Die deutsche Linke sieht sich bestätigt:
Der neoliberale Turbo-Kapitalismus ist gescheitert!
Wir wären bessere Manager!
Anhänger der "Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus"
kündigen seit ewigen Zeiten die Selbstzerstörung dieses
Systems an. Von Marx wollen sie gelernt haben, daß es nicht darum
geht, den Widersinn und die Arbeiterfeindlichkeit dieses
Wirtschaftssystems zu kritisieren und es abzuschaffen, sondern darum
nachzuweisen, daß es auf Dauer sowieso nicht bestehen kann. Seine
Gegner, so diese revolutionäre Hoffnungslehre, müssen nur
warten können, um im rechten Moment auf der historischen tabula
rasa etwas Neues zu errichten.
Ein Stück davon ist jetzt eingetreten. Das Finanzsystem
zerstört sich selbst, die Macht des Geldes schwindet, der
Lebensprozeß der kapitalistischen Gesellschaft, alles Produzieren
und Konsumieren wird rapide heruntergebremst. Stellt sich nun die
freudige Erwartung des nächsten Kollaps ein? Setzt die Linke auf
den lange prognostizierten Zusammenbruch, um auf den Trümmern der
alten Welt endlich ihre neue zu bauen?
Keineswegs. Die Leute, die sich von Attac über Die Linke bis zur DKP links nennen, die sich im Neuen Deutschland, im Freitag, in der Jungen Welt und der Jungle World zu Wort melden, fänden einen solchen Standpunkt "völlig verantwortungslos" (Pedram Shahyar, attac,
Nürnberg, 15.11.08). Die Weltverbesserer nehmen die radikalste
Krise seit Jahrzehnten zur Gelegenheit einer Klarstellung: Ihre
Alternativen zum Kapitalismus, die alles besser machen sollen, was der
schlecht macht, Alternativen also, die sich an allen
Leistungsparametern des Kapitalismus bewähren und darin besser
sein wollen als das Original, sind keine Alternativen zum Kapitalismus
sondern Alternativen in ihm – und sie sind auch genau so gemeint.
Wenn es darauf ankommt, bekennen sich die Leute, die immer sagen, eine
andere Welt sei möglich, uneingeschränkt zur Verteidigung der
Welt, die es gibt. Mag sein, daß nicht alle aus dem genannten
Spektrum sich zu diesem politisch-praktischen Klartext verstehen. Er
hat aber seine Konsequenz und ist in all den kritischen Diagnosen und
Therapien angelegt, mit denen sie sich ihren Reim auf die laufende
Katastrofe machen.
Es geht los mit einer schrägen Systemkritik
"Die Finanzkrise hat globale
Auswirkungen. … Die Folgen für die Beschäftigten, die
Arbeitslosen, Rentner usw., für die Armen in dieser Welt, aber
auch für den Mittelstand in den entwickelten kapitalistischen
Ländern sind in ihrem ganzen Umfang noch nicht absehbar …
Der Kapitalismus hat die verheerenden Auswirkungen dieser Krise erzeugt
… Krisen gehören zum kapitalistischen System." (Erklärung der DKP, in: kapital & krise, Beilage der Jungen Welt, 29.10.08)
Wichtig an der Krise findet die DKP die schlimmen sozialen Auswirkungen
auf die Beschäftigten, die in guten Zeiten für den Gewinn der
Unternehmen arbeiten dürfen; auf die Arbeitslosen, die das auch
dann nicht dürfen; sowie auf "die Armen dieser Welt", die auch in
der Hochkonjunktur nichts zu beißen haben. Der Kritikwille wirft
sich auf die Verschlechterung, die Differenz der krisenhaften
Lebensbedingungen zur Normalität des Kapitalismus. Wie viel
Parteilichkeit für den normalen Gang der kapitalistischen Dinge
diese Krisenkritik enthält, verrät der süße
Mittelstand, den die DKP auch zu den sozialen Opfern der Krise
zählt. Diesen kleinen Kapitalisten (bis 200 Beschäftigte)
verhagelt der Finanzcrash das redliche Ausbeuten, das in guten Zeiten
so viel Segen in Form von Arbeitsplätzen stiftet. Die
Vergleicherei stellt die Ausnahmesituation, die die Krise ist, in
Gegensatz zur kapitalistischen Normalität, die dadurch als
schutzwürdige Existenzbedingung zu Ehren kommt, als immerhin
vergleichsweise akzeptable Lebensgrundlage für die armen Wichte,
die sie hervorbringt.
