So
nicht!
Für soziale
Gerechtigkeit zu demonstrieren ist jämmerlich!
Ein Armutszeugnis
für eine Gewerkschaft
Vor einem Jahr wurde frech gegen die
Krisenpolitik protestiert: "Wir zahlen nicht für eure Krise!"
Die heurige Demonstration geht davon aus, daß das Gegenteil der Fall
ist:
"Die Kosten der
Finanz- und Wirtschaftskrise werden auf den Schultern der kleinen
Leute abgeladen. Restriktive Sparprogramme, Kürzungen der
Sozialleistungen, Einschnitte in öffentliche Daseinsvorsorge und das
Bildungssystem verschlechtern die Lebens- und
Arbeitsbedingungen." (DGB-Demo-Aufruf)
Die Gewerkschaften mit all ihrer
Organisationsmacht haben das nicht verhindert. Denn sie haben es
nicht verhindern wollen. DGB-Chef Sommer findet es absolut in
Ordnung, daß seine Leute für die Krise zahlen, die sie nicht
verursacht haben. Er ist richtig stolz auf die Opfer, die sie für
die Rettung der Banken, des deutschen Kapitalismus und für den
Aufschwung der Gewinne bringen.
"Nachdem die
Finanzhaie und Wirtschaftsspekulanten die Welt an den Rand des
ökonomischen Abgrunds geführt haben, da waren wir, da waren die
Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer gut genug,
den ganzen Laden zu retten. Was wäre denn gewesen, ohne
unseren Lohnverzicht bei Kurzarbeit, ohne Milliardenschwere
Bankenrettungspakete, für die letztlich alle Steuerzahler gerade
stehen müssen. Es ist unstreitig, daß ein Wirtschaftseinbruch von
fünf Prozent dieses Land in eine soziale und wirtschaftliche
Katastrofe gestürzt hätte, wären wir nicht gewesen. Ohne die
Opfer der Arbeitnehmerschaft hätten
wir heute keinen Aufschwung."
Solchen Mist erzählt der DGB-Chef vor
Demonstranten am 6.11. in
Hannover. Für ihn ist es nur logisch, daß die
Arbeitnehmer in der Krise den Kapitalismus retten, in dem sie die
elende Rolle des »Kostenfaktors Arbeit« spielen. Sauer ist
Kollege Sommer allerdings, wenn der Dank des Vaterlands ausbleibt,
den er dafür erwartet hätte. Er ist allen Ernstes darüber
beleidigt, daß Regierung und Kapital die Lohnopfer der Arbeitnehmer
gerne einkassieren und zum Dank noch mehr davon verlangen. Was hat er
denn erwartet? Hat er noch nie etwas vom Interessengegensatz von
Arbeit und Kapital gehört? Sind Gewerkschaften nicht einmal
gegründet worden, weil die Arbeiter sich durch Lohnkampf holen
müssen, was die andere Seite nicht freiwillig herausrückt?
"Deutschland in Schieflage" - "Gerechtigkeit ist etwas anderes."
Heute haben die Arbeiter
eine Gewerkschaft, damit es eine Instanz gibt, die erstens die Opfer
organisiert und verantwortet, die das Kapital für seinen
Aufschwung
braucht, die zweitens das Jammern über den Undank der Bosse und
der
Regierenden übernimmt und die drittens auch dabei noch einen sehr
höflichen und patriotischen Ton anschlägt. Eine moderne
Gewerkschaft fordert nicht materielle Vorteile für ihre Leute
–
unterlegt mit der Drohung, was sie alles lahmlegen und kaputt machen
könnte, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Die
Kampforganisation der Arbeiterklasse, die anders könnte,
appelliert
wie ein ohnmächtiger Bittsteller an die Obrigkeit, sie möge
Gerechtigkeit walten lassen und auf die arbeitenden Menschen die
Rücksicht üben, die dann noch möglich ist, wenn für
die
Bankenrettung, den Euro, und den Aufschwung vorrangig alles Nötige
getan ist. An die materiellen Interessen der eigenen Mannschaft
erinnert der DGB nur sehr zurückhaltend, eingewickelt nämlich
in
die Sorge um die Gleichgewichtslage des deutschen Staatsschiffs, um
den inneren Zusammenhalt dieser Ausbeutungsgesellschaft und den
Erhalt ihrer sozialen Ordnung. Über eine Demonstration, die sich
dermaßen bescheiden und patriotisch präsentiert, können
regierende Politiker wie Kapitalfunktionäre nur lachen: Es ist die
Botschaft, daß sie nichts zu fürchten haben, wenn sie gerade
so
weitermachen wie bisher.
Die Forderungen des Herbstes: Große Frasen - schäbiger Inhalt.
