Apropos: Privatisierung von Gesundheit, Bildung, Wasser, Bahn usw.
Beim kapitalistischen Staat einfach das "kapitalistisch" wegdenken
und schon ist er eine Versorgungsbehörde höchster Güte!
So jedenfalls die Überzeugung von attac, Linkspartei und anderen NGOs. Hierzu ein Beitrag von GegenStandpunkt/Wien:
Privatisierung – warum eigentlich nicht?
Die Frage soll hier einmal sachlich und nüchtern gestellt werden:
Privatisierung – warum nicht? Die Gegner des GATS tun manchmal
so, als seien die Produkte der Privatwirtschaft notwendig von mieser
Qualität, deswegen das "Mc" – "McBildung, McWasser,
McSpital". Aber das stimmt nicht. Die Geschäftswelt bietet
Produkte unterschiedlicher Qualität an, darunter allerdings jede
Menge Ramsch und Schund – als spezielles Angebot für Leute,
die sich das bessere und teure Zeug nicht leisten können. Wenn
also Bildung, Wasser und Spital in Zukunft mehr kosten, dann muß
eben mehr Lohn her. Und schon wäre das Problem gelöst! Die
erwähnten Gegner des GATS unterstellen ständig die Armut
normaler Menschen, also derer, die vom Lohn leben müssen –
und die sich deswegen nur "McBildung, McWasser, McSpital", also alles
in mieser Qualität leisten können –, sie tun aber so,
als sei diese miese Qualität eine notwendige Folge der
Privatproduktion, und nicht eine Folge der normalen Armut. Dabei nimmt
die private Geschäftswelt nur "Rücksicht" auf die Armut der
Konsumenten und auf ihren eigenen Gewinn, wenn sie diverse Waren auch
in Billigvarianten anbietet, die sich sogar normale Menschen leisten
können.
Der staatlichen Bewirtschaftung von Bildung und Gesundheit etc. wird
nun von attac und Kollegen die Quadratur des Kreises zugeschrieben:
Ohne grundsätzlich an der Armut etwas zu ändern, soll eine
notwendige Wirkung der Armut verhindert werden, soll anständige
Bildung und Gesundheitsversorgung auch für die Armen zur
Verfügung stehen. Denn daß die Löhne dermaßen
steigen, daß sich auch normale Menschen die
Qualitätsvarianten von Gesundheit etc. leisten können, das
können sich diese Kritiker der Privatisierung auch nicht
vorstellen, und das wollen sie auch gar nicht erst fordern. Das halten
sie wohl für "unrealistisch" – zurecht übrigens! Denn
der Lohn bestimmt sich nach den Bedürfnissen dessen, der ihn
zahlt, und nicht nach den Kosten einer anständigen
Lebensführung derer, die sehen müssen, wie sie damit
zurechtkommen. Weil die Gegner der Privatisierung von Armut und Lohn
nicht reden wollen und statt dessen so plakativ – um nicht zu
sagen: demagogisch – mit der Minderwertigkeit von kommerziell
erzeugten Produkten hausieren gehen, sei hier daran erinnert, daß
es in Sachen Bildung und Gesundheit schon private Anbieter gibt, und
daß die Qualität dieser Anbieter in der Regel besser ist als
die Qualität des öffentlichen Angebotes: Die Beschaffenheit
der öffentlichen Bildung und der staatlichen Gesundheitsreparatur
ist längst die Geschäftsgrundlage für private Anbieter,
für Privatschulen und für Privatspitäler! Von wegen
"McBildung und McSpital": Das bessere private Angebotes wird von denen
frequentiert, die es sich leisten können. Also bestätigt
diese Sachlage die bereits erwähnte Forderung: Her mit einem
ordentlichen Lohn, der das bezahlt, und anständige Wohnungen und
Autos und eine ordentliche Lebensqualität obendrein. Wer nun
"realistisch" sein will und sich sicher ist, daß "die Wirtschaft"
einen solchen Lohn unmöglich zahlen kann, daß gerade in
Zeiten wie diesen höhere Löhne nicht zu haben sind, der
möge sich klarmachen, daß damit die Systemfrage auf dem
Tisch ist: Wenn sich die Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums
dessen Elemente nicht leisten können, wenn sich ausgerechnet die
arbeitende Menschheit aus Geldmangel lauter Sachen und Dienstleistungen
nicht leisten kann, die sie selbst produziert, die es also gibt und an
denen keineswegs eine natürliche Knappheit herrscht – dann
ist dieses ökonomische System, diese Produktionsweise offenkundig
äußerst ungesund, und man sollte es deswegen loswerden.
