werden, ob sich radioaktive Stoffe in diesem Gestein lagern lassen, welche Veränderungen geologisch stattfinden, welche Materialien unter diesen Bedingungen für die Lagerung geeignet sind etc.
Das Ergebnis des Experiments bestand darin, auf das ursprüngliche Experiment zu verzichten und ein anderes zu beginnen: Wie lange läßt sich vollständig ungesicherte Endlagerung betreiben, ohne daß sich jemand daran stört?
Weil die große Menge des anfallenden Atommülls nicht zur Schranke für die Atomwirtschaft werden sollte, haben Betreiber, Aufsichtsbehörden und wissenschaftliche Betreuer zusammengearbeitet und sind bis 1978 nach dem Prinzip "weg damit ins Zwischenlager" verfahren, schließlich das Zwischenlager inoffiziell zum Endlager erklärt. Dieses Experiment ist ziemlich positiv aufgegangen. Beweis: 126.000 Fässer mit radioaktivem Müll wurden eingelagert, bevor jetzt der zu vermutende Schaden dieser ungesicherten Endlagerung allmählich größer wurde als der Schaden, der entstanden wäre, wenn man den Müll einfach in die Gegend gekippt hätte.
Nach Bergrecht werden ausgebeutete Salzbergwerke geflutet! Inzwischen hat die BfS die Helmholzgesellschaft als Betreiber abgelöst und die Asse wurde dem Atomrecht unterstellt. Die Zuständigen haben wieder einmal festgestellt, daß die Freiheit, die die Atomtechnologie liefert, die rein nationale Verfügung über Energie, abhängig einzig von der eigenen technologischen und ökonomischen Potenz, eine Schranke hat an der "Entsorgung".
Diese Feststellung geht einher mit der inzwischen ganz öffentlich gemachten Darstellung einer Fülle aktueller und drohender Schädigungen von Land und Leuten – für deren Beseitigung bzw. Bekämpfung es zwar nach wie vor ein Gesetz gibt, aber kein Konzept für dessen Umsetzung.