Was die DKP zweitens interessiert, ist die Frage nach der Ursache: Wer
oder was ist verantwortlich für diese verheerenden Auswirkungen
auf unseren geliebten Alltag? Das kapitalistische System! Auch das ist
eine Systemkritik, aber eine miese: Kapitalismus ist von Übel,
weil er sein regelgerechtes Funktionieren nicht dauerhaft garantieren
kann und aus dem guten Normalen heraus periodisch Abstürze drohen.
Statt dem System sein Nicht-Funktionieren vorzuwerfen, sollten sich die
deutschen Kommunisten damit befassen, was die Krise ist, dann
würden sie bemerken, daß in der Krise nur die zu dieser
Produktionsweise gehörigen Widersprüche explodieren. In der
Fase, in der das Wachstum des Kapitals an sich selbst scheitert, tritt
der feindliche Gegensatz unvermittelt hervor zwischen dem Standpunkt
der Kapitalisten und dem der Beschäftigten. In normalen Zeiten
manifestiert sich der Gegensatz in knappen Löhnen, langen
Arbeitstagen, Leistungsdruck und in einer schwankenden, stets
vorhandenen Anzahl Arbeitsloser. In der Krise radikalisiert sich dieser
Gegensatz: Kapitalisten, die aus Arbeit keinen Profit mehr schlagen
können, lassen die Arbeit einstellen, die die Arbeitskräfte
für ihren Lebensunterhalt brauchen; ein noch einmal wachsender
Teil der Arbeitsbevölkerung kann von Lohnarbeit nicht mehr leben.
In der Bankenkrise wird darüber hinaus deutlich, daß alles
Produzieren – auch das Gewinnemachen der industriellen
Kapitalisten – nichtig ist, sofern es nicht zur Quelle und
Grundlage finanzkapitalistischer Bereicherung taugt. Krise ist die
Fase, in der das Prinzip, daß der ganze Lebensprozeß der
Gesellschaft dazu da ist, um aus Geld mehr Geld zu machen,
terroristisch gegen die Gesellschaft durchgesetzt wird: Das Produzieren
und Konsumieren wird so lange und so weit zurückgefahren und
unterbunden, bis sich alles wieder fürs Interesse der
Kapitalverwertung re-arrangiert und die Profitmacherei von vorne
beginnt.
Leute, die dem Kapitalismus hauptsächlich seine Krisenhaftigkeit,
die Abweichung von seinem – dagegen als positiv verbuchten
– normalen Funktionieren zum Vorwurf machen, wollen davon
freilich nichts wissen. Sie fahnden lieber danach, ob er nicht auch
ohne seine Krisen zu haben wäre. Joachim Bischoff, früher
DKP, heute Linkspartei, formuliert den Übergang von der falschen
Kritik des Systems zur Sorge um es mit Hilfe einer Dialektik von
Allgemeinem und Besonderem:
"Die Instabilität von
Finanzmärkten ist ein inhärentes Merkmal des Kapitalismus im
Allgemeinen und des neoliberalen Kapitalismus im Besonderen." (Bischoff, Sozialismus, 02.10.08.)
Bischoff räumt ein, daß die Instabilität schon ein
Webfehler des Systems sein mag, aber offen zutage tritt diese
Schwäche erst, wo eine Variante der Wirtschaftspolitik –
neoliberal! – sie verstärkt. Im Fokus der Kritik steht
nun nicht mehr das kapitalistische System, sondern die neoliberale
Irrlehre seiner wirtschaftspolitischen Verwaltung. Es geht nicht mehr
um die kapitalistische Notwendigkeit der Krise, sondern um eine von
schlechter Politik verursachte, ansonsten unnötige Fehlentwicklung.
Als nächstes wird der Verursacher an den Pranger gestellt:
Neoliberale Wirtschaftspolitik hat den Kapitalismus kaputt gemacht.
Die Linken haben ihr Thema! Seit Jahren kritisieren sie den Turbo-,
Kasino- und sonstigen Bindestrich-Kapitalismus, wobei der Wortzusatz
stets eine Degeneration des gar nicht so schlechten Wirtschaftssystems
anzeigt. Die große Welt hat nicht darauf gehört. Auf einmal
kritisiert dieser verfälschte Kapitalismus sich mit seiner
Katastrofe nun selbst; und den ignorierten Linken wächst
wirtschaftspolitische Kompetenz zu. Sie freuen sich darüber und
lassen sich gerne als Fachleute für Funktionsmängel des
Kapitalismus interviewen.
