Ein neues Jahr - die alte nationalistische Scheiße...

doch: Wie wird sie diesmal aufgetischt?

Nehmen wir einfach einen bürgerlichen 0815-Journalisten einer x-beliebigen "unabhängigen und überparteilichen Tageszeitung" [1].
Der geht systematisch vor und wir wollen versuchen, seinen Gedankengängen zu folgen:

"Silvester und Neujahr sind Tage des Aufbruchs. 2008 gibt es in Deutschland wieder viele Chancen und Herausforderungen."
(Kommentar in der Augsburger Allgemeinen, 31.12.07, daraus auch alle folgenden Zitate)
 

Wem sagt er das? Natürlich denen, die jetzt etwas erwarten. Und zwar als anspruchsvolle Nationalisten in einem weltweit so erfolgreichen Land namens Deutschland. Leuten übrigens, die sich nicht zu schade sein wollen, so ihr Vorsatz, im kommenden Jahr einmal mehr die Ärmel aufzukrempeln. So weit, so abstrakt der Ansatz. Der lenkt den Blick geradewegs auf die Politik:

"... In diesen Zeiten des Dauerwahlkampfes beschäftigt sich die Politik gerne mit sich selbst. Es wird derb gestritten, für die eigene Partei und gegen die Widersacher. Wenn es so kommt, droht der Berliner Koalition aus CDU/CSU und SPD eine wechselseitige Blockade. Es wäre wünschenswert, wenn mutige Politiker nicht mehr ihr eigenes Süppchen kochen, sondern die Interessen Deutschlands über die der Partei stellen."

Mit diesem demokratischen Ideal einer Alle-ziehen-an-einem-Strang-Politik [2] verkennt der Autor die Produktivkraft konkurrierender Parteien, die alle danach trachten, für sich den besten nationalen Erfolgsweg beanspruchen zu können. Alles, was im Interesse der Nation notwendig erscheint, wird, in Unterpunkten mitunter mehrmals hin- und hergewendet, dann auch wirklich in all seiner Härte in Politik umgesetzt - egal welche bürgerliche Partei gerade das Sagen hat. SPD und C-Union sehen sich beide als Gesamtverantwortliche des nationalen Fortschritts
[3]. Angesichts der nationalen Herausforderungen und Ansprüche, in denen völlige Einigkeit herrscht, geraten so hauptsächlich Marginalien in den Blickpunkt aktueller tagespolitischer Auseinandersetzungen. So werden die in aller Regel für das Wesentliche genommen, nicht die Interessen des Staates als solche. - Kurzum, nicht bloß in der Vorstellungswelt eines bürgerlichen Autors erscheint die Welt der Nation ziemlich verzerrt.

Nun geht es konkret darum, wie der Einzelne fitgemacht werden kann, seinen Beitrag zum nationalen Fortschritt zu leisten; also her mit dem schwierigen Thema Bildung:

"Gerechtigkeit bedeutet zuerst, daß alle Kinder gleiche Chancen haben. ... Bildung ist Ländersache. Doch daran 
darf ein gemeinsamer Kraftakt für diese wichtige Aufgabe sozialer Gerechtigkeit nicht scheitern. Auch die Kinder von Niedriglohn-Arbeitern oder Migranten müssen die Chance zum Aufstieg haben. Sonst fehlt die Motivation, Leistung zu erbringen."

Niedriglohnarbeiter
[4] sollen neben ihrem sklavenähnlichem Dasein auch noch Kinder in die Welt setzen, die eher früher als später richtig dick Verantwortung für die Nation tragen können sollen müssen. Der äußerst rare Fall, daß, wie man so zu sagen pflegt, ein Tellerwäscher zum Millionär - gemeint ist natürlich zum: "Leistungsträger" - wird, soll mit entsprechend verbesserter staatlicher Zurichtung - Stichwort: Schule! - potenziell ermöglicht und generell angestrebt werden: Kleinen Leuten mit der Perspektive zu winken, auch in höheren Positionen ein Rädchen in der Erfolgsmaschine und Erfolgsgeschichte des deutschen Kapitals werden zu können, erfüllt den Tatbestand nationaler Vereinnahmung totalitären Zuschnitts.
Aber das wird dem anvisierten Leser nicht weiter auffallen, zumal ihm die Übersetzung in den Begriff "Gerechtigkeit" angeboten wird. Zustimmung will der Autor beim Leser - offenbar kennt er seine Pappenheimer! - bezüglich der zwischen den Zeilen gegebenen Antwort auf dessen Sorge heuchelnde, rassistische "Frage" - Wollen wir noch mehr Ausländer? - erheischen: Mehr Migranten braucht's wirklich nicht, wenn aus dem vorhandenen Menschenmaterial etwas Gescheites gemacht wird! Eine wahrlich große Aufgabe der Politik, der "Bildungs"politik: Sie ist herausgefordert, den Rassismus zu beschwichtigen, indem sie ihm Rechnung trägt!