4. Das unbedingte Setzen auf Atomkraft wird heute relativiert. Was sind die Gründe dafür?

Das unbedingte Setzen auf Atomenergie, auf den vollständigen nuklearen Kreislauf, galt für 20 Jahre als der Erfolgsweg der Nation. Ein Drittel des Energiebedarfs wird heute mit Atomstrom gedeckt. Das hat die Freiheit zur Kalkulation mit den diversen Trägern von Energie hergestellt, mit der jetzt das Programm relativiert werden kann.
Die "Versorgungssicherheit", die der Standort Deutschland für sein Wachstum in Anspruch nehmen will, ist hergestellt, erstens durch eigene Produktion in seinen AKWs und dem damit hergestellten Druckmittel auf die Preise der Ölstaaten. "Wir sind weniger abhängig geworden."
Zweitens ist es gelungen, aus der AKW-Wirtschaft ein äußerst erfolgreiches Geschäft mit Strom zu machen, deutsche Energiekonzerne sind führend in Europa.
Drittens erlauben die EU und die Machtposition Deutschlands in ihr Arbeitsteilung. Teile des nuklearen Kreislaufs werden in La Hague und in Sellafield erledigt. Der Bau der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf konnte daher eingestellt werden, der Schnelle Brüter ging nie ans Netz, das Brennstäbewerk in Hanau wurde hierzulande nicht benötigt und geschlossen. Eine Uranfabrik in Gronau im lieblichen Münsterland soll hingegen erweitert werden, erfährt man anläßlich eines Störfalles dort.
Viertens hängt der Export von Nukleartechnologie nicht mehr von der Nutzung aller Abteilungen auf dem nationalen Standort ab, denn die deutschen Anlagenbauer sind bereits weltweit tätig und stellen dort die Nützlichkeit ihrer Ware für staatliche Interessenten unter Beweis.
Fünftens hat sich die Welt mit der Auflösung der SU verändert. Enorme Öl- und Gasmengen direkt vor der europäischen Haustür sind nicht mehr unter der Herrschaft des feindlichen Systems. Zunächst, in der Jelzin-Ära, waren sie Eigentum eines in Auflösung begriffenen Staates, der für seinen Übergang in die gepriesene Marktwirtschaft ziemlich bedingungslos seine Rohstoffe verscherbelte.
Den Zugriff darauf zu sichern, war die neue imperialistische Auftragslage. Anders als im Nahen Osten, wo die USA die Bedingungen setzen und die Kontrolle über die Ölstaaten ausüben, an die das europäische imperialistische Interesse nicht heranreicht, sehen die Europäer in Rußland und den GUS-Staaten ihre strategische Energiereserve, die sie kontrollieren und sich für den nationalen Bedarf herrichten wollen. Es geht um eine Neuaufteilung der Welt, nicht nur in Energiefragen.
Inzwischen verkauft Rußland seine Energierohstoffe nicht mehr bedingungslos. Putin will das Energiegeschäft zur Quelle der Bereicherung für Rußland machen, die Abhängigkeit eines Ölstaates von den Zufälligkeiten auf dem Energiemarkt will Rußland loswerden und die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft für den Aufbau einer Akkumulation in Rußland verwenden. Rußland will selber ein konkurrenzfähiger Staat werden. So hatte sich das westliche Lager seine "friedliche Eroberung" eigentlich nicht vorgestellt.
Deutsche und europäische Energiepolitik sieht sich also neuen Bedingungen gegenüber. Es wird eine "strategische Energieallianz" mit Rußland gegründet, in der als Gegenleistung für den Zugang zu den Rohstoffen das russische Interesse an Kapital und Technologietransfer berücksichtigt werden muß. Ständig findet in der Energiepolitik eine neue Güterabwägung statt, die den Maßstab Energiesicherheit beibehält und der geänderten Lage in der Konkurrenz der Staatenwelt Rechnung trägt. Aus der Freiheit der Kalkulation, die sie sich geschaffen haben, betrachten Politiker die Welt als eine Ansammlung von Faktoren, auf die sie bei der jeweiligen Zusammensetzung ihres Energiemix achten.
Als ein solcher Faktor wird auch das Schadenspotenzial der AKWs für den Standort auf einmal als Argument in der politischen Auseinandersetzung salonfähig.
Die Grünen, aus der Anti-AKW-Bewegung in die Energiepolitik aufgestiegen, haben ihren Beitrag dazu geleistet, die Einwände gegen die Nutzung der Atomkraft unter nationalen Gesichtspunkten politikfähig zu machen. Die Strahlung, das Störfallrisiko, die Probleme der Entsorgung sind anerkannte Gesichtspunkte geworden neben anderen relevanten Gesichtspunkten wie z.B. die Abhängigkeit von den Russen oder die Exportchancen für Atomtechnologie.
Wenn der gleiche nationale Nutzen mit weniger Risiko zu haben ist, warum dann nicht den "Ausstieg" bzw. "Atomkraft als Brückentechnologie" auf die Tagesordnung setzen Atomenergie hat ihren Dienst getan, sie tut ihn weiter. Ihre Relativierung heißt keinesfalls, daß auf diese Option
im nationalen Energiemix verzichtet wird. Die Auseinandersetzung wird geführt über die Frage, welchen Anteil Atomenergie am nationalen Energiemix künftig haben soll. Eine Nation, die Weltmarktführerschaft in Energiefragen anstrebt, hält sich alle energiepolitischen Optionen offen. Über deren Gewichtung geht...

5. ... die aktuelle Auseinandersetzung: Verlängerung der Laufzeiten statt "Ausstieg"

