Das Kosovo
Noch eine internationale Friedensstiftung – noch ein Krieg auf dem Balkan
1.
Anfang März entschließen sich die serbischen Staatsorgane zu
einer mehr militärischen als polizeilichen Aktion gegen angebliche
oder wirkliche albanische Unruhestifter in ihrer südwestlichen
Provinz Kosovo. Dort hat sich in den Wochen zuvor die Konfrontation
zwischen albanischen Nationalisten, die für ihre Region staatliche
Unabhängigkeit fordern, und der Staatsgewalt, die für den
Zusammenhalt des serbischen Staates einsteht, verschärft. Eine bis
dahin unbekannte albanische Untergrundarmee hat bewaffnete
Überfälle auf serbische Polizeistationen unternommen. Zur
Abschreckung solcher Aktivitäten geht die Staatsgewalt – wie
stets, wenn es um die Rettung der Ordnung geht – mit gezielter
Brutalität auch gegen das "terroristische Umfeld" vor;
auf Frauen, Kinder und "Hochschwangere" (SZ, 9.3.98) wird
wenig Rücksicht genommen. Damit ist der Aufruhr
selbstverständlich nicht erledigt; der völkische Wahn, nur
unter autochthonem Herrschaftspersonal wäre das Leben auszuhalten,
gehört zu den politischen Standpunkten, die sich durch
Unterdrückung bestätigt sehen und zu allem berechtigt finden
– insbesondere dazu, der bestehenden Staatsgewalt auf dem Feld
der Gewaltanwendung eine heiße Konkurrenz zu liefern. Zwei
allerhöchste Rechtsansprüche stehen gegeneinander:
albanisches Selbstbestimmungsrecht gegen serbische Fremdherrschaft bzw.
Souveränität und Integrität Serbiens gegen albanischen
Sezessionismus; der völkisch begründete
Staatsgründungswille der einen Seite steht gegen den
Selbsterhaltungswillen der existenten Staatsmacht auf der anderen. Der
Gegensatz ist unversöhnlich und seiner Natur nach nicht
kompromißfähig, weil beide Seiten mit ihrer
Entschlossenheit, die Hoheit über einen Landstrich zu erringen
oder zu behaupten, der "heute einer bewohnten Müllkippe
gleicht" (FAZ, 7.2.), keinen anderen Zweck verfolgen, als diese
Hoheit auf keinen Fall der anderen Seite zu überlassen. Nicht
Elendsbeseitigung und Wohlstand stehen auf der Tagesordnung, über
deren Wege und Ziele sich eventuell sogar Serben und Albaner einig
werden könnten, sondern die pure Souveränitätsfrage.
Deshalb ist klar – die Frankfurter Allgemeine weiß das
schon lange vorher: "Die Dinge scheinen sich auf einen Krieg
zuzubewegen." (ebd.)
2.
Ohne Schrecksekunde meldet sich die freie Welt zu Wort. Keine Frage,
welches Subjekt zur friedensstiftenden Einmischung herausgefordert ist,
wo zwei feindliche Staatswillen aufeinandertreffen. Gefordert sind
nicht gute Worte und keine Absage an den völkischen Wahn aller
Beteiligten und schon gleich nicht dessen Kritik. Gegen den
bedingungslosen Staatswillen, der da auf beiden Seiten seine
Gewalttätigkeit und seinen Kriegswillen unter Beweis stellt, hilft
nur die überlegene Gewalt eines noch mächtigeren
Staatswillens. Nur imperialistische Vormächte können die
Streithähne auseinanderhalten und zum Frieden zwingen: Die
ursprünglich für den bosnischen Ordnungsfall
zusammengetretene "Kontaktgruppe" der Weltmächte
erklärt sich zuständig auch noch für den Frieden auf dem
Amselfeld. Sie muß handeln, und zwar schnell, um eine sich rasch
verschlechternde Situation – eine regelrechte Zeitbombe –
zu entschärfen. Zurückhaltung und Zögern verbieten sich.
So jedenfalls – als eine dringend nötige Reaktion –
wollen die Mächte der Kontaktgruppe ihr Eingreifen verstanden
wissen. Den Bedarf nach ihrem entschlossenen Durchgreifen wollen sie
übrigens aus dem ersten jugoslawischen Krieg und seinen Leiden
gelernt haben.
"Zunächst müssen wir anerkennen, daß diese Krise
keine interne Angelegenheit der Bundesrepublik Jugoslawien ist."
(US-Außenministerin Albright vor der Kontaktgruppe am 9.3.) "1991 reagierte die internationale Gemeinschaft nicht mit
genügend Nachdruck und Gewalt. Die internationale Gemeinschaft
dürfe die Fehler von damals nicht wiederholen. Die Ereignisse im
Kosovo glichen denen, die schon 1991 im ehemaligen Jugoslawien zum
Krieg geführt hätten." (Albright laut FAZ, 27.3.98)
Wie wahr! Schon bei der Zerlegung des alten Tito-Staats durch die
nationalistischen Erben des sozialistischen Gemeinwesens waren die
– "selbst ernannten" – Ordnungsmächte von
diesseits und jenseits des Atlantik von Beginn an engagiert: Sie haben "Kompromißlösungen" gefordert und für den
Fall ihres Scheiterns die Anerkennung und Unterstützung der
separatistischen Bestrebungen in Aussicht gestellt, so daß deren
Häuptlinge bloß jeden Kompromiß zu hintertreiben
brauchten, um die wahrhaft mächtigen Mitglieder der Staatenwelt
auf ihre Seite zu bringen. Diese haben sich nach der Rolle des
Schiedsrichters zwischen den streitenden Parteien gedrängt und
damit die Gründer völkischer Kleinstaaten nicht nur
kräftig ermuntert, sondern ihnen auch zu diplomatischer
Gleichberechtigung und politischer Gleichstellung mit ihrem
zentralstaatlichen Souverän verholfen. Sie haben – im Streit
untereinander und dann doch gemeinsam – alle "Lösungen" unterhalb der Errichtung neuer Staaten von
ihren Gnaden unterbunden und die dadurch in die Länge gezogenen
Staatsgründungskriege mit überlegenen Mitteln zu einem
Zwischenergebnis hingelenkt, das den serbischen Nationalismus auf der
ganzen Linie als Verlierer dastehen läßt – zur Strafe
für seine halbherzigen Versuche, erst eine gesamtjugoslawische
Souveränität zu retten, dann ein möglichst großes
Serbien aus den Trümmern des Tito-Staates hervorgehen zu lassen.
