ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 546 / 22.1.2010

Gegen die unteren Milliarden 
Think Tanks planen die EU-Militärpolitik der Zukunft

Die Militarisierung der Europäischen Union (EU) schreitet weiter voran. Strategen des European Union Institute for Security Studies (EUISS) fordern offen "robustere Machtbefugnisse", um die "globale politische Ordnung" aufrecht zu erhalten. Bedroht sehen sie diese Ordnung durch die Armen des globalen Südens. US-amerikanische Geheimdienste erwarten sogar massive soziale Unruhen in den europäischen Ballungsgebieten. Einig sind sich die Verteidiger des Bestehenden darin, daß solchen internationalen Klassenkonflikten mit militärischen Mitteln begegnet werden muß. Linke und soziale Bewegungen tun gut daran, sich beizeiten mit diesen brandgefährlichen Strategien auseinander zu setzen.

"Brisante Bitte: Europas oberster Soldat fordert ein eigenes Hauptquartier für EU-Militäreinsätze - das mißfällt der NATO", titelte die Süddeutsche Zeitung am 5. November 2009 im Politikteil. In einem Gespräch mit dem Blatt forderte dieser "oberste Soldat", Henri Bentégeat, die "Krisenbekämpfung" der EU durch mehr Eigenständigkeit zu effektivieren. Für den General besteht Zuversicht, schließlich laufe die "Mission Atalanta" vor Somalia, einer von 22 Einsätzen seit 1999, schon recht professionell. Halbwegs beruhigt konnte er also am 6. November sein Amt als Vorsitzender des EU-Militärkomitees an den schwedischen General Hakan Syren weitergeben.

