1.Mai 2010:

Was will der DGB?

Vertiefende Handreichungen zu den Mai-Losungen des deutschen Gewerkschaftsbundes

Die DGB-Losungen lauten:
Wir gehen vor!
Gute Arbeit - Gerechte Löhne - Starker Sozialstaat

Nehmen wir mal das
»Wir gehen vor!« als »Wir haben Vorrang!«, dann fragt man sich: Vorrang vor wem? Vor dem Kapital - das kann nicht sein, denn es ist ja wohl an die Adresse desselben gerichtet, an wen sonst? Es meint nämlich: Wir haben Vorrang vor dem Profit und was für einem - doch dazu weiter unten. Eine nationale Attitüde ist dabei sofort unübersehbar: Es soll gleichzeitig heißen, Vorrang gegenüber dem Ausland, in das das Kapital sein Vermögen verlagert (bzw. mit einer Verlagerung droht), wenn ihm die Lohnkosten in der BRD zu hoch erscheinen. Doch was steht damit zur Debatte: Eben der Lohn und seine nationale Höhe; ein Moment das für die Gewerkschaft also höchst brisant ist. Könnte es das überhaupt sein, wenn man einen internationalen Kampf der Arbeiterklasse gegen das Kapital auf sein Banner geschrieben hätte? Hat sie aber nicht und so kämpft sie mit einem ganz anderen Problem, nämlich einem des Kapitals: der internationalen Standortfrage. Der DGB kämpft da mit, allerdings keineswegs souverän wie das Kapital, vielmehr national beschränkt.

Dem ein oder anderen, der das
»Vorgehen« gleich damit in Verbindung bringt, daß damit auch ein Gegenspieler im Spiel ist, gegen den man vorgeht, ja gegen den man vorgehen muß, wenn man vorgehen will, wird mit dieser Aussage sofort ein gewerkschaftliches Kontra gegeben: Ein Gegner, gegen den der DGB vorgeht, wird mitnichten gekannt und benannt. Wie auch: Er spricht ja von »wir«, das ja wohl jeden einschließt, der die abstrakt gehaltene Redeweise als solche nicht bestreiten möchte. Und wer redet hierzulande nicht in der ersten Person des nationalen Plurals?
Das Vorgehen ist also anders zu verstehen als wie ein Vorgehen gegen einen Gegenspieler. Es ist, als würde der DGB Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen: Er setzt - obwohl er auch anders könnte - einen seiner (roten) Figuren vor die (andersfarbigen) eines Mitspielers, obschon dieser ihn so beim nächsten Zug womöglich hinauswerfen kann. Die Botschaft an diesen ist: Verhalte Dich anständig, so wie ich mich verhalte, d.h. ich schlage Deine Figur nicht, ich streike nicht und ich werfe auch das Spiel nicht zusammen, weil ich mich sehr gut beherrschen und den Spielregeln unterwerfen kann: Ich jedenfalls habe kapiert, was es heißt: Mensch ärgere Dich nicht! Jetzt ist es an Dir, diesem
»Vorgehen« zu folgen! Ich habe die herrschende Ordnung unterschrieben mit allem, was dazugehört, aber bei Dir habe ich so meine Zweifel, jetzt füge Dich endlich und reihe Dich ein in unser Angebot des Anstands, sich gegenseitig zu vertragen. "Wenn ich anständige Verhältnisse für mich haben will, muß ich mich persönlich auch anständig verhalten, auch wenn es etwas teurer ist." (so die prinzipielle Einstellung des scheißpfurzanständigen IGM-Chefs Huber, im taz-Interview v. 30.04.10)