Nach dieser Logik handeln die Aufsichtsmächte wieder im Fall des
Kosovo; und das nicht erst seit den Massakern von Anfang März.
Schon seit Jahren bestehen sie darauf, daß die serbische
Zentralgewalt in ihrer überwiegend albanisch bevölkerten
Provinz legitime Belange eines ehrenwerten Volkstums unterdrückt,
also Widerstand gegen die Belgrader Obrigkeit angezeigt ist und
Unterstützung verdient. Diese Botschaft ist an den albanischen
Nationalisten vor Ort nicht spurlos vorbeigegangen. Seit 1990 haben sie
einen "Präsidenten", der zwar auch im Westen –
noch – nicht als richtiger Staatsrepräsentant anerkannt ist,
aber auch nicht unter das Verdikt "selbsternannt"
fällt. Er gilt den auswärtigen Betreuern der Lage als
zumindest halboffizieller "Sprecher" der Kosovo-Albaner. Im
Abkommen von Dayton wurde das Kosovo dann, obwohl wirklich nicht in
Bosnien gelegen, zu einem offiziellen Gegenstand der Aufsicht der
Kontrollmächte erklärt. Damit wurde, nachdem das Projekt
einer irgendwann anzugliedernden bosnischen Republika Srpska
erfolgreich erledigt war, der serbischen Republik die
Souveränität über ein weiteres Stück ihres
Territoriums bestritten. Auf der Bonner Bosnien-Konferenz im Dezember
97 hat man dann "das Scheinwerferlicht auf das Kosovo"
gerichtet und die "Schrauben des Befriedungsbeistandes"
(Kinkel) enger gedreht. Viel Übereinstimmung in der Tat –
mit den "Ereignissen, die schon 1991 zum Krieg im ehemaligen
Jugoslawien geführt haben"! Zu dieser Übereinstimmung
gehört vor allem, daß die Weltmächte wie 1991 ihr
Eingreifen, mit dem sie aktiv einen Staat zerlegen und einen
Teilungskrieg auf die Tagesordnung setzen, als Reaktion auf eine ohne
ihr Zutun explosive Lage darstellen, die nur ihre Übermacht
entschärfen kann. Im Namen der Menschenrechte und des
Völkerrechts, des Friedens und der Stabilität in der Region,
im Interesse der Sicherheit der Nachbarn und aus Gründen der
Glaubwürdigkeit ihres Befriedungs-Engagements auf dem Balkan,
sowie in Sorge vor einer "drohenden Lawine neuer
Flüchtlinge" sehen USA und EU sich verpflichtet –
allen voran wieder Deutschland wegen "besonderer
Betroffenheit" durch albanische Asylbewerber, die man weiterhin
fleißig abschiebt –, ohne falsche Zurückhaltung "rechtzeitig" und hart genug einzugreifen, "damit
Bosnien sich nicht wiederholt".
3.
Schon wieder kennen sich die Weltmächte in dem Gegeneinander eines
staatserhaltenden und eines separatistischen Nationalismus aus und
wissen genau, welche Seite Täter und welche das Opfer ist, das
ihre Unterstützung verdient. Die Bösen sind dieselben wie
damals:
"Zweitens dürfen wir uns nicht von künstlicher
Unparteilichkeit lähmen lassen, die Aggressoren und ihre Opfer auf
die gleiche Stufe stellt." (US-Außenministerin Albright vor
der Kontaktgruppe am 9.3.) "Der jugoslawische Präsident
Milošević arbeite wieder mit den gleichen Methoden wie 1991."
(Albright lt. FAZ 27.3.) [1]
Einmal mehr stört sich die freie Welt an der regionalen
Staatsmacht, die sich anmaßt, ihren Rechtsanspruch auf ihren
nationalen Besitzstand souverän geltend zu machen und nicht darauf
zu warten, was ihr von den großen Konkursverwaltern des
ehemaligen Jugoslawien zugeteilt oder entzogen wird. Daß die
Belgrader Regierung sich so autonom aufführt, langt nach wie vor
als Grund für die nordatlantischen Interventionsmächte, jede
innere Opposition gegen "das Regime" zu unterstützen
und alle Initiativen zur Spaltung des serbischen Reststaats zu
fördern: Der gegen Milošević kritische neue Präsident der
Teilrepublik Montenegro wird allein deswegen als der richtige Mann am
richtigen Platz begrüßt und gelobt, weil man sich von ihm
eine Schwächung der Belgrader Zentralmacht verspricht; aus
demselben Grund wird den Kosovo-Albanern – eben ganz nach dem
Muster der Zerlegung des alten Jugoslawien! – der Rechtsanspruch
auf einen auswärtigen Vermittler in ihrem Streit mit Belgrad
zuerkannt und damit immerhin der Status einer völkerrechtlichen
Partei von irgendwie gleichem Rang wie die Staatsmacht in Belgrad.
Daß diese Würdigung des albanischen Separatismus eine
Aufteilung Serbiens diplomatisch auf den Weg bringt und legitimiert,
ist allen Beteiligten klar. Wenn der Belgrader Staat das dann aber auch
so sieht und seine Delegation unter Protest aus der Bonner
Bosnien-Konferenz im Dezember zurückzieht, weil man dort über
seine "Unruheprovinz" verhandelt; wenn Milošević sich gegen "Vermittlungsangebote" verwahrt, weil sie ihm ganz zu Recht
als "Einmischung in innere Angelegenheiten" vorkommen; dann
läßt er es ganz eindeutig an "Kooperationswillen" und "Dialogbereitschaft"
fehlen. Der serbischen Seite muß es genügen, wenn wichtige
NATO-Außenminister versichern, an regelrechte staatliche
Unabhängigkeit für die Kosovo-Albaner sei nicht gedacht, "nur" an "mehr Autonomie" – als wäre
nicht damit klargestellt, daß es die Mächte der "Kontaktgruppe" sind, die bestimmen, wie weit die
Befugnisse des rest-jugoslawischen und speziell serbischen Staats auf
seinem Territorium und gegenüber seinem Staatsvolk reichen. Die
Westmächte erklären es zu ihrer Entscheidung, wieviel von
diesem Staat in welcher Form übrig bleibt.
4.