Die EU vor "komplexeren und riskanteren Unternehmungen"
Was da der SZ so brisant erschien, war indes nicht nur eingeweihten NATO-Kreisen längst bekannt. Auch einer interessierten Öffentlichkeit hatte Bentégeat seine Ansichten bereits dargelegt. Im September 2009 erschien unter der Ägide des European Union Institute for Security Studies (EUISS) die 2. Auflage des bemerkenswerten Buches "What Ambitions for European Defence in 2020?" (1) Als Autor mit dabei: besagter General, der in einem ambitionierten Beitrag die Effektivierung der europäischen "Verteidigungs"politik, mehr operationelle Glaubwürdigkeit und eine größere Entschlossenheit der Mitgliedsstaaten fordert. In Afrika solle man wieder präsenter sein, zudem müsse man in den nächsten Jahren in der Lage sein, die Seewege zu sichern, die für den Handel und die europäischen Interessen im weitesten Sinne bedeutend seien. "A full partner" heißt schließlich das Unterkapitel, das die Beziehungen zu den USA und zur NATO behandelt.
Das 2002 gegründete Institut bestimmt die Außen- und Militärpolitik der EU wesentlich mit, auch wenn ihm mittlerweile andere Think Tanks zur Seite gestellt wurden, wie etwa das gut zwei Jahre alte "European Council on Foreign Relations" unter dem Vorstand des ehemaligen deutschen Außenministers und heutigen Beraters von Konzernen wie BMW, Siemens und RWE, Joseph Fischer. Daß es sich bei dem Buch über "Ziele für eine europäische Verteidigungspolitik 2020" nicht um irgendeine Studie handelt, deutet allein ein Name an: Javier Solana, ehemaliger NATO-Generalsekretär und seit 1999 Hoher Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU, durch dessen Vorwort das Werk höchste Weihen erhält. Darin fordert dieser unzweideutig: "Für unsere künftige Glaubwürdigkeit in einer Welt, in der wir darauf vorbereitet sein müssen, uns in komplexeren und riskanteren Unternehmungen zu engagieren, ist es zwingend erforderlich, daß wir effizienter werden bei der Beschaffung und Anwendung von Ausrüstung und Personal."
Die Einleitung, verfaßt vom EUISS-Direktor und Herausgeber des Bandes, lvaro de Vasconcelos, weist die Richtung: Unter der bezeichnenden Überschrift "2020: Verteidigung über das transatlantische Paradigma hinaus" wird das Verhältnis zur NATO austariert. Der Bedeutungsgewinn als Großmacht wird diplomatisch korrekt unter der Formel "relationship of equals with the United States" anvisiert. Für die geplante Umsetzung fordert de Vasconcelos eine eigene europäische Spionageagentur und ein ebenfalls von der NATO unabhängiges Kommando für EU-Interventionstruppen. Schließlich hätten die Herausforderungen der Union globale Dimensionen. Dabei zählt er den Mittleren Osten, einschließlich Iran, zur eigenen "Nachbarschaft", wohl besser übersetzt: zum Hinterhof. In einem Fazit fordert er konkrete personelle und technische Aufrüstung der Truppen. "Das Ziel der Union für 2020 sollte kein europäisches Mini-Verteidigungsprojekt sein, sondern eine kraftvolle außenpolitische Sicherheits- und Verteidigungspolitik", schließt er die Studie.
Unter den Autoren des Buches, allesamt ranghohe Politiker bzw. Verteidigungsexperten, vulgo: Kriegsstrategen, findet sich mit Alexander Weis noch jemand, der sein Handwerk versteht. Seine Stationen: von 1990 bis 1994 im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung zuständig für die Zusammenarbeit mit anderen Staaten; anschließend bis 1998 stellvertretender wehrtechnischer Attaché in der deutschen Botschaft in Paris; von 1999 bis 2004 Referent und später Büroleiter im Bundesministerium für Verteidigung; ab 2004 geschäftsführender Beamter in der Hauptabteilung Rüstung, ab 2006 Leiter der Rüstungsabteilung; seit 2007 Hauptgeschäftsführer der Europäischen Verteidigungsagentur. In seinem Beitrag sieht er massiven Aufrüstungsbedarf für Wasser, Land, Luft und Weltall. Bedarf bestehe etwa bei der Hubschrauberflotte, da die derzeit rund 1.700 Helikopter nicht für den Einsatz über Wüsten oder gebirgigem Terrain gemacht seien. Zudem sei u.a. erforderlich: schnellere Verlegung von Truppen und Material auf dem Luftweg in Interventionsgebiete; verstärkter Einsatz von Drohnen; intensivere maritime Überwachung.
Auch andere Autoren der Studie fordern eine massive Aufrüstung. Das technologische Ende der Fahnenstange scheint demnach noch lange nicht erreicht. So werden im Bereich der Nanotechnologie und der Datenverarbeitung noch sprunghafte Entwicklungen erwartet. Betont wird auch durchgehend der Wille zur Stärkung nicht nur des militärischen, sondern auch des zivilen Bereichs. Gemeint ist wohl: Zum Schwert gehört auch der Brunnenbau. Oder anders: Die Ära Bush hat gezeigt, daß man geopolitische Interessen geschickter durchsetzen und Kriege klüger führen sollte.

