Biokraftstoffe und andere Probleme
Die Sucht des Nordens bezahlt weiterhin der Süden
Einmal
mehr ist die Geschichte Zeuge davon, daß sich die Verursacher
bestimmter Situationen als deren Opfer ausgeben. Diesmal geht es darum,
daß die Suche nach alternativen Lösungen zum
gegenwärtigen Energiemodell nicht über die Beendigung der
schwachsinnigen Verschwendung der gegenwärtigen
Konsumgesellschaften des reichen und industrialisierten Nordens geht,
sondern über die Suche von Alternativen, die diese
Abhängigkeit beibehalten und noch fördern.
Ähnlich wie die gewaltsame Abschaffung des Kokaanbaus verhindern
soll, daß ihre Bürger keine Drogen aus diesen Pflanzen
konsumieren, sind diese Alternativen darauf gerichtet, den in Betrieb
befindlichen Fahrzeugpark auf Kosten des Hungers des Südens
beizubehalten und zu erweitern.
Das gegenwärtige Imperium und seine Komplizen, die beschützt
im Schatten der Industrieländer leben und andere, die im
Süden aus Größenwahn einen Seitenwechsel anstreben,
sind besorgt, weil sie, trotz der gegen die Erdölproduzenten
entfesselten Aggressionskriege um die Kontrolle dieser Ressourcen,
wissen, daß sich das Erdöl und -gas früher oder
später erschöpfen wird, wenn der Rhythmus der Verschwendung
beibehalten wird.
Sie befürchten auch, von einigen Produzenten abzuhängen, die
nicht bereit sind, ihre Naturressourcen zum Nachteil des Volkes
abzugeben, das letztendlich deren eigentlicher Eigentümer ist.
Die republikanische Administration von George W. Bush hat nicht
zufällig eine Kampagne gestartet, die auf die "energetische
Unabhängigkeit" von fossilen Rohstoffen gerichtet ist und deren
Erfolg von der massiven Produktion von Äthanol abhängt, das
sie als einen sauberen, erneuerbaren und hoch konkurrenzfähigen
Biokraftstoff präsentieren. Grünes Gold nennen sie es.
Auch nicht zufällig ist, daß der US-Staatssekretär
Nicholas Burns, auf die Äthanolproduktion eingehend, bemerkte,
daß "diese Energie die Macht
einiger Staaten verringern wird, von denen wir denken, daß sie in
der Welt eine negative Rolle spielen, wie Venezuela..."
Zu diesen Tatsachen kommt die Verschlimmerung des Klimawandels,
für den der Norden ebenso verantwortlich ist, weil er die
Freisetzung der sogenannten Treibhausgase in die Atmosfäre nicht
kontrolliert, und aufgrund dessen der Planet Gefahr läuft,
bedeutende Naturräume zu verlieren, wie den Amazonas, die
Wüste Chihuahua in Mexiko, den Fluß Jangtse in China, die
Gletscher des Himalaja, die Mangrovenwälder in Indien und
Bangladesch, das Beringmeer und die Karibik, um nur einige der von der
Umweltschutzorganisation WWF erwähnten Beispiele zu nennen.
Untersuchungen dieser Organisation und der Vereinten Nationen ergaben,
daß die durch die Emission solcher Gase hervorgerufene globale
Erwärmung in steigendem Maße Hitzewellen verursacht sowie
das Steigen des Meeresspiegels, Beschädigungen des
Korallenreservoirs und andere Ereignisse mit katastrophalen Folgen,
darunter den Verlust riesiger Mengen von Süßwasser.
Die Vereinigten Staaten, verantwortlich für 25% der Verschmutzung
des Planeten, haben sich bis heute geweigert, das Protokoll von Kyoto
zu unterschreiben, das den Staaten und Regierungen verbietet, mehr als
eine zugelassene Menge an Treibhausgasen auszustoßen, um die
Zuspitzung der globalen Erwärmung zu verhindern.