Dabei darf Milošević den imperialistischen Neuordnern des Balkan
durchaus glauben, wenn sie versichern, keine Geburtshilfe für ein
eigenstaatliches "Gebilde" Kosovo, womöglich als
Vorstufe zu einem "wiedervereinigten" Groß-Albanien
leisten zu wollen – eine Möglichkeit, die als Konsequenz
albanischer "Selbstbestimmung" also auch schon antizipiert
wird. So viel Selbstbestimmung aber würde Mazedonien, das noch gar
nicht recht etablierte jugoslawische Zerfallsprodukt von
amerikanisch-europäischen Gnaden, zerstören und den NATO- und
EU-Partner Griechenland heftig stören. Die gemeinschaftliche
Aufsicht der Weltmächte über den Balkan will Serbien
schwächen, womöglich seinen Zerfall herbeiführen, sie
macht sich aber keineswegs zum Instrument der albanischen Feinde
Serbiens. Die Aufsichtsmächte lassen sich nicht vor den Karren
albanischer Staatsgründungsambitionen spannen, vielmehr spannen
sie die Separatisten vor den ihren. Als Hebel, die serbische
Souveränität zu demontieren, kommen sie ihnen gerade recht;
Hoffnungen auf die Verwirklichung ihrer Anliegen brauchen sich die
Separatisten freilich nicht zu machen. Etwas anderes als wieder einmal
eine pur negative Zwangsgemeinschaft feindlicher völkischer
Kollektive – das Verbrechen des Tito-Staates, der deshalb
untergehen mußte – haben die Aufsichtsmächte den
Albanern ebensowenig zu bieten wie den Bosniern. Diese
Zwangsgemeinschaft versprechen sie zu vermitteln. Aber worauf wollen
sie damit überhaupt hinaus?
Es geht offenbar nicht um neue Grenzen und neue Staaten, die die
Weltmächte in ihrem Interesse schaffen würden. Es ist auch
gar kein bestimmtes Interesse in Sicht, das eine bestimmte Lösung
der von Albright, Kinkel und anderen gestellten "Kosovo-Frage" verlangen würde. Das Ziel, das die
NATO-Mächte mit ihrem zersetzenden Zugriff auf den Bestand
Rest-Jugoslawiens verfolgen, ist methodischer. Es liegt offenbar in
diesem Zugriff selbst und fällt zusammen mit dem Grund, aus dem
sie sich mit Milošević und seinem Restposten jugoslawischer Macht nicht
abfinden mögen: Sie dulden keine Staatsgewalt in der Region, die
aus eigener Souveränität ihre Reichweite definiert, ihren
Bestand durchsetzt und in ihrem Sinn für Ordnung sorgt. Die
geforderte "Internationalisierung" des Kosovo-Konflikts ist
kein Mittel zur Lösung irgendeines Problems; sie ist selber die "Lösung", nämlich die Durchsetzung
imperialistischer Kompetenz. Insofern ist sie die "Ordnung", um die es Amerika und der EU im räumlichen
und zeitlichen Anschluß an ihr gleichgeartetes bosnisches
Ordnungswerk geht.
Ihre Drohungen, Ultimaten und Sanktionen, ihre erpresserischen Kontakte
mit der serbischen Staatsführung und mit den aufständischen
Albanern haben nicht nur die Eskalation des völkischen Gegensatzes
vorangebracht, sie haben längst dazu geführt, daß beide
Bürgerkriegsparteien ihre Aktionen und Gegenmaßnahmen auf
die internationale Aufsicht beziehen. Für sie und mit
Rücksicht auf sie wird demonstriert, geschossen und auch mal
wieder verhandelt. Der selbsternannte Schiedsrichter dieses Konflikts
schafft ihn sich und bestimmt seine Austragung.
5.
Die albanischen Nationalisten im Kosovo sehen sich mit ihrem Drang zum
eigenen Staat ins Recht gesetzt – auch denen bleibt nicht
verborgen, daß die diplomatische Intervention der Kontaktgruppe
auf die Entmachtung ihres bisherigen serbischen Souveräns und auf
die Teilung des Belgrader Staates hinausläuft. Und sie haben
schnell begriffen, wo ihre Chance liegt: Um ihren Staatswillen seiner
Erfüllung näherzubringen, müssen sie nicht mehr und
nicht weniger zustande bringen als eine unhaltbare Lage, die den
Aufsichtsmächten die nötige Handhabe bietet, sich als
Vermittler immer weiter einzumischen und den Zentralstaat auf den
Status einer Partei zu reduzieren, die die Entscheidungen
übergeordneter Instanzen hinzunehmen hat. Verhandlungen mit ihrer
serbischen Staatsführung müssen sie einerseits fordern,
andererseits konsequent verweigern, um Milošević vor der Forderung der
Kontaktgruppe nach erfolgreichen Gesprächen mit der albanischen
Minderheit ins Unrecht zu setzen und eine Eskalation der westlichen
Drohungen und Sanktionen zu erwirken.
Zu diesem guten Zweck tragen die unterschiedlich radikalen Fraktionen
des Kosovo-Albanertums jeweils das Ihre bei: Die gemäßigte
Mehrheitspartei um den "Präsidenten" Rugova fungiert
als ziviler Verhandlungspartner, der jederzeit zu gleichberechtigten
Gesprächen mit Belgrad bereit ist, und mit dem sich jeder
internationale Vermittler an einen Tisch setzt. Zu diesem Zweck
inszeniert sie, so gut es geht, eine kosovo-albanische Staatlichkeit
mit freien Wahlen, großer Wahlbeteiligung und einem
überwältigenden Abstimmungssieg. Die Untergrundarmee dagegen
agiert auf eigene Faust, liefert sich kleine Gefechte mit der
Staatsmacht und führt auf diese Weise den praktischen Beweis,
daß die Provinz schon nicht mehr voll in der Hand der Zentrale,
eine Schlichtung von außen also unabdingbar ist. Rückhalt
genug findet sie im benachbarten albanischen Mutterland. Die
Volksmassen schließlich haben nichts besseres zu tun, als nach
Bedarf und zeitweise täglich zu Demonstrationen für ein
freies albanisches Kosovo anzutreten und ihre verhandlungsbereiten
Vertreter in dem Standpunkt zu bestätigen, daß es mit der
serbischen Obrigkeit außer über ihren Rückzug nichts zu
verhandeln gibt. Und das eigentlich auch nicht, weil ein guter Albaner
den Versprechungen und Zusagen eines Serben ohnehin nicht traut. "Lösbar" ist diese "verwickelte Lage" nur
durch eine bewaffnete Intervention der NATO, "um eine
internationale Präsenz in allen möglichen Formen
herzustellen" (SZ, 9.3.), meint "Präsident"
Rugova, Ehrendoktor der Pariser Uni und anerkannter "Apostel der
Gewaltlosigkeit"; am liebsten wäre ihm ein regelrechtes
internationales Protektorats nach bosnischem Muster;
übergangsweise, versteht sich, bis die Serben "befriedet" sind.
