Joachim Lottmann ist folgendes aufgefallen:
"Guantánamo: Das Wort klingt allmählich so verstaubt wie die Worte Abrüstungsmarathon oder Michael Moore.
Das Thema ist so abgelutscht, daß man es selbst in den
großen, seriösen Zeitungen nur noch ganz hinten als
ungeliebte Meldung findet. Und auch nur, wenn Schäuble mal wieder
der Aufnahme von Gefolterten eine donnernde Absage erteilt, wie letzte
Woche.
Die Experten wissen bestimmt, was sie tun. Am guten Willen wird es ja
wohl nicht fehlen. Am Ende sind es womöglich doch Terroristen,
können wir Zeitungsleser das überhaupt wissen? Vielleicht
gibt es neue, geheime Foltertechniken (zum Beispiel
mikroelektronische?), die man naturgemäß nicht verrät,
bei denen die Aussagen einen Hauch weniger wertlos sind als die bei den
Hexenfolterungen der Inquisition? Und selbst wenn von hunderten
Gefolterten nur einer den festen Vorsatz in sich trägt, das
Weiße Haus oder den Reichstag in die Luft zu sprengen: Hat sich
dann Guantanamo nicht doch gelohnt?
Ja, selbst wenn nun wirklich kein
einziger ein potenzieller Terrorist war, muß er es durch diese
Behandlung nicht geworden sein? Und wollen wir den bei uns haben?
Außerdem: Steht Schäuble etwa allein da? 25 von 27
EU-Staaten sind auf seiner Seite. Ja, die ganze Welt.
Am kühnsten und
widerwärtigsten sind übrigens wieder die Österreicher,
die im schnarrenden Behördensprech von Verantwortung und
Sicherheit faseln und sich dabei großartig fühlen. "Nicht
ein Gefangener" dürfe hinein ins Land, das sei fix, erklärte
staatstragend die Innenministerin. Zwar sicherte der US-Präsident
zu, daß nur "definitiv Unbescholtene" ausreisen sollten. Aber man
weiß ja nie.
Jedenfalls will niemand die
verdammten Unschuldigen haben. Am wenigsten Barack Obama, und der ist
nachweislich ein Ehrenmann. Er wollte ja das KZ des 21. Jahrhunderts
schließen. Jetzt hat er sogar die berüchtigten
Militärtribunale dort wieder eingeführt! Er wird schon
wissen, warum. Also einem Psychopathen wie unserem Innenminister kann
man ja noch mißtrauen, aber auch Obama? Das wäre schon sehr
fanatisch. So etwa denkt inzwischen der gemeine Mann.
Geld kostet es ja auch noch, man
müßte die Opfer mit Steuermitteln hier einfliegen,
einbuchten, erkennungsdienstlich behandeln, womöglich selbst
foltern, später ein Leben lang observieren, bespitzeln und
schikanieren. Von nichts kommt ja nichts. Wie viele Millionen und
Abermillionen hat allein der Kurnaz gekostet, der häßliche
Vogel. Hat das Parlament monatelang aufgehalten. Dabei war da eher
Steinmeier die verfolgte Unschuld.
Nein, den Scheiß können
wir uns echt sparen. Schäuble sagt, unsere Gesetze erlauben es gar
nicht, die Entrechteten aufzunehmen. Denn es dürfen nur Leute zu
uns, die die Sicherheit nicht gefährden. Peng! Das sagt der so.
Daß sie unsere Sicherheit nicht gefährden, kann man leider
nicht beweisen. Dazu müßte man in ihren Heimatländern
ermitteln, dort Entlastungszeugen befragen, am besten wieder durch
Kidnapping und Folter. Aber Aussagen unter Folter sind nichts wert,
auch keine entlastenden. Nein, all diese Brüder können
schlußendlich nicht beweisen, daß sie keine
Attentate im Schilde führen, und dieses letzte Argument ist
einfach zwingend (gilt freilich auch für die übrigen 6,7
Milliarden Menschen). ..." (taz, 11.06.09)
Die Replik auf die (fehlende) Moral hätte er sich allerdings
schenken können; so sieht sie denn aus, die andere Seite der -
allenthalben von der Manövriermasse verlangten - Moral: Die
Staatsgewalt pur, wenn sie sich (heraus)gefordert auch nur wähnt.
Der letzte Absatz ist deshalb hier weggelassen.