"Wir brauchen einen Kurswechsel" - "Gute Arbeit" - "Gutes Auskommen im Alter" - "Ein gutes
Gesundheitssystem für alle!"
Warum werden
derart selbstverständliche Ansprüche ans Leben in diesem reichen
Land immerzu gefordert und doch nicht verwirklicht? Warum ist eine
Arbeit, die einen nicht gleich auffrißt und deren Entgelt ein
schönes Leben samt Wohlstand im Alter ermöglicht, für Arbeitnehmer
nicht oder nur in Ausnahmefällen zu haben? Würden sich
Gewerkschafter dieser Frage ehrlich stellen, müßten sie einräumen:
Sogar diese bescheidenen Ansprüche
sind unverträglich mit dem kapitalistischen System.
Was soll »gute
Arbeit« auch heißen in einer Wirtschaft, in der die
Nicht-Besitzenden davon leben müssen, daß sie Dienste für die
Vergrößerung fremder Vermögen leisten? Nur wenn und nur so lange,
also auch nur damit Kapitaleigner einen Gewinn aus ihnen
herauswirtschaften, gibt es für die Lohnabhängigen Gelegenheiten
zum Geldverdienen. Der Lohn muß knapp sein, damit er sich rentiert;
Leistungsdruck und Arbeitshetze sind ebenso systembedingt wie die
bleibende Existenzunsicherheit. Und im Alter stellt sich heraus, daß
– egal ob die Rente privat, betrieblich oder über Sozialkassen
organisiert ist - die meisten Arbeitnehmer im Leben nicht genug
verdienen können, um als Rentner »ein gutes Auskommen« zu haben.
Der DGB aber
denkt nicht daran, seine humanen Frasen ernst zu nehmen:
- Der
DGB fordert »gute Arbeit für alle« und meint einen Mindestlohn
von 7,50 €. Ist das gutes Geld für gute Arbeit, wenn ein
Vollzeit-Arbeiter von ca. 1200.- € brutto im Monat sein Leben
bestreiten muß? Die Forderung hat gute Aussichten: Die
schwarz-gelbe Regierung verordnet selbst in vielen Branchen
Mindestlöhne, die Opposition will sie in allen.
- Der DGB sagt: »Leiharbeit ist
moderner Sklavenhandel« und will dann gar nicht die Leiharbeit,
sondern nur ihren »Mißbrauch« verboten bekommen: Ihr korrekter
Gebrauch liegt vor, wenn Leiharbeiter nach Basistarifen der Firmen
entlohnt werden, in denen sie arbeiten. Das soll es sein? Ist die
Welt voll guter Arbeit, wenn Leute, die täglich gefeuert werden
können, für die Tage/Wochen/Monate, die sie in einer Firma sind, »equal pay« erhalten? Auch in dieser Sache steht der DGB nicht
allein: Arbeitsministerin von der Leyen bastelt selbst an einem
Gesetz gegen den Mißbrauch der Leiharbeit.
- Der
DGB fordert: »Altersarmut darf keine Perspektive für Millionen
sein.« – und wendet sich so gegen die Rente mit 67. Es
stimmt schon, daß die Verschiebung des gesetzlichen Rentenbeginns
um 2 Jahre die Altersarmut verschlimmern wird; es stimmt aber nicht,
daß die immer wieder abgesenkte Rentenformel »gutes
Auskommen im Alter« sichern
würde, wenn nur die allerletzte Verschlechterung
unterbliebe. Hierzu versprechen SPD, Grüne und Linke lauwarme
Unterstützung.
- Die Arbeitnehmer haben sich in
Krise und Aufschwung viel wegnehmen lassen und sind ärmer als
zuvor. Jetzt fordert der DGB für sie einen »fairen Anteil« an
dem Aufschwung, der auf ihre Kosten geht. Das ist die
aussichtsreichste seiner Forderungen, denn FDP-Wirtschaftsminister
Brüderle empfiehlt selbst schon um circa 3% höhere Löhne.
So geht vernünftige und realistische Gewerkschaftspolitik: Jeder
Verschlechterung der Lebenslage der Lohnabhängigen läuft man mit
dem Antrag hinterher, daß es doch bitte so schlecht bleiben sollte,
wie es gestern war. Und stets tritt man dabei für staatliche
Regelungen ein, die man vor ein paar Jahren als nicht hinnehmbare
Angriffe auf den Sozialstaat beklagt hatte. Forderungen stellt man
so, daß sie ein bißchen über das hinaus gehen, was die Regierung
sowieso plant. So
hat der Gewerkschaftsbund, der gar nichts stören will, gute
Chancen, als nützlicher Idiotenverein des Klassenstaats von diesem
weiterhin anerkannt zu werden.
(11.11.10)