Öffentlicher Dienst vs. Markt: attac eröffnet eine falsche Alternative
Aber von diesem Realismus der Kapitalismuskritik halten die
angesprochenen Gegner von GATS nicht viel, sie meinen ja, auf eine
systemkonforme Alternative verweisen zu können: (Die Zitate sind
aus einem Positionspapier von attac-austria, www.attac-austria.org)
"Öffentliche Dienste in Gefahr: Unter ‘öffentlichen
Diensten’ (engl. public services) versteht man soziale
Absicherungs- und Grundversorgungsbereiche wie Kranken- und
Pensionsversicherung, Bildungssystem, öffentlicher Verkehr,
Wasserversorgung, Strom, Telefon und Post. Diese Grundinfrastruktur,
die wir alle jeden Tag benötigen, wird üblicherweise durch
öffentliche Monopole auf solidarische Weise zur Verfügung
gestellt. Alle Menschen haben Zugang, Gewinne werden nicht
erwirtschaftet, der Markt bleibt draußen. ... Durch die
Privatisierung drohen die public services teurer zu werden, der
universale Zugang für alle Menschen würde verloren gehen, und
die Qualität der Dienstleistungen droht ebenfalls abzunehmen."
Der Kardinalfehler dieser Position besteht darin, den Staat in seiner
Eigenschaft als Sozialstaat oder als Organisator öffentlicher
Dienste mit einer Alternative zum Markt und zur Privatproduktion zu
verwechseln. Gegen diese idyllisierende Sicht – staatliche
Monopole stellen "auf solidarische Weise" und "für alle Menschen"
ihre Dienste zur Verfügung, der "Markt bleibt draußen" und
"Gewinne werden nicht erwirtschaftet" – gehört an einige
bekannte Tatsachen erinnert, um speziell das Bild vom öffentlichen
Gesundheits- und Bildungswesen zurechtzurücken, das da gezeichnet
wird.
Der Staat ist keine Alternative zum Markt, weil er dessen Urheber,
dessen Veranstalter und dessen permanenter Betreuer ist. Indem der
Staat das Eigentum garantiert und ein gesetzliches Zahlungsmittel, ein
nationales oder auch übernationales Geld wie den Euro verordnet,
setzt er den Kapitalismus in Gang: Jeder ist gezwungen, alles, was er
braucht, zu kaufen, und um an Geld zu kommen, muß er seinerseits
etwas anbieten. Nur dadurch, durch Eigentum und Geld, sortiert sich die
Menschheit schon ganz zwanglos in die beiden charakteristischen
gesellschaftlichen Abteilungen, die man heute nicht mehr "Klassen"
nennt: In diejenigen, die selbst arbeiten müssen, und in die
anderen, die ihnen die Arbeit "geben", wie das heißt. Der Lohn
ist in diesem Verhältnis, wie bereits erwähnt, sehr einseitig
das Mittel derer, die ihn zahlen: Die zahlen einen Lohn nur dann und
nur in einer Höhe, die ihnen mit der Verfügung über die
Arbeitskraft auch deren bezwecktes Resultat garantieren soll, und das
ist nicht das erzeugte Produkt, sondern der darin steckende Gewinn.
