Die imperialistische Neuordnung Jugoslawiens
 

1.
 Der Zusammenbruch Jugoslawiens ist unzweifelhaft dem Interesse der imperialistischen Staaten geschuldet. Die Wucht des Imperialismus wurde in Jugoslawien nicht erst seit Beginn der Kampfhandlungen, die den Zerfall des Staates besiegelten, unterschätzt. Die ökonomischen Abhängigkeiten und die mit der West-Verschuldung verbundene politische Erpreßbarkeit führten zum Zusammenbruch, als die Sowjetunion im Rücken Jugoslawiens ihr System aufgab.
 Worin besteht nun dieses imperialistische Interesse? Eine maßgebliche Kraft für die Zerstückelung Jugoslawiens war Deutschland, natürlich nicht ohne das Plazet der USA, die der BRD ihre Rolle in Europa, so sie das US-Interesse nicht tangiert, zubilligt. Es ist aber nicht das alte Deutschland, das noch eine Rechnung wegen seiner Niederlage 1945 offen gehabt hätte. Es ist das neueDeutschland mit seinem imperialistischen Europa-Projekt in Form von EU und Euro, das allen anderen Nationen die Ein- und Unterordnung in den für sich reklamierten geografischen Bereich Europa abverlangt. Und Jugoslawien, so wie es war, verschaffte ihm in Form seiner Politiker, allen voran ihren Frieden und Menschlichkeit heuchelnden Außenministern Genscher und Fischer, die Gelegenheit in den Einstieg ordnungspolitischer Weltpolitik.
 Deutschland verfügt dazu über die ökonomischen und politischen Erpressungsmittel. Und wenn es muß, d.h. wenn sich ein Staat seinem europäischen Interesse nicht fügt, dann setzt es auch sein Militär ein, durchaus aggressiv wie gegen Serbien 1999 oder auch "friedenssichernd" wie in Bosnien & Herzegovina und in der Provinz Kosovo & Metochija bis heute. Diese Einsätze zeigen, daß die Unterwerfung des Balkans mit dem Vertrag von Dayton 1995 keineswegs abgeschlossen ist.
2.
 Die "Schwierigkeiten", die sich die imperialistischen Mächte selber und zum Teil gegenseitig bei der Unterwerfung des zerteilten Jugoslawiens machen, läßt einen Schluß darauf zu, wie anspruchsvoll ihr Programm ist. Da ist zunächst einmal der neu konstruierte Staat Bosnien & Herzegovina. Das ist ein Staatsprojekt, das im Grunde einer ethnischen Aufteilung widerspricht. Ein Widerspruch also zu dem, was imperialistischer Predigt zufolge angeblich der Grund für die Aufteilung gewesen wäre, nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
 Dabei - blicken wir kurz zurück - war es doch so, daß ohne die ausdrückliche Ins-Recht-Setzung der Nationalitäten durch den Imperialismus diese wohl kaum in dieser Weise aufeinander eingeschlagen hätten. Dabei war die von Präsident Tito seinerzeit betriebene Politik der weitgehenden Autonomierechte der Bundesstaaten, die in den Verfassungen von 1963 und nochmal erweitert 1974 festgeschrieben worden waren, freilich eine sehr gute Vorleistung. Die Albaner im Kosovo hatten - nicht als Bundesstaat, sondern nur als Provinz anerkannt - ja bereits 1981 einen - ohne den Imperialismus im Rücken: erfolglosen - Aufstand geprobt.
 Doch zurück zum imperialistischen Staatsprojekt Bosnien & Herzegovina: Was ist der von außen auferlegte Zweck dieses Staatsgebildes?
Es ist offensichtlich, daß es eine staatliche serbische Einheit und damit eine potenzielle serbische Vormachtstellung mit ihrer nolens-volens vorhandenen Skepsis gegenüber der EU verhindern soll. Es wird Serbien absurderweise auch noch zur Last gelegt, in Rußland einen Verbündeten zu suchen statt in der EU, so als ob Serbien in seiner Lage etwas anderes übrig bliebe! Was würde Deutschland sagen, wenn ausländische Mächte ihm die Ostzone wegnehmen würden wollen? Serbien versteht Kosovo & Metochija ja ebenso als essenziellen Bestandteil seiner staatlichen Integrität wie die BRD die Ex-DDR.
