Joschka Fischer – das gute Gewissen an der Macht
Deutschland führt Krieg gegen Serbien – die
NATO-Verbündeten haben das zusammen mit dem deutschen Kanzler und
seinem Außenminister beschlossen. Das Bündnis wird
dafür schon seine Gründe haben. Auf alle Fälle hat es
die nötigen Mittel. Einmal beschlossen, läuft der Krieg.
Daß er stattfindet, ist der Beweis, daß er
unumgänglich war. Die Verantwortlichen müssen dann nur noch
aufpassen, daß er irgendwann auch mal wieder aufhört –
also auf keinen Fall zu früh; nämlich nicht ohne
bedingungslose Kapitulation des Gegners. Das ist eine Frage der
Entschlossenheit. Die stellt sich ganz von selbst ein: Mit jedem Tag,
den der Krieg dauert, wächst die nationale Führungsmannschaft
an ihren militärischen Aufgaben.
Daneben widmet sie sich ihrer zweiten Hauptaufgabe. Die stellt sich an
der inneren Front. Die Heimat muß nämlich mental mitziehen
beim Kriegseinsatz. Also gilt es, die guten Gründe für den
Krieg dem nationalen Fußvolk zu verkaufen, dessen Parteinnahme
für die gerechte Sache seiner NATO-Obrigkeit zu mobilisieren.
Was das betrifft, hat es Deutschland wirklich gut getroffen. Es
verfügt nicht nur über einen echt professionellen
Außenminister. An der Spitze des Auswärtigen Amtes steht in
diesen harten Zeiten ein wirklich guter Mensch. Eine mutige
Persönlichkeit, die nicht davor zurückschreckt, den
Untertanen schonungslos Einblick zu gewähren in die
Komplexität ihrer sittlich schwerwiegenden Entscheidungen sowie
des moralisch integren Charakters, mit dem sie diese trifft. Seit
Kriegbeginn läuft das Programm auf allen Kanälen:
Joschka Fischer proudly presents: Die menschlichen Drangsale eines
Individuums, das gezwungen ist, im Namen des Guten, Wahren und
Schönen der Schlechtigkeit der Welt ins Auge zu sehen und zu
widerstehen.
1.
Joschka Fischer ist kein machtgeiler Karrierist und kein
abgebrühter Machtpolitiker wie so mancher seiner Vorgänger.
Er will nicht einfach, was er tut, sondern er muß, weil die Welt
ihm keine Wahl läßt. Er folgt keinem Vorsatz, sondern, wo er
geht und steht, allein seinem Gewissen, das ihm erst recht keine Wahl
läßt. Fischer wäre der letzte, dem bei einem Krieg, an
dem Deutschland federführend beteiligt ist, eine so niedere
Kategorie wie "nationale Interessen" einfallen würde.
Wenn er über Krieg oder Frieden zu entscheiden hat, so hat das mit
zwischenstaatlichen Machtfragen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Er
kennt in dieser Angelegenheit, die das Leben und Überleben von ein
paar Millionen Mitmenschen auf dem Balkan ziemlich ungemütlich
gestaltet, nur eine Frage: Kann ICH das vor MIR verantworten?! Und da
ist die Antwort klar und eindeutig: Fischer kann. Er kann Krieg
verantworten, weil er es sich damit nicht einfach gemacht hat und am
Ende nicht anders konnte. Wie hat er unter den Greueltaten gelitten,
die jenes andere, böse Individuum dort unten auf dem Balkan, der
Herr Milošević, seit 10 Jahren anrichtet! Seine ganze Person hat er
eingesetzt, seine sauberen Hände beschmutzt und dem Mörder
& Schlächter die blutige Pfote gedrückt, um das Unheil
abzuwenden; mit höchstpersönlichem Engagement hat er noch in
Paris die serbischen Unterhändler gedrängt, bloß ein
bißchen zu unterschreiben, daß sie mit ihren Verbrechen
aufhören wollen und sich ihrem irdischen Richter
überantworten, damit nicht bombardiert zu werden braucht –
es hat nichts genützt. Am Ende mußte er einsehen, daß
er sich zum Komplizen eines Massenmörders gemacht hätte, wenn
er nicht gemeinsam mit seinen gleichgesinnten Kumpanen von der NATO
losgezogen wäre, dem Verbrecher seine Machtmittel wegzubomben. Und
bevor ein guter Mensch wie Fischer sich dermaßen schuldig macht,
zündet er eher ganz Serbien an – was soll er sonst machen?!