Der DGB spielt also mit den Interessen seiner Gefolgschaft, ja er setzt sie geradezu auf's Spiel. Er ist eine Art Lottospieler. Manch Arbeiter wird sich fragen, ob die Gewinnchancen mit seinem Einsatz im richtigen Lotto nicht erheblich höher sind als mit seinem gewerkschaftlichen Mitgliedsbeitrag, den der DGB mit seltsam klingenden Losungen
und Alibiveranstaltungen wie Warnstreiks ohne jeglichen ersichtlichen Nutzen für den Arbeiter selber auf den Kopf haut. Ja, es wird deutlich, daß sich mit der Losung "wir gehen vor" der DGB seiner Gefolgschaft gar nicht sicher ist, ja gar nicht sein kann, weil sich das überhaupt nicht von selber verstehen läßt: Die Losung zielt auf eine ziemlich blinde Gefolgschaft der Arbeiter. Eine die so blind ist, daß sie über der Gemeinschaftsbeschwörung mit dem DGB gar nicht mehr das überprüft, was unter dem Strich für sie herausschaut. Da schaut der passionierte Lottospieler übrigens auch kaum mehr hin: Es ist ihm ein Bedürfnis, ein Bedürfnis eines chancenlosen Fatalismus, auf etwas zu setzen, was er überhaupt nicht in den Händen hat, ja mit seinem Geldeinsatz aus den Händen gibt und erst ermöglicht. Es ist das affirmierte Abhängigkeitsbewußtsein, das auf die gesellschaftlichen Angebote wie Lotto, DGB (und es gibt noch eine ganze Latte mehr: von der Religion bis zur Blödzeitung) anspricht.
Das Problem, das für den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften dabei virulent wird, ist, daß die anderen seiner ureigenen Gefolgschaft weit besser erscheinende Angebote machen als er selber. Doch versuchen wir das anhand der folgenden Forderungen zu beleuchten, die als veritable Angebote an die Arbeiterklasse** - und nicht nur die - daherkommen:

1. Gute Arbeit: Was meint der DGB mit
»Gut«?
Ist die Arbeit, so sie gekauft wird, nicht immer so gut, wie der Preis, der für sie gezahlt wird? Das wohl, doch sie wird nicht genügend nachgefragt! Die Nachfrage soll steigen, wenn der DGB ein gutes Angebot vorlegt, also die Löhne entsprechend niedrig hält, die Arbeitszeiten hoch etc.
»Gute Arbeit« läßt sich also beim besten Willen gar nichts anders verstehen als ein zur Disposition-Stellen von Arbeiterinteressen. Das ist das - nach unten offene* - Angebot der Gewerkschaften ans Kapital.

2. Gerechte Löhne: Hat der DGB
»ungerechte« nicht etwa längst unterbunden?
Wenn man seinen Garten, so man einen hat, entsprechend bearbeitet, blühen die Blumen, Sträucher und Bäume. Sie sind der Lohn der Arbeit, an dem man sich erfreuen kann. Wenn man in einer Fabrik, in einem Supermarkt, auf einer Baustelle, in einem Büro für eine Firma arbeitet, dann kann man sich nicht freuen an den Produkten seiner Arbeit: Höchstens an einem "abstrakten" Lohn, den man für die geschaffenen Produkte bzw. Dienste erhält. Der läßt offenbar zu wünschen übrig, weshalb sonst würde der DGB dies als Forderung aufstellen. Er geht also davon aus, daß der Lohn ein (Lebens-)Mittel ist, das einen erfreuen kann, wenn, ja wenn es denn
»gerecht«ist. Doch wann ist es denn gerecht [bei den blühenden Blumen im Garten würde kaum einer auf die Idee kommen, das Kriterium »gerecht« anzuwenden!]? In welchem Verhältnis zu seiner Abhängigkeit ist denn das zu sehen, damit man diesem Mittel dieses Prädikat anhängen kann? Man sieht sogleich: So willkürlich es erscheinen mag, so wenig willkürlich ist es: Das Interesse des Kapitals wird nämlich mit diesem Prinzip als ebenso gerecht unterstellt und anerkannt. Umgekehrt möge das Kapital selber den bloßen Wunsch des DGB an einem gerechten Lohn anerkennen, so, daß die Gewerkschaft das wiederum für sich anerkennen kann, d.h. so, daß sie »vor« ihren Mitgliedern sich in die Brust werfen kann, wenn sie behauptet, die gerade ausgehandelten Löhne und Arbeitsbedingungen seien gerecht. Man sieht: ein objektives Maß für Gerechtigkeit gibt es nicht. Man sieht fernerhin, die grundlegende Abhängigkeit vom Kapital ist die Basis für die Herstellung von Gerechtigkeit, dieser rein moralischen Forderung. Dafür muß man natürlich nicht streiken, das wäre geradezu kontraproduktiv, unmoralisch und überhaupt wirklich gerechten Löhnen entgegengesetzt.