6.
Die serbische Seite, angeführt von dem im Westen verfemten
Präsidenten Milošević, reagiert wie schon die ganzen Kriegsjahre
hindurch: widerstrebend; also einerseits mit Gewalt auf eigenen
Positionen bestehend, das dann aber doch nicht mit letzter Härte,
vielmehr defensiv; im Endergebnis daher nachgiebig – ohne
daß ihm deswegen sein Widerstreben verziehen würde.
So hat sich die Belgrader Regierung auf die Bosnien-Konstruktion
nebenan eingelassen, um dafür die internationale Anerkennung ihrer
zusammengeschmolzenen und in bescheidenem Rahmen neugegründeten
Bundesrepublik Jugoslawien sowie die Aufhebung der gegen sie
gerichteten Sanktionen einzutauschen. Beides hat sie nicht bekommen;
stattdessen wird ihr Restbestand an der schwächsten Stelle, dem
Kosovo eben, diplomatisch angegriffen. Dagegen wehrt sie sich nach
Kräften, verweigert die "Internationalisierung" der
Statusfrage des Kosovo. Ihre Delegation verläßt – wie
erwähnt – die Bosnien-Konferenz in Bonn, auf der die
Aufsichtsmächte ihre Zuständigkeit wie
selbstverständlich auf das Kosovo, immerhin serbisches
Staatsgebiet ausgedehnt haben; amerikanischen "Beobachtern"
werden Visa für die Provinz im Süden verweigert; andere
werden verhaftet und ausgewiesen. Die Regierung verwahrt sich gegen "Einmischung" von außen – und ist dabei doch
alles andere als konsequent: Weil die Kontaktgruppe "Gespräche" mit den Kosovo-Albanern verlangt, werden
Termine angesetzt und Unterhändler nach Priština geschickt, die
vergeblich auf die eingeladenen "Partner" warten. Zu
anderen Verhandlungen über begrenzte Streitfragen, wie den
Gebrauch von staatlichen Bildungseinrichtungen durch die
Vorkämpfer der albanischen Muttersprache, werden ausländische
Persönlichkeiten als Vermittler und Zeugen des guten Willens
hinzugebeten. Höhepunkt dieses "Kampfes": Das
serbische Volk wird zu einer Abstimmung über die Frage gebeten, ob
die Nation sich "ausländische Vermittlung" im Streit
um den staatsrechtlichen Status des Kosovo gefallen lassen soll.
Daß diese Aktion auf ein flammendes "Nein!" aller
guten Patrioten berechnet ist, wissen die demokratischen Profis aus dem
Westen und nehmen dieses Stück Demokratie seinem Veranstalter als
Mißbrauch übel – sowie als einen infamen,
selbstverständlich untauglichen, Versuch, seine
Hartnäckigkeit in dieser Souveränitätsfrage vor der
allein wahrhaft demokratischen Außenwelt ins Recht zu setzen. [2]
Dabei sehen sie glatt darüber hinweg, wie defensiv diese "pseudodemokratische" Hinterlist in Wahrheit ist: Mit ihr
gesteht die Belgrader Führung, wie sehr sie sich bereits darauf
angewiesen sieht, daß das so schön heuchlerisch auf
demokratische Verfahren pochende Ausland, wenn schon nicht die
Souveränität der Regierung, dann vielleicht wenigstens ein
überzeugendes Votum des Volkes respektiert. [3]
Gleichzeitig setzt die Regierung alles daran, im Kosovo eine haltbare
Lage herzustellen. Das bedeutet auf der einen Seite gewaltsames
Vorgehen gegen "terroristische Umtriebe" und offenen wie
versteckten Widerstand. Zu einer regelgerechten Abschreckungsstrategie
nach dem Drehbuch ordentlicher demokratischer
Terrorismus-Bekämpfer mag der "Kriegstreiber Milošević" sich dann aber doch nicht entschließen –
wie sonst soll man die Berichte westlicher Zeitungen über eine
sich schon jahrelang hinziehende "Kriegslage niederer
Intensität" verstehen, in der terroristische Anschläge
der "Befreiungsarmee der Kosovo-Albaner" an der
Tagesordnung und ganze Bezirke nicht mehr richtig unter serbischer
Kontrolle sind? Offenbar hat die serbische Polizei
bürgerkriegsmäßige Aufräumaktionen auch
öfters unterlassen; und das sicher nicht aus
Menschenfreundlichkeit, sondern mit Blick auf die äußeren
Mächte, die jeder Anwendung staatlicher Gewalt in Serbien einen
Rechtstitel mehr für eigenes gewaltsames Eingreifen entnehmen.
Noch eigentümlicher nimmt sich der Umgang des restjugoslawischen "Staatsterroristen" mit dem zivilen Widerstand im Kosovo
aus: Welcher liberale Rechtsstaat würde in aller Gelassenheit
einer illegalen Wahl zuschauen, welche einen Untergrundpräsidenten
in sein Untergrundamt bringt und die von ihm betriebene Sezession
legitimiert? Offenkundig ist dieses seltsame Schauspiel auf eine
Außenwelt berechnet, die die serbische Zurückhaltung
anerkennen und mit der Bereitschaft honorieren soll, die Kosovo-Frage
doch als "innere Angelegenheit" der jugoslawischen Republik
zu behandeln. So pocht die Regierung darauf, daß das Kosovo von
der Zuständigkeit der Aufsichtsmächte ausgenommen bleibt; sie
will ihre alleinige Hoheit über ihr Volk und Land genehmigt
bekommen – und gesteht eben damit ein, daß der Konflikt um
das Kosovo schon längst keine innerserbische Angelegenheit mehr
ist.
7.
