Kapitalistische Weltregeln
1.
Die WTO besteht neuerdings auf "Reziprozität": Sie besteht im Verhältnis AKP-Staaten - EU auf der Revision bestehender Verträge (Lomé 1975 und Cotonou 2000), die sie als einseitige Bevorzugung afrikanischer-karibisch-pazifischer Interessen interpretiert; sie besteht also zumindest auf der Ersetzung dieser Verträge, in denen die Entwicklungsländer sich den Industriestaaten nicht völlig öffnen mußten und die Europäer selber im Gegenzug einige ihrer landwirtschaftlichen Produkte per Zollschranken schützen konnten. Die WTO tut so, als seien diese Verträge ziemlich grundlos, genau so, geradezu ohne jegliche Abhängigkeit und jenseits eines Grundes für diese Abhängigkeit getroffen worden. Sie will nicht länger darüber hinwegsehen, daß diese Verträge zu genau dem Zustand geführt haben, der ihr jetzt so unzureichend erscheint, gemessen an den - einigermaßen abstrakten - Ansprüchen "globaler Entwicklung". Ihr Schluß daraus: Das ganze war ja überhaupt nicht richtig konsequent angelegt! Also machen wir jetzt mal Nägel mit Köpfen!
Die neuen Verträge - EPAs: economic partnership agreements - sehen eine Öffnung der Märkte der AKP-Staaten wenigstens zu 80 Prozent für Produkte aus der EU vor. Für die Öffnung der Märkte für die restlichen 20 Prozent haben sie 15 Jahre Zeit. Im Gegenzug gibt die EU ihre "sensiblen" landwirtschaftlichen Produkte wie Zucker, Fleisch und Bananen für den zollfreien Import frei.

Innereuropäische Konkurrenz
2. Insbesondere die BRD hat sich an den Berechnungen, die Frankreich immer wieder und jüngst mit Libyen in einem Maße aufgemacht hat, dermaßen gestört, daß die Blockade, die EU-Gesprächen mit Afrika hauptsächlich seitens Großbritanniens aufgemacht worden war, durchbrochen werden mußte.
Seit den Kairoer Gesprächen im Jahre 2000 hatte es wegen prinzipieller Vorbehalte gegen Zimbabwe (- der ehemaligen britischen Kolonie Rhodesien, welche nach ihrer "Unabhängigkeit" zunächst ein von Großbritannien gestütztes Apartheidsregime war und dessen letzte Reste - die Enteignung weißer Großgrundbesitzer - erst 2002 entsorgt wurden, also 22 Jahre nach der politischen Machtübernahme der schwarzen Bevölkerungsmehrheit -), auf dessen Ausschluß Großbritannien bestand und dem seitens der afrikanischen Staaten nicht stattgegeben wurde, alle Gespräche auf EU-Ebene blockiert.
Frankreich hat an Libyen rund 230 Millionen Euro für die AIDS-Opfer gezahlt, um die, der Infizierung beschuldigten und verurteilten, bulgarischen Krankenschwestern ausgeliefert zu bekommen. Die Schuldfrage war von der BRD und von Großbritannien im Sinne ihres unumstößlichen Feindbildes Gadafi klar entschieden und bedurfte daher keiner "Gegenleistung". Frankreich hatte damit jedoch anerkannt, daß, wenn schon nicht vorsätzlich, so zumindest fahrlässig die Beschuldigten für die Infizierung verantwortlich waren, was ja auch der Wahrheit - an der ein zementiert feststehendes Feindbild freilich kein Interesse hat - entsprechen dürfte.
Als dann kurz darauf auch noch das Atomabkommen von Sarkozy und Gadafi zwischen beiden Staaten geschlossen wurde, schwollen der EU-imperialistischen Konkurrenz endgültig die Kämme. Jenes Abkommen sieht den Bau eines französischen Atomreaktors zum Betrieb einer Meerwasserentsalzungsanlage vor sowie ein Projekt zur Erschließung von Uranvorkommen in Libyen, die dort vermutet werden - neben ca. 1600 Tonnen, die Libyen bereits auf Lager haben soll. Die BRD sah prompt "europäische Sicherheitsiteressen" auf dem Spiel und damit auf der Tagesordnung stehend.

Fragen der Sicherheit
3. Die Energiefrage spielt auch jenseits des französisch-libyschen Uran-Deals eine wesentliche Rolle. Die EU ist an Erdölpipelines aus Algerien und Libyen durchs Mittelmeer interessiert, Erdgas könnte gar aus Nigeria via Algerien mittels Pipeline nach Europa geliefert werden  - das Argument ist klar: Mehr Unabhängigkeit von Rußland und überhaupt. Im Gegenzug möchte man natürlich Technologien alternativer Energiegewinnung verkaufen. Gerade die Solartechnik sei für Afrika ja alles andere als uninteressant.
Afrika in den weltweiten Handel mit CO-2 Emissionszertifikaten einzubeziehen, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein offen ausgedrücktes Interesse der EU. 
Gerade die Energiefrage verweist freilich schon auf den nächsten Punkt, der außereuropäischer Konkurrenz:

Außereuropäische Konkurrenz
4. Wem gehört Afrika? China hat seinen Handel mit Afrika von 2005 auf 2006, also binnen 12 Monate, um 43 % von 30 auf 43 Mrd. Euro gesteigert. Die EU liegt zwar mit 125 Mrd. Euro (Importe) und 92 Mrd. (Exporte) noch weit voran, doch China bietet einige Vorteile für die afrikanischen "Partner": Es bezahlt seine Rohstoffimporte vielfach mit einfachen Konsumgütern, die in Afrika leichter erschwinglich sind, leichter als vergleichbare Produkte aus Europa. Die Preise für gehobenere Güter, die auch China mittlerweile anbieten kann, sind "partnerschaftlicher" als die der EU: China bietet Produkte aus strategischer Berechnung zum Freundschaftspreis bzw. zum normalen Preis nebst anderweitigen Gratifikationen. Eben das sehr zum Ärger der EU, die partout nichts verschenken zu können glaubt.
Wenn afrikanische Staaten die europäische Präferenz nicht zu schätzen wissen, geraten sie sehr leicht auf die Anklagebank in Sachen "Menschenrechte". Umgekehrt, wenn sie diese Präferenz anerkennen, dann geht auch so mancher Krieg in Ordnung, dann werden sie auch für manchen Krieg ausgerüstet - gerade Frankreich ist da ja seit je her selten kleinlich gewesen (z.B. Elfenbeinküste, Tschad, Ruanda); hingegen scheint Deutschland den Part übernommen zu haben, auf Staaten zu achten, die aus dem Ruder, d.h. aus der Kontrolle und aus hauptsächlich europäischer Verfügbarkeit, zu laufen drohen (Kongo, Angola) bzw. bereits wieder eingefangen werden müssen (Sudan).
Natürlich mischen auch die USA in Afrika kräftig mit, wozu die EU doch betonen muß, daß das seit je her ihr Hinterhof ist, also sie selbstredend bereit ist, die "Bürde der Verantwortung" zu tragen! (Der Beweis fällt ihr freilich bisweilen weniger leicht.)

Inter Press Service: "Vor Weihnachten hatte ich ein Gespräch mit Rob Davies, dem stellvertretendem Handelsminister von Südafrika. Er sagte mir, daß Südafrika ein EPA ablehnt, weil der Vertrag nach dem Willen der EU eine Meistbegünstigungsklausel enthalten sollte. Ziel war es, zu sichern, daß alle Handelspräferenzen, die der Kapstaat in Zukunft anderen großen Wirtschaften einräumt, automatisch auch für die EU gelten. Wie Davies unterstrich, sind solche Anforderungen ein Angriff auf die nationale Souveränität."
Louis Michel (EU-Entwicklungskommissar): "Offenkundig ist das eine Frage der nationalen Souveränität. Aber es ist auch eine Frage der Souveränität für Europa. Die Europäische Kommission und die EU-Staaten geben 56 Prozent der globalen Entwicklungshilfe. Man kann also von der EU kaum erwarten, daß sie ihren Partner zugesteht, daß sie den wirtschaftlichen Gegnern der Union stärker entgegenkommen als der EU. Wir sind großzügig, aber nicht naiv."
IPS: "Ich habe mit Vertretern afrikanischer Nichtregierungsorganisationen gesprochen, die Ihnen vorwerfen, Sie nutzten die Tatsache, daß die EU ein so bedeutender Geber ist, als Druckmittel."
L.M.: "Um was zu erreichen?"
IPS: "Eine Unterstützung der EPAs."
L.M.: "Der 1. Januar 2008 ist vorbei [35 von knapp 80 AKP-Staaten haben fristgerecht bis zum 31.12.2007 die EPAs unterzeichnet]. Hat es deshalb eine Katastrofe gegeben? Ich weiß nicht, was die NGOs meinen. Es ist wahr, Staaten wie Senegal waren gegen die EPAs und haben nicht unterschrieben. Aber Senegal gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt (LDCs) und genießt (unter der EU-Initiative "Alles außer Waffen") den vollständigen und unbegrenzten Zugang zu unseren Märkten. Senegal kann Europa mit seinen Produkten [Baumwolle, Fische, Erdnüsse, chemische Produkte wie Dünger - mit allen sind aufgrund weltweiter "Über"produktion keine guten Preise zu erzielen] überschwemmen und Güter aus Europa mit Einfuhrzöllen belegen [zumindest 20 % für 15 Jahre noch, siehe oben]. Ich weiß nicht, welches Problem Senegal hatte."

(Interview in IPS-Weltblick 28.01.2008)


Man sieht, die EU ist knallhart, was Ihre Interessen anbelangt: Sie sieht keine Notwendigkeit, auf Erpressungen zu verzichten, sie weiß darüber hinaus die Moral überlegener Gewalt und ökonomischer Potenz auf ihrer Seite!

Europa am Abgrund...
5.
Nicht mehr als Absichtserklärungen sind bezüglich der Schaffung von Jobs für Afrikaner wegen der Flüchtungsproblematik, unter der die EU so wahnsinnig stöhnt, ins Gespräch gebracht worden. Es soll Aufgabe der afrikanischen Mittelmeeranrainer sein und bleiben, Flüchtlinge zurückzuhalten. Gerade für die Erleichterung dieser Aufgabe sei ja eine Verweigerung der Zusammenarbeit im Sinne der EPAs auch für alle anderen Staaten kontraproduktiv. (Logisch ist das nur, wenn man die EPAs als Jobwunder begreifen will, was man ja offenbar soll.) So kontraproduktiv, daß man glatt das Schicksal der EU mit dem Schicksal afrikanischer Bootsflüchtlinge verwechseln könnte...

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Kurzum, man könnte allen Ernstes meinen, Afrika müsse Europa dringend so selbstlos helfen, wie Europa ja angeblich so selbstlos bisher Afrika geholfen hat...
Manch ein Drittweltstaat scheint diese Lüge und diese Unverschämtheit allerdings mittlerweile begriffen zu haben, sei es, weil es weltpolitische Alternativen gibt, sei es, weil das Entwicklungsdesaster der letzten Jahrzehnte sowieso keine Wahl mehr läßt. (03.02.08)