Wenn diese Kalkulation nicht aufgeht, wird über kurz oder lang gar
kein Lohn mehr gezahlt. Dieser Zweck der Arbeit – arbeiten
für einen Anwender, dessen Reichtum dadurch wächst –
bringt die komplementäre Armut der Leute hervor, die man heute
nicht mehr "Proletariat" nennt. Es sind auch nettere Bezeichnungen
für diesen Teil der Klassengesellschaft in Umlauf, die viel
zitierten "kleinen Leute" etwa, die auf die Fürsorge der
"großen" angewiesen sind, oder die "Unselbständigen", die so
unselbständig sind, daß sie nicht einmal für sich
produzieren können, sondern auf einen Anwender ihrer Arbeitskraft
angewiesen sind, oder die "sozial Schwachen" – kurz, die moderne
Gesellschaft ist voll von Betreuungs- und Pflegefällen.
Diese Betreuung ist durchaus vorhanden, allerdings etwas anders, als
attac sich das zurechtlegt. Der Staat, der den Kapitalismus einrichtet,
kümmert sich in der Tat um die Armut, allerdings ist er dann schon
wieder keine Alternative zum Markt, sondern dessen Lieferant. Am
Beispiel des Gesundheitswesens, das entgegen anders lautenden
Behauptungen sehr wohl zur Sphäre des Marktes, der
Privatproduktion und des Gewinns gehört: Die pharmazeutische
Industrie besteht aus gewinnorientierten Privatbetrieben; dasselbe gilt
für die Produzenten medizinisch-technischer Geräte.
Niedergelassene Ärzte sind Selbständige, also
Privatunternehmer, und Privatspitäler sind ebenfalls auf Gewinn
aus, genau wie private Krankenversicherungen. Die wesentliche Leistung
des Sozialstaates, neben der Subvention öffentlicher Spitäler
aus Steuermitteln, ist die Versorgung dieses längst existierenden
Gesundheitsmarktes und der darauf tätigen Privatwirtschaft mit
Zahlungsfähigkeit. Der Sozialstaat überläßt es aus
guten Gründen gar nicht erst der privaten Sparsamkeit der modernen
Proletarier, pardon: der "Unselbständigen", die laufend etwas auf
die Seite legen müßten, um aus dem Ersparten im Ernstfall
eine Operation, ein teures Medikament oder eine längere Therapie
zu bezahlen. Der Sozialstaat geht davon aus, daß die
Lohnempfänger, blieben sie sich selbst überlassen, wegen der
normalen Löhne wohl viel zu sehr auf ihre robuste Gesundheit
spekulieren würden – und dann könnten sie sich im
gewiß eintretenden Krankheitsfall die Behandlung nicht leisten,
und das Gesundheitswesen hätte keine zahlungsfähige
Kundschaft. Es geht bei der staatlichen Krankenversicherung schon um
Versorgung, um die Versorgung des Geschäfts nämlich: Damit
das Geschäft mit der Gesundheit auch bei finanziell
entkräfteter Kundschaft klappt, wird ein Teil des Lohns vom Staat
zwangskollektiviert, aus welchem Krankenversicherungs-Topf dann die
Kosten für Medikamente und Operationen – und die
dazugehörigen Gewinne – bestritten werden. Weil sich die
Armen – pardon: die Lohnempfänger – als Individuen
ihre Gesundheit eigentlich nicht leisten können, werden sie vom
Staat zum Kollektiv zusammengefaßt und gezwungen, es doch zu tun.
Der Staat stellt außer seiner Gewalt gar nichts zur
Verfügung: Er zwingt die Leute zu einer Vorsorge, die er lieber
nicht der freien Entscheidung der Armen überantwortet. Den
besseren Leuten ist es selbstverständlich freigestellt, sich
zusätzlich zu versichern, und darüber zusätzliche
Leistungen oder eine bessere Unterbringung im Spital zu finanzieren.
Also von wegen, in Sachen Gesundheit gäbe es keinen Markt und
keinen Gewinn – wo leben die Leute von attac eigentlich? Der
Staat organisiert keine Alternative zum Markt, sondern betätigt
sich als dessen Zulieferer.