Sie sonnen sich im Bewußtsein, mit ihrer Kritik am
Neoliberalismus Recht bekommen zu haben – erstens von der
Wirklichkeit höchstpersönlich und zweitens von kleinlaut
gewordenen neoliberalen Gegnern. Recht bekommen – womit? Ist etwa
ihre soziale Anklage bestätigt worden, daß der
Neoliberalismus zugunsten der Profite die Arbeiter gezielt
geschwächt, Arbeitslosigkeit und Armut vergrößert hat?
Daß Ansätze zur Wirtschaftsentwicklung in der Dritten Welt
durch die Liberalisierung des Welthandels zerstört werden?
Daß der neoliberal entfesselte Kapitalismus in ruinöser
Weise die Ressourcen der Erde verbraucht und das Klima zerstört?
Alles das hat nichts gegolten! Jetzt, wo der Kapitalismus sich selbst
gefährlich wird, das Finanzkapital und damit das ganze
Wirtschaften zusammenbricht, bekommen die Warner vor einer
übertriebenen Liberalisierung Recht. Dieses Ergebnis haben die
neoliberalen Wirtschaftspolitiker wirklich nicht gewollt. Den Blues,
der sich darüber einstellt, nehmen Linke als Bestätigung
ihrer Kritik! Haben sie es denn nie anders gemeint? Hat sie immer schon
die Sorge um den Bestand und den Erfolg der kapitalistischen Ordnung
getrieben, wenn sie Elend, Unterentwicklung und Umweltzerstörung
verurteilt haben? So klar hingesagt wohl kaum. Sie können ihre
sozialen und ökologischen Anklagen nur eben nicht unterscheiden
von einer Sorge um Bestand und Erfolg der Nation. Sie sind so sehr
idealistische Anhänger des kapitalistischen Gemeinwesens,
daß sie beides identifizieren und das eine für das andere
sprechen lassen: Wenn der Reichtum der nationalen Wirtschaft
wächst, sehen sie Chancen für den Wohlstand der Massen; wenn
diesen aber Verarmung zugemutet wird, dann – so linke Warnungen
– tut das langfristig auch dem Wachstum des Kapitals nicht gut.
Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke, kennt sich da aus:
"Letztlich ist die aktuelle
Finanzkrise nichts anderes als das Resultat neoliberaler Umverteilung:
Durch die Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und
Spitzensteuersätzen sowie eine Politik des Lohn- und
Sozialdumpings sind jene Rekordgewinne entstanden, die
anschließend auf den Finanzmärkten auf der Suche nach immer
höheren Renditen verspekuliert wurden." (Junge Welt, 15.10.08)
Sie nimmt es mit der Ursachenforschung nicht übertrieben genau;
kümmert sich einfach nicht darum, daß auch durch
verschärftes Lohn- und Sozialdumping erzeugte Rekordgewinne nie
und nimmer an die Summen heranreichen, die jetzt an den
Finanzmärkten zusammenbrechen. Es ist ihr egal, daß da schon
eine etwas andere Art der "Wertschöpfung" vorliegen muß, als
die, die in Werkshallen zustande kommt. Aber was soll's? Für die
gute Botschaft müssen Vereinfachungen erlaubt sein. Und wie sonst
ließe sich überzeugend darlegen, daß die Steigerung
der Ausbeutung den Ausbeutern selbst schadet? Sie wissen mit
Rekordgewinnen nichts Besseres anzufangen, als sie zu verzocken. Wenn
das Böse schon nichts nützt, könnte man es doch auch
unterlassen – oder?
So folgen aus einer guten Theorie immer auch gute Ratschläge:
"Dies bedeutet im Umkehrschluß,
daß eine Umverteilung zugunsten der Beschäftigten, der
Rentnerinnen und Rentner sowie der Arbeitslosen auch das beste Mittel
ist, um zukünftigen Finanzkrisen vorzubeugen." (ebd.)
Das ist mal ein überzeugendes kommunistisches Argument für
eine bessere Entlohnung der arbeitsamen Armen: Sie bewahrt das
Finanzkapital vor Überspekulation, glättet die Konjunktur und
befördert in jeder Hinsicht die Stabilität unserer Ordnung.