Die Nation kann also beruhigt sein: Dieser Krieg geht in Ordnung. Denn
der Mann, der dafür mitverantwortlich ist, hat das mit sich
gründlich ausgemacht und ist als Mensch mit sich im Reinen, wenn
er als Mitglied im NATO-Club der Guten Bomben auf Jugoslawien bestellt.
2.
Aber – schließlich ist der Mann deutscher
Außenminister: Ist er es auch als Deutscher? Kann er als
Regierungsmensch in der unseligen Rechtsnachfolge des Hitler-Reiches
schon wieder bei einem Krieg gegen Jugoslawien mittun?
Kein Problem. Fischer hat alle Bedenken durchdacht, die man ihm
entgegenhalten könnte, bevor sie ihm einer entgegengehalten hat.
Wie kein anderer weiß er um die Problematik der "unseligen
Vergangenheit" seines Vaterlandes; er kennt den Einwand: "Gerade wir Deutschen hätten allen Grund, uns
militärisch zurückzuhalten, vor allem auf dem Balkan, wo wir
neulich erst Angst und Schrecken verbreitet haben!" Doch wenn es
diesmal gar nicht um Krieg in dem Sinn, sondern um eine
militärische gute Tat geht, nicht um kriegerischen Terror, sondern
um Verbrechensbekämpfung: Darf dann Deutschland sich drücken?
So hat Fischer sich die Sache überlegt. In seiner nationalen
Identität hat er nachgeschaut und die Antwort gefunden: Zweimal
Nein! Gerade die Deutschen dürfen sich nicht wegducken, wenn
wieder militärisches Eingreifen angesagt ist; das wäre er
doch sonst schon wieder, der deutsche Sonderweg, der schon soviel
Unheil über die Welt gebracht hat. Und gerade auf dem Balkan
muß Deutschland mit dabei sein – bietet sich doch gerade
dort die einzigartige Gelegenheit, mit herzensguten Bomben
wiedergutzumachen, was Hitlers Wehrmacht seinerzeit an Bösem
angerichtet hat. "Gerade weil wir Deutschen damals dort so
gewütet haben, stehen wir heute in der Pflicht, dort unten endlich
auch einmal mit militärischem Einsatz Hoffnung zu spenden und
für andere Wohltaten zu sorgen." Deutschland trägt
seine Kriegsschuld ab, wenn es einen Krieg führt, diesmal nicht
allein und diesmal garantiert erfolgreich, an dem diesmal wirklich
– und nicht nur angeblich wie vor beinahe sechs Jahrzehnten
– ein bösartiger Serbenhäuptling schuld ist. Fischer
tut mit Deutschlands Kriegsbeteiligung also nicht bloß eine gute
Tat. Er leistet einen Dienst zur Rehabilitierung seines Vaterlandes:
Ihm schuldet er als Patriot die Teilnahme am NATO-Bombardement.
3.
Und was sagt er als Grüner und ehemals Friedensbewegter dazu?
Als solcher sagt er einmal mehr und erst recht: No problem! Auch und
gerade für Antimilitaristen ist ein guter Krieg allemal besser als
Frieden mit einem Schurken. Das hat Fischer nicht irgendwo, sondern in
seiner höchstpersönlichen friedensbewegten Biographie
entdeckt. Genauer gesagt: 1995. Da hatte er sein
Schlüsselerlebnis, das ihm den Weg zum einzig wahren
Antimilitarismus gewiesen hat. Anläßlich eines von
serbischer Soldateska in Srebrenica angericheten Massakers ist es ihm
wie Schuppen von den Augen gefallen: Gegen so etwas hilft nur Krieg.