Analog verhält es sich mit der anderen von der Privatisierung
bedrohten Abteilung, mit dem Bildungswesen. Es ist doch geradezu ein
Hohn, wenn die globalisierungskritische Bewegung den drohenden
Qualitätsverlust – "McBildung" – durch Privatschulen
beschwört. Sollte den braven Leuten tatsächlich entgangen
sein, daß der Staat der Verursacher von "McBildung" schlechthin
ist, und zwar dadurch, daß er nicht einfach einen Unterricht
organisiert und die Kinder zwingt, sich den reinzuziehen, sondern indem
das Bildungswesen den edlen Zweck der Auslese erfüllt: Von jedem
Jahrgang werden stufenweise immer mehr Leute von der höheren
Bildung ausgeschlossen, so daß relativ wenige schlußendlich
an der Universität landen. Den Schülern wird eben nicht nur
etwas beigebracht und anschließend überprüft, ob sie es
verstanden haben – diese Überprüfung ist als Wettbewerb
aufgezogen, und die Schwächsten, also die, die eine Wiederholung
und Unterstützung am nötigsten hätten, werden Zug um Zug
von der weiteren Wissensvermittlung eliminiert: Die staatliche Auslese
bewirkt die Verabreichung von "McBildung" an den größeren
Teil der Auszubildenden! Das ist auch durchaus bekannt, wenn man liest,
daß Leute, die eine normale Schullaufbahn absolviert haben, oft
nicht einmal ordentlich schreiben und lesen können. Aber auch das
ist durchaus zweckmäßig, denn die "Versorgung", um die es
dem Staat beim Bildungswesen geht, ist schon wieder die Versorgung des
Marktes und keine Alternative dazu: Es geht um den Arbeitsmarkt, und
der braucht sehr wohl eine Masse von Leuten, die vom Staat mit
"McBildung" abgespeist wurden. Auch daran merkt man übrigens,
daß sich die "politische Gestaltung" eben nicht an einem
"Ausgleich zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen
Interessen" zu schaffen macht, wie attac glaubt:
"Nationalstaaten, Länder und
Gemeinden regulieren mit Gesetzen die von Privaten erbrachten
Dienstleistungen, um auch nicht-ökonomische Ziele wie
Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge, Arbeitsplatzsicherheit oder
Regionalpolitik zu verfolgen. Es findet politische Gestaltung des
Wirtschaftsgeschehens im Sinne eines Ausgleichs zwischen
privatwirtschaftlichen und öffentlichen Interessen statt."
Das sind keine zusätzlichen, "nicht-ökonomischen" Ziele, das
sind einerseits Vorleistungen für das private Geschäft, und
andererseits Instandhaltungsmaßnahmen für die vom
Geschäft beschädigten Geschäftsgrundlagen, wie
Gesundheit und Umweltschutz.
In einer Hinsicht hat attac gewiß recht. Die anvisierten
Privatisierungen werden steigende Preise und demzufolge
Verschlechterungen für alle mit sich bringen, die mit den Preisen
für Qualitätsprodukte schon jetzt Probleme haben. Die
Erfahrungen mit der Privatisierung in Großbritannien sprechen da
für sich. Allerdings ist die angesagte Verteuerung bzw. die
fortschreitende Verarmung der normalen Leute kein Grund, den status quo
ante in geradezu absurder Weise zu glorifizieren, etwa wenn dem
öffentlichen Dienst nachgesagt wird, "alle Menschen" "auf
solidarische Weise" mit dem zu versorgen, was "wir alle jeden Tag
benötigen" – so als ob die ehemalige Post oder die
ehemaligen Stadtwerke, das Telefon oder den Strom früher nicht
abgestellt hätten, wenn jemand die Rechnungen nicht bezahlen
konnte, oder als ob aus einer Gemeindewohnung noch nie jemand delogiert
worden wäre. Oder als ob es im öffentlichen Dienst keine
Arbeitshetze und keinen Leistungsdruck, keine Überarbeit und keine
daraus resultierende Schlamperei gäbe, natürlich auf Kosten
etwaiger Patienten oder Pflegefälle, oder keine
Beschäftigten, die wegen ständiger Personalnot Zeitausgleich
oder Urlaub jahrelang nicht konsumieren können, von den