Was Washington nicht sagt, und auch jene nicht, die diese Euforie um
die Massenproduktion von Äthanol teilen, ist, daß es einfach
nicht machbar ist, es sei denn auf Kosten der Reduzierung der
Nahrungsmittelproduktion für uns Erdbewohner, und außerdem
mit einem erhöhten Wasserverbrauch.
EINEN LITER ÄTHANOL AUS MAIS ZU PRODUZIEREN, ERFORDERT 1.200 BIS 3.600 LITER WASSER
In einem Internetartikel von Dominique Guillet unter der Überschrift "Tanken Sie Blut!"
wird darauf hingewiesen, daß je nach Region zwischen 500 und
1.500 Liter Wasser gebraucht werden, um ein Kilogramm Mais zu
produzieren. "Das bedeutet, daß
die Produktion eines Liters Äthanol auf der Grundlagen von Mais
– wie das Äthanol, das von den USA produziert wird –
einen Wasserverbrauch von 1.200 bis 3.600 Litern erfordert." Zur Produktion eines Liters Äthanol benötigt man 2,37 Kilogramm Mais.
Die erwähnte Arbeit erinnert daran, daß die UN-Organisation
für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) am 22. März ein
weltweites SOS ausgerufen hat, um dem Mangel an dieser geschätzten
Flüssigkeit entgegenzuwirken, wobei argumentiert wurde, daß
1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser haben und 3.800
Kinder täglich an Krankheiten sterben, die mit fehlendem
Trinkwasser in Zusammenhang stehen.
Hinzuzufügen wäre, daß im Jahr 2032 etwa 60% der
Weltbevölkerung in Regionen mit starkem Wassermangel leben werden,
wie Erkenntnisse einer von der Europäischen Union organisierten
Konferenz besagen, während der auch ersichtlich wurde, daß
diese Flüssigkeit für die transnationalen Unternehmen zu
einer lukrativen Ware geworden ist.
Beispiel dafür ist die Kommerzialisierung des Wassers als eine
Dienstleistung, die sich die großen Konzerne angeeignet haben.
Nachdem sie sich, dank der Privatisierungspolitik, die der FMI und die
Weltbank der Dritten Welt empfohlenen hatten, der Wasserquellen
bemächtigt haben, schicken sie den beraubten Eigentümern das
in Flaschen abgefüllte Wasser zurück.
Die Weltbank enthüllte indes, daß der Weltbedarf an
Süßwasser sich alle 20 Jahre verdoppelt, er wächst
zweimal schneller als die Bevölkerung.
Innerhalb dieses Panoramas, das durch eine immer endgültigere und
objektivere Bedrohung der Zukunft der Menschheit gekennzeichnet ist,
taucht jetzt dieser neue Plan auf, angeregt von den transnationalen
Unternehmen und insgeheim unterstützt von den
Erdölunternehmen, die, obwohl es paradox erscheint, die
Verwandlung von Nahrungsmitteln in Kraftstoff fördern, weil sie
wissen, daß die neuen Anlagen für die Produktion von
Äthanol als alternativen Kraftstoff eine größere Menge
an herkömmlichen Kraftstoffen aus Erdöl verbrauchen.
Es ist ein Teufelskreis oder, wie die Wissenschaftlerin Silvia Ribiero sagt, "die
Agrokraftstoffe sind ein Projekt der imperialen Rekolonialisierung, ein
neuer Überfall der transnationalen Industrien auf die
Bauernwirtschaft und die Ernährungssouveränität".
Es geht nicht darum, die Produktion von Äthanol an sich
abzulehnen, denn Brasilien entwickelt sie zum Beispiel seit mehr als 30
Jahren und die Vereinigten Staaten ebenfalls.
Es geht darum, daß seine massive Produktion zur teilweisen
Deckung des Bedarfs der Vereinigten Staaten und anderer Länder des
Nordens die Nahrungsmittelproduktion gefährden würde –
was sie schon macht – und eine fatale Konzentrierung der
Böden in den Händen der transnationalen Unternehmen
verursachen würde, mit all den umweltmäßigen, sozialen
und wirtschaftlichen Folgen in der Dritten Welt, denn es ist ihr Land,
das diesen Zwecken dienen wird. Dazu kommt die Schutzzollpolitik von
Washington und anderen, die dem Äthanolimport Zollschranken
auferlegen.