Zutiefst betroffen, konnte er sich angesichts so grauenhafter Mordtaten
nicht mit theoretischen Schlußfolgerungen befassen – der
Überlegung etwa, wofür eine Staatsmacht – in dem Fall
eine in Gründung befindliche – Soldaten braucht, wofür
eine kämpfende Truppe sich hergibt, die an die guten Absichten
ihrer Führung glaubt, und worin der Unterschied zwischen Soldaten
und einer Soldateska liegt und wie der Übergang geht. Für
einen Menschen wie ihn, der immerzu und unermüdlich auf der Seite
des Guten engagiert ist, wäre Nachdenken in dem Fall eine
luxuriöse Zeitverschwendung gewesen. Schon gar nicht konnte er
sich mit dem Versuch aufhalten, so etwas zu kritisieren – wer
kann denn glauben, Greueltaten ließen sich dadurch verhindern,
daß man die Mitmacher kritisiert und die Betroffenen
mobilisiert?! Einem praktisch denkenden guten Menschen liegt da
jedenfalls ein ganz anderer Schluß viel näher. Wenn der vor
Gewalttaten nicht mehr die Augen verschließen mag, dann fragt er
sich nur eins: Wo, bitte, gibt es eine größere Gewalt, mit
der man dazwischenfahren kann?
Und siehe da, es gibt sie. Man gehört quasi selbst dazu: Die NATO
hat doch locker x-mal mehr an Waffengewalt zur Verfügung als die
serbischen Verbrecher! Wer will da noch umständlich herumfragen,
wofür die Allianz ihre Waffen sprechen läßt, wenn sie
sich zu deren Einsatz entschließt? Die Sache ist doch klar: Die
Missetaten fremder Soldaten bekämpft man am besten durch die
überlegenen Wohltaten der eigenen. Das haben gelehrige
Kriegsdienstverweigerer doch schon vor Jahrzehnten vor den
Ausschüssen zur Gewissensprüfung gelernt: Die Fangfrage: "Was tun, wenn ein uniformierter Russe die Freundin
vergewaltigt?" erheischt die einzig linientreue Antwort: "In die NATO eintreten, Raketen draufschmeißen!"
Fischer hat bis 1995 gebraucht; aber seither weiß er’s:
Mehr Gewalt ist das Mittel gegen Gewalt. Der einzig wahre
Antimilitarismus richtet sein Anti gegen den Militarismus des Feindes,
und zwar militärisch. Mit seiner Kriegsentscheidung ist er also
nur seinem Antimilitarismus treugeblieben!
4.
Zum Beweis, daß gelebter Pazifismus und Befürwortung des
Kriegs bei ihm kein Widerspruch sind, kann Fischer nicht nur sein "Schlüsselerlebnis von Srebrenica" aufbieten. seine
gesamte Biographie, seine politische Persönlichkeitsnatur
überhaupt zeugt für die tiefe Einsicht, daß Friede
dasselbe ist wie gerechter Krieg. Er ist nämlich
großgeworden und zu politischem Bewußtsein erwacht als
Antifaschist. Im Rahmen seiner "linksradikalen"
Sozialisation hat er nicht bloß gelernt: "Nie wieder
Krieg!", sondern auch: "Nie wieder Auschwitz!" Und so
einfach hat er es sich nie gemacht – sagt er jedenfalls jetzt als
gereifter Mensch und Minister –, daß er diesen beiden
Imperativen dieselbe Stoßrichtung entnommen hätte –
nämlich gegen nationalen Ehrgeiz, gegen eine Staatenkonkurrenz,
die vor Zerstörung als ihrem Mittel nicht zurückschreckt,
gegen den Rassismus einer Staatsgewalt, die sich gerade dann am
entschiedensten als Sachwalter der wahren Bedürfnisse ihres Volkes
aufführt, wenn sie ihr Volk als Waffe benutzt, gegen den damit
programmierten Fremdenhaß – und schließlich gegen
eine staatsbürgerliche Gesinnung, die das alles nur gerecht
findet. Nein, schon als Joschka, der leibhaftige 68er, noch gegen den
Vietnamkrieg und gegen Pinochet war, hat er immer schon gewußt,
daß zwischen der Absage an den Krieg und der Absage an die
