Ein kleiner Wink an die bosnischen Serben, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht betreffend
"NATO knipst Karadžić’ Fernsehen aus" (taz)
Freiheit ist bekanntlich immer die Freiheit der Andersdenkenden.
Über den Aufbau eines bosnischen Staatswesens denkt die
Sechsergruppe der maßgeblichen Balkan-Aufsichtsmächte
deutlich anders als die dort aktiven einheimischen Politiker,
insbesondere diejenigen der serbischen Seite, die noch immer am Projekt
eines vereinigten Großserbien festhalten. Folglich bekommt die
Besatzungstruppe der NATO und ihrer Alliierten vom Bosnien-Beauftragten
der Sechsergruppe den Auftrag, die Sache der Freiheit zu sichern und
die verkehrte Meinungsbildung, die der von Pale aus betriebene
serbische Rundfunk besorgt, ganz buchstäblich auszuschalten. Der
Auftrag wird erledigt, "Radio Karadžić" stillgelegt, der
Sendeapparat für die Präsidentin der bosnischen
Serbenrepublik, Frau B. Plavsić, reserviert.
Die Dame denkt mittlerweile nämlich auch anders über das
unveräußerliche Selbstbestimmungsrecht der bosnischen Serben
als die Führungsmannschaft, die den Krieg um eine serbische
Eigenstaatlichkeit auf dem Boden der einstigen jugoslawischen Republik
Bosnien kommandiert hat – und zu der sie bis zu ihrer Wahl ins
Präsidentenamt des serbischen Landesteils der in Gründung
begriffenen Republik Bosnien selber noch gehörte. Sie denkt jetzt
mehr so, daß die serbischen Bestrebungen gegen den vereinigten
Willen der Weltführungsmächte und dessen Exekutivorgan, das
Expeditionsheer der NATO, ohnehin keine Chance haben. Sie hat
eingesehen, daß dem Selbstbestimmungsrecht ihrer Untertanen
nichts anderes übrigbleibt als die Anpassung an die Vorgaben des
Dayton-Abkommens, das auf einem bosnischen Gesamtstaat besteht. Wie man
jetzt im Zusammenhang mit dem NATO-Coup gegen den Pale-Sender nebenbei
erfährt, gehört zu diesen Vorgaben die Verpflichtung der
einheimischen Meinungsbildner auf die Vermeidung jeglicher Kritik an
dem Abkommen und auf eine positive Einstellung zu dem gesamtbosnischen
Staatsprojekt. Dagegen haben die Rundfunkleute der Karadžić-Linie
verstoßen, wohingegen "der Sender Banja Luka, der von Plavsićs
Anhängern kontrolliert wird, ... sich keiner Verfehlungen
schuldig gemacht" hat (steht so in der SZ). Deswegen bekommen die
Plavsić-Leute jetzt das Monopol auf die bosnisch-serbische
Meinungsfreiheit.
Anlaß der demokratisch-freiheitlichen Militäraktion ist
übrigens ein Bericht von einer oder über eine Pressekonferenz
einer Richterin, die in Den Haag über ex-jugoslawische
Kriegsverbrecher urteilen soll. Statt deren Ansichten einfach
weiterzugeben, haben die Karadžić-Leute hetzerische Kommentare
dazugemischt, was demokratisch ehrbaren Journalisten vom Schlage des
immer heiseren ARD-Korrespondenten nie in den Sinn gekommen wäre;
sogar ver- oder gefälscht haben sie irgendwas. Auf Details kommt
es wirklich nicht weiter an; denn der inkriminierte Beitrag ist ohnehin
nur deswegen zum Anlaß für rigides Durchgreifen gegen die
Sendeanstalt insgesamt geworden, weil deren ganze Linie den
Anforderungen der Sechsergruppe an einen andersdenkenden Rundfunk
widerspricht: Sie hat sich als Propagandainstrument der verkehrten
Seite betätigt. Deswegen wird sie mit dem Recht der
überlegenen Besatzungsmacht aus-, gleich- und erst dann wieder
eingeschaltet.
Die ganze Aktion verrät, daß sich die von der Sechsergruppe
bestellten Aufseher über den bosnischen Betreuungsfall nichts
vormachen über die hohen Werte des "Selbstbestimmungsrechts
der Völker" und der "freien Meinungsbildung".
