NATO-Ultimatum an die Serben
Die Paten des "Friedens für Jugoslawien" [1] - einig in ihrer Konkurrenz um Weltherrschaft
Für die westlichen Aufsichtsmächte des jugoslawischen Kriegs
ist die Drohung mit Bomben auf "serbische Stellungen" schon
seit geraumer Zeit eine politische Option, und auch schon seit
längerem weiß die geneigte Weltöffentlichkeit,
wofür diese Option gut ist. Sehr nützlich war sie bekanntlich
für jene politische "Initiative", die es in Sachen "politischer Konfliktlösung" von den USA als Vormacht
der NATO gegen ihre europäischen "Partner"
wiederzuerlangen galt, also dafür, diese auf ein "gemeinsames Vorgehen" unter ihrer Führung
festzulegen. Nützlich war sie deswegen aber auch umgekehrt
für diese, mittels Ablehnung dieser Option entweder auf einem
eigenen, exklusiv europäischen Aufsichts- und Eingriffsrecht
über bzw. in Jugoslawien zu beharren oder sich doch zumindest den
Weg dafür freizuhalten, mit selbstfabrizierten alternativen "Initiativen" die anderen auf die eigene politische Linie
zu bringen. Vor kurzem ist noch eine Funktion des Bombenkriegs in
Bosnien für die Allianz der westlichen Friedensstifter
bekanntgemacht worden: Im Namen ihrer "Glaubwürdigkeit", zur Bekundung ihrer
Entschlossenheit, dem von ihnen in Anspruch genommenen Aufsichtsrecht
über den Balkan auch die Gewalt nachfolgen zu lassen, die dieses
Recht unwidersprechlich macht, haben die alliierten
Aufsichtsmächte einvernehmlich erklären lassen, daß sie
sich die militärische Eskalation des Krieges schuldig sind. Und
auch diesmal entfalten die den Serben angedrohten Bomben ihre
politische Wucht in erster Linie und ganz absichtsvoll gegen einen
Adressaten, der in den Krieg in Jugoslawien gar nicht eingemischt ist:
Wirklich von weltpolitischem Interesse und Belang ist nicht die Frage,
ob sich die Serben dem Ultimatum der NATO beugen; sondern ob die Macht,
die als Erbe der Sowjetunion mit Vetorecht im Sicherheitsrat sitzt,
sich dem westlichen Monopolanspruch auf Weltaufsicht und -kontrolle
ernsthaft widersetzt oder nicht.
Obwohl die imperialistischen Mächte selbst so gar keine Zweifel
daran aufkommen lassen, daß sie sich durch die Lage in
Jugoslawien zuallerletzt zu dem jüngsten gemeinschaftlichen
Schritt ihrer Jugoslawienpolitik veranlaßt sehen –
auffassen und würdigen soll man ihr Vorgehen ganz anders. Da soll
man sich allen Ernstes denken, es wäre unmittelbar nach der
letzten Granate auf den Marktplatz in Sarajewo "ein Ruck"
durch alle westlichen Politiker gegangen, der sich aus "tiefer
moralischer Betroffenheit" und "wachgerüttelter
politischer Verantwortung" zusammengesetzt und – endlich
und gottlob! – unverzüglich seinen Fortgang in konstruktiven
Maßnahmen zur Wahrnehmung letzterer gefunden hätte: "68 unschuldige Opfer" auf einen Schlag hätten sie
einfach nicht mehr ausgehalten.