Löhnen in diesen Branchen ganz zu schweigen. Das alles ist den
Leuten von attac natürlich bekannt, sie nehmen diese demokratisch
herbeigeführten Zustände im öffentlichen Dienst aber
nicht wirklich ernst, gar nicht als Auskunft über die
tatsächlichen Prioritäten in einer Demokratie, sondern als
bloß vordergründiges Phänomen, das gar nicht wirklich
zur "Demokratie" gehören könne, und deswegen mit
"Demokratisierung" zu beheben wäre:
"Auch öffentliche
Dienstleistungen sind natürlich nicht perfekt. Schmerzvolle
Erfahrungen wie unachtsame oder gar menschenunwürdige Behandlung
in Spitälern oder Altersheimen; oder monatelanges Warten auf die
Installation eines Telefonanschlusses haben das Image mancher
öffentlichen Dienstleistungen angekratzt. Der Einzug von
betriebswirtschaftlichem Denken – Kostenreduktion und
Gewinnmaximierung – geben den öffentlichen Einrichtungen den
Rest, es führt zu Schließung von Nebenbahnen und
Postämtern, zu überfallsartigen Kürzungen von
Pensionsleistungen und zu Einschnitten im Bildungs- und
Gesundheitssystem. Die Lösung ist allerdings nicht Privatisierung
,sondern die radikale Verbesserung und Demokratisierung der
öffentlichen Dienste!"
Und diese verwegene These, wonach der existierende öffentliche
Dienst mit diesen "schmerzvollen Erfahrungen" nur auf einen Mangel an
Demokratie verweisen kann, entgegen der allseits bekannten Tatsache,
daß Sparprogramme im öffentlichen Dienst ebenso wie
Pensionskürzungen von demokratisch gewählten Volksvertretern
beschlossen werden, die verweist wieder darauf, daß die Leute von
attac an der Vorstellung von der staatlichen Alternative gegenüber
der Privatwirtschaft festhalten wollen –, ausgerechnet da, wo sie
selbst den Substandard des öffentlichen Dienstes ansprechen, der
doch eigentlich erst nach der Privatisierung einreißen
dürfte.
Nutzen vs. Schaden: Eine falsche Bilanz der Globalisierung
Dieser Dogmatismus liegt daran, wie die globalisierungskritische
Bewegung die Verteilung von Nutzen und Schaden im Kapitalismus zur
Kenntnis nimmt, und wie sie von den privaten Nutznießern einen
falschen Schluß auf die Subjekte bzw. die "Hintermänner" der
Globalisierung zieht oder bekräftigt:
"Wer sind die Gewinner des GATS? Das
GATS kommt nicht von ungefähr. Der ehemalige Direktor der
GATS-Abteilung im WTO-Sekretariat David Hartridge hat dies so
ausgedrückt:‘Ohne den enormen Druck der amerikanischen
Finanzdienstleistungsindustrie, insbesondere von Firmen wie American
Express oder Citicorp, hätte es kein Dienstleistungsabkommen
gegeben.’ Die großen Dienstleistungskonzerne der USA und
der EU sind gut organisiert und betreiben systematisches Lobbying pro
Liberalisierung. Die wichtigsten Lobbygruppen: US Coalition of Service
Industries (USCSI), European Services Forum (ESF), Liberalization of
Trade in Services (LOTIS), Global Services Network (GSN), International
Financial Services, London (I FSL). Laut Leon Brittan ,dem ehemaligen
EU-Handelskommissar und jetzigen Lobbyisten des Finanzzentrums der
Londoner City, ‘war die enge Verbindung (...) zwischen der EU-
und der US-Industrie (...) ein wesentlicher Faktor beim Zustandekommen
des endgültigen Deals.’ Neben Banken und Versicherungen
zählen große Wasserversorger, Telekom-, Energie-, Bildungs-
und Gesundheitskonzerne zu den Gewinnern des GATS. Die Weltbank und
prominente Investmenthäuser schätzen den weltweiten Markt
für Wasserversorgung auf jährlich 800 Milliarden Dollar, den
für Bildung auf 2000 Milliarden Dollar und jenen für
Gesundheitsdienstleistungen auf 3500 Milliarden Dollar. Die
EU-Kommission gibt unverblümt zu: ‘Das GATS ist (...)
zuallererst ein Instrument zugunsten des Geschäftemachens.’"