dazugehörige Gleichschaltung und "Säuberung" des
Volkskörpers in Wahrheit ein Spannungsverhältnis besteht, das
eindeutig aufzulösen ist, nämlich zugunsten eines Krieges,
der die kriegerische Manövriermasse des Feindes von außen
befreit. Und sogar noch früher war der kleine Joschka auf
demselben Dampfer, den er heute kommandieren darf. Als Kind bereits war
er einer von denen, die ihre Eltern immer wieder gefragt haben: "Warum habt ihr Hitler nicht verhindert?!" Und schon damals
hat er mit dieser Frage nicht etwa auf die Untertanengesinnung gezielt,
die Hitlers Untertanen so wie jedes patriotisch eingeseifte Volk bis
zur letzten Konsequenz an den Tag gelegt haben, sondern gemeint, Papa
und Mama hätten eben diese gute Gesinnung doch besser dafür
benutzen lassen sollen, den Krieg gegen Hitler mit zu gewinnen. Genauso
wie er heute nicht im Traum daran denkt, die Abschaffung des "Unrechtsregimes" in Belgrad sollte die Sache der
serbischen Untertanen sein, genausowenig wollte er seine Eltern
nachträglich dafür kritisieren, daß die sich nicht zum
Widerstand gegen die Staatsgewalt der Nazis aufgerafft hatten –
nein, Außenminister hätten die alten Fischers seinerzeit
werden sollen, der NATO beitreten und ein paar Bomberstaffeln gegen
Auschwitz ordern.
Kurz gesagt: Recht verstandener antifaschistischer Widerstand –
das ist Sache derer, die die Macht und die Kompetenz zum
Kriegführen haben! Das hat der junge Joschka schon gewußt.
Der war eben schon in jenen sagenumwobenen wildbewegten 60er Jahren
politisch schwer auf Draht.
5.
Und er war jedenfalls nicht so ein Drückeberger wie seine Eltern.
Fischer hat aus der Vergangenheit gelernt. Wie schon andere große
deutsche Politiker vor ihm, hat er aus den Gewaltorgien, die Politiker
veranstalten, sobald sie es für ihre patriotische Pflicht halten,
den einzig senkrechten Schluß gezogen: So etwas muß ich
auch können! "Da beschloß ich, Politiker zu
werden!" Gesagt, getan. Aus Joschka, dem alten
Straßenkämpfer, wurde Fischer, der alternative
Außenminister. Und schon sieht die Welt völlig anders und
vor allem gar nicht mehr so übel aus. Von wegen, Revolutionen
könnten oder sollten die Welt verändern – Kriege sorgen
für den Sieg der Gerechtigkeit! Von wegen, Militiarismus-Kritik
wäre ein Beitrag zum Frieden – Soldaten sind das
unabdingbare Handwerkszeug für Weltverbesserer! "Stell Dir
vor, es ist Krieg, und keiner geht hin!" – wenn die
Deutschen das ernstgenommen hätten, das wäre echt dumm
gelaufen für den Sponti von einst; denn in einem langen
Selbsterfahrungsprozeß hat Fischer eins begriffen: Ein
Außenminister wäre ohne erfahrene Generäle und tapfere
Soldaten völlig aufgeschmissen. Das ist doch mal eine Erkenntnis
fürs Leben. Jetzt weiß er und bekennt es öffentlich:
was er an "unseren Jungs von der Bundeswehr" hat.
6.
Fischer hat also ein astreines Gewissen, was den Kosovo-Krieg betrifft.
Doch was wäre ein gutes Gewissen ohne das schlechte, aus dem es
sich immer herausarbeitet! Seine unabweisbare Einsicht in die
Notwendigkeit überlegener militärischer Gewalt nimmt er daher
keineswegs auf die leichte Schulter. Nein, Joschka ist "innerlich
zerrissen", sagt das auch jedem, der es hören soll, und
steht dazu. Denn wenn einer weiß, daß "es in dieser
Sache keine unschuldigen Positionen gibt", dann er. Er ist
deshalb unendlich tolerant gegenüber jedem, der das auch so sieht
und auf dem richtigen Weg der bitteren Erkenntnis ist.
