Flüchtlinge aus Afrika und sonstwo:
Die Flucht vor den Wirkungen des weltweiten Kapitalismus ist nicht vorgesehen, also auch nicht erlaubt!
(leicht
modifizierte Fassung von www.GEGENARGUMENTE.at)
Unter
dem Titel »Machtlose
Regierung« stellt die Wiener Traditionstageszeitung Die
Presse folgendes fest: "Die kanarische
Regionalregierung, der spanische Staat wie auch die EU stehen dem Flüchtlingsansturm
auf den Kanaren sowie auf das italienische Lampedusa zunehmend hilflos gegenüber.
Alle Schritte, mit denen man bisher versuchte, die illegalen Einwanderer von
ihrer Flucht nach Europa abzuhalten, blieben erfolglos. Weder die elektronische
Radarmauer auf dem Atlantik, noch die verstärkten Patrouillenfahrten
der spanischen Küstenwache oder Ankündigungen von Massenabschiebungen
können die Flüchtlinge abschrecken. An die 100.000 Afrikaner sollen
derzeit entlang der Küste auf eine Gelegenheit zur Überfahrt warten."
(04.09.06)
"Die südlichen EU-Länder
machen gemeinsam Front. Bei dem heute in Madrid stattfindenden
Immigrationsgipfel wollen sieben Mittelmeerländer - Spanien,
Frankreich, Zypern, Italien, Griechenland, Malta und Slowenien - sowie
Portugal ihr Vorgehen innerhalb der EU abstimmen. So wollen die acht
eine Verstärkung der "operativen Zusammenarbeit an der
südlichen Meeresgrenze". Europas Agentur für
Außengrenzen, Frontex, soll mehr Geld erhalten. Zwei
Frontex-Patrouillenboote und zwei Flugzeuge operieren seit wenigen
Wochen auf dem Atlantik zwischen Afrikas Westküste und den Kanaren
- dieser Einsatz dürfte aller Voraussicht nach ausgebaut
werden. ... Der nicht abreißende Flüchtlingsstrom zeigt
allerdings, daß das Frontex-Aufgebot nicht reicht. Knapp 30.000
Schwarzafrikaner gelangten in ihren Fischerbooten seit Jahresbeginn auf
die Kanaren. Um die Flüchtlingsbewegung schon in Afrika zu
unterbinden, will das Treffen von Madrid den Ausbau der "technischen
und finanziellen Hilfe an die Transitländer, die aktiv am Kampf
gegen die klandestine Migration teilnehmen". Selbstverständlich
wollen die acht auch mehr Entwicklungshilfe für die
Herkunftsländer. Allerdings nur für die, "die sich am meisten
dem Kampf gegen die illegale Immigration, speziell in Sachen
Rücknahmeabkommen, verpflichtet fühlen". (taz, 29.09.06)
"Rund
die Hälfte der seit Januar auf den Kanarischen Inseln angekommenen
27.000 Flüchtlinge stammt vermutlich aus dem Senegal. Das Land, in
dem knapp 11 Millionen Menschen leben, gilt derzeit mit einem
jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von etwa 650 Euro als eines der
ärmsten Länder der Welt. ...
Auch wenn die Bilder von den afrikanischen Armutsflüchtlingen auf
den Kanarischen Inseln aufschrecken, so machen die Afrikaner doch nur
einen sehr kleinen Teil der jährlich 600.000 illegalen Einwanderer
in Spanien aus. Die große Immigrantenwelle kommt aus Osteuropa
und Lateinamerika." (Augsburger Allgemeine, 03.10.06)
Wenn
100.000 Afrikaner auf eine Gelegenheit zur Überfahrt nach Europa
warten, dann spricht das für verantwortungsvolle europäische
Politiker und demokratische Öffentlichkeit nicht Bände
darüber, wie desaströs die politökonomischen
Zustände in Mauretanien, Senegal, Guinea usw. sein müssen,
wenn Menschen lieber eine lebensgefährliche Flucht riskieren, als
dort zu bleiben, wo ihre Freunde und Verwandten leben. Die dortigen
Lebensverhältnisse lassen ihnen - wollen sie selbst eine Chance
haben zu überleben und ihre Familien zu ernähren - offenbar
keine Alternative offen als eine Flucht.