Unabhängiges Kommando für EU-Interventionstruppen
So aufschlußreich die einzelnen Beiträge sind, überwiegend bieten sie wenig grundlegende Überraschungen. Anstatt englischsprachige Primärquellen durchzuackern, läßt sich zum Verständnis deutscher wie europäischer Großmachtambitionen auch andere Literatur heranziehen. Leichter verdaulich ist etwa "Ein Spiel ohne Grenzen" von Biermann/Klönne, in dem es zum "militarisierten Kerneuropa" heißt: "Javier Solana ... legte ein Paper für eine EU-Sicherheitsstrategie vor unter dem Titel 'Ein sicheres Europa in einer besseren Welt'. Darin wird die 'Energieabhängigkeit der EU als ein Problem thematisiert, das militärische Vorausplanungen erforderlich mache. 'Als eine Union mit 25 Mitgliedern, die insgesamt 160 Milliarden Euro für die Verteidigung aufwendet, sollten wir nötigenfalls in der Lage sein, mehrere Operationen gleichzeitig aufrechtzuerhalten. Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und, wenn nötig, robustes Eingreifen begünstigt, ... Auch die Bereitschaft zum 'preemptive strike', zum militärischen Erstschlag', forderte Solana von den EU-Mitgliedsstaaten. 'Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr der Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen.' Die EU müsse 'bereit sein, vor dem Ausbrechen einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.'" (2)
Doch halt: Ein Beitrag aus der EUISS-Studie verdient doch noch einer besonderen Würdigung. Er stammt von Tomas Ries, Direktor des schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten und einer jener Köpfe, die als Vordenker bezeichnet werden. Einer, der die geostrategischen Koordinaten findig zu vermessen weiß. Besonders aufschlußreich: seine Ausführungen zu jenen "unteren Milliarden", gegen die notfalls die Pfründe zu verteidigen sind. Auch nicht dumm: den Kampf um Ressourcen als Umweltpolitik zu kaschieren. Doch der Reihe nach. Ganz im Sinne von Solanas Maxime, die erste Verteidigungslinie ins Ausland zu verlegen, tarnt sich der Stratege zunächst hinter der Behauptung, der "westfälische Horizont" habe sich verschoben. So drückt sich aus, wer nicht offen von der Abschaffung des Völkerrechts sprechen will. Denn als Schulwissen galt einst: Der Westfälische Friede von 1648 markiert einen epochalen Einschnitt bei der Herausbildung von staatlicher Souveränität. Die Interaktion zwischen völkerrechtlich souveränen Staaten wird in der Politikwissenschaft auch als "Westfälisches System" bezeichnet. "Westfälischer Friede: Toleranz, Föderalismus, Völkerrecht", wußte denn auch die Stadt Münster anläßlich des 350. Jahrestags zu verkünden.

Kampf um Ressourcen, getarnt als Umweltpolitik