Und das sagen nicht wir. Das Internationale Forschungsinstitut für
Ernährungspolitik (IFPRI) in Washington D.C. hat unter
Berücksichtigung dessen, daß die Erdölpreise weiter
steigen werden, darauf hingewiesen, daß das Auswirkungen auf "das
schwindelerregende Wachstum der Produktion von Biokraftstoffen haben
wird, welches den Preis des Maises bis zum Jahr 2010 um 20% und bis
2020 um 41% erhöhen wird".
Ebenso prognostizieren sie, daß die Preise von ölhaltigen
Samen wie Soja, Raps und Sonnenblumen im gleichen Zeitraum um 26 bzw.
76% steigen werden und die Getreidepreise um 11 bzw. 30%. Dies bringt
eine Preissteigerung bei den Nahrungsmitteln, die diese Produkte als
Grundlage haben, mit sich.
Bei der Analyse der ärmsten Gebiete Subsahara-Afrikas, Asiens und
Lateinamerikas, in denen der Maniok ein Grundnahrungsmittel ist,
erwartet das IFPRI, daß dessen Preis bis 2010 um 33% und bis 2020
um 135% steigt. Daraus ergibt sich, daß die
Äthanolproduktion ausgehend von Maniok "eine ernste Bedrohung der Ernährungssicherheit der Ärmsten der Welt bedeuten könnte".
Der Maniok, fügt die erwähnte Untersuchung hinzu, sei dank
seines hohen Stärkegehalts eine ausgezeichnete Äthanolquelle
und erbringe ein Drittel des Kalorienbedarfs der Bevölkerung von
Subsahara-Afrika, da er das Grundnahrungsmittel von mehr als 200
Millionen der ärmsten Einwohnern dieser Region ist. In vielen
tropischen Ländern ist er das Nahrungsmittel, auf das die Menschen
zurückgreifen, wenn sie keine anderen bezahlen können.
2025 KÖNNTE DIE ZAHL DER HUNGERNDEN 1,2 MILLIARDEN BETRAGEN
In einer im Jahr 2003 durchgeführten Untersuchung über
weltweite Ernährungssicherheit wurde vorhergesagt, daß sich
entsprechend den wirtschaftlichen und demographischen Wachstumsraten
bis zum Jahr 2025 die Zahl der Hungernden auf der Welt um 23%, fast 625
Millionen Menschen, verringern würde, vorrausgesetzt, daß
die landwirtschaftliche Produktivität so wachsen würde,
daß die relativen Preise der Nahrungsmittel konstant gehalten
werden könnten.
Allerdings, so wird in der erwähnten, in der Zeitschrift Foreign
Affaire veröffentlichten Arbeit gewarnt, werde bei einer
Preiserhöhung der Grundnahrungsmittel aufgrund der Nachfrage nach
Biokraftstoffen die Zahl der Menschen in der Welt, die keine
Ernährungssicherheit haben, mit jedem Prozent der Erhöhung
des realen Preises der Grundnahrungsmittel jeweils um 16 Millionen
steigen. "In diesem Fall könnte es 2025 also 1,2 Milliarden hungernde Menschen geben, 600 Millionen mehr als die oben genannte Zahl."
Es ist der Moment gekommen, um zu wählen.
Verurteilen wir 1,2 Milliarden Menschen dazu, in einigen Jahren wegen
fehlender Nahrungsmittel an Hunger zu sterben? Lassen wir
gefühllos zu, daß die anbaufähigen Böden unseres
Planeten dazu benutzt werden, das Äthanol zu garantieren, das die
800 Millionen Autos benötigen werden, die heute auf den
Straßen zirkulieren? Gibt es eine Option, das zu verhindern?
Rühren wir an unser Bewußtsein. Erheben wir die Hand.
granma internacional / La Habana, Mai 2007