Wer
aber ist nun in den Augen der europäischen Politik und Öffentlichkeit
in einer Notlage und braucht Hilfe? Nicht diese Elendskreaturen! Wahrnehmen
soll man nicht deren existentielle Bedrohung. Nicht sie sind das Objekt der
Sorge, bedroht ist ausgerechnet die EU und zwar durch diese Elendsgestalten.
All das angesichts der - gemessen an der Bevölkerungszahl Europas - eigentlich
geringen Zahl von 27.000 Flüchtlingen, die es heuer bisher nach Europa
geschafft haben. Allen ernstes soll man sich mit der Frage beschäftigen,
wie sich die EU - über Radarmauern und immer höhere und tödlichere
Sperrzäune hinaus - noch besser als bisher gegen diese Armen vor den
Toren Europas - schützen könnte. Die Sorge soll damit ausgerechnet
dem Staatengebilde gelten, das Dank seiner wirtschaftlichen und politischen
Beziehungen zu den Staaten Afrikas für den Zustand in den Fluchtstaaten
mit verantwortlich zeichnet!
Eine
Klarstellung könnte man der Behandlung der Flüchtlinge aus
Afrika durch die Staaten der EU sehr leicht entnehmen: Nach eigenen
Kalkulationen und Bedürfnissen selbst zu entscheiden, wo sie
leben, wohnen und arbeiten möchten, steht ihnen - wie im
übrigen auch allen anderen Menschen - nicht zu. Schon der
bloße Aufenthalt in irgendeiner Weltgegend ist in der modernen
Staatenwelt eine Erlaubnisfrage, die einzig der politische
Souverän über die jeweilige Weltgegend entscheidet und zwar
nicht nach dem Bedarf der Menschen, sondern einzig nach seinen eigenen
Kriterien. Die Bedürfnisse der afrikanischen Flüchtlinge
mögen noch so dringend und praktisch unabweisbar sein - für
die staatliche Antwort auf die Frage, ob sie nach Europa dürfen
oder nicht, spielen sie nicht die geringste Rolle.
Ein
fragloses Recht auf Anwesenheit kommt nur denen zu, die der jeweilige Staat
als zu seiner Mannschaft - zu seinen Staatsbürgern - gehörig betrachtet,
ein Recht das einem per Gesetz gewöhnlich mit der Geburt zuwächst.
Ob man will oder nicht, mit der Geburt ist man Bürger eines Staates mit
allen Rechten und Pflichten, die der jeweilige politische Souverän daraus
ableitet. Damit sortiert der Staat die Menschheit in Inländer und in
die Anderen, die, weil sie Mitglied einer anderen, fremden, potentiell feindlichen
Mannschaft sind, nicht dazugehören - die Ausländer. Daß es
sich dabei, Inländer zu sein, um einen sehr relativen Vorteil handelt,
könnte man allein schon daran bemerken, daß man mit diesem Status
des Inländers zugleich in allen anderen Staaten - und das ist die große
Mehrzahl - in die Kategorie der Ausländer ein- besser aussortiert ist
- mit allen Nachteilen, die sonst nur den hiesigen Ausländern an den
Hals gewünscht werden. Jeder Inländer ist zugleich Ausländer
- in allen anderen Staaten, zu denen er als Inländer eines Auslandes
nicht gehört.
In-
oder Ausländer zu sein - soviel ist allein schon damit klar - ist
keine Eigenschaft, die einem Menschen an sich zukommt, auch wenn so
mancher sich viel darauf zu gute hält, zu "seinem" Staat zu
gehören -, sondern verdankt sich einem staatlichen Beschluß.
Tschechoslowaken, aus denen Tschechen und Slowaken wurden, geben von
diesem Sachverhalt ebenso beredt Zeugnis, wie Kroaten, Serben,
Slowenen, die von einem auf dem anderen Tag keine Bürger
Jugoslawiens mehr waren.