Was er allerdings überhaupt nicht leiden kann, sind Leute, die in
all ihrer Zerrissenheit zwischen Pazifismus und Einsicht in die
Notwendigkeit von "gerechten Kriegen" zur entgegengesetzten
Schlußfolgerung kommen. Mit Heucheleien kennt Fischer sich
nämlich aus, sobald das Resultat einer Gewissensprüfung in
Sachen Krieg und Frieden nicht mit seinem übereinstimmt. In dem
Fall kann dem ganzen Gewissensgetue überhaupt kein lauteres Motiv
zugrunde liegen. Sobald also einer auftritt und selbst nach den ganzen
selbstquälerischen Geständnissen des Joschka Fischer noch
Zweifel an der deutschen Kriegsbeteiligung äußert, dann
hilft alles nichts, dann muß der Außenminister auch mal
Klartext reden. Speziell dann, wenn gewisse Figuren von der politischen
Konkurrenz meinen, sie könnten mit pazifistischen Parolen seine
grüne Anhängerschaft und seine Partei durcheinanderbringen
und verunsichern. Wenn ihm beispielsweise ein Herr Gysi mit dem Hinweis
kommt: "Keine einzige Bombe hat bisher einem einzigen
Flüchtling genützt!" – dann ist aber blitzschnell
Schluß mit der Phase der Gewissenserforschung. Dann durchschaut
Fischer sofort und souverän die Gewissenlosigkeit eines
parlamentarischen Schmarotzers, der besserwisserisch aus dem Urlaub
zurückkehrt, als selbsternannter Unterhändler nach Belgrad
reist, sich mit dem dortigen Verbrecher gemein macht und damit
überhaupt bloß dem Wählervolk gefallen will, an dem er,
Fischer, doch gerade harte demokratische Überzeugungsarbeit
leistet. Gerade weil er seinen Pazifismus bis zum bitteren Ende immer
nur ehrlich meint, ergreift ihn der gerechte Zorn angesichts eines
solchen widerlichen "Zweckpazifismus". Dann schlägt er
aber zu gegen Abweichler, die die Absage an den Faschismus schon immer
anders verstanden haben – irgendwie klassenkämpferisch,
jedenfalls nicht als NATO-Auftrag – und die sich folglich mit
jedem Bedenken gegen den gerechten Fischer-Krieg unweigerlich und nur
als "Weißwäscher des Faschismus" betätigen.
Dann darf auch der Hinweis nicht fehlen, daß schon die gesunde
Urlaubsbräune, mit der so ein Feind der gerechten nationalen
Kriegssache ihm gegenübertritt – ihm, der mit immer tieferen
Augenringen Tag und Nacht für den Frieden rackert! –, den
feigen und frechen Drückeberger entlarvt.
7.
Bleibt noch das eine Bedenken, mit dem die Konkurrenz von rechts dem
Außenminister an den Karren zu fahren versucht: Kann ein so durch
und durch guter Mensch, ein bekehrter Pazifist, ein glühender
Antifaschist, der die Bundeswehr für die größte
Friedensbewegung der Welt hält, kann so jemand nicht eventuell mit
seiner Überdosis an Güte in der deutschen Außenpolitik
über das national erwünschte Ziel hinausschießen? Sieht
der deutsche Außenminister vielleicht vor lauter gutem Willen
keine klaren berechenbare Ziele mehr bei seinem Balkanengagement?