Zwischenbemerkung gegen den Gestus der "Enthüllung", den attac da
an den Tag legt – worum soll es denn beim internationalen Handel
sonst gehen, wenn nicht "unverblümt" ums Geschäft? Wer soll
denn sonst profitieren, wenn nicht die, die etwas zu verkaufen haben?
Was soll denn "Handel" sonst sein? Der wesentliche Mangel der
Darstellung besteht aber darin, daß in dieser Bilanz von
Gewinnern und Verlierern bei den Gewinnern eine maßgebliche Figur
fehlt, und zwar schon wieder der staatliche Veranstalter des
Kapitalismus. Denn auch der demokratische Staat hat eine
ökonomische "Existenzweise", eine Kostenrechnung und eine
Buchhaltung, er gestaltet bekanntlich einen Staatshaushalt, er ist
permanent mit der Bilanzierung von Einnahmen und Ausgaben befaßt.
Und alle staatlichen Einnahmen haben eines gemeinsam: Sie sind auf den
privaten Profit gegründet. Alles staatliche Abkassieren beruht auf
privater Geschäftstätigkeit, indem so gut wie jede private
ökonomische Transaktion – die bekanntlich nur des Profits
wegen stattfindet! – besteuert wird. Nicht etwa weil die
Unternehmer und ihre "Lobbies" zuviel Einfluß im Staat haben,
sondern weil die Staatseinnahmen, seine komplette ökonomische
Potenz – aus der auch der öffentliche Dienst finanziert wird
–, auf dem Gewinn beruht, fördert der demokratische Staat
ganz prinzipiell das private Geschäft und den privaten Gewinn.
Unabhängig davon, welche Partei gerade regiert! Nicht nur die
Arbeitsplätze normaler Leute und deren Lohneinkommen, auch die
Staatseinnahmen und die Sozialkassen sind davon abhängig,
daß der Profit stimmt – und das alles wird prekär,
wenn der Profit schwächelt, wie in der Krise: Nicht nur die
Arbeitslosigkeit nimmt zu, auch Steuereinnahmen "brechen weg" und die
Sozialkassen nehmen weniger ein.
Vom Standpunkt der staatlichen Kostenrechnung ist deswegen
Privatisierung immer eine Option: Denn eine als Staatsbetrieb
aufgezogene Eisenbahn kostet den Staatshaushalt etwas, sie verbraucht
Steuereinnahmen, auch wenn Gebühren und Preise verrechnet werden,
wohingegen ein florierender Privatbetrieb Steuern und Sozialabgaben
einspielt – deswegen braucht es auch nicht unbedingt den
Anstoß des GATS, um die Privatisierung von Staatsbetrieben
voranzutreiben, und um den öffentlichen Sektor einer
ständigen Überprüfung und einem ordentlichen Kostendruck
auszusetzen. Klar, nicht alles, was staatlich betrieben und
defizitär ist, wird sofort zugesperrt – notwendige, aber
unprofitable Vorleistungen und Zulieferungen für den Markt und
damit für den Profit werden subventioniert, ein Pflichtschulwesen
etwa und der Autobahnbau: Das wird weiter staatlich betrieben oder
gefördert, eben weil es für Markt und Profit notwendig ist.
Das ist nämlich das tatsächliche Kriterium für den
staatlich finanzierten oder subventionierten "öffentlichen
Sektor", und nicht die Bereitstellung all dessen, was "wir alle jeden
Tag benötigen", wie das attac-Papier meint. Wenn es darum ginge,
wäre doch die Produktion sämtlicher Konsumgüter
längst verstaatlicht!