Daß es nun dahinter zurückgehen soll, ist nicht ganz neu. Noch einmal Biermann/Klönne: "Vollmundig verkündete die militärische Führung (im Weißbuch der Bundeswehr, 2006), daß Grundgesetz und Völkerrecht die Grundlage für alle Einsätze deutscher Streitkräfte im Inland wie im Ausland bilden. Aber angesichts der aktuellen Weltlage müsse das Völkerrecht überarbeitet werden: ... das Recht auf Selbstverteidigung (muß) präzisiert und präventives Eingreifen auf völkerrechtlich gesicherten Grundlagen geregelt werden. Wo die US-Regierung sich mir dem ,Notwehr,-Recht auf einen vorbeugenden Militärschlag begnügt, fordern die militärischen Spitzen der Bundeswehr das Recht zu einem völkerrechtlich sozusagen empfohlenen Präventivkrieg. Eine solche Entwicklung des Völkerrechts käme dessen Abschaffung gleich." (Biermann/Klönne: 230)
Ein analytischer Kniff besteht bei Ries in der Verknüpfung der "Transformation des Westfälischen Zeitalters" mit der "sozialen Dimension", hinsichtlich derer eine ebenso tiefgreifende Umgestaltung stattfinde: "Gewalttätige Konfrontationen bewegen sich weg vom gestrigen horizontalen, ebenbürtigen Wettstreit zwischen führenden Staaten hin zu der vertikalen Spannung zwischen verschiedenen globalen sozioökonomischen Schichten. Technologie macht die Welt zum Dorf, aber es ist ein Dorf, das am Rande einer Revolution steht. Während wir eine zunehmend integrierte Elitengemeinschaft haben, sind wir auch mit einer zunehmend explosiven Spannung seitens der ärmeren Schichten von unten konfrontiert."
Um diese Spannung zu begreifen, könne man "grob vereinfacht die globale politische Karte in eine hierarchische Klassengesellschaft, bestehend aus sechs Ebenen, einteilen." Die oberen drei Ebenen bezeichnet Ries als "Globalisierer", die unteren drei als "Lokalisierer". Die sechs Rubriken listet er in einer Tabelle auf (die Prozentzahl markiert den Anteil an der Weltbevölkerung): 1. Transnationale Kapital- und Aktiengesellschaften (Bsp.: Globales Vermögen von 1.000 Gesellschaften, 0,1%); 2. Postmoderne Gesellschaften (OECD +, 15%); 3. Gesellschaften im schnellen Wandel (China, Indien, Brasilien +, 5%); 4. Kämpfende Moderne Staaten (viele aus der arabischen Welt, 10%); 5. entwurzelte ("alienated") Staaten (Nord-Korea, Birma, Rußland?, 5%); 6. Vormoderne Gesellschaften (die untere Milliarde, 65%). Bei der Angabe von 65% wird deutlich, daß bei der "bottom billion", der unteren Milliarde, eigentlich der Plural nötig wäre, d.h. von den unteren Milliarden die Rede sein müßte.
Besonders interessant sind die weiteren Ausführungen zu den letzten beiden Ebenen. Ries zufolge müten die "Alienated Modern States" (AMS), zu denen er - mit Fragezeichen - auch Rußland zählt, umgewandelt und, falls dies scheitere, "ihre Herausforderungen an eine globalisierte Welt bewältigt" werden. In diesem Zusammenhang leide die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik schmerzlich an harter Machtpolitik. Bis 2020 sei in Bezug auf die "AMS" die Fähigkeit sowohl zu Clausewitz,scher Einflunahme als auch zu direkter militärischer Konfrontation nötig. Für die "vormodernen Gesellschaften", die "bottom billion", stehe dagegen "state building" auf dem Programm. Das schließe "Grenzoperationen gegen Flüchtlinge und Schmuggel sowie die Evakuierung von EU-Bürgern aus Krisengebieten" ein.