Auch in der Hinsicht: Kein Grund zur Sorge. Fischer ist nicht nur
mitzuständig für die militärische Durchsetzung des Guten
auf der Welt. Er weiß auch wie sonst nur wenige, wie man dem
Guten politisch auf die Sprünge hilft. Wenn nämlich jemand
ein Fan einer "politischen Lösung für den Balkan"
ist, dann doch wohl er. Der Krieg war noch kaum in Gang gekommen, da
ist Fischer bereits zu großer Form aufgelaufen und hat einen Plan
präsentiert, der so ziemlich alles in den Schatten stellt, was die
Welt an Plänen bis dahin gesehen hat: den Fischer-Plan für
eine Nachkriegsordnung auf dem Balkan – strenggenommen weniger
ein Plan als vielmehr, wie es sich für große Geister
gehört, mindestens eine Vision. Der berühmte Kohl-Plan
für "blühende Landschaften" in der deutschen
Ostzone war jedenfalls eine matte Angelegenheit im Vergleich zu der
visionären Kraft, die das Fischer -Projekt auszeichnet. Er
hält sich erst gar nicht unnötig mit belanglosen
Kleinigkeiten auf; schon gar nicht mit der Frage, ob die Bewohner des
Balkans unter Umständen auch etwas anmelden wollen, wie sie ihre
künftigen Lebensbedingungen wünschen. Er weiß doch, was
denen da unten erstens fehlt und zweitens gut tut: Da muß zuerst
ein Krieg für klare Machtverhältnisse sorgen, damit die NATO
nach ihren eigenen menschenfreundlichen Kriterien anschließend
reparieren kann, was sie auf dem Balkan durcheinander gebracht hat.
Fischer ist eben ein Mann mit der Fähigkeit, weit in die Zukunft
zu visionieren. Noch bevor die letzte serbische Donaubrücke
zerbombt ist, denkt er schon daran, wie dann dereinst ein unter seiner
klugen Anleitung zu fördernder, natürlich am besten
multikulturell zusammengesetzter balkanesischer "Mittelstand" die Trümmer wieder aus der Donau holt
und überhaupt die Infrastruktur in der Region auf Vordermann
bringt. Ja, so werden sie dann wohl entstehen, die "blühenden Landschaften" und "stabilen,
demokratischen Strukturen in der Balkanregion" – mit der
Zeit versteht sich. Was muß er heute einen Gedanken darauf
verschwenden, daß die gesamte westliche kapitalistische Welt seit
der Befreiung des Balkans vom kommunistischen Joch für diesen "europäischen Hinterhof" keine Verwendung hatte? Was
muß er sich heute darum kümmern, daß durch den Krieg
die politischen und wirtschaftlichen Zustände in den Balkanstaaten
immer chaotischer werden? Er hat doch einen Plan für eine bessere
Zukunft!
8.
Und er weiß, daß die Zukunft der Balkanvölker
letztlich in einem befriedeten "multikulturellen
Zusammenleben" bestehen muß. Die mögen das zwar noch
anders sehen. Er aber hat den festen Glauben, daß letztlich auf
dem Balkan alles gut werden wird, wenn man Leute wie ihn nur machen
läßt. Sicher, er versteht Leute, die gutwillig daran
zweifeln, ob das denn machbar ist; ob z.B. je wieder an ein "friedliches Zusammenleben der Völker auf dem Balkan"
zu denken sei, wo die gerade kräftig nach "ethnischen
Gesichtspunkten" gegeneinander aufgemischt werden und damit
beschäftigt sind, sich wechselseitig zu massakrieren. Doch Joschka
weiß gleich zwei Antworten, die auch dem skeptischsten Rassisten
das Maul stopfen: Erstens muß selbstverständlich die NATO
dort unten für ein "zivilisiertes Zusammenleben"
sorgen – für eine "Übergangszeit", die
lässig ein paar Jahrzehnte dauern kann. Denn zweitens hat es auch
bei "uns Deutschen" seine Zeit gebraucht, bis "wir" die durch und durch sympathischen Burschen geworden
waren, als die die Welt "uns" heute schätzt. Das
erfüllt ihn mit großer Hoffnung. Er muß nur einen
bewundernden Blick auf die letzten 50 Jahre seines Vaterlandes werfen,
und schon ist ihm alles klar. "Vor 50 Jahren hätte sich auch
niemand vorstellen können, daß in Deutschland wieder
blühende jüdische Gemeinden existieren und Deutschland wieder
ein allseits geachtetes Mitglied der Staatengemeinschaft ist."