Die in der "Bosnien-Kontaktgruppe" zusammengeschlossenen
Weltmächte haben nun auch Serbien – was es ist, was aus ihm
wird, wie weit es reicht und wie im Land regiert werden darf – zu
ihrer Sache gemacht. Jetzt ist es Sache ihrer Vereinbarung – und
damit ihrer Konkurrenz. Gemeinsam ist den eingreifenden
Großmächten nur der Wille zu ihrer jeweiligen nationalen
Zuständigkeit für den Balkan, sowie dazu, diese
Zuständigkeit gemeinsam wahrzunehmen. Um die gemeinsame Aufsicht
fechten sie eine Konkurrenz aus, in der sich einmal mehr ihr
imperialistisches Gewicht, ihr Verhältnis von Über- und
Unterordnung untereinander entscheidet. Das Ringen darum, die diversen "partner in leadership" auf die eigene Sicht und zur
Unterstützung der eigenen Initiativen zu verpflichten, ist also
die Sache, um die es geht. Serbien und sein Kosovo, ein eventueller
Krieg darum oder seine Vermeidung sind Material dieser
Auseinandersetzung unter den zur Weltherrschaft befähigten
Mächten. Ihr Kampf um Führung und Gefolgschaft – bzw.
um die durchsetzbaren Grade davon – enttäuscht
regelmäßig die nationalistische Öffentlichkeit in
Europa und Amerika, die sich an das Märchen von der dringend
gebotenen Rettung des Friedens hält und kraftvolles Durchgreifen
bei den zum Frieden unfähigen Balkanvölkern sehen will. Ihr
scheint die Uneinigkeit des Westens wieder einmal eine klare Regelung
und deren konsequente Umsetzung zu verhindern. Solche Enttäuschung
ließe sich vermeiden, würden Journalisten und Kommentatoren
die edle Aufgabe der Ordnungsstiftung nicht unsachgemäß,
nämlich anders stellen als die Mächte, die sich ihrer
annehmen: Die Ordnung, die auf dem Balkan erst entstehen soll, ist eben
so gut oder so schlecht, wie die jeweilige friedensstiftende Weltmacht
dabei sich und ihre Rechte im Kreis von ihresgleichen gewahrt sieht.
Die Herstellung einer politischen Einheit der Friedensstifter ist die
weltpolitische Sache – die Regelung für das Kosovo kommt so
zustande oder muß eben warten, wenn ein Ergebnis nach dem
Geschmack einer der Aufsichtsmächte zu wenig ihre Urheberschaft
erkennen läßt. Eines stimmt ganz sicher nicht: Nichts kommt
nicht heraus, wenn die Weltmächte um die Federführung bei der
gemeinschaftlichen Balkanpolitik konkurrieren. Das Tauziehen bewirkt
eines ganz bestimmt: Die Eskalation der Kriegslage.
Die Initiative haben und hatten die USA seit ihrem in Dayton
durchgepaukten Abkommen, in dem sie die "Wiedereingliederung
Restjugoslawiens in die Staatengemeinschaft" von einer sie
befriedigenden Autonomieregelung für das Kosovo abhängig
machten. Seit 1995 haben sie Serbien immer wieder mit sich steigernden
Erpressungsschritten dazu gedrängt; Ende 1997 ließen sie
verlauten, sie seien zu militärischem Eingreifen auch innerhalb
Serbiens bereit – selbstverständlich nur im Fall des
Scheiterns einer diplomatischen Lösung; sie seien ferner zu
einseitigem Handeln bereit – selbstverständlich jedoch
lieber im Einvernehmen mit den Partner der Kontaktgruppe.
Diese Ankündigung ruft die Europäer auf den Plan: Jetzt
müssen auch sie die längst mitgetragene Forderung nach
Autonomie für die Albaner zum ersten Tagesordnungspunkt im Verkehr
mit Restjugoslawien machen, schon um einen weiteren einseitigen
Machtbeweis der USA – und Ohnmachtsbeweis der EU auf ihrem
Kontinent und im engsten von ihnen reklamierten Ordnungsraum zu
blockieren. Die Forderung nach internationaler Vermittlung im
innerserbischen Autonomiestreit hat eine Forderung nach
europäischer Vermittlung zu sein – und die proklamierte
amerikanische Gewaltbereitschaft soll zum Hilfsmittel der Durchsetzung
der EU in ihrem Hinterhof werden. Die EU-Chefs wählen ihre
gesamteuropäische Konsensinstitution, die OSZE, als das Forum, aus
dem der internationale Vermittler für das Kosovo kommen sollte,
der Belgrad aufgezwungen und von ihm akzeptiert werden kann. Der
Vermittler wäre immerhin kein Amerikaner, wie ihn die Separatisten
als Garant ihrer Berücksichtigung fordern, er wäre
überhaupt kein Vertreter einer bestimmten nationalen Vormacht, der
sich Belgrad in seiner Person zu beugen hätte, sondern der
Emissär der supranationalen "Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", der die USA nur am
Rande, die Russen – Serbiens halbherzige Verteidiger –
dagegen richtig angehören, und der auch die BR-Jugoslawien
angehören möchte, wenn sie nur dürfte. Die EU, die
wirkliche Macht hinter der OSZE, präsentiert den Spanier Gonzales
als Vermittler und will seine Aufsicht über den innerserbischen
Streit von Belgrad anerkannt bekommen.
Dafür übernehmen und verschärfen die Mächte, die
die Neuordnung ihres Europa betreiben, die ultimative Diplomatie der
USA. Zunächst hatte die Kontaktgruppe den USA die Zustimmung zur
weiteren wirtschaftlichen Abschnürung Restjugoslawiens aus
europäischen Gründen noch verweigert: Wer die EU um die
Zerfallsprodukte des einstigen Ostblocks erweitern will, zieht auch die
Schäden ins Kalkül, die eine Blockade Serbiens bei den
Anrainerstaaten anrichtet, und macht sich Sorgen um die wirtschaftliche
Stabilität seines Hinterlands. Um die Kriegsdrohung der USA zur
Stärkung der imperialistischen Kompetenz Europas zu nutzen und den
USA die Initiative zu entwinden, verstehen sich dann aber auch die
europäischen Mitglieder der Kontaktgruppe zum Ultimatum mit Datum
und Sanktionsdrohung – und seiner sofortigen Verschärfung,
sobald Belgrad sich nicht beugt. Damit sie und nicht die USA Europa
ordnen, reisen Kinkel und sein französischer Kollege Vedrine
persönlich in die Region und versprechen Albanien und
Restjugoslawien die volle Einbeziehung in die europäischen
Institutionen; also eine Zukunft als Staat in ihrem Europa – wenn
sie sich ihnen unterordnen und ihre Staatsräson, ihre
Vorstellungen von Staatsgrenzen und Volksrechten in Bonn und Paris zur
Genehmigung vorlegen. Sogar das neue Rußland, das die
NATO-mäßige Korrektur der Landkarte auf dem Balkan durchaus
als ein Verdrängt-Werden aus Europa und Abgeschnitten-Werden von
alten Verbündeten erfährt, wird in Belgrad vorstellig und
bedrängt Milošević, internationale Vermittlung zu akzeptieren, um
so einem weiteren Aufmischen der Region durch die USA vorzubeugen.
