Kuscheln für den
Standort
"Angesichts des herrschenden Fachkräftemangels halten wir es
für äußerst kontraproduktiv, talentierte junge Menschen von einem Studium
abzuhalten."
So die um den Standort Deutschland besorgten
Studierendenvertretungen der Münchener Hochschulen und der landesweite
Zusammenschluss der Studierendenvertretungen Bayern in einer Petition.
Ebenso wenig in eigener Sache präsentieren sich die streikenden
Studierenden vom Bildungsstreik Augsburg in ihrer Selbstdarstellung (
http://uniaugsburgbrennt.blogspot.com).
Den jungen Akademikern liegt "unser Bildungssystem am Herzen" und sie
möchten daher "ein öffentliches Bewusstsein für unser verunglücktes
Bildungssystem und die gesellschaftlichen Probleme schaffen, die damit
einhergehen." Zwar wollen sie sich nicht abgrenzen und "einen offenen Raum
für eine aktive Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Problemen und
Chancen des Bildungssystems" schaffen. Dieser "offene Raum" kommt aber ganz
schnell an seine Grenzen, wenn von vorneherein bereits nicht
diskussionswürdig scheint, dass das Bildungssystem lediglich "verunglückt"
sei.
"Politische Propaganda" ist im besetzten Hörsaal verboten.
"An
die Stelle von Diskussionskultur und inhaltlichen Auseinandersetzungen
tritt die Gleichberechtigung aller Meinungen und die Betonung
vermeintlicher 'Ideologiefreiheit' der eigenen Inhalte- mit der
dafür notwendigen Ausblendung der Verhältnisse. [...] Um sich
deren Unterstützung trotzdem zu sichern, wird selbst von
studentischer Seite mit neoliberaler Standortlogik argumentiert." (
jungle world 50/2009)
Die Frage nach der Funktion der
Schulen und Hochschulen in der Gesellschaft kommt dabei erst gar nicht auf.
Der Staat möchte schnell ausgebildete Fachkräfte passend für die
jeweilige Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Und diese sollen die Schulen
und Hochschulen durch Selektion liefern.
Bildung ist keine Ware. Die durch
ein Studium erworbene Arbeitskraft schon. Die richtigen Studierenden sollen
das Richtige studieren. Deshalb wird der Zugang zum Master eingeschränkt
und werden "Orchideenfächer" ausgesetzt.
Dieses Interesse des Staates steht
im Widerspruch zum beim letzten linken Studenten noch vorhandenen Interesse
an einem selbstbestimmten Studium. Ein Studium, das genug Zeit für eine
umfassende, kritische Aneignung von Wissen lässt und Lehrinhalte
insbesondere in Fächern wie Jura oder Politikwissenschaft hinterfragt. Wenn
bei einer Diskussion des Bildungsstreiks Augsburg nur Dozenten auf dem
Podium sitzen, scheint kein Interesse an einer kritischen Hinterfragung von
Lehrinhalten zu bestehen.
Das Bildungssystem ist nicht "verunglückt". Die
Zurichtung der Individuen für den Arbeitsmarkt geschieht mit voller
Absicht. Das ist eine Aufgabe des staatlichen Bildungssystems. Bereits
die Bildungsreform der 70er war der einfachen Tatsache geschuldet, dass es
einen massiven Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften gab, zumal in
den 60er nur sehr wenige studierten. Eine CDU-Regierung hätte eine
ähnliche Öffnung für Arbeiterkinder durchführen müssen. Heute gibt es zu
viele gut ausgebildete Menschen, die aus staatlicher Sicht viel zu lange und
auch noch das Falsche studiert haben. Auch ein nicht allzu kritischer
Geist sollte daran ablesen können, dass es der Arbeitsmarkt und kein wie
auch immer geartetes Bildungsideal ist, welche staatliche Bildungspolitik
bestimmt. Aus diesem Grund gibt es im Zuge des
"Hochschulfreiheitsgesetzes" des Landes NRW an der Uni Bonn einen
"Hochschulrat", der "das Rektorat berät und die Aufsicht über dessen
Geschäftsführung ausübt." Mitglieder desHochschulrates sind neben
Professoren auch Wirtschaftsvertreter. In Bonn natürlich auch eine
Beraterin des Vorstands der Deutschen Post AG.
(
http://www3.uni-bonn.de/einrichtungen/hochschulrat/)
Selbstverständlich
sehen die streikenden Studierenden eine solche direkte Beeinflussung durch
die Wirtschaft kritisch. Ansonsten haben sich alle lieb. Auch die
konservative Öffentlichkeit: "Für Studenten heißt die neue
Bologna-Wirklichkeit: Zielstrebigkeit ohne Umwege und Sackgassen.
Neugier, Erkenntnisinteresse, selbständiges Denken - also alles, was höhere
Bildung ausmacht - bleiben auf der Strecke." (
FAZ vom 19. Juni 2009) Die
unkritischen kritischen Studenten empfehlen sich durch ihr
selbstständiges, gemeinwohlorientiertes Denken als zukünftige
Ressourcenverwalter.