Militär gegen Migration und "terroristische Netzwerke"

Für solch offene Worte sollte man dankbar sein, der genannte General Bentégeat drückt sich da eleganter, d.h. politisch weit korrekter aus: "Gerechtes und humanes Management betreffs Migrantenströme in die EU bedarf der Sammlung und des angemessenen Teilens von Informationen." Ries fährt da anderes Geschütz auf: "Nutzung des Militärs für ... Grenzoperationen gegen ... illegale Migration (Rio Grande- oder Mittelmeer-Bemühungen)". Unzweideutig fat er unter der Rubrik "Grenzoperationen" zusammen, warum "militärische Instrumente benötigt" würden: "Um die global Reichen (the global rich) von den Spannungen und Problemen der Armen abzuschirmen. Da die Anzahl der Weltbevölkerung, die in Elend und Frust lebt, massiv bleiben wird, werden die Spannungen und der Überlauf (spillover) von deren Welt und der der Reichen kontinuierlich wachsen. Da es unwahrscheinlich ist, da wir dieses Problem bis 2020 grundlegend gelöst haben werden - d.h. durch Heilung dysfunktionaler Gesellschaften -, müssen wir unsere Grenzen verstärken. Moralisch ist dies eine geschmack- und aussichtslose Strategie, aber sie ist unvermeidlich, wenn wir die Probleme nicht von ihrer Wurzel her lösen können."
Der Verdacht drängt sich auf, da Ries, Beitrag mit inspiriert ist von der Studie "Global Trends 2025", erstellt im Dezember 2008 vom National Intelligence Council (NIC), einem Think Tank der CIA und anderer US-amerikanischer Geheimdienste. Darin werden schwere soziale Unruhen für die Ballungsgebiete der EU vorausgesagt, die die Union an den Rand des Zusammenbruchs bringen könnten. Schon im Frühjahr 2009 richtete die EU in Brüssel ein Beobachtungszentrum für innere soziale Unruhen ein. Derartige "Beobachtungen" scheinen sich zu häufen. Im März 2009 veröffentlichte der "Economist Intelligence Unit", die Forschungsabteilung der Wirtschaftszeitschrift The Economist, eine Rangfolge der von sozialen Protesten am meisten "bedrohten" Länder. (3) Zu deren Erstellung wurden nach einem eigens konstruierten "politischen Stabilitätsindex" 15 soziale und politische Faktoren miteinander kombiniert. Von 165 untersuchten Ländern rangieren 95 unter der Rubrik "hohes" bzw. "sehr hohes Risiko". Angeführt wird die Liste von Afghanistan, dem Tschad und Sudan, während die skandinavischen Länder und Kanada abgeschlagen das Tabellenende zieren. Von den 27 am meisten "gefährdeten" Ländern liegen 13 im subsaharischen Afrika und drei in Osteuropa (Ukraine, Moldawien und Bosnien-Herzegowina). "Wir glauben, da die Bedrohung ernst ist und da das Risiko der Selbstzufriedenheit jegliches Risiko aufwiegt, die Gefahren zu übertreiben", so Alasdair Ro, Herausgeber des Reports.
Auch die NATO sorgt sich um solcherlei "Gefahren". Der selbst mit entfachte Brand wird indes mit Öl gelöscht: "Den westlichen Alliierten steht eine lang andauernde und präventiv zu führende Verteidigung ihrer Gesellschaft und ihres Lebensstils bevor", heißt es in einem Strategiepapier des Militärbündnisses, das Juli Zeh und Ilija Trojanow in ihrem Buch "Angriff auf die Freiheit" anführen. "Dieses Feindbild", so eine Rezension in der jungen Welt vom 04.11.09, "schließt bei weitem nicht nur 'terroristische Netzwerke' ein, halten die Schriftsteller fest, sondern auch Flüchtlinge, ölfördernde Eliten oder hungrige Männer, die aufständisch werden. Auch gegen sie hilft aus NATO-Sicht unter Umständen nur ein nuklearer Erstschlag." (4)