Rußland billigt die antiserbische Politik nicht, schließt
sich den Sanktionen auch nicht an, macht sich aber zum Dolmetscher des
Gehalts der Ultimaten, um ihre Konsequenzen zu bremsen.
Die amerikanische Balkanpolitik kann aus diesen Anstrengungen ihrer
"unreliable allies" ebenso die Bestätigung ihrer
unbestreitbaren Führerschaft in Weltmachtfragen herauslesen, wie
eben den Willen zu einer solchen Bestreitung. Sie entnimmt ihnen denn
auch beides und treibt, wie angekündigt, ihre einseitige
Entscheidungskompetenz innerhalb und außerhalb der Kontaktgruppe
voran. Während die europäischen Vormächte noch mit
Milošević darüber verhandeln, daß er ihre Vermittlung
akzeptieren soll, schickt der US-Präsident seine
Balkanbeauftragten ohne Mandat der Kontaktgruppe und ohne Einladung der
jugoslawischen Regierung nach Belgrad. Anfangs haben die ungebetenen
Zwangsvermittler Holbrooke und Gelbart Schwierigkeiten, Termine bei
Milošević zu bekommen, doch das gibt sich. Immerhin weiß
auch der
Serbenchef, daß alles, was andere als die Amerikaner ihm
abhandeln, noch unter dem Vorbehalt der Billigung von deren Seite steht
und nicht das Ende seiner Nachgiebigkeit bedeutet. Ebenso weiß
er, daß alles, was ihm nicht die USA selbst dafür
versprechen, wenig gilt. Unter diesen Umständen hat die
amerikanische Erpressung sogar etwas von einem Angebot an die Serben:
Die USA verlangen eine Autonomieregelung für die Albaner auf dem
Amselfeld, die unter ihrer Aufsicht steht und ihre Ansprüche an
eine Schwächung des rest-jugoslawischen Zentralstaats befriedigt.
Dafür verpflichten sie die Albaner darauf, daß sich ihre
amerikanisch garantierte Autonomie innerhalb des jugoslawischen
Verbands abzuspielen hat und nicht in einem eigenen Staat. Die
diplomatische Konstruktion des ersten Treffens zwischen
Milošević und
dem Präsident der Kosovo-Albaner, das die Amerikaner zustande
bringen, bildet diese Auflagen präzise ab: Rugova bekommt seine
Verhandlungen unter internationaler Vermittlung, dafür aber
muß er sich erst einmal ohne Vermittler mit Milošević
treffen und
damit dessen staatsrechtliche Zuständigkeit für das Kosovo
anerkennen. Unter der Bedingung ihrer Türöffnung und des von
ihnen gesetzten Rahmens "setzen sich die Vereinigten Staaten nach
wie vor dafür ein, daß der ehemalige spanische
Ministerpräsident Gonzales als Vermittler im Auftrag der OSZE und
der Europäischen Union im Kosovo-Konflikt vermittelt. ‚Wir
unterstützen Gonzales und seine Bemühungen weiterhin
vollständig.‘" (FAZ 14.5.98)
Dies ist – Ende Mai – der Stand der Dinge, von dem alle
beteiligten Seiten wissen, daß es noch lange kein stabiler End-,
sondern ein Zwischenstand beim Aufmischen Restjugoslawiens ist.
Denn einerseits haben die Erfolge der international betriebenen
Isolation, Schwächung und Demontage in diesem Land schon weit mehr
in Fluß gebracht als nur das Kosovo: An den Albanern, die mit
ihrem Aufbegehren gegen den Zentralstaat so viel internationale
Protektion genießen, nehmen sich die ungarische Volksgruppe in
der Vojvodina und die Muslime im Sandzak ein Beispiel, boykottieren nun
ihrerseits ihre von Belgrad eingerichteten Selbstverwaltungsorgane,
setzen einseitig Verhandlungen über weitergehende Autonomierechte
mit der Hauptstadt an und wollen "nach dem gleichen Muster auf
eine serbische Regierungsdelegation zu Autonomieverhandlungen warten
wie diese in Priština auf die Abordnung der Kosovo-Albaner." [4]
In Montenegro, der einzigen jugoslawischen Teilrepublik, die bei
Jugoslawien geblieben ist und mit Serbien zusammen den Reststaat
bildet, ist längst ein Machtkampf um das Verhältnis von
Teilstaat und Zentralstaat ausgebrochen. Die Alternativen von mehr
Trennung oder mehr Unterordnung werden von den beiden politischen
Führern dieses Ländchens, Djukanovic und Bulatovic,
vertreten, die sich hart am Rande eines Bürgerkriegs
bekämpfen. Motor der montegrinischen Unzufriedenheit ist wiederum
die Kosovo-Frage und die Feindschaft, die sich Jugoslawien dafür
von seiten des Westens zuzieht: Der in kürzlichen
Präsidentschaftswahlen siegreiche Djukanovic stellt Montenegro als
Opfer serbischer Kompromißlosigkeit gegenüber den
Forderungen nach internationaler Vermittlung im Kosovo hin. Seine
Republik muß Wirtschaftssanktionen ertragen für eine
Politik, die es nicht billigt; er verweigert Einsätzen der
jugoslawischen Armee im Kosovo deshalb Wehrpflichtige aus seinem
Machtbereich und läßt sich bei einer Reise in westliche
Hauptstädte seine Ablehnung des jugoslawischen Kurses mit dem
Versprechen entgelten, Montenegro werde, so gut es geht, von den
Sanktionen verschont, die den Gesamtstaat BR-Jugoslawien treffen
sollen. Das mag schwer zu trennen sein – dient aber jedenfalls
der Vertiefung der Spaltung. Der Versuch Belgrads den Machtkampf im
Sinn der Festigung des Bundes zu entscheiden – neuerdings per
Abwahl des Djukanovic-treuen Chefs der jugoslawischen Bundesregierung
Kontic und Wahl von Bulatovic auf diesen Posten durch das Belgrader
Bundesparlament – verschärft erst recht die
Verfassungskrise. Die Frage, ob die Teilrepubliken einen Staat, d.h.