Weil
es dem Staat auf bedingungslose Treue seiner Bürger ankommt, legt
er Wert darauf, daß seine Bürger wirklich nur ihm
"gehören", ihm dieses Recht also nicht von seinesgleichen - und
sei es nur als Anspruch - streitig gemacht werden kann. Einzig eigene
Staatsbürger, Staatsbürger die qua Geburt und damit quasi von
Natur aus ihm zur Treue verpflichtet sind, stellen diesen seinen
umfassenden Anspruch auf bedingungslose Gefolgschaft hinreichend
zufrieden. Dieser
unbedingt verläßliche Staatsbürger ist zwar keine
Wahrheit. Niemand ist durch seine Natur und schon gar nicht durch seine
Zugehörigkeit zu irgendeinem Staat daran gehindert, sich seinen
eigenen Teil zu denken und Schlüsse daraus zu ziehen. Über
den staatlichen Anspruch an seine Bürger verrät dieses Ideal
der eigenen Staatsbürger aber eine ganze Menge. Er wünscht
sich Bürger, die ihm und seinen Vorhaben unbedingt und fraglos zur
Verfügung stehen, Bürger, die sich nicht aus bloßer
Berechnung, weil sie sich selbst einen Vorteil davon versprechen, zu
ihm bekennen.
Nur
seine Staatsbürger haben grundsätzlich das Recht, sich in
seinem Staatsgebiet aufzuhalten und ihren Interessen nachzugehen,
Bedürfnisse anzumelden und Kalkulationen anzustellen. Ohne diese
Erlaubnis darf noch nicht einmal für den schäbigsten Lohn
gearbeitet werden. In Bezug auf diese Erlaubnis setzen die Staaten
einen grundsätzlichen Unterschied in die Welt. Im Vergleich zu den
Ausländern, die nicht dazu gehören, hat ein Einheimischer die
Staatsgewalt auf seiner Seite. Ihm gilt ihr gesamtes Rechtssystem.
Nicht in dem Sinn, daß ihm damit gute Lebensbedingungen
versprochen wären. Was er sonst noch ist: ob Unternehmer, Bankier,
Arbeitnehmer oder Sozialhilfeempfänger, über welche Mittel er
also verfügt, sich sein Leben mehr oder weniger gemütlich
einzurichten, ist damit überhaupt nichts gesagt.
Dabei
hängt das Wie des Lebens, zu dem man es als Einheimischer bringt, noch
sehr von diesen Mitteln ab, über die man verfügt. Für die große
Mehrzahl derjenigen, die keinen (nennenswerten) Reichtum ihr eigen nennen,
bewegt sich dieses Wie in den engen Grenzen der beiden streng vorgezeichneten
Alternativen - entweder sie finden ein fremdes Interesse, das sie mit einem
Arbeitsplatz samt viel Arbeit zu jeder erdenklichen Tages- oder Nachtzeit
versorgt, und dürfen dafür ihre Dankbarkeit durch Abstriche beim
Lohn beweisen, oder nicht, mit den bekannten Konsequenzen - ist also schon
im Ausgangspunkt alles anderes als eine gemütliche Sache. Sich aus dem
Staatsverband abzumelden und sein Glück in der Ferne zu suchen, kommt
aber auf jeden Fall nicht in Frage. Diejenigen, die das trotzdem versuchen,
werden damit mitnichten aus dem Pflicht- und Treueverhältnis zu ihrem
Staat entlassen, was ihnen im fremden Staat den Vorbehalt einträgt, sich
bloß aus Berechnung, aus Eigennutz im jeweiligen Staatsgebiet aufhalten
zu wollen.
Diese
Kehrseite dieses Rechtes als (inländischer) Staatsbürger
exekutieren die Staaten der EU mit ihren lebensbedrohlichen
Maßnahmen gegen die Flüchtlinge, auch und gerade dann, wenn
sie es dort - in ihrer Heimat - ganz sicher zu nichts bringen
können. Hat ein Staat und seine Ökonomie keine Verwendung
für seine Bürger, wird dasselbe Recht Inländer zu sein,
auf das sich die Inländer hierorts soviel zu Gute halten, eine
einzige Fessel. Wie jeder gute Österreicher, Deutsche oder
Franzose haben sie einen Rechtsanspruch einzig darauf, sich in "ihren"
Staaten herumzutreiben und sich an die dortigen Gesetze zu halten.