3. Starker Sozialstaat: Wünscht der DGB etwa Hilfe vom Staat?
Nun ist es ja eine Binsenweisheit, daß, je stärker der kapitalistische Staat sein will - und dieser Wille zu gewachsener Macht ist ihm immanent -, er umso unsozialer vorgehen muß. Umgekehrt, umgekehrt: Je sozialer er ist, desto eindringlicher muß er sich sagen (lassen), daß die sozialen Kosten auf Kosten seiner Macht, auf Kosten der Förderung der Grundlagen seiner Macht, also der Förderung des Kapitals, gehen. Diesen Widerspruch wirft der DGB ganz lässig in einem Antrag auf, der einmal mehr an den Tag legt, daß die Prädikate, die er Begriffen anfügt (gute - Arbeit; gerechte - Löhne; starker - Sozialstaat), so sachfremd sind wie völlig unkritisch: Sie sind die Bestätigung der eingehausten Verhältnisse, unter denen der DGB so gut leben kann, daß er an ihnen gar nichts ändern möchte. Doch was die Frechheit dabei ist: Er rät seinem Klientel, der Arbeiterschaft, offensiv davon ab, etwas ändern zu wollen, sich klar werden zu wollen, um welche wirklichen Verhältnisse es sich handelt: Er »geht vor«: Der Gott der Arbeiter, der DGB, ein starkes Stück jenes sozialen Staates selber.

Fazit:
Den Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital unterstellt, bringt ihn die Gewerkschaft auf eine Affäre moralischer Unstimmigkeiten herunter. Deshalb meidet er auch Begriffe wie Profit und Kapital. Denn damit würde er selber ja gegen die postulierte Anständigkeit verstoßen, die er dem
»Sozialpartner« immer vorwirft. Von Profiten ist denn auch höchstens und ausschließlich in einem Zusammenhang die Rede: nämlich in einem moralischen verwerflichen: Gerechte Profite, aber immer, aber maßlose, nie und nimmer, in Worten des IGM-Chefs: "Gier nach unbegrenzter Profitmaximierung". Also reine Definitionssache unter der Regie des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Unterorganisationen.

Daß der Deutsche Gewerkschaftsbund nicht als ein
»fortschrittlicher« Haufen wahrgenommen wird und beim besten Willen auch nicht werden kann, das scheint er übrigens - im Gegensatz zu ein paar besoffenen "Kommunisten", die ihn für eine "Gegenmacht" halten und daher gar mitunter um ihre Mitgliedschaft in ihm kämpfen, so sie ihnen bestritten wird - das scheint er selber zu merken: Früher wollte er mit dem Slogan »Vorwärts!« plakativ seine Fortschrittlichkeit bezeugen, sich damit von der Sozialromantik christlicher und gelber Arbeitnehmervereine abgrenzen, heute pflegt er konsequenterweise nicht einmal mehr der eigenen Konkurrenz zu widersprechen: Umso mehr muß er betonen, daß er »vor« geht und nicht zurück!

p.s. Zum Krieg in Afghanistan äußert sich der DGB nicht. Der betrifft nicht seine Zuständigkeit. Was sollte er auch dort vorgehen, wo alles in erster und bester Hand des Staates ist? Die Rüstungsarbeitsplätze jedenfalls sind ihm lieb und teuer, weil ganz ohne "Beschäftigungssicherung" sicher.
(30.04.10)

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* bis auf einen ziemlich lächerlichen Mindestlohn von bislang 7,50 € [ev. Korrektur auf 8,50 im Mai], gewiß; den Preis für den sollte man, einmal durchgesetzt unterstellt, aber auch nicht außer Acht lassen!
** es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch der DGB Trikotwerbung macht, z.B. bei den "Königsblauen" [Gelächter!]
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Literaturtip:
Der DGB - sechs Jahrzehnte Dienstleistung an der nationalen Arbeit in GegenStandpunkt 4-2009