Der Bundespräsident - ein Mann, der nicht nur über dem Volk, sondern auch über den Niederungen der Politik steht

Wenn ein Bundespräsident eines seiner warmen Worte zum Besten gibt, so wie zum Beispiel der neue, wenn er von den Menschen spricht, zwischen denen er Brücken bauen will, dann hält er diese offenkundige Heuchelei für den unanfechtbaren Gehalt seiner amtsgemäßen Aufgabe. Die (systemimmanenten) Ungereimtheiten und Widersprüche zwischen seiner - einmal ernstgenommenen - Rede und der politischen Wirklichkeit werden ihm deshalb gar nicht erst als solche vorkommen.

Er profitiert dabei davon, daß das Volk - zu dem er ja per definitionem als Politiker nicht gehört - sich lieber mit dem Blabla seiner Obrigkeit über die unwirtliche Wirklichkeit hinwegtäuschen, als daß es sich die Gründe dafür klarmachen will. Es bestätigt also den obersten Politiker in der Selbstgefälligkeit seines Geschwätzes.

Ein erster Schritt zur Kritik der so vorliegenden Verhältnissse kann zweifellos darin bestehen, sich die Widersprüche wie sie in der politischen (Re-)Präsentation vorliegen, einmal klar vor Augen zu führen.  Allerdings nur, wenn sich dieses Ansinnen nicht der Illusion verdankt, ausgerechnet dem obersten Trottelkopf der Nation müßte dadurch etwas auffallen.

Sheila Mysorekar hat sich in der taz v. 10.07.10 (in der Rubrik: »Politik von unten«, die ein Alibidasein in dieser Zeitung führt - das meiste ist längst auch in der taz Hofberichterstattung) mal daran gemacht, genannte Widersprüche aufzuzeigen, wobei freilich nicht ganz klar ist, ob sie diese Illusion wirklich hegt - es hat in einer hier nicht wiedergegebenen Passage sehr den Anschein - oder diese allein der journalistischen Verwertbarkeit in einer schwarz-rot-goldenen Zeitung geschuldet ist; wahrscheinlich ist glücklicherweise beides zusammengefallen. Sie schreibt:

"...Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann ist ein Scharfmacher in Sachen Ausländerpolitik. Aber davon hat sein früherer Vorgesetzter Wulff bestimmt nichts gewußt. Die Landesregierung Hannover hat sich beispielsweise mit Massenabschiebungen von Roma in den Kosovo hervorgetan. In Niedersachsen sei »die Abschiebepraxis sehr rüde«, heißt es bei Pro Asyl.

Aber das sind illegale Asylsuchende, solche Ausländer meint der Bundespräsident ja gar nicht, wenn er von erfolgreicher Integration redet. Er denkt an die von ihm ernannte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan, die erste türkischstämmige Ministerin Deutschlands. Kaum machte Özkan jedoch eine kritische Bemerkung über Kreuze im Klassenzimmer, wurde sie zurückgepfiffen. Seitdem ist Ruhe im Karton. Daran erkennt man perfekt integrierte Ausländer - die spuren sofort.

Oder Wulff könnte versuchen, Rechtsradikale in die demokratische Zivilgesellschaft zu integrieren. Zum Beispiel in Niedersachsen, da sind die nämlich besonders stark - etwa im Landkreis Stade. Im neuen Integrationsbericht der Regierung heißt es, Einwanderer seien seltener kriminell und würden seltener handwerkliche Berufe ausüben, dafür seien sie häufiger in »wissensintensiven Dienstleistungen« tätig. Das sollte Wulff mal brückenbauend den Faschos in ihrem nordelbischen Feuchtbiotop nahebringen. Was versteht ein Skin wohl unter einem »wissensintensiven Beruf«? Moderator von Quizsendungen?

Auch in der Parallelgesellschaft Lüneburger Heide gibt es für Wulff eine Menge Brücken zu bauen. Zum Beispiel hin zu Ausländern, die gern Deutsche werden möchten. Wie etwa die Linke-Politikerin Jannine Menger-Hamilton, einst britische Staatsbürgerin. Niedersachsens Innenministerium verschleppte jahrelang ihren Einbürgerungsantrag, weil sie, bedauerlicherweise, eine Linke ist. 
..."

(12.07.10)