Der Brief von attac:
Sehr
geehrte KoKa-Redaktion,
wir
würden es sehr begrüßen, wenn Ihr bereit seid, diesen ausführlichen Artikel in
Eure Berichterstattung aufzunehmen. Er steht als Beispiel, was sehr ähnlich und
teils drastischer auch viele andere Anreisegruppen von Demos z. Zt. erleben
müssen.
Mit
freundlichem Gruß
x.x.
Attac-Augsburg
Arbeitskreis Soziales
Ein Bus der "Augsburger Friedensinitiative" mit
Teilnehmern aus den Gruppen der sozialen und Antikriegsbewegung (Attac
bis Pax Christi u.a.) war am 4. April nach Kehl/Strassburg
zur Anti-Nato-Demo unterwegs. Die Reisegruppe erlitt hautnah die
Polizeiwillkür gegen die Versammlungs- und
Demonstrations-Freiheit. Das Erlebte konterkariert die
verfälschende Berichterstattung der Massenmedien, das
Gewaltpotential einseitig den Demonstranten anzulasten. Bei der zu
erwartenden weiteren öffentlichen Auseinandersetzungen in der
Folgezeit der Wirtschafts- und Finanzkrise ist eine alternative
Berichterstattung wichtig, die veranschaulicht, dass systematisch
"Ordnungskräfte" benutzt werden (sich benutzen lassen), eine
starke Protestbewegung von unten zu behindern. Deswegen der folgende
Bericht:
Die staatliche Gewalt gegen Kriegsgegner
und ein Beispiel, wie unliebsame Demonstrantionen verhindert werden.
1) Zuerst
eine symptomatische Beschreibung:
Die
Verhinderung eines starken Protestes gegen die Fortsetzung der
Nato-Kriegspolitik bei der 60 Jahre-Nato-Geburtstagsfeier in Strassburg war
schon im Vorfeld beschlossenes Ziel der politischen Eliten.
Die politische Interessenlage bestimmt auch die
Planung von Polizeiaktionen, um emotionelle Reaktionen auf
Demonstrationsbewegungen im voraus zu steuern. "Gewalt erzeugt Gewalt"
ist ein bewährtes Mittel, mit dem es medienwirksam gelingt, vor
der Öffentlichkeit die inhaltlichen Motive der Demonstranten zu
verschleiern. In diesem Sinne galt für die
Strassburg-Vorbereitungen die Anwendung des provozierenden und zugleich
einschüchternden Einsatzes staatlicher Gewalt-Übermacht und
sogar die Absicht, Aggressivität von Seiten der
Polizeieinsätze zu schüren.
Massenhafter und martialischer Aufwand richtet sich einschüchternd gegen
sämtliche Demonstranten. Mit weit weniger Polizeipotential könnten gezielt und
wahrscheinlich effektiver gewalttätige Gruppierungen ausgegrenzt werden. Dafür
gibt es einige positive Beispiele, dass bei zurückhaltendem Agieren der Polizei
die große Mehrheit der Demonstranten sehr unterstützend und deeskalierend wirkt,
Gewalttaten zu verhindern. Doch dass sich beim Nato-Gipfel ausgerechnet die
Kriegsgegner so massenhaft artikulieren wollten, wurde von Staatsseite als
unerträglich störend empfunden!
Wir
erlebten einmal mehr, dass wir und andere friedliche Demonstranten schon auf dem
Wege zum Versammlungsort durch rigoroses Vorgehen von Polizeieinheiten bei
Kontroll- und Absperrmaßnahmen immer mehr in unseren Grundrechten eingeschränkt
werden.
2) Konkret unser Demo-Reiseerlebnis:
Unser Bus
der "Augsburger Friedensinitiative" wurde über 1 ¾ Stunden mit 41 Teilnehmern im
Alter von unter 20 und bis über 70 Jahre etwa 10 km vor Kehl/Strassburg am
Straßenrand durch einen Kontrolltrupp von anfangs ca. 15 Polizisten /
Polizistinnen gestoppt und auch von einem Sicherheitsposten mit schussbereitem
Gewehr überwacht. Nach Überprüfung der mitgeführten Gegenstände und aller zuerst
noch einzeln herausgerufenen Personen der jüngeren Generation, die abgetastet
und datenmäßig erfasst wurden, hatte die Polizei keinen Anlass zu Beanstandung
gefunden.
Im Bus wurde Unmut laut, weil Polizisten auf unsere Rückfrage alle
jungen Leute als "potentiell verdächtig" bezeichneten. Die Folge war, dass
plötzlich eine Hundertschaft Polizisten / Polizistinnen herbeigerufen wurde, die
mit einer in der Nähe bereitstehenden Fahrzeugkolonne aus ca. 15 Wagen
anrückten, um nun alle Demonstranten "abzuarbeiten" (Polizeiterminologie). Jetzt
wurde jeder einzelne Mitfahrer mit einer besonders schikanösen Überprüfung
drangsaliert, durch eine Kontroll- / Festsetzungs-Prozedur, die selbst für Strafverdächtige drastisch
wäre. Beanstandungen von uns wurden vom offensichtlich eingeübten Kommentar
begleitet, man wolle potentiell Gewaltbereite zurückhalten, damit wir
friedlich demonstrieren
könnten.
Jeder von
uns bekam 2 bis 3 Polizeibewachungen, die uns als einzelne Grüppchen teils bis
50m vom Bus entfernt selektierten und nicht erlaubten, sich fortzubewegen –
auch nicht für den Weg zur Bustoilette oder um etwas zu
trinken. Personalausweise wurden eingezogen und die Personalien zur
Datenkontrolle eigens in
Erfassungsblätter übertragen. Körperabtastungen jüngerer Leute und akribische
Kontrolle von Rucksäcken, Taschen, Kleidungsstücken wurden vereinzelt sogar
mehrfach wiederholt.
Nur wer die Prozedur hinter sich hatte, konnte durch
eine Polizisten-Sperrreihe zu den anderen Mitreisenden, um weiterhin unter
Bewachung im Freien zu warten.
Währenddessen beobachtete der Busfahrer, dass im Bus alle persönlichen
Gegenstände der Reisenden gefilzt und gefilmt wurden.
Von einem absolut zivil
gekleideten jungen Mann wurden nach besonders langwieriger Einvernahme dann ein
Rollpulli, ein Dreieckstuch und eine Fahrrad-Regenschutzhose beschlagnahmt. Er
erhielt eine Anzeige wegen Vermummungskleidung.
Als
wir endlich nach weiteren Kontrollhalts am Stadtrand von Kehl den Bus nach
Polizeianweisung verließen, war es für die Auftaktkundgebung bereits zu spät.
Wir zogen, wie weitere Bustrupps, in kleinen Gruppen in Richtung Kehl-Bahnhof
nahe der Rhein-Europa-Brücke zum Demonstrationszug. Ab mehr als 1 km davor war
die Straße beidseits mit Absperrgittern und Tausenden gerüsteten schwarzen
Polizisten eng an eng gesäumt. Ob viele weitere der insgesamt etwa 6000
anreisenden Demonstranten das Versammlungsziel Kehl überhaupt erreichen konnten,
war zweifelhaft.
Am zentralen Sammelpunkt in einem Straßenbereich mit Blick
nach Strassburg auf die andere Rheinseite war der Demozug blockiert durch ein
riesiges Aufgebot behelmter und bewaffneter Polizisten. Wasserwerfer sperrten
zusätzlich den Weg zur Rheinbrücke. Stundenlange Verhandlungen des
Organisations-Komitees mit den deutschen Polizeiführern brachten keine Einigung,
den Weg zur Europa-Brücke nach Strassburg freizugeben. Bewundernswert friedlich
blieb die abwartende Kolonne der Demonstranten. Jedoch die innere Aggression
kochte, nachdem sich die nach und nach verringernde Zahl auf unter 2000
Demonstrierende weiter einer Phalanx bis 10facher Polizistenzahl gegenüber sah.
Als dann von Strassburg die schwarzen Wolken der Brandherde aufstiegen, wurde
endgültig klar, dass bei uns nur noch
vor Ort eine provisorisch organisierte Schlusskundgebung deutlich machen konnte,
dass hier die Staatsmacht mit ihren 15
000 eingesetzten Polizisten ihr Gewaltmonopol voll gegen die demokratischen
Rechte der Bürger durchgedrückt hatte.
3)
Fazit:
Die
jüngsten Demos in dieser allgegenwärtigen Krisenzeit verunsichern die
Regierenden. Diese aber proben offensichtlich den Testfall, ob es gelingt, mit
rigorosem Einsatz des staatlichen "Ruhe-und Ordnungshüter"-Potentials die
Demonstranten im Zaum zu halten. Die Regierenden fürchten aber auch, dass die
politischen Motive der Demonstranten über die Nachrichten in den Medien um sich
greifen. Deswegen werden Berichte über einzelne Gewaltakte in den Massenmedien
forciert und das massive Staatsgewaltaufgebot wird zugleich als
friedensnotwendige Maßnahme begründet.
Doch die Welle einer unruhigen und
fordernden Protestbewegung aus großen Teilen der Bevölkerung wird ansteigen. Der
Showdown aus dieser verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik, deren dramatische
Folgen nach und nach immer mehr Menschen einschneidend treffen, hat erst
begonnen. Mit einer starken Bewegung von unten wird sich die Bevölkerung Gehör
verschaffen und einen grundlegend neuen Umbau für die Lebensumstände der
Allgemeinheit durchsetzen wollen.
(Soweit attac)
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Hier unsere Antwort:
Wir hatten schon mal festgestellt und tun es
immer wieder mal, was es mit der "freien Meinungsäußerung"
auf sich hat, die das Grundgesetz gewährt: Man soll diesem
grandiosen Staat dafür dankbar sein, daß er diese
gewährt - im
Gegensatz zu den Staaten, denen er den Ehrentitel eines "Rechtsstaats"
verweigert -; man soll ihm am besten auf diese Weise dankbar sein,
daß man gleich ganz davon absieht, Kritik an ihm und seiner
kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu üben. Denn dann macht man
sich in seinen Augen
sehr verdächtig, diesbezüglich nämlich, daß man
jene fulminante Freiheit der Meinungsäußerung - die faktisch
übrigens unter den Fittichen seiner Protagonisten steht und zu
stehen hat! - abschaffen
wolle und mit ihm auch den vortrefflichen Staat, der so reich an
demokratischen Gnaden ist.
Mit dieser rein sachlichen Feststellung auf
Gehör zu stoßen, ist selten der Fall, gerade auch bei
Leuten, denen wie Euch z.B. doch einiges an diesem demokratischen Staat
auf- und so gar nicht (mehr) gefällt.
Jetzt hat der Staat selbst an Euch
höchstpersönlich ein Exempel veranstaltet, mit dem er
klargestellt hat, was unter "demokratischen Rechten" offiziellerweise
zu verstehen ist: Der von Euch konstatierte Widerspruch zwischen
Gewaltmonopol und demokratischen Rechten ist keiner!
Diese staatliche Klarstellung, die solltet Ihr
schon ernst nehmen (auch im Interesse Eurer eigenen psychischen und
fysischen Gesundheit).
Was hat es denn auch für einen Zweck, sich
auf seinen Idealismus herauszureden? Soll das etwa eine Bitte an den
Staat sein, Euch doch wenigstens nicht gleich in ein KZ zu stecken (in
das nur die ganz Abartigen gehören?)? Nein, das tut der Staat
(noch) nicht (wieder); allerdings liegt auch das in seiner Freiheit des
Ermessens. Ja, da ist was dran, wenn Ihr sagt, daß der Staat auf
seine Art auf Krisen reagiert: In den 60er Jahren wurden
bekanntermaßen die (noch heute gültigen) Notstandsgesetze
geschaffen und die damaligen Kritiker wunderten sich wie Ihr heute, wie
das möglich sein kann.
Doch was hilft es, den Staat mit seiner Gewalt
anders zu interpretieren als er ist und zuschlägt? Gewalt und
Terror haben durchaus den Zweck, die großen
Bevölkerungsteile, die ihr schon protestieren seht, zu erschrecken
und in den Zustand einer "Politikverdrossenheit" zu
treiben. Freilich nicht so, daß sie sich nicht als Stimmvieh
auch gleich der ewigen Wählerei enthalten. Woran man übrigens
sieht, daß es für den Staat gar nicht so leicht ist, sich
seinen Idealbürger zu schnitzen. Aber soll man ihm diesen
unverschämten Anspruch wenigstens bzw. diesen auch noch als
Entschuldigung durchgehen lassen?