Die Jungle World bietet den schönen Gedanken noch einmal kindgerecht:
"Wird den Kapitalisten zu viel
Freiheit gelassen, untergraben sie die Grundlagen ihres
Wirtschaftssystems. Sie verhalten sich wie kleine Kinder vor einem
Eisstand. Ein Vierjähriger will unbedingt alle Kugeln probieren
und von seiner Lieblingssorte gleich fünf Kugeln essen. Wird ihm
der Wunsch gewährt, verdirbt er sich den Magen. Kommt er ein paar
Tage später noch einmal an den Eisstand, erinnert er sich zwar an
die Bauchschmerzen, aber da ist das viele Eis, und schon will er wieder
alle Kugeln haben. Jemand muß dafür sorgen, daß er nur
drei Kugeln bekommt. Das Kind mault, insgeheim aber ist es sogar
dankbar, denn es ahnt, daß es sich selbst nicht vor den
Bauchschmerzen bewahren könnte … Die Kapitalisten
würden maulen, wären aber insgeheim sogar ein bißchen
dankbar, denn sie ahnen, daß sie als Klasse mit
unbeschränkten Freiheiten unfähig sind, die Wirtschaft zu
stabilisieren." (Jörn Schulz, jungle world, 39/2008)
Wir verstehen: Interessensgegensätze im Kapitalismus verdanken
sich dummer und kurzsichtiger Vorteilssuche, die sogar dem schadet, der
sich den Vorteil sichert. Wohlgezügelt herrscht schönste
Harmonie der Interessen, mit etwas Maßhalten kommt der Ausbeuter
zu seinem Profit, wie der Ausgebeutete zu seinem Arbeitslohn. Eine
weitblickende Obrigkeit muß die Raffkes zu ihrem Glück
zwingen, und letztlich wissen die selbst, daß sie das brauchen.
Mit so viel Theorie ist der Praxis der "interventionistischen Linken"
aufs Beste vorgearbeitet.
Dann wird der Kapitalismus gerettet:
"Auf kurze Sicht haben die
Lohnabhängigen von einem Zusammenbruch des Finanzsystems nichts zu
gewinnen, denn das würde das Ende des Kredits bedeuten. Und das
Ende des Kredits bedeutet die Unmöglichkeit, die realen
Aktivitäten der Produktion von Gütern und von
Dienstleistungen zu finanzieren, also eine dramatische Beschleunigung
der sozialen Krise. Es gibt daher keinen prinzipiellen Grund, sich der
Rettung der Banken zu widersetzen." (Cédric Durand, Ligue Communiste Révolutionaire, in Junge Welt, 29.10.08)
Niemand braucht eine erfolgreiche Spekulationsbranche so nötig wie
die Lohnabhängigen. Und dabei behauptet auch der Linke aus
Frankreich weder, daß diese Leute Nutznießer vergebener
Kredite, noch, daß sie Subjekt der kapitalistischen
Güterproduktion und ihrer Erträge wären. Sie hängen
nur von den Geschäften ab, die andere untereinander und mit ihnen
machen. Ausgerechnet wegen dieser negativen Abhängigkeit sollen
sie sich stark machen für die Genesung der Banken. So ist das mit
den revolutionären Kommunisten: Ihr erster Programmpunkt ist die
Wiederherstellung des kapitalistischen Funktionierens.
Soweit die Gemeinsamkeit des revolutionären Anliegens mit Merkel
und Steinbrück. Das Linke der linken Intervention ist damit nicht
aufgegeben, es steckt im Wie der Bankenrettung. "Die Zeit ist reif für eine neue Regulationsweise des Wirtschafts- und Finanzsystems."
(Gretchen Binus, l.c.) Man glaubt es kaum, auch die Sanierung des
Finanzkapitals läßt sich links, besser, sozialer, gerechter,
demokratischer anpacken, als es die blamierten Neoliberalen tun. Und
damit das auch passiert, hat sich ein "'Bündnis gegen Bankenmacht'
aus Mitgliedern von attac, GEW, IG Metall, Die Linke, Frankfurter
Sozialbündnis, Antinazikoordination, DKP und anderen"
gegründet, das den Mächtigen auf die Finger schaut: Nur mit
"demokratischer Kontrolle" kann die Rettung der Banken gelingen. "Das
US-Beispiel zeigt, warum die Billionenhilfe vergebens war: Die Banken
nutzen die Staatszuschüsse zum Stopfen ihrer Bilanzlöcher,
anstatt damit Kredite an Privatleute und Unternehmen zu vergeben." (Jürgen Elsässer, Neues Deutschland,
24.10.08,). Gesellschaftliche Kontrolle sollte die Banken wohl zwingen,
ihre Löcher ungestopft, fällige Zahlungen unbezahlt zu lassen
und stattdessen reichlich neuen Kredit zu vergeben?! Die unfähigen
Finanzpolitiker in Washington hätten halt Sachverständige aus
dem linken Lager fragen sollen, zumal die noch mehr praktikable
Vorschläge auf Lager haben.