5.1 Welchen Inhalt hatte der "historische Beschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie", den sich Grüne und SPD an die Brust hefteten?
Eine Relativierung der atomaren Option war vorgesehen, warum auch nicht, wenn weniger riskante Alternativen Vorteile auf dem Weltmarkt versprechen. Der Betrieb der AKWs sollte nicht eingestellt werden, vielmehr unter Berücksichtigung der Gewinnansprüche der Energiekonzerne mit einer langfristigen Bestandsgarantie versehen und der Perspektive einer energiepolitischen Umorientierung, die der Energiewirtschaft ganz neue, zusätzliche Chancen auf dem Weltmarkt eröffnen sollte. Ihr Geschäftsinteresse sollte sich verstärkt auf moderne Windanlagen, Solaranlagen, Strom aus der Wüste, Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe, Kraft-Wärme-Koppelung, Energieeffizienz etc. richten. Diesem Angebot, zumal es mit Subventionen untermauert wurde, verweigerten sich die Energiekonzerne nicht.
Die Rot-Grüne Regierung hatte die Risiken der Atomkraftnutzung für "unverantwortbar" erklärt, deswegen ihren historischen Beschluß zum Ausstieg gefaßt und sich daran gemacht, auszutüfteln, wieviel davon wie lange mit welchen AKWs unter Berücksichtigung der Interessen der Betreiber und des Staates "verantwortbar" ist. Das Ergebnis war die mit der Atomwirtschaft geschlossene Vereinbarung, daß mit den bereits abgeschriebenen AKWs erst einmal so viel Atomstrom wie in den 30 Jahren vorher produziert werden soll.
Es wurde eine fiktive Strommenge von 32 Jahren Laufzeit bei maximaler Auslastung vereinbart, d.h. nicht etwa ein fester Zeitpunkt für das Abstellen der letzten AKWs. Diese Strommenge war als Kontingent auf die 19 AKWs verteilt und konnte in dem bestehenden AKW-Park nach Bedarf umverteilt werden. Mit jeder Stillstandszeit, z.B. wegen Störungen, verlängerte sich so die Betriebslaufzeit der Anlagen.
Mit diesem Kapital konnten Atommanager kostenbewußt umgehen. Abgeschriebene AKWs, die laufen, sind wie Gelddruckmaschinen, sagen auch die Befürworter der Atomwirtschaft. – Das Programm der neuen Regierung ist sehr ähnlich.

5.2 "Verlängerung der Laufzeiten" bei Schwarz/Gelb
Die Abteilung "Energiepolitik" im Koalitionsvertrag der neuen Regierung liest sich wie ein Beitrag zur "energiepolitischen Wende", die doch, denkt man, die Grünen erfunden haben. Die Überschrift heißt "Klimaschutz, Energie und Umwelt". Der Kernenergie ist darin nur ein kurzer Absatz gewidmet:
"Die Kernenegie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verläßlich ersetzt werden kann. Andernfalls werden wir unsere Klimaziele, erträgliche Energiepreise und weniger Abhängigkeit vom Ausland, nicht erreichen. Dazu sind wir bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern. Das Neubauverbot im Atomgesetz bleibt bestehen."
Das Angebot an das Energiekapital: Die abgeschriebenen AKWs sollen durch die Verlängerung der Laufzeiten über die rund 20 Jahre hinaus, die ihnen schon von der Großen Koalition genehmigt waren, Profit einfahren können. Das schafft erstens Mittel für Investitionen bei E.ON & Co für die an anderer Stelle im Koalitionsvertrag angekündigte "Technologieführerschaft bei den Erneuerbaren Energien". Ihr Bestand im Energiemix schafft zweitens die "Energiesicherheit", die mit den erneuerbaren Energien vorerst noch nicht gewährleistet ist, und soll Mittel sein, zugleich den Energiemix um die neue Variante von Energie in nationaler Verfügung zu bereichern, deren Technologie für eine Exportoffensive ähnlich der taugen soll, die die Atomtechnologie schon erreicht hat.
"Brückentechnologie" heißt also nicht, Atomstrom würde dann abgeschaltet, wenn die Windräder auch Sindelfingen und den Ruhrpott versorgen können, sondern lenkt die Energiewirtschaft auf die gewollte neue Wunderwaffe im Energiemix, Erneuerbare Energie. Darüber, wie man die Bestandteile des Energiemix gewichten soll, gibt es derzeit Auseinandersetzungen zwischen dem Umweltminister, der AKWs, deren Betriebsgenehmigung abläuft, abschalten will, und den Länderchefs, die auf "Energiesicherheit" pochen, alles CDUler!
Das "Neubauverbot" müssen sie übrigen nicht aufheben, wenn sie es gar nicht für erforderlich halten, auf den deutschen Standort noch mehr Atommeiler zu stellen. Für die Erneuerung der Technologie sind Neubauten in Deutschland nicht notwendig.
Übrigens: Für das Weltmarktgeschäft mit der Atomtechnologie und die Erweiterung von deren ökonomischer und technologischer Basis werden ganz neue Wege beschritten, und dies offensichtlich nicht erst seit die neue Regierung das Sagen hat.
Ein Beispiel: Nachdem Siemens die Zusammenarbeit mit dem französischen Atomkonzern Areva beim Bau eines Druckwasserreaktors in Finnland ("wegen fehlenden unternehmerischen Einflußmöglichkeiten" hieß es) aufgekündigt hatte, ist Siemens eine neue Allianz mit dem russischen Nuklearunternehmen Rosatom eingegangen.
Wirtschaftsmeldung vom 28.10.2009:
"Unser gemeinsames Ziel ist es, weltweit Marktführer im Kernenergiegeschäft zu werden", sagte Siemens-Chef
Peter Löscher bei der Unterzeichnung der Erklärung in Berlin. 'Wir wollen der Ansprechpartner werden für
neue Kernkraftwerke.'"