 Und ebenso sollen Kroatien seine Grenzen aufgezeigt werden. Mit dem Vertrag von Washington 1994 wurde es imperialistischerseits gezwungen, seine staatlichen Ambitionen auf ein größeres Kroatien aufzugeben. Eine Aufgabe übrigens, die Kroatien gleichsam aus Dankbarkeit für die ihm zugebilligte Staatsgründung leisten mußte. So taugt die - leider von Tito erfundene - hirnrissige "moslemische nationale Entität" dem Imperialismus dazu, Serben und Kroaten anhand des Paradigmas Bosnien & Herzegovina zu unterwerfen und gefügig zu machen.
 Ebenso zu verstehen ist die Abtrennung Zrna Goras vom verbliebenen Rest-Jugoslawien. Egal ob auch diese neue Republik für sich überhaupt existenzfähig ist - ökonomisch ist sie ja weitestgehend von Serbien abhängig -, beabsichtigt ist mit ihr einzig und allein eine Schwächung Serbiens und ein Ja Serbiens zu seiner staatlichen Beschneidung. Das ist der Grund für die staatliche Existenz Zrna Goras und nicht etwa die Allüren des Staatsgründers Djukanovi .
 Auch die Kosovo-Frage - warum will der Imperialismus ein unabhängiges Kosovo? - löst sich in dieser Weise auf: Westliches Interesse ist auch in diesem Falle, Serbien ein Ja zur Unterwerfung unter die imperialistischen (Neu)Ordnungspläne abzuverlangen. Serbiens Nationalismus soll gefügig gemacht werden. Dieses Ultimatum begründet die Aktualität des Kosovo auf der imperialistischen Tagesordnung. Aber auch die Albaner im Kosovo sollen sich fügen. Ihre Unabhängigkeit erlangen sie nur für die Preisgabe ihrer eigenen staatlichen Ambitionen: So mußte die U  K "freiwillig" ihre Waffen abgeben, was einer Selbstaufgabe ihrer staatlichen Ambitionen gleichkam. Von der albanischen Provinzregierung wurde dann die Anerkennung der Grenzen zu Makedonien gefordert, was die Aufgabe auf einen Anspruch auf einen gesamtalbanischen Staat bedeutet. Dafür und nur dafür wurde ihr bislang außenpolitische Souveränität zugebilligt. Der makedonischen Regierung wiederum wurde es untersagt, U  K-Terroristen strafrechtlich zu verfolgen, stattdessen solle sie diese, sobald entwaffnet, als albanische Minderheit anerkennen - auch eine ziemliche Zumutung imperialistischerseits.
 Den imperialistischen Staaten geht es also mitnichten um nationale Minderheiten per se. Es geht um die staatliche Neuordnung Ex-Jugoslawiens und da sind nationale Minderheiten allenthalben Mittel zum Zweck der Beschneidung neuer Staaten und ihrer Ambitionen - anders sind sie im imperialistischen Programm nicht vorgesehen und werden als störend gebrandmarkt. Kroatien darf nicht größer werden als es ohnehin ist und muß auf kroatische Teile Bosniens verzichten; Serbien darf schon gleich nicht größer sein, es ist aufgeteilt in die Republika Srbija, die Republika Srpska sowie in einen Teil Zrna Goras und faktisch schon in das Kosovo; Albanien darf sich nicht um das Kosovo und Teile Makedoniens vergrößern. Ungarn darf keinen territorialen Anspruch auf die Vojvodina sowie auf Teile Rumäniens und der Slowakei, in denen ungarische Bevölkerung lebt, erheben.
3.
 Nationalisten im früheren Jugoslawien täuschen sich, wenn sie glauben, der Imperialismus betreibe ihr Geschäft. Der setzt den Nationalismus nur soweit ins Recht, wie er ihm taugt, das heißt zur Eingrenzung anderer Staaten und staatlicher Ambitionen.
Es geht dem Imperialismus um die staatliche Neuordnung des Balkans nach seinem strategischen Machtinteresse. Für die Bevölkerung sind dabei keinerlei materielle Wohltaten vorgesehen bzw. zu erwarten. Deshalb ist es auch total verkehrt, sich als Nationalist entweder positiv zu "Europa" zu stellen oder aber in (teils resignierender, teils offensiver) Distanz einem anti-europäischen Nationalismus zu huldigen und sich so oder so seine eigenen - überwiegend auch noch sprachgleichen - Ex-Landsleute zu Feinden zu machen. Stattdessen wäre eine Kritik am Imperialismus angebracht, für die sich das "sozialistische" Jugoslawien schon nicht begeistern konnte, leider. Die heutige Lage macht diese Kritik - sie würde das Prädikat marxistisch durchaus verdienen! - notwendiger denn je.

06.08.2007