Zweckmäßige soziale Bankenrettung statt der unwirksamen unsozialen
"Regierungen der EU konnten über
1.600 Milliarden Euro für die Banken locker machen, dabei fehlt
seit Jahren zur Lösung existenzieller Krisen das Geld (Armut,
Hunger, ökologische Katastrofe)." (attac Flugblatt, 30.10.08).
Aus den Unsummen, die die Regierungen für die Rettung der Banken
einplanen, schließen deutsche Linke nicht darauf, wofür im
Kapitalismus zur Not Geld lockergemacht wird und wofür eben nicht,
sondern aufs glatte Gegenteil: Das Geld, von dem die Mächtigen
immer behaupten, es sei nicht da, ist die ganze Zeit da gewesen und
hätte jederzeit für bessere Ziele ausgegeben werden
können. "Ohnehin wird deutlich,
daß die ganzen Behauptungen, für Soziales wäre kein
Geld da, nicht glaubwürdig waren." (Die Linke, Flugblatt, 19.10.08)
Tatsächlich war das Geld nie und ist auch jetzt nicht einfach
"da". Regierungen stiften den Banken frisches Kapital und
übernehmen Bürgschaften, die, wenn sie dafür eintreten
und zahlen müssen, jeden Staatshaushalt sprengen und die
Staatsverschuldung auf ganz neue Niveaus heben. Und auch das nur so
lange, wie Regierungen Käufer für ihre vermehrten
Staatsschuldtitel finden und nicht selbst den Staatsbankrott anmelden
müssen. Die Euro-Staaten machen ihr Gemeinschaftsgeld unsolide und
nehmen das Risiko seiner Zerstörung in Kauf. So viel ist dem Staat
die Rettung des Finanzsystems wert, denn mit dem steht und fällt
seine finanzielle Macht und das Funktionieren der Herrschaft des Geldes
über die Gesellschaft. Die politische Herrschaft ruiniert zur Not
sich selbst für ihre Banken, weil sie ohne die Banken sowieso
ruiniert ist. Für den Lebensstandard von
Sozialhilfeempfängern gilt das nicht. Der Bereitschaft der
Politik, für die Banken Milliardensummen locker zu machen,
während sie an den Hartz IV-Empfängern jeden Cent spart,
entnehmen deutsche Linke nicht die Unverträglichkeit der in dieser
Ordnung geltenden Prioritäten mit dem Lebensunterhalt der
arbeitenden und arbeitslosen Mehrheit. Sie lernen umgekehrt daraus,
daß soziale Härten in dieser Gesellschaft eigentlich
unnötig sind, weil es übergenug Geld gibt, das man lauter
wohltätiger Verwendung zuführen könnte.
Wohltätig sogar im Sinne der Kapitalisten. Jörg Huffschmid
rechnet am Beispiel des amerikanischen Bankenrettungsplans vor,
daß soziale Fürsorge und höhere Löhne die ganze
Finanzkrise nicht nur verhindert hätten (siehe S. Wagenknecht),
sondern auch beim Banken retten das Geld lieber den Häuslebauern
gegeben werden sollte, statt den Banken faule Kredite abzukaufen.
Darüber denkt inzwischen auch der US-Finanzminister nach. Wenn die
Vermögenstitel und Bilanzen der Banken so kaputt sind, daß
sie durch Geld von oben gar nicht mehr zu retten sind, dann vielleicht
durch einen wieder zuverlässigen Zinsdienst der kleinen Schuldner
von unten. Wären deren Hypothekenkredite nicht mehr faul,
könnten sich vielleicht auch die mit ihnen besicherten
komplizierten Papiere wieder erholen. Und als schöne Nebenwirkung
dürften die überschuldeten Häuslebauer zudem in ihren
Behausungen bleiben. Immer wieder muß sich die Linke über
die Einfallslosigkeit der Mächtigen wundern: Warum nur tun die das
nutzlose Böse, anstatt das nützliche Gute? Vielleicht lernt
Mr. Paulson ja. Für wahrscheinlich hält es die linke Gemeinde
allerdings nicht. Denn neben den praktikablen Vorschlägen zur
effektiven Rettung des Finanzsystems wälzen sie die Frage der
Gerechtigkeit. Und die stellt sich ja nur, wo einseitige Belastungen
und einseitige Vorteile auszuhalten sind. Sie geht also selbst davon
aus, daß angesichts der verfahrenen Lage eine gewisse ungerechte
"Sozialisierung der Verluste" der Banken nicht zu vermeiden sein wird.