Und überhaupt, ist nicht gerade Deutschland heute wieder ein
wunderbares Beispiel für demokratische Kultur und multikulturelles
Zusammenleben? Mag die deutsche Jugend auch Ausländer totschlagen
und Asylantenheime anzünden, mag die politische Konkurrenz von den
C-Gruppen mit einer Ausländer-Hetzkampagne gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft ihre "Kampagnenfähigkeit"
eindrucksvoll unter Beweis stellen, mag das Stück christlichen
Abendlandes, das er mitregieren darf, auch seine Grenzen dicht machen
für die fremdrassigen und andersgläubigen Flüchtlinge,
für deren Heil die NATO Jugoslawien zerlegt – das alles kann
Fischers liebevollen Blick auf das Land, das er regiert, nicht
trüben: Deutschland ist ein hervorragendes Land, ein Beispiel
für die Welt, ein Modell – würde er ihm sonst als
Außenminister dienen? Und wenn endlich alle anderen sich daran
ein Beispiel nehmen und seine menschenfreundlichen Visionen teilen
– dann wird garantiert alles gut auf der Welt. Dann muß
doch auch unter den jugoslawischen Ethnien mindestens eine durch
freiheitliche Gewalt gestiftete Zwangsgemeinschaft möglich sein.
Eine Völkergemeinschaft, wie sie früher einmal ein gewisser
Tito zu verantworten hatte. Die sich dann aber ziemlich schnell als "Völkergefängnis" entlarvt hatte, dessen
Fortsetzung "wir" den Tito-Nachfolgern ganz energisch
verweigern mußten.
PS.
Ein erster Lohn der guten Tat zeichnet sich bereits ab. Wenigstens in
einer Hinsicht hat sich für den Außenminister mit dem
Fischer-Plan schon ein bißchen was zum Guten gewendet: Sein
Partei-Fußvolk ist ziemlich ergriffen. Es weiß seine
unermüdlichen Bemühungen um eine "politische
Lösung" zu schätzen und beschimpft ihn kaum noch als "Kriegstreiber". Er konnte zwar noch nicht dafür
sorgen, daß die NATO auch mal wieder mit dem Bombenwerfen
aufhört. Aber er hat immerhin durchgesetzt, daß die NATO bei
ihrer historischen Geburtstagsfeier nichts weiter dagegen einzuwenden
hatte, daß nach der Kapitulation Belgrads eventuell zu
ergreifende Maßnahmen unter dem Namen "FISCHER-Plan"
in die Geschichte eingehen werden. Er hat also außenpolitisches
Profil gezeigt und erreicht, daß die Stimme Deutschlands im
Bündnis wieder und weiterhin gebührende Berücksichtigung
findet – auch wenn ihn die schmerzliche Erfahrung wurmt,
daß im Bündnis der Freiheit und Gerechtigkeit das Gewicht
der Mitglieder nach ihren militärischen Kapazitäten gemessen
wird und er da immer noch verdammt wenig "einzubringen"
hat. Aber immerhin, er genießt irgendwie doch auch den Respekt
seiner NATO-Kollegen, also auch die Liebe seiner Partei. Und darauf
kommt es doch wohl an – schon wegen des "entsetzlichen
Leids der Kosovo-Albaner", dem Joschka nach wie vor einfach nicht
tatenlos zusehen kann.
PPS.
Bei aller moralischen Güte und bei aller politischen Weitsicht
– Joschka Fischer ist darüberhinaus tatsächlich auch
noch ein Mensch wie du und ich. Denn was ist des Frontsoldaten
größtes Glück im Krieg? Richtig, eine Kriegshochzeit.
Wenn schon nicht unter "Stahlgewittern", so doch wenigstens unter
extremstem Termindruck und unter Ausschluß der
Öffentlichkeit! Das ist schön, das ist rührend!
Unseretwegen hätte dieser Grad an Aufopferung für die gute
Sache wirklich nicht sein müssen. Aber wenn schon: Wäre er
doch, anstatt gehässig auf Gysis Urlaubsbräune zu schielen,
einfach mit seiner neuesten rein privaten Eroberung schon vor Wochen zu
einem endlosen Marathon-Urlaub in die Toskana abgehauen!
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