eine höhere Souveränität über sich bilden oder
freiwillig und nur so lange zusammenhalten, wie jede von ihnen ihren
Vorteil gewahrt sieht, ist – wie vor 7 Jahren im Staate Titos
– gut für einen neuen Bürgerkrieg. Alle
Maßnahmen, mit denen Belgrad den Staat zusammenzuhalten versucht,
erscheinen der anderen Seite als Unterdrückung ihrer frei
assoziierten Teilrepublik und fördern deren Abwendung vom
gemeinsamen Verband ebenso wie das Gewährenlassen einer immer
weiter gehenden Aushöhlung der Kompetenzen der Zentrale.
Auf der anderen Seite sind die Albaner im Kosovo dank internationaler
Aufwertung ihres völkischen Selbstbestimmungsrechts längst
weiter, als es die westlich betriebene Schwächung Serbiens
brauchen kann. Rugovas Bereitschaft, sich unter den Bedingungen der
Amerikaner mit Milošević an einen Tisch zu setzen, gilt in den eigenen
Reihen als Verrat am Recht auf den eigenen Staat. Der "frei
gewählte Präsident" gerät in Isolation; Berater
und Parteigenossen wenden sich von ihm ab, die Untergrundarmee
hört ohnehin nicht auf ihn. Niemand weiß, ob der Punkt nicht
längst erreicht ist, von dem an Milošević mit Rugova vereinbaren
kann, was er will, ohne daß eine Beruhigung des Kosovo damit noch
zu haben wäre.
Schließlich gibt es dann ja auch noch die anderen, die
europäischen Interventionsmächte, die zu entscheiden haben,
ob sie die amerikanische Durchsetzung als Unterstützung ihrer
Neuordnung Südosteuropas begrüßen wollen. Die
lautstarke Erinnerung an ihren Beitrag zum Erfolg des Ultimatums
– die Wirtschaftssanktionen, die sie zum Lohn für die
"kooperative Haltung der Belgrader Führung" sofort
wieder lockern, – spricht dafür. Mit ebensoviel Recht
können die Europäer den einseitigen, unabgesprochenen Beweis
amerikanischer Erpressungsfähigkeit aber auch als
Beschädigung ihrer Zuständigkeit für den alten Kontinent
werten. Für letzteren Fall liegen die Hebel schon bereit, um nun
wiederum den USA die Ordnungskompetenz zu bestreiten; von Teilen der
deutschen Presse werden sie schon propagiert: Das
Außenministerium braucht sich nur von der FAZ darüber
belehren zu lassen, daß die USA Milošević zu einem
billigen "Fototermin" mit Rugova genötigt haben, der den ersten
nichts kostet und dem zweiten "große Risiken
aufbürdet", nämlich den albanischen Rechtsstandpunkt
– Freiheit von Serbien und internationale Aufsicht –
untergräbt. Die EU muß sich nur zum Fürsprecher der
albanischen Kritiker Rugovas machen und deren Intransigenz ermuntern,
um die amerikanisch vermittelte Vereinbarung durch neue Ereignisse vor
Ort zu entwerten und sich als die letztinstanzliche Ordnungsmacht auf
dem Balkan ins Spiel zu bringen. Radikalisierung der Feindseligkeiten
dort bleibt das Mittel der Wahl in der Konkurrenz der westlichen
Befriedungspolitiker.
8.
Daß sie gegeneinander zu diesem Mittel längst gegriffen
haben und auch weiterhin greifen werden, ist den verbündeten
Weltmächten klar. Deshalb betreiben sie ungerührt von ihren
eigenen Friedens- und Versöhnungsaufrufen den militärischen
Aufbau rings um Restjugoslawien herum. Den "gefährlichen
Konflikt, der die ganze Region destabilisieren könnte", den
sie immerzu kommen sehen und verhindern wollen, bereiten sie vor
– mit aller Unverrückbarkeit der Zielsetzung und aller
Geduld, die durchgesetzten Weltmächten so eignet.
Sie wissen, daß ihr Aufmischen des serbischen Jugoslawien eine
Kriegslage produziert, und stellen sich der Aufgabe, den Krieg, den sie
herbeiführen, "einzudämmen". Und noch nicht
einmal das ist die ganze Wahrheit des Kalküls: Es geht nicht um
Eindämmung, es geht darum, den absehbaren Krieg unter ihre
Kontrolle zu bringen. Die Aufsichtsmächte, die Restjugoslawien
eine separatistische Guerilla – und vielleicht nicht nur eine
– bescheren, wissen recht gut, daß diese ihre Wirkung nur
dann so recht entfaltet, wenn es dem jugoslawischen Militär
verwehrt wird, sie von ihrem Waffennachschub und ihren
Rückzugsräumen im benachbarten völkischen Mutterland
abzuschneiden. Man muß die Belgrader Volksarmee daran hindern,
die irregulären Verbände nach Albanien hinein zu verfolgen
und dort aufzureiben. Schon jetzt kämpft die Armee um die
Kontrolle ihrer Staatsgrenze zu Albanien. Diese Kontrolle steht aber
nicht ihr zu, sondern den internationalen Aufsichtsmächten: Sie
müssen den Nachschub für die Aufständischen zulassen
– oder drosseln, je nach Bedarf ihrer Einflußnahme auf den
Machtkampf in Serbien und ihrer Fähigkeit, die Lage zu bestimmen.
Umgekehrt muß die internationale Aufsicht auch Albanien und die
Albaner in Mazedonien unter Kontrolle halten, ihre militärische
Einmischung in den Kampf um das Kosovo, wenn erwünscht,
fördern, andernfalls unterbinden. Schließlich soll kein
Großalbanien herauskommen, sondern lauter sich wechselseitig
beschränkende regionale Souveräne, die sich ihre Rechte aus
den europäischen Zentralen zuweisen lassen.