Deutschland kündigt die Kooperation mit seinem europäischen Partner auf, geht eine strategische Partnerschaft mit Rußland ein, von der sich Siemens Folgendes verspricht:
"In der neuen Kooperation will sich der deutsche Konzern erstmals wieder im »heißen Bereich
« der Nukleartechnik engagieren. Basis dafür ist die russische Druckwasserreaktor-Technologie (WWER). Bislang liefert Siemens nur konventionelle Technik für Kernkraftwerke wie Turbinen und Steuerungsanlagen."
Deutschland strebt bei der Reaktortechnologie eine beherrschende Rolle auf dem Weltmarkt an und will anscheinend dafür russische Technologie im Umgang mit der Kernspaltung selber benutzen.
Die Kooperation mit dem EU-Nachbarn Frankreich wird bei diesem Projekt und darüber hinaus aufgekündigt. Mit 400 neuen AKW-Bauprojekten weltweit, die die Kooperation mit Rosatom bietet, wird die Konkurrenz gegen Frankreich aufgemacht.
In weltpolitisch höchst ungeklärten Verhältnissen ist Deutschland imperialistisch unterwegs, versucht sich in die Energieentscheidungen anderer Staaten, also deren höchste Souveränitätsfragen, einzumischen, baut die Konkurrenz innerhalb der EU weiter aus.

6. "Umsteuern auf erneuerbare Energien"...
... ist nicht unbedingt eine gute Nachricht. Denn dieses Umsteuern heißt:
Erstens nicht, daß die BRD und die übrigen potenten Staaten, die den Weltmarkt bestimmen, auf eine der anderen, als das Klima schädigend erkannten energiepolitischen Optionen verzichten wollen. Erschließung von neuen Lagerstätten, Pipeline-Projekte etc. werden vorangetrieben. Fossile Energierohstoffe sind weiter Mittel und Gegenstand der Konkurrenz.
Zweitens wird für das Umsteuern auf Erneuerbare Energien, das technologisch noch nicht so weit entwickelt ist, daß es den Bedarf für das konkurrierende Wachstum der potenten Staaten decken kann, Atomenergie verstärkt genutzt. Neue Atomkraftwerke weltweit. Garantiert CO2-frei!
Drittens: Laut Regieungserklärung will sich die BRD für den "verschärften Verteilungskampf um fossile Energien" rüsten. Die "umsteuernde" Energiepolitik richtet sich auf das Ziel, "die Weltmarktführerschaft in erneuerbaren Energien"(Koalitionspapier) zu erringen. Sie und die führenden imperialistischen Staaten legen sich eine Energieproduktion zu,
– die frei ist von den Zufälligkeiten der Geografie, die z.B. ausgerechnet dem Nahen Osten das Erdöl beschehrt hat.
– die frei ist von den Notwendigkeiten der Rücksichtnahme auf andere Staaten, die die verschärfte Konkurrenz um Energieträger ausnutzen könnten.
Wenn neue Weltwirtschaftsmächte wie China, die über ein"ungebremstes Wachstum" verfügen, die Konkurrenz um Energierohstoffe aufmachen, wenn die Kriege der USA im Nahen Osten die Funktion dieser Staatenwelt als Öllieferanten unsicher macht, dann verteuert das den Zugang zu Öl und Gas.
Also geht es den maßgeblichen Staaten darum, die Abhängigkeit von Öl und Gas zu bekämpfen. Der Zugriff auf Energie soll nur davon abhängig sein, daß man über die Technologie verfügt, sie zu erzeugen, was freilich die nötige industrielle Potenz und Finanzmacht voraussetzt.
Womit auch schon wieder eines klar ist: Auch wenn Sonne und Wind überall zu haben sind und nichts kosten: Den Armenhäusern der Welt liefern sie den Strom nicht. Die sind es nicht, die die Naturkraft gratis nutzen können. Sie wird ja zum Geschäftsmittel gemacht.