Vom Standpunkt des Nutzens für den Kapitalstandort führen die
Staaten auch ihre Verhandlungen über internationale
Handelsabkommen wie das GATS. Denn da streiten bekanntlich nicht die
Konzerne, sondern die Nationen, da sitzen nicht Unternehmer, sondern
Politiker und Beamte. Die beurteilen allfällige Forderungen, den
internationalen Handel betreffend, knallhart und einseitig nach den
Konsequenzen für den jeweiligen nationalen Kapitalstandort, also
mittelbar nach den Konsequenzen für die staatlichen Bilanzen.
Entgegen anderslautenden Behauptungen sitzen dort also nicht die
dogmatischen Verfechter von Liberalisierung schlechthin, sondern die
dogmatischen Verfechter jedes freien Handels, der der eigenen Nation
nützt; im antizipierten Schadensfall ist jede Nation andersherum
sehr wohl ein Verfechter des Protektionismus, also des Schutzes des
Standorts vor auswärtiger Konkurrenz. Insofern ist es nachgerade
absurd, die Demokratie für ein "Opfer" des GATS zu halten, wie das
im zitierten Positionspapier von attac geschieht. Die mächtigen,
ökonomisch potenten kapitalistischen Demokratien sind die
(ver)handelnden Subjekte des Abkommens, die nach dem Nutzen für
ihre Standorte kalkulieren, und nicht die ohnmächtig Betroffenen,
auch dann nicht, wenn sie sich gegenüber ihren vom GATS
geschädigten Bürgern als solche ausgeben. Gerade weil die
Staaten die maßgeblichen Instanzen des internationalen Handels
sind, müssen die Konzerne überhaupt ihr "Lobbying" betreiben
und bei der Politik antichambrieren. Jede "Lobby" lebt nun einmal
davon, daß sie der Politik etwas zu bieten hat, jede "Lobby"
muß an das Interesse der umworbenen Seite appellieren und deren
Nutzen herausstreichen. Wenn der zu schaffende, im Moment durch
"Regulierung" staatlich behinderte Weltmarkt für
"Wasserversorgung, Bildung und Gesundheitsdienstleistungen" auf
insgesamt über 6000 Milliarden Dollar geschätzt wird, sofern
er so richtig "freigegeben" würde, dann besteht das Angebot der
europäischen und amerikanischen Lobbies an ihre Staaten eben
darin, einen beträchtlichen Teil dieses Marktes zu erobern und den
Profit auf ihrem "Standort" zu verbuchen.
Das private Profitinteresse ist in der Marktwirtschaft eben der
ökonomisch bestimmende Zweck und damit die Voraussetzung für
jeden Handel und Wandel – der Profit muß stimmen, dann und
nur dann gibt es Arbeitsplätze ebenso wie Steuereinnahmen,
Löhne und Subventionen, Sozialbeiträge und Kindergeld.
Deswegen ordnet der Staat auch dem privaten Profit die
Lebensbedingungen seiner Bürger unter. In der
marktwirtschaftlichen Demokratie ist der Profit das reale
Allgemeininteresse. Das mag paradox klingen, aber das
Allgemeininteresse in der modernen Geldwirtschaft bestimmt sich nicht
nach der Quantität der Betroffenen, nicht nach dem, was vielen
nützt, auch nicht nach der Mehrheit der Wahlberechtigten, sondern
nach den sachlichen Erfordernissen des berühmten ökonomischen
"Wachstums", auf das es in der Marktwirtschaft ankommt. Wachsen
muß nämlich nicht das Einkommen der Lohnempfänger,
sondern das private Eigentum, indem es aus gekaufter Arbeit einen
Gewinn herauswirtschaftet – und wenn der Staat den
internationalen Handel nach diesem Kriterium beurteilt und
außerdem Löhne, Pensionen und andere Sozialleistungen als
Kosten behandelt, die es zu minimieren gilt, dann ist das zwar brutal,
aber sachgerecht. Im System der kapitalistischen politischen
Ökonomie.
@ www.gegenargumente.at