Flüchtlingen
ist es deshalb nicht erlaubt, sich den Umständen, in die sie
gestellt sind und in die sie qua staatlichem Beschluß auch
gehören, durch Flucht zu entziehen. Ob sie Aufnahme in einem
anderen Staat finden, hängt davon ab, ob dieser andere Staat den
Verbleib unter ihrer angestammten Herrschaft für unzumutbar
hält, weil auch er einen Asylgrund sieht, oder nicht.
Was ist vom Recht auf Asyl zu halten?
Ob
ihre Fluchtgründe ihnen in einem anderen Staat zu einem Aufenthaltsrecht
als "Flüchtling" - zu Asyl - verhelfen, ist schon wieder eine Frage der
Erlaubnis - diesmal seitens des um Asyl ersuchten Staates -, einer Erlaubnis,
die sich nicht an den Wünschen und Nöten der Asylsuchenden bemißt.
Daß das Asylrecht nicht vom Gedanken einer Fürsorge für die
Betroffenen bestimmt ist, kann man der UN-Konvention von 1951 über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge entnehmen, nach welcher als Flüchtling
anzusehen ist, wer
"sich
aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden,
außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder
im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes
dieses Landes zu bedienen."
"Sicherheit"
im Asylrecht ist weit entfernt von alltäglichen Vorstellungen
über mehr oder minder ungefährdete Lebensumstände. Wer
vor Hunger, vor Seuchen und ähnlichen lebensbedrohenden
Umständen flieht, hat nach der UN-Konvention keine Chance als
Flüchtling anerkannt zu werden und hat damit schon einmal keinen
Anspruch auf Asyl. Es widerspräche tatsächlich dem System des
global tätigen Kapitalismus, der weltweit massenhaft Armut
herstellt, irgendwo und irgendwie die Erhaltung der massenweise von ihm
produzierten Hungerleider dann doch wieder aufs Programm zu setzen oder
denen, die zu fliehen versuchen, zu gestatten, daß sie von sich
aus, ungebeten, mit ihrem Überlebensdrang und ihrer
Dienstbereitschaft die Zentren des Weltgeschäfts behelligen.
Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Elend vertragen sich
offensichtlich prima, diese Lehre aus dem praktizierten Asylrecht,
wollen Freunde des Asylrechts nie ziehen.
Das
Asylrecht war noch nie ein Rettungsprogramm für alle irgendwo in
Not Geratenen, was man nicht erst heute den Toten im Mittelmeer, im
Atlantik und den in der Wüste verdursteten ausgesetzten Afrikanern
entnehmen kann. Ein Flüchtling muß, um überhaupt eine
Chance zu haben, als Flüchtling im Sinne der
UN-Flüchtlingskonvention anerkannt zu werden, darauf verweisen
können, in seinem Heimatland "aus Gründen der Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung" verfolgt zu werden. Die
Anerkennung der von ihm vorgebrachten Argumente - ob in seinem Fall
einer dieser anerkannten Fluchtgründe vorliegt oder nicht - ist
Sache des um Asyl ersuchten Staates, steht und fällt daher mit
dessen Beurteilung der politischen Verhältnisse im Heimatland des
Flüchtlings. Und diese Lagebeurteilung folgt durchaus anderen
Kriterien als dem, ob die Leute es zu Hause noch aushalten. Sie ist ein
staatlicher Richterspruch über andere Staaten unter dem
Gesichtspunkt, wie deren Machthaber politische Opposition definieren
und mit ihren Oppositionellen umspringen; sie spricht Billigung oder
Mißbilligung der Feindschaftserklärungen aus, die ein
anderer Staat im Inneren verhängt.
Die
Asylentscheidung beruht auf dem politischen Einverständnis mit dem
bzw. auf politischer Ablehnung des anderen Souveräns. Das
Asylrecht ist eine diplomatische Waffe der Verurteilung anderer
Staaten. Nur dann werden Asylanten hereingelassen, wenn sie als
lebendiges Material für die zwischenstaatliche Feindseligkeit
taugen. In der Vergangenheit galten Bürger aus Ostblockstaaten,
die Zuflucht suchten, grundsätzlich als Asylfälle, weil die
realsozialistische Art, Länder und Völker zu regieren und dem
Zugriff der westlichen Weltpolitik zu entziehen, als ein einziges
System politischer Unterdrückung und Verfolgung definiert war.