Ihnen ist völlig klar, daß ein Volk, das sich für das
Projekt eines serbisch-national "selbsternannten" Staates
in einige kriegerische Gemetzel hat schicken lassen, nicht ohne
weiteres seine vorschriftsmäßige neue Pflicht tut und den
Feind von gestern als demokratisch selbst-bestellte Obrigkeit
anerkennt; schon gar nicht, wenn seine bisherigen Führer noch
über Macht verfügen und sogar über eine eigene
Öffentlichkeit, die davon kündet. Das zwischen der EU und den
USA unter Beteiligung Rußlands und der UNO verabredete Projekt
eines bosnischen Gesamtstaats steht auf verlorenem Posten, solange es
den vom "Joch" des einstigen Vielvölkerstaats unter
Tito befreiten und national sortiert aktiv gewordenen
Völkerschaften anheimgestellt wird. Wenn überhaupt, dann
funktioniert ein demokratischer Wille dort auch und erst recht nur so
wie überall, nämlich von oben nach unten: Die Machtfrage
muß alternativlos entschieden sein; und zwar so, daß kein
gesamtbosnischer Bürger in spe die Chance hat, sich auch nur die
Meinung zu bilden, es könnte womöglich doch noch eine
Alternative geben.
Deswegen gehören die alten Befehlshaber und Repräsentanten
eines abweichenden Staatsprojekts erstens entmachtet. Sie gehören
zweitens so gründlich geächtet, daß die von ihnen
repräsentierte Staatsalternative gleich selber in den Ruf eines
politischen Verbrechens gerät – dies der höhere
ordnungspolitische Zweck des internationalen Kriegsverbrechertribunals,
das seine imperialistische Aufgabe genau dann wirksam erfüllt,
wenn es die blutrünstigen Bürgerkriegs-Kommandeure nach ganz
unpolitisch-humanitär-völkerrechtlichen Gesichtspunkten
verurteilt; die gewünschte Kriminalisierung ihres
Bürgerkriegsziels ergibt sich dann schon. Allerdings nicht ganz
von selbst. Deswegen ist es drittens ein unmöglicher Zustand und
gehört unterbunden, daß dem Volk statt alternativloser
Parteilichkeit für die projektierte neue Obrigkeit noch irgendwo
ein Alternativprogramm, und das auch noch im Sinne alter Kampfziele,
geboten wird. Es ist also kein bewaffnetes Plädoyer für eine
ausgewogene Berichterstattung gewesen, für das die SFOR
ausgerückt ist. Auf bemerkenswert drastische Art und Weise haben
die Bosnien-Aufseher ihre demokratische Überzeugung vollstreckt:
Wenn sie die serbische Propaganda unterbinden, dann gehen sie von der
Diagnose aus, daß die Serben dem falschen Staatsprogramm
nachlaufen, weil sie von der falschen Propaganda betört werden.
Eingedenk der Leistungen der "4. Gewalt" in ihren
zivilisierten Nationen unterstellen sie mit der größten
demokratischen Selbstverständlichkeit, daß Völker
sowieso nur dem nachlaufen, was ihnen öffentlich vorgesagt wird.
Zur Beseitigung des unliebsamen Nationalismus werden deshalb seine
öffentlichen Wortführer ausgeschaltet.
Damit sind freilich erst die negativen Mindestvoraussetzungen für
eine korrekte völkische Selbstbestimmung geschaffen. Ein wirklich
demokratisch selbstbestimmter Staat läßt sich mit einem Volk
nur machen, wenn der Staatswille, den man ihm abverlangt, als
machtvolle, alternativlose Führung vor ihm steht und Gefolgschaft
nicht bloß verlangt, sondern auch zustandebringt. Dieses positive
Angebot ist in Arbeit: Mangels besserer Alternativen baut die
Sechsergruppe die Präsidentin Plavsić zu der Figur auf, in der der
Nationalismus der bosnischen Serben mit dem Projekt eines
gesamtbosnischen Staatswesens kompatibel sein soll. Mit der geballten
Wucht der SFOR-Armee wird der Staatsfrau ein Weg geöffnet, ihre
Spießgesellen von neulich auszubooten, deren Machtpositionen zu
zerstören und exklusiv die richtige zustimmende Meinung dazu zu
verbreiten – und sie geht ihn glatt. Sie legt sich mit dem
Parlament in Pale, der von dort kommandierten Polizei und den
Anhängern der alten Bürgerkriegshelden an – und die
Soldaten der SFOR sorgen nicht bloß für den richtigen
Ausgang des Kräftemessens. Sie stellen auch sicher, daß die
neue Lage gebührend bekannt wird: Im Rahmen einer "Informationsoffensive" im Anschluß an die
Ausschaltung des Pale-Rundfunks werfen sie aus der Luft über der
Stadt Brcko tausende Flugblätter ab.
"Die dort lebenden Serben sollen über Tatsachen
aufgeklärt werden, die ihnen die staatlichen Medien vorenthalten
haben" (so ein SFOR-Sprecher). Nämlich: "Auf den
Zetteln wird offen für die Präsidentin der Serbischen
Republik, Biljana Plavsić, geworben" (NZZ).
So kann es demnächst vielleicht endlich zu freien, gleichen und
geheimen demokratischen Wahlen zur Präsidentschaft und zum
Parlament im serbisch-bosnischen Teilstaat kommen, ohne daß das
demokratisch selbstbestimmte Volk Gefahr läuft, sich
danebenzuentscheiden...
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