Gerechtigkeit für die Armen
Ohne Gerechtigkeit kann und darf der Kapitalismus nicht gerettet
werden. Die dringend erforderliche Gerechtigkeit kann, wo den Banken
die Milliarden nun mal zugeschustert werden müssen, keine soziale
und ausgleichende, sie muß strafende Gerechtigkeit sein. Die
Anständigen, deren erste Lebensbedingung – die solide Bank
– aus privater Profitsucht an die Wand gefahren worden ist, haben
ein Recht darauf, daß die Schuldigen zur Verantwortung gezogen
werden. Strafe muß sein, unbeschadet dessen, daß die
Summen, die den Finanzmanagern strafweise abzunehmen wären, nichts
an den Kosten der Bankenrettung ändern. Sie verschafft Genugtuung;
und zwar denen, die sowieso alles auszubaden und nichts zu melden
haben. Sie haben ein Recht auf die Demonstration, daß es in
dieser Ordnung Pflichten auch für andere gibt, und sie insofern
als Volksgenossen gleichgestellt und ernstgenommen sind. Die mindeste
Strafe ist eine "sofortige Belastung der Millionäre durch eine
Millionärssteuer"; an deren prozentualer Höhe entscheidet
sich die Radikalität des Vorschlags. Da heißt es
kalkulieren: Gerät die Forderung zu hoch, blamiert sie sich als
unrealistisch, ist sie zu niedrig, wird man womöglich vom
Bundeskabinett links überholt. In ihrem Ehrgefühl verletzte
Linke können sich aber auch wirklich schlimme Strafen für
Finanzjongleure vorstellen: Erziehungshalber einmal so leben
müssen wie nicht wenige der Leute, in deren Namen Linke sprechen. "Mindestens
ein Jahr lang sollten sie unter den Bedingungen von Hartz IV leben.
Dann würden sie am eigenen Leib spüren, wie es ist, wenn man
vor der Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung
überlegen muß, ob man sich die Straßenbahnfahrt
dorthin leisten kann." (G. Lang, Bündnis gegen Bankenmacht, 01.11.08)
Zuletzt wird die Krise verboten
Gesellschaftliche Kontrolle ist das Zauberwort, mit dem sich alles
Schlechte des Kapitalismus zum Guten wenden läßt. Bankkrise
und Fehlspekulation hätte es nie geben können, wenn ehrliche
Geschäfte unter dem wachsamen Auge der Gesellschaft abgewickelt
worden wären:
Die Linkspartei fordert eine Kontrolle des Investmentbanking und zwar eine strenge.
"Gewährleistung ausreichender
und zinsgünstiger Kreditversorgung … speziell für
kleine und mittelständische Unternehmen; weitgehende
Beschränkung der Aktivität von Banken auf das Einlagen- und
Kreditgeschäft; harte Spielregeln; dauerhaftes Verbot von
Leerverkäufen; Zurückdrängung und strenge Kontrolle des
Investmentbankings, öffentliche Aufsicht von Ratingagenturen,
Finanz-TÜV." (Die Linke, Parteivorstandsbeschluß, 29.09.08)
Öffentliche Ratings, die Finanzgeschäfte als
superzuverlässig ausweisen, die "wir" Linken haben wollen –
zum Beispiel Kredite an mittelständische Kapitalisten. Das
wär’s doch! "Nein!", sagt die noch radikalere DKP. Sie sieht
sich von der Katastrofe und durch den Ernst der Lage zu weitergehenden
Änderungen aufgerufen: Als Sofortmaßnahme will sie den
Status quo erhalten: "Sicherung der Sparkassen, öffentlichen Banken und des Gemeinschaftswesens vor Privatisierung"
(Erklärung der DKP, 29.10.08). Für die Zukunft peilt sie die
Vergesellschaftung der privaten Banken an. Banken in Volkes Hand! Zins-
und Spekulationsgeschäfte im Interesse der Arbeiterklasse! Das ist
Kommunismus!
Beitrag in der Studentenzeitung versus aus Tübingen Nov./Dez.-Ausgabe 2008