Seit die Staatsgewalten des einstigen Ostblocks sich zur
Marktwirtschaft bekehrt und ihren Realsozialismus auf den Misthaufen
der Geschichte geschmissen haben, entfällt mit der Feindschaft des
Westens gegen sie jeder Asylgrund für ihre Opfer. Wer jetzt immer
noch aus Osteuropa weg will, vielleicht sogar weil es ihm nach der
Reform drüben jetzt dreckiger geht als vorher, macht die Erfahrung
als bloßer "Wirtschaftsflüchtling" nicht willkommen zu sein.
Dasselbe
Schicksal erleiden auch die Flüchtlinge aus Afrika, die heute zu
Massen versuchen, Europa zu erreichen. Die Staaten nicht nur dieses
Teils der Dritten Welt haben zwar keinen radikalreformerischen Umsturz
unter die Herrschaft des Weltgeldes hinter sich, vier bis fünf
Jahrzehnte "Entwicklung" als Teil des kapitalistischen
Weltgeschäftes haben aber genügt, um sie definitiv und
endgültig einzuordnen: als Schuldnerländer, die ihre
"Naturreichtümer" - Ressourcen für eine profitable Verwendung
anderswo - und alles was in ihnen eventuell sonst noch an wirklichem
Reichtum zustande kommt, auf immer an die Gläubigerbanken und
-staaten verpfändet haben; für Kredite, mit denen sie es
gerade einmal zur Erschließung ihrer Naturschätze gebracht
haben.
Zu
einer regulären Arbeiterklasse, die sich mit ihrem Dienst am
nationalen Reichtum auch ihren Lebensunterhalt erarbeiten darf, haben
sie ihre Eingeborenen nie gemacht. Stattdessen vermehrt sich dort eine
Bevölkerung, die durch die kapitalistische Erschließung und
Benutzung ihrer Heimat als Lieferant von Rohstoffen aus ihrer - schon
vorher alles andere als idyllischen - Subsistenz herausgeworfen worden
ist. Sie umlagert jetzt mehrheitlich die städtischen Zentren der
Nationen, in denen die Erlöse aus dem Verkauf der nationalen Natur
ankommen und in so etwas wie einen Staatshaushalt umgesetzt werden, und
probiert das Unmöglichste, um davon etwas abzubekommen. Weil das
immer weniger geht - wegen der Schulden, die immer weniger
Staatshaushalt übriglassen, und wegen der Unterwerfung immer
größerer Massen unter diese Sorte Subsistenz - verfallen
nicht wenige auf ein vollständig negatives Programm der
Selbsterhaltung: Weg von hier! Der Sicherheit, daß in ihrer
Heimat sowieso alle Überlebensversuche vergeblich sind, entspricht
die völlige Perspektiv- und Planlosigkeit ihres
Auswanderungswunsches. Ohne Mittel, ohne Nachfrage nach ihnen, ohne
Vorstellung von den Lebensbedingungen, in denen sie sich eine Chance
ausrechnen, streben sie auf eigene Faust in die Zentren der
Weltwirtschaft.
Diesen
Resultaten ihres ureigensten Werks begegnen die europäischen
Regierungen seit Beginn der neunziger Jahre mit laufenden
Verschärfungen des Asylrechts. Es gilt, unerwünschte Massen
von auswärts fernzuhalten. Wer glaubt, bloß deswegen, in
einem anderen Staat ein Existenzrecht zu haben, weil seine Heimat keine
existenzerhaltende Verwendung für ihn vorsieht, der mißbraucht das Asylrecht.