Nichts davon ist wahr: Die bisherigen Machenschaften und Berechnungen
der westlichen Aufsichtsmächte sind ein einziges Zeugnis
dafür, daß es ihnen mit ihrer Jugoslawienpolitik gar nicht
um Jugoslawien geht, und um die vielzitierte "geschundene
Zivilbevölkerung" dort schon gleich nicht; sondern daß
sie am Fall Jugoslawien Ansprüche viel grundsätzlicherer Art
geltend machen und sich mit Problemen herumschlagen, die aus diesen
erwachsen und die mit dem sich in Jugoslawien nicht einstellen
wollenden "Frieden" nichts zu schaffen haben. Umgekehrt
– um welche Ansprüche es der westlichen Aufsichtspolitik
geht und an welchen Problemen die wahrgenommene internationale Aufsicht
über den Krieg in Jugoslawien tatsächlich "scheitert": Dafür gibt gerade nicht der Blick auf
Jugoslawien und die Konkurrenz der Kriegsparteien vor Ort Auskunft,
sondern die Betrachtung von Gegenstand und Verlauf der weltpolitischen
Konkurrenz, wie sie unter Nicht-Jugoslawen stattfindet. Deswegen ist in
den folgenden Ausführungen zum Thema Jugoslawien von den
völkischen Besonderheiten der Südslawen und ihrer "Tradition" überhaupt nicht die Rede; die Suche nach
dem "Hauptschuldigen" am stattfindenden Gemetzel bleibt
gleichfalls denen reserviert, die sie anzetteln, und die Toten von
Sarajewo finden nur einmal am Rande Erwähnung.
Wegen "mangelnder Einigkeit":
Das Gerücht vom "Scheitern" und "Versagen" der internationalen Aufsichtsmächte in Jugoslawien
Über die Leistungsbilanz der auf dem Balkan engagierten westlichen
Allianz für "Frieden" will sich kein öffentlicher
Sachverständiger groß etwas vormachen. Von denselben
Regierungen, deren tatkräftige Einmischung in Jugoslawien bekannt
ist und die für Zustandekommen und Verlauf des Krieges in ganz
praktischem Sinn Verantwortung tragen, hört man Klagen über
den "beschränkten Einfluß, den wir auf die
jugoslawischen Ereignisse haben"; Zeitungen führen
darüber Beschwerde, daß sich der für die Region
verordnete Friede dort einfach nicht einstellen will; daß
vehement vorgetragene Drohungen, "Aggressionen und Eroberungen
keinesfalls tatenlos hinnehmen" zu wollen, überhaupt nicht
verfangen; ja, daß insgesamt das von der Allianz der
Friedensstifter geltend gemachte Recht, auf dem Balkan für "Ordnung" und "Frieden" zu sorgen, sich
praktisch überhaupt nicht Geltung verschaffe und darüber in
einer Bekundung schierer "Ohnmacht" ausarte. Und die
gereicht den Mächten, die hinter diesem Recht stehen,
natürlich überhaupt nicht zur Ehre, sondern macht sie im
Gegenteil reif für den öffentlichen Vorwurf, ziemlich
grundlegend an ihren doch so entschieden vorgetragenen Vorhaben zu "scheitern". Ihren kritischen Impuls beziehen solche
Stellungnahmen allerdings nicht aus einer unvoreingenommenen
Betrachtung dessen, was die bekannten auf dem Balkan engagierten
Aufsichtsmächte zur Wahrnehmung ihres Rechtsstandpunkts "Ordnung" & "Frieden" schon alles auf den
Weg gebracht haben. Mit dem, was diese Mächte bei ihrem Engagement
tatsächlich bewirkt haben und was sie mit ihrem Engagement
überhaupt bewirken wollen, befaßt sich dieser kritische
politische Verstand nämlich ausschließlich vom Standpunkt
eines sehr abstrakten und affirmativen Ideals aus: Er ist so sehr
parteilich für den Erfolg des von den Aufsichtsmächten an
Jugoslawien angemeldeten Rechts auf Einmischung, daß es ihm ganz
gleichgültig ist, was dieses Recht der Sache nach ist und gegen
wen es in Anschlag gebracht wird; er ist so fixiert darauf, daß
dieser Erfolg sich einfach von selbst versteht und daß dem
angemeldeten außenpolitischen Interesse einfach nichts in die
Quere kommen darf, daß er im ausbleibenden "Frieden"
auf dem Balkan einen einzigen "Mißerfolg der
Jugoslawienpolitik" entdeckt. Die habe sich nämlich –
meint er – ganz diesem ehrenwerten Gut verschrieben und sich
darauf verpflichtet, dort unten die entsprechende "Ordnung"
zu schaffen, so daß für ihn aus dem Krieg in Jugoslawien ein
einziges Dokument des