So klar die militärische Aufgabe, so umstritten ist wieder, wer
dabei was macht und darf. Die Erklärung der USA, sie seien bereit,
auch auf dem Territorium von Restjugoslawien militärisch
aufzutreten, ist und bleibt die Basis der gesamten eskalierenden
Kriegslage. Sie ist aber nicht identisch mit dem Willen, alles
Nötige höchstselbst oder gar allein zu erledigen. Die
amerikanische Ankündigung hat genügt, lauter freiwillige
Meldungen zu provozieren: Alle näheren und ferneren
Anrainerstaaten wollen mitmischen und Hilfstruppen stellen. Sie haben
der US-Politik entnommen, daß da wieder einmal ein Machtvakuum
winkt, das sie alle gerne füllen wollen, um von ihm nicht
betroffen zu werden. Griechenland und die Türkei bemühen um
konkurrierende Koalitionen zur Aufstellung einer "schnellen
Eingreiftruppe" für den Balkan. Die USA, Schirmherr beider
regionaler Nato-Staaten, verlangen gemeinsames Vorgehen der bis zum
Krieg feindlichen Nachbarn und sorgen dafür, daß die
Eingreiftruppe der Balkanstaaten sowohl griechischer wie
türkischer Dominanz entzogen wird. Ende Mai unterzeichnen
Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Griechenland, Italien, Rumänien,
Slowenien und die Türkei unter der Ägide der USA die
Gründungsurkunde für die "Friedenstruppe". Das
Kriegsinstrument, das der amerikanische Sponsor außerhalb der
Nato aufbaut, bekommt eine Zentrale in Mazedonien und erst einmal
gemeinsames Training.
In Europa führt die anstehende Kriegsfrage sofort zur Krise der
Institution der "verteidigungspolitischen Identität".
Sosehr "Europa" selbst außerhalb der Nato
Kriegsbereitschaft und -fähigkeit demonstrieren müßte,
um die USA zur Machtteilung in der Nato zwingen zu können, sosehr
wird genau dieser Schritt gefürchtet: Die Blamage einer
eigenständigen Militäraktion, die nicht durch die
Kriegsmaschine und den Willen der USA gedeckt ist, droht ebenso wie
eine Spaltung der strategischen Einheit und daraus folgende direkt
gegen europäische Machtbeweise gerichtete militärische
Schritte der USA – wie schon einmal bei Sarajewo. Also ist die
WEU, das Kriegsinstrument, das nur Europa gehört, in der
Zwickmühle: Politiker, die an der Spitze dieser Institution
stehen, beschimpfen ihre nationalen Auftraggeber: "Die
Tatenlosigkeit und das mangelnde Engagement der Europäer
könne die Friedensordnung von Dayton und das Gleichgewicht in
Albanien und Mazedonien zerstören." (NZZ 12.5.98) Auf der
Tagung, auf der diese "scharfen Worte" gefallen sind, warnt
der deutsche Verteidigungsminister, dem gewiß auch an Beweisen
knackiger europäischer Kriegsbereitschaft gelegen ist, vor
Aktionen außerhalb der Nato: "Wenn es zu militärischen
Optionen komme, dann brauche man die Unterstützung der Amerikaner
und der Russen. Die Nato sei dabei, die militärischen Optionen
für eine Stabilisierung der Region zu untersuchen." (SZ
12.5.) Weil in der Nato aber darum gerungen wird, ob die
europäische Aufsicht amerikanische Unterstützung bekommt,
oder ob es sich eher umgekehrt verhält, kommt doch wieder alles
darauf an, wieviel der "europäische Pfeiler" alleine
hinkriegt. So entschließt man sich auch hier zunächst
für den indirekten Aufmarsch: Man will die Armeen Albaniens und
Mazedoniens ausbilden und aufrüsten; eine schon vorhandene
WEU-eigene Polizeimission in Albanien wird ausgebaut.
Das alles erinnert, wie Madame Albright so schön sagt, sehr an die
Lage, Umstände und Aktionen, die 1991 zu dem Krieg geführt
haben, der Jugoslawien in völkische Kleinstaaten zerlegte. Neu
daran ist nur, daß die imperialistischen Vormächte sich
schwören, die Fehler von damals nicht wiederholen zu wollen und
die Zurücksetzung ihrer nationalen Rechte nicht noch einmal
zuzulassen. Das kann heiter werden.
____________________
[1] Im selben Ton sekundiert der deutsche Außenminister:
"Wir bestehen auf einer umgehenden Aufnahme von ernsthaften
Verhandlungen über den Status des Kosovo... auf der Ebene des
Bundesstaats (Jugoslawien) und der Republik (Serbien). Präsident
Milošević, der immer wieder versucht, die Verantwortung
wegzudrücken oder zu leugnen, muß wissen, daß er
höchstpersönlich dafür die Verantwortung trägt und
auch von uns dafür verantwortlich gemacht werden wird."
(Steht er schon auf der geheimen Liste der gesuchten Kriegsverbrecher
fürs Tribunal in Den Haag?) "Wir unterstützen weder den
Status quo noch die Separation." – vielleicht wäre ja
eine "noch weitere Regionalisierung Jugoslawiens" die
Lösung, wenn wir gerade schon beim Gründen und Zerschlagen
von Staaten auf dem Balkan sind... (Erklärung Kinkels vor dem
Bundestag, 26.3.98)
[2] Am schönsten quasi definitorisch die Süddeutsche
Zeitung: "Nun hängt er sich den Mantel des Demokraten um,
weil er sich der Antwort auf die Volksbefragung schon vorher sicher
sein kann" – in echten Demokratien wird nämlich nur
volksabgestimmt, wenn der Ausgang offen ist. "Doch Demokratie ist
in Serbien erst, wenn Milošević weg ist" – da können
die Serben abstimmen, wie sie wollen! (SZ, 4.4.)
[3] Offenbar sind die Belgrader Politiker wirklich noch nicht
Demokraten genug, um zu wissen, daß es allemal noch sehr darauf
ankommt, auf die imperialistische Interessenlage nämlich, ob der
Schulterschluß zwischen Volk und Führung die Führung
legitimiert – oder das Volk blamiert.
[4] Die FAZ gibt sich in diesem Bericht vom 15.4.98 skeptisch: "Noch können die territorialen und politischen
Zentripetalkräfte kaum etwas gegen den Machtblock in Belgrad
ausrichten." Inzwischen sind wir einen Monat weiter.
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