Das Recht eines Ausländers, sich als Migrant außerhalb seiner Heimat aufzuhalten
Asyl
kriegen sie in ihrer großen Mehrzahl also schon einmal keines, die Flüchtlinge
aus Afrika. Aber auch der andere Grund für die Erlaubnis, sich als Bürger
eines fremden Staates im europäischen Inland aufzuhalten - als für
den Erfolg der europäischen Ökonomien nötige Ergänzung
des inländischen Arbeitskräftereservoirs nämlich, kommt für
die Mehrzahl von ihnen nicht in Betracht. Sahen sich vor noch nicht allzu
langer Zeit die europäischen Staaten genötigt, durch Anwerbung von
Ausländern als sogenannte Gastarbeiter - allein dieser Titel bezeugt
schon, daß nicht an einen Aufenthalt auf Dauer gedacht war - dafür
zu sorgen, daß dem heimischen Kapital für seinen Expansionsdrang
über die Landesgrenzen hinweg das Heer der willigen und zugleich hinreichend
billigen Arbeitskräfte nicht zu knapp würde, hat sich das Blatt
auf Basis der auf dieser Grundlage erzielten Erfolge des Kapitals heute gewendet.
Billige Arbeitskräfte - nicht nur aber auch ausländische - haben
ihm den Reichtum eingespielt, der es ihm ermöglichte, sich mittels Rationalisierungen,
durchgeführt zum Zwecke der Senkung der Lohnstückkosten, von der
begrenzten Zahl der vorhandenen nationalen Arbeiterbevölkerung unabhängig
zu machen. In den Worten des wissenschaftlichen Analysten:
"Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals
produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die
Mittel ihrer eigenen relativen Überzähligmachung." (Karl Marx, MEW 23, Das Kapital I, S. 660)
Hungerleider,
die für jede noch so schlecht bezahlte Arbeit zur Verfügung
stehen, hat Europa heute aber auch Dank der Inbesitznahme der ehemals
realsozialistischen Staaten samt Einführung der Marktwirtschaft
dort heute selbst mehr als genug. Dafür braucht es keine
Bürger fremder Staaten mehr. Entsprechend wird der Ansturm der
Afrikaner, die verzweifelt nach Europa zu gelangen versuchen,
behandelt: als ein Ansturm von Menschen, die in jeder Hinsicht
überzählig, überflüssig sind. Nicht gebraucht im
Dienste eines wirtschaftlichen Erfolg der Staaten, denen sie
zugerechnet werden, erst recht nicht gebraucht in den Zentren des
Kapitalismus.
Die imperialistische Problemdefinition: Es gibt zu viele Menschen auf der Welt - für den Kapitalismus!
Die
Bürger Afrikas wie im übrigen all die anderen Menschenmassen in
den Länder der sogenannten Dritten und Vierten Welt sind überzählig,
schlicht und einfach zu viel, zu viel für den weltweit tätigen Kapitalismus
und seine aufsichtführenden Organe. Das ist nicht unser Urteil; so zynisch
sind nicht wir, so zynisch sind die weltweit eingerichteten politischen und
ökonomischen Verhältnisse. Aus ihnen läßt sich kein Profit
schlagen, nicht durch die Wirtschaft ihrer Heimatländer, nicht durch
die Wirtschaft der Weltwirtschaftsmächte und noch nicht einmal als diplomatische
Waffe werden sie gebraucht - sie sind allenthalben lästig im imperialistischen
Konkurrenzkampf um Einfluß und Zuständigkeit in aller Welt.
Kapitalistischer
Reichtum hat seinen Zweck und sein Maß nicht in den Mündern,
die es zu nähren und in den Bedürfnissen, die es zu
befriedigen gilt. Umgekehrt verhält es sich. Nur die Menschen
erwerben sich ein Recht auf ein mehr oder weniger brauchbares
Überleben, für die sich im Rahmen der weltweiten Vermehrung
des Kapitals eine Verwendung findet. Dieser Befund fällt über
die Menschen Afrikas negativ aus, ja demokratisch-rassistisch aus: Sie
seien dazu nicht in der Lage; hätten also auch keinerlei Rechte
daher.
In
der Sache ist es also der Gesamtbedarf der Weltwirtschaft, der die Grenze
zieht, die Grenze zwischen dem benötigten und dem nicht benötigten
Teil der Menschheit und es liegt in der Logik des herrschenden Wirtschaftssystems,
daß die Entbehrlichkeit fürs kapitalistische Wachstum gleichbedeutend
ist mit dem Entzug aller Möglichkeiten der Selbsterhaltung. Die gewaltsame
Durchsetzung dieser Scheidelinie zwischen benötigten und überflüssigen
Leuten aber lassen sich die politischen Instanzen, die das weltwirtschaftliche
Geschehen betreuen, indem sie auf alle Menschen und deren Rechte und Pflichten
aufpassen, nicht nehmen. Sie legen die rechtlichen Regeln fest, nach denen
die Scheidung zwischen nützlicher und unnützer Weltbevölkerung
zustande kommt.