Erneuerbare Energien sind das Mittel der Wahl der kapitalistisch potentesten Staaten, eine Energieproduktion zu schaffen, die von nichts als dem eigenen Stand der Produktivkräfte abhängig ist.
Sie sind eine Waffe der Konkurrenz, die, wie Kopenhagen erneut gezeigt hat, über das Erlassen von Vorschriften ausgetragen wird in Sachen Energieverbrauch. Die Staaten, die über die Mittel verfügen, bei sich CO2-sparende Technologien einzusetzen, versuchen, dies den Konkurrenten als neue Bedingung der Konkurrenz aufzumachen.
Das sehen China, Indien, Brasilien derzeit als Ausbremsen, lassen sich also nicht auf sogenannte Klimaschutzziele festlegen. Die USA sehen die Sache so, daß sie es sind, die die Regeln setzen, die ihren nationalen Bedürfnissen entsprechen, statt sich den Regeln, die andere Staaten durchsetzen wollen, zu unterwerfen.
Daher war die Kanzlerin, der der Klimaschutz so sehr am Herzen liegt, sehr unzufrieden mit Kopenhagen, aber nicht entmutigt.
In der Entwicklung Erneuerbarer Energien wird geklotzt. Es soll auch auf diesem Feld die technologische Entwicklung für die Versorgung des Standorts zugleich die Exportindustrie mit hervorbringen, die für den Rest der Welt die Umwelttechnologie liefert, die sie wegen der Emissionswerte eines Tages brauchen wird.
E.ON und Konsorten sollen auf industrieller Basis das kapitalistische Ausbeuten auch der "erneuerbaren" Naturkräfte betreiben, die als solche ja unbegrenzt, und was Sonne und Wind anbelangt, sogar kostenlos zur Verfügung stehen. In staatlichem Auftrag sollen sie die Wüsten in Afrika zupflastern mit Solarzellen, Küsten und Berge mit Windanlagen vollstellen, "Nachwachsende Rohstoffe" wie z.B. Mais, den manche rückständigen Völker bislang zu Tortilla vearbeitet haben, endlich einer ertragreichen ökonomischen Bestimmung zuführen.
"Erneuerbare Energien" als energiepolitisches Programm haben nichts mehr zu tun mit den Projekten von Umweltschützern, wie man sie kannte, freundlichen Menschen, die sich ganz persönlich für die Rettung der Natur und das Klima verantwortlich machten. Umweltschützer sind als Moralstifter für die Taten von Politik und Kapital, die das Geschäft mit den Erneuerbaren Energien übernommen haben, heute ebenso beliebt wie sie als Idealisten belächelt werden.
In Kopenhagen fanden sich die Umweltschützer mit ihren Info-Ständen neben E.ON und Konsorten wieder. War jetzt ihr Anliegen bei denen da oben angekommen?
Auf ihren Glauben daran, daß durch Erneuerbare Energien immerhin auch die Klimakatastrofe abgewendet werden könnte, setzen die enegiepolitischen Verantwortungsträger. Als Teil der "Akzeptanzoffensive" für das neue Energiemix sind Umweltschützer willkommen.

Ein Beitrag von:
GegenStandpunkt & Diskussion Bremen