Irgendwie kann man an der Stelle, so empfindet der Autor - die Politik wird ja nicht müde zu betonen, daß es keine einfachen Lösungen gebe, vor einfachen Lösungen sei allenthalben zu warnen! -, durchaus seinen Frust mit den nationalen Aufgaben kriegen. Auf den Einfall, daß das an den nationalen Ansprüchen liegen könnte, die so gar nicht von schlechten Eltern sind, kommt er deswegen nicht, weil er schnurstracks dogmatisch national weiterdenkt:

"Wer Umfragen liest, könnte meinen, Deutschland ist ein Land der Ängstlichen. Die Furcht vor steigenden Energiepreisen hat die Sorge um den Arbeitsplatz als Top-Kummer abgelöst. Nur 50 Prozent der Menschen sagen, sie gingen mit guten Hoffnungen ins neue Jahr. Selbst Kolumbianer und Kosovo-Albaner
haben mehr Optimismus als Deutsche. Das darf nicht sein. ..."

Ihm scheinen die Verhältnisse ziemlich blockiert, was er gar nicht gut finden kann, will doch der deutsche Staat mit seiner Ökonomie noch einiges bewegen in der Welt. Es sei dahingestellt, ob er bei den genannten Völkern auch gleich noch an eine weiterreichende deutsche "Verantwortung" denkt. Dafür auch, aber allein für sich schon sind die Deutschen schwer begreiflich: Haben einfach Angst und machen einen auf Psycho! So gelangt er zur begriffslosen Leistung des Verstandes, dem Gefühl, von dem er das verlangt, wovor der wache Verstand - so er noch einigermaßen bei Trost ist - zurückschreckt: Den bedingungslosen Beitrag zum nationalen Aufbruch größeren Kalibers!

Kein Wunder, daß unserem genialen Autor
[5] an dieser Stelle die schwarz-rot-goldene Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2006 einfällt. Im nationalen Wahn mal wieder schwelgen, das wäre was:

"Ein neues Fußball-Märchen ... wenn ein erfolgreiches deutsches Team durch die EURO 2008 stürmt. ..."

Womit er dann doch wieder seiner - teilweise verängstigten - Leserschaft aus der Seele gesprochen haben dürfte. Denn daß der nationale Erfolg in Sachen politischer Gewalt und privaten Geschäftswesens doch so gar nicht ohne weiteres mit dem Wohlstand der Massen zusammenfällt, weshalb diesen auch eine seelische Kompensation verabreicht werden muß, um sie bei Laune zu halten, das will er offenbar überhaupt nicht in Abrede stellen. Schließlich sollen aus nationaler Besoffenheit - so des Fußball-Märchens Kern - wahnsinnige Leistungen ersprießen. Und schließlich braucht auch er als Lohnschreiber einer Tageszeitung seine Selbstbestätigung, eine höhere Daseinsberechtigung - nur des schnöden Geldes wegen zerbricht sich doch ein demokratischer Journalist nicht den Schädel über Nation & Volk!
(01.01.2008)


[1]  Unabhängig - das ist natürlich ein wenig geflunkert: Schließlich weiß man um die Abhängigkeit vom Anzeigenmarkt, also vom Geschäftsgang im allgemeinen. Überparteilich - das trifft die Sache genau, siehe weiter unten im Text.

[2]  Bürgerliche Politiker anderer Art, Faschisten nämlich, haben es nicht bei einem Ideal belassen, sie haben es praktisch und ziemlich blutig durch- und umgesetzt. Ein Autor, der solche Zeilen schreibt, möge sich jedenfalls nicht wundern, daß Anhänger der Parole "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" auch in der heutigen Demokratie mitunter recht regen Zulauf haben. Sie fordern ja auch mehr Konsequenz in der Regierungsarbeit! Also im Grunde nichts anderes als ein kritischer Kommentator demokratischer Provenienz.

[3]  Sofern FDP und GRÜNE dasselbe von sich behaupten, wird es ihnen einigermaßen zurecht nicht abgenommen: Der FDP aufgrund ihrer, kaum das Funktionieren des Klassenstaats im Blick behaltenden, dogmatischen Kapitalhörigkeit samt ihrer radikalen Privatisierungsideologie, den GRÜNEN aufgrund des Verdachts mit dem Atomausstieg nationale Belange - Stichwort: Energieversorgungssicherheit - zu mißachten. Die Linkspartei kann sowieso beteuern, was sie will; ihr wird vorgeworfen, die Regierungskoalition mit dem unsäglichen Thema Mindestlohn vor sich herzutreiben, also de facto nichts anderes im Sinn zu haben, als das Kapital zu schädigen. Womit man ihr zwar Unrecht tut, aber an der Wahrheit ist ein bürgerlicher Verstand sowieso nur sehr bedingt, wenn überhaupt, interessiert.

[4]  Was es nicht alles gibt in der deutschen Welt des Kapitalismus - Niedriglohnarbeiter! Früher gab es die fast ausschließlich nur in Drittweltstaaten! Dort galten sie dem deutschen Beobachter als Skandal - wegen Dumpinglöhnen & Wettbewerbsverzerrung. Und hier und heute gehen sie ausnahmslos schwer in Ordnung! Mindestlöhne wären ein schwerer Anschlag auf die Zahlungskraft des Kapitals! Man möchte zwar meinen, solcherart Lohn würde ein Kapital, das diesen Namen verdient, quasi aus der Portokasse bezahlen! Aber denkste, viele Firmen sparen ja sogar die Kosten, die entstünden, würden sie Bewerbungsunterlagen zurückschicken...

[5]  Dem Image des Autors Rechnung tragend sei auf die Nennung seines Namens verzichtet.