In
den Armutszonen der Weltwirtschaft rechnen die Staatsgewalten von
vornherein nicht mit Konjunkturen, in denen ihre Nationalökonomie
einen Arbeitskräftebedarf entwickeln könnte, sie haben nichts
übrig für die Erhaltung der Reservearmee potentiell
brauchbarer Leute. Zur Reservearmee der erfolgreichen Staaten, die sich
einen Sozialhaushalt leisten, werden die Armen und Ausgemusterten der
Länder der Dritten Welt, die es schaffen überhaupt nach
Europa zu kommen, andererseits aber auch nicht zugelassen. Mit dem
Verweis auf ihre falsche Nationalität erkennen die Staaten der
Ersten Welt die Leute, die bei ihnen eine Überlebenschance suchen,
nicht als ihre Sozialfälle an. Obwohl sie es ihrem
Entstehungsgrund nach sind.
Denn
anders als bei der Betreuung des Elends halten sich die
Weltwirtschaftsmächte bei der Durchsetzung kapitalistischer
Verhältnisse weltweit überhaupt nicht zurück und
innerhalb ihrer nationalen Grenzen. Da sorgen sie für die "eine
Welt für alle" vor der sie dann, wenn die Flüchtlinge bei
ihnen auftauchen nichts wissen wollen: Eine ganze Staatengemeinde haben
sie geschaffen, die als Dritte und mittlerweile Vierte Welt in ihr
System des weltweiten Geschäftemachens integriert ist. Und sie tun
alles, um innerhalb dieser "einen Welt" die Erste zu bleiben - die
ausgezeichneten Kapitalstandorte, von denen die Konjunkturen der
Weltwirtschaft ausgehen und in denen der weltweit produzierte Reichtum
als Kapital akkumuliert.
Damit
haben sie das System der weltweiten Verarmung gleich mit in Kraft gesetzt,
einschließlich der Entscheidung, welche Anteile der Weltbevölkerung
keine Chance haben, jemals auf irgendeine Gehaltsliste der Weltwirtschaft
zu kommen. Die Hauptmasse dieser überflüssigen Bevölkerung
("Überbevölkerung") wollen sie auf gar keinen Fall sich zurechnen
lassen. Da halten sie sich umso mehr an die nationalen Grenzen ihrer Zuständigkeit,
je machtvoller sie für die Unterordnung der gesamten Menschheit unter
den beschränkten Menschenbedarf der Weltwirtschaft sorgen. Mit dem sturen
Beharren auf dem alles entscheidenden Unterschied zwischen In- und Ausländern
gelingt den reichen Staaten wie von selbst eine Sortierung zu ihren Gunsten.
Den absolut nutzlosen Teil der Menschheit, den Bodensatz der weltweiten Reservearmee
wälzen sie auf die Staaten ab, denen sie in ihrer "einen Welt" ohnehin
die Rolle der Erfolglosen aufgedrückt haben. Diesen - den Staaten Afrikas
- soll künftig großherzig mit ein bißchen "Entwicklungshilfe"
geholfen werden, ihre vor dem Elend flüchtende Bevölkerung in eigenen
Lagern aufzubewahren. Das dient nicht nur dem Schutz Europas vor dem Ansturm
der Armen, sondern auch sie - diese Armutsgestalten - werden "geschützt":
vor sich selbst, nämlich davor, sich mit wenig Aussicht auf Erfolg, aber
viel absehbarem eigenem Schaden nach Europa aufzumachen, und vor Menschenhändlern,
die sie auf minderwertige Boote im Mittelmeer setzen oder sie irgendwo im
wüsten Niemandsland zwischen Marokko und Algerien im Stich lassen. Wohl
den Flüchtlingen, die solch fürsorgliche und mächtige staatliche
Paten haben!
(06.10.06)