Lernstoff für AntirassistInnen und Umweltbewegungen

Das Internet-Portal german-foreign-policy.com wurde von der EUISS-Studie Anfang September 2009 zu der Überschrift "Internationaler Klassenkrieg" inspiriert. (5) Zumindest in Bezug auf den Beitrag von Tomas Ries erscheint dies treffend. Dieser noch einmal: "Die entscheidenden politischen Bruchlinien, an denen gewalttätige Konflikte entstehen, haben sich verschoben von Auseinandersetzungen zwischen Elitenstaaten hin zu Spannungen zwischen ungleichen globalen sozioökonomischen Klassen". Entsprechend seinem Diktum, das Militär habe zum Schutz der "globalen politischen Ordnung" in erster Linie "weltweite technologische und ökonomische Abläufe" abzusichern, sieht Ries auch Aufgaben des Militärs im Inland. Beispiele: die hinlänglich propagierte logistische Stärkung von Polizei "in Zeiten erhöhten Terroralarms", eher Banales wie Säuberung von Stränden bei Ölkatastrofen und - aufgepat - "Ersatz von zivilen Dienstleistern, wenn diese streiken (bspw. die Müllabfuhr in Neapel, die Feuerwehrleute in Liverpool oder die Luftverkehrkontrolleure in den USA)".
Als Ausdruck internationaler Klassenkonflikte sieht der schwedische Stratege wie gezeigt die Bekämpfung von Flüchtlingen, die er wiederum in einen engen Zusammenhang mit ökologischen Fragen stellt: "Für unsere eigenen Gesellschaften liegt eine bedeutende militärische Aufgabe in der Bewältigung der Konsequenzen von ökologischen Krisen. Dies ... kann reichen von plötzlichen Flüchtlings- und Migrationsströmen innerhalb der EU oder um die EU herum bis zu Katastrofenmanagement."
Auch mit Blick auf Umweltfragen schlägt Ries alarmierende Töne an. Für ein "worst case scenario" schlägt er "robuste" Militäreinsätze zur "Erzwingung ökologischer Normen" vor. Was hier durchschimmert, ist der Kampf um Rohstoffe: Die globale Ökokrise "bedeutet mehr als Klimaveränderung. Sie beinhaltet den Abbau nicht erneuerbarer Energien (Öl, Mineralien), die Degeneration von regionalen Biotopen, die erneuerbare Ressourcen bereitstellen (Wasser, Fisch, landwirtschaftliche Nutzfläche)." Auch hier wird unmittelbar das Völkerrecht angegriffen: "Unter militärischen Gesichtspunkten ... kann dies gegen 2020, wenn die ökologische Krise wirklich ernst wird, Anforderungen an robustere Machtbefugnisse einschließen, um abgelegene Regenwälder, Fischbrutplätze oder andere kritische globale ökologische Bestände zu schützen, die als so wesentlich für das weltweite Ökosystem als Ganzes gelten, da sie zu einem universellen Schatz jenseits der souveränen Zuständigkeit irgendeines einzelnen Staates werden."
Auch wenn die EUISS-Studie und andere wie die angeführten der NATO oder des NIC unter grundlegend falschen Vorzeichen angelegt sind, so gilt: Sollten sie - bei allen Mängeln in der Analyse - nicht ganz daneben liegen, so ist für die Zukunft von zugespitzten und offen geführten weltweiten Klassenkämpfen auszugehen. In welche Richtung diese gehen, ist historisch offen, ganz im Sinne von "Sozialrebellen", dem erstmals 1959 erschienenen Buch des Sozialhistorikers Eric Hobsbawm über "archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert". Die Linke hierzulande wird auf den Verlauf der globalen Kämpfe kaum Einflu haben. Dennoch lassen sich auch für sie einige Schlüsse ziehen. Zunächst an die Partei DIE LINKE: Noch wäre Zeit, das Schlagwort von der Europafreundlichkeit zu überdenken; denn nicht erst das Buch aus der Schmiede des EUISS unter Mitverantwortung eines ehemaligen NATO-Generalsekretärs zeigt: Wo EU drauf steht, ist auch Krieg drin.
Ansonsten bietet das Werk für eine Antikriegsbewegung zahlreiche Angriffsflächen und für eine Umweltbewegung entscheidenden Lernstoff; denn der Einsatz für jene Welt, von der keine zweite im Kofferraum sei, kommt kaum darum herum, auch das zu bekämpfen, was früher gerne auch mal als imperialistische Politik bezeichnet wurde. Gleiches gilt für Teile der Antirassismus-Bewegung; denn die EUISS-Studie lät einmal mehr den Schlu zu, die Abwehr von Flüchtlingen nicht primär als Ausgeburt eines herrschenden Rassismus zu begreifen, sondern mehr noch als Folge von Großmachtpolitik und internationalen Klassenauseinandersetzungen. Das ist nicht nur analytisch genauer, sondern bereitet auch weniger Schwierigkeiten, wenn etwa den USA ein farbiger Präsident vorsteht oder ein anatolischer Schwabe einmal deutscher Außenminister werden sollte.
Schließlich: Für die Trennschärfe beim Kampf um soziale Interessen ist aufschlußreich, wie selbstverständlich in der Studie von "Klassengesellschaften" die Rede ist. Zugleich ruft sie in Erinnerung: Im Zweifelsfall ist mit äußerst harten Auseinandersetzungen zu rechnen. Dazu rüsten sie sich. Denn zu verschenken haben sie nichts.
  Mario Tal

Anmerkungen:
1) Alvaro de Vasconcelos/European Union Institute for Security Studies (Hg.): What Ambitions for European Defence in 2020? 2. Auflage, Paris 2009 (alle folgenden nicht anders angegebenen Zitate daraus; Übersetzung M.T.)
2) Werner Biermann/Arno Klönne: Ein Spiel ohne Grenzen. Wirtschaft, Politik und Großmachtsambitionen in Deutschland von 1871 bis heute. PapyRossa Verlag, Köln 2009, Seite 243. Vgl. Rezension in ak 545
3) Vgl. www.corrispondenti.net/documenti/EIUmar09.doc
4) Ilija Trojanow/Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Hanser Verlag, München 2009
5) www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57603 

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