Make Love Not War: Moral als Kritik (Neuauflage № 2009)

Lesen wir einmal den Ostermarschaufruf der Augsburger Friedensinitative* (AFI) aufmerksam und wohlwollend kritisch:

Das Jahr 2009 hat nicht gut begonnen. Israel bombardierte den Gaza-Streifen, der Krieg in Afghanistan eskaliert immer weiter und auch im Irak ist kein wirklicher Friede in Sicht – trotz des durch den neuen US-Präsidenten Barack Obama angekündigten Teilabzugs der amerikanischen Truppen.

So weit, so scharf beobachtet.

Das alles beweist einmal mehr, daß sich Konflikte durch Kriege und Gewaltaktionen nicht bewältigen lassen. Mit Kriegen kann man auch keinen Terrorismus bekämpfen – Krieg ist selbst Terror!

Hier fragt sich doch, ob Konflikte einfach so, quasi naturgegeben, in der Welt auftreten. Wenn die Autoren das so nicht behaupten wollen, warum sehen sie dann davon ab, einmal die auf der Welt herrschenden Zwecke und die ihnen unterlegten Interessen ins Visier zu nehmen? Gleich gehen sie auf die Mittel und auf das drastischste Mittel los, das die Herrschaften der Welt für ihre Interessen in Anschlag bringen, auf die Anwendung von staatlicher Gewalt, auf Krieg. So gesehen wollen sie gar nicht mehr groß unterscheiden zwischen einem staatlichen Auftrag und einer ziemlich ohnmächtigen Gegenwehr, alles ist schlecht, weil alles irgendwie nicht Liebe**, sondern Terror.

Nötig sind die Beendigung aller Einsätze der Bundeswehr und ein ernsthaftes Engagement der Bundesregierung für eine Beendigung aller Kriege weltweit, auch der "vergessenen" Kriege in Afrika oder Asien. Weitere Punkte sind die Auflösung der ausländischen Militärstützpunkte, eine umfassende Abrüstung und die Abschaffung der NATO. Israel und die Palästinenser müssen dazu gebracht werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Nötig dazu sind aber nicht nur ein Stopp der Raketenangriffe auf israelische Städte und ein Ende der Selbstmordattentate, sondern auch das Ende der israelischen Attacken, der menschenverachtenden Blockade des Gazastreifens sowie der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik und des Mauerbaus. Ohne einen eigenständigen, ökonomisch lebensfähigen palästinensischen Staat wird der Koflikt kein Ende finden. In Afghanistan ist die Anwesenheit von US- und NATO-Truppen das Hauptproblem und verhindert einen zivilen Aufbau. Eine dauerhafte Lösung kann nur durch den Abzug aller ausländischen Truppen und mit Unterstützung der afghanischen Nachbarstaaten erzielt werden. Auch im Irak kann letztlich nur ein kompletter Abzug der ausländischen Truppen Frieden bringen.

Habt Ihr erst einmal seine Abscheu kundgetan, folgert Ihr daraus Politisches: Ihr macht Euch gar nicht lange darüber her, daß Deutschland mit seiner Bundeswehr ja angeblich im allzu humanitären Auftrag seine Kriege führt, also sozusagen Kriege als Entwicklungshilfe. Die, wie Ihr unterstellt, überflüssigerweise hochgerüsteten Staaten wie Deutschland stehen seltsamerweise sowieso außer Eurer Kritik, lediglich die derzeit amtierenden Regierungen vergehen sich. Und das auch noch am jeweils eigenen nationalen Auftrag der Friedensschaffung. -
Doch einmal im Ernst betrachtet: Wie soll denn das gehen, beispielsweise Israel und die Palästinenser zum Frieden zu zwingen - ohne Gewalt (bzw. zumindest ohne ihre ernsthafte Androhung)? Vielleicht wäre es auch angebracht, mal zu fragen, wie das (supra)staatliche Interesse an einer Nahostlösung beschaffen ist und warum die Gewalt staatlicherseits immer so einseitig verurteilt wird, was Ihr ja offenbar und sympathieerregenderweise gar nicht leiden könnt.
Kurz: Es wäre doch mal angebracht zu überprüfen, ob man selber die gleichen Interesssen wie der Staat in Form seiner Regierung verfolgt, oder ob Ihr nicht den kleinsten - ideellen - Nenner sucht, um Eure Gefolgschaft den - als Subjekten des Geschehens identifizierten - Staaten gegenüber nicht aufkündigen zu müssen, was Eurer Analyse nach (jedenfalls solange sie nicht ins Moralische abgleitet) angebracht wäre.
Und um auf Eure Abscheu zurückzukommen: Ausgerechnet sich gegenüber denjenigen so bittstellerisch zu verhalten, die weltweit Kriege beaufsichtigen und führen, ist das nicht auch ein wenig abstoßend? Oder, Hand aufs Herz, glaubt Ihr nicht auch doch irgendwie noch gar nicht so verdrossen an das Gute in den Kriegen der Aufsichtsmächte, in den Aufsichtsmächten selber nämlich?

Die beste Lösung für eine Beilegung des Streits um das iranische Atomprogramm wäre die Installation einer atomwaffenfreien Zone in der Region unter Einbeziehung Israels und der Überwachung durch die UNO. Vor allem müssen aber die großen Atommächte endlich die Vorgaben des Atomwaffensperrvertrags erfüllen und mit der vollständigen Beseitigung ihrer Kernwaffen beginnen. Wir setzen uns Für ein Ende aller Kriege Augsburger Ostermarsch 2009 für den Abzug aller Atomwaffen von deutschem Territorium und die Beendigung der direkten oder indirekten nuklearen Teilhabe der Bundeswehr ein. Wir unterstützen alle Initiativen und Kampagnen, die auf atomare Abrüstung gerichtet sind, wie z.B. "unsere Zukunft - atomwaffenfrei" und die internationale Bürgermeister-Initiative "Mayors for Peace", der auch die Stadt Augsburg angehört. Wünschenswert wäre, daß sich die Stadt auch für die Konversion der Augsburger Rüstungsbetriebe einsetzt und die Patenschaft für die Fregatte Augsburg beendet.

Eine möglichst weltweite atomwaffenfreie Zone - wer möchte dem nicht zustimmen? Fragt sich bloß, warum ihr damit ausgerechnet bei den politisch Verantwortlichen einschließlich der einstigen Peace-Partei Die Grünen so überhaupt keine offenen Türen einrennt. Fragt sich ferner, ob ihr auf diesem ideellen Standpunkt kontrafaktisch bis zur endgültigen NATO-gerechten Gleichschaltung der Welt verharren wollt? Ist die Fregatte schon versenkt, wenn sie nicht mehr Augsburg hieße, dienen die Betriebe nicht mehr dem "ungerechten" Wirtschaftssystem, wenn sie statt Rüstung beispielsweise Spielzeug produzierten?

Apropos NATO, dieses in Euren Augen sittenwidrige Monstrum führt ihr so plastisch an, wie Euch es Eure pure Entrüstung eingibt:

In diesem Jahr feiert die NATO das 60-jährige Jubiläum ihrer Gründung. Das westliche Militärbündnis war Jahrzehnte lang Antreiber des Wettrüstens und dient seit dem Ende des Kalten Krieges dazu, die westliche Vorherrschaft militärisch abzusichern. Die NATO zementiert aber nicht nur eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung, sondern sie führte und führt auch völkerrechtswidrige Kriege – 1999 im ehemaligen Jugoslawien und bis heute in Afghanistan. Wir meinen, daß es hier nichts zu feiern gibt und die NATO sich stattdessen besser auflösen sollte.

"Zementiert nicht nur Wirtschaftsordnung, sondern führt auch Kriege", als ob das eine und das andere nicht notwenigerweise wechselseitigen Bezug hätten. Warum wollt Ihr Euch an dieser Stelle darüber nicht näher auslassen? Das wäre doch mal wirklich interessant! -
Aber immerhin, da habt ihr sogar mal einen Zweck benannt, die westliche Vorherrschaft und wofür sie steht, weniger für eine "ungerechte" Weltwirtschaftsordnung - das ist schon wieder Eure moralische Interpretation -, als für eine kapitalistische, die selbstredend Klassen kennt, von denen ihr hier nicht sprechen wollt, weil ihr ja alle Menschen guten Willens einbeziehen wollt, auch und gerade die Protagonisten dieser Vorherrschaft selber, vielleicht sogar geldkritische Finanzmagnaten und rüstungsunwillige Rüstungsunternehmer. -
Das Völkerrecht steht übrigens nicht über den Staaten, sondern die Staaten, die es aufgestellt haben, bedienen sich seiner, so gut sie vermögen. Verurteilt werden können sie zwar auch, allerdings folgenlos, sofern sie eine der überlegenen Mächte darstellen. (Näheres zum Völkerrecht übrigens in GegenStandpunkt 1/1999)

Selbst aktiv werden

Die Ziele der UNO-Charta, auf der Grundlage des Völkerrechts "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren" und "den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern", sind aktueller denn je. Denn gerade angesichts der internationalen Finanzkrise kann es nicht angehen, daß Milliarden von Euro für die Rüstung und die Führung von Kriegen verschleudert werden – Geld mit dem sich in den armen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Bildungs- und Gesundheitsprogramme finanzieren ließen. Abrüstung, Frieden und sozialer Fortschritt können nur durch außerparlamentarische Bewegung und gesellschaftliche Aufklärung errungen werden. Hier müssen auch Sie selbst als Bürgerin oder Bürger aktiv werden!
Beteiligen Sie sich an der Osteraktion, arbeiten Sie bei Friedensinitiativen oder Gruppen mit, die sich für soziale Gerechtigkeit und ein faires Weltwirtschaftssystem einsetzen.

Soll der Sinn der Aktivität nicht in seiner Sinnhaftigkeit per se bestehen, sondern auch noch einen Ausweg aus der Scheiße aufzeigen, dann müßte man sich allerdings schon selbstkritisch gegenübertreten. Eine Befreiung aus seinen eigenen Illusionen über die herrschende Weltordnung - aus Geschäft und Gewalt einerseits, aus seiner Friede-Freude-Eierkuchen-Ideologie andrerseits - wäre dazu ratsam. Ansonsten resultiert die Aktivität ja hauptsächlich in der Beruhigung eigenen Gewissens, überhaupt etwas getan zu haben. Ja, man kann etwas tun, vor allem aber mal was Richtiges tun, wenn man sich den Standpunkt abschminkt, der Welt moralisch gegenüberzutreten. Die Welt in Gut und Böse einteilen, das macht jeder Pfaffe, und es ist albern, zu meinen, Wunder wie revolutionär man wäre, wenn man das Plus und Minus einfach anders herum verteilt.

Mit freundlichen Grüßen,
koka@koka-augsburg.com
(02.04.09)

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* Unterstützer dieses Aufrufs:
• Augsburger Friedensinitiative (AFI) • Attac • Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) • Die Linke • DKP • Forum solidarisches und friedliches Augsburg • Linksjugend Solid Augsburg • Pax Christi • SDAJ-Augsburg • VVN/BdA • Werkstatt Solidarische Welt e.V. - [
Die Grünen haben sich - konsequent für ihre Machtambitionen zusammen mit SPD und FDP! die nächste Bundesregierung zu stellen - ausgeklinkt.]
** "make love not war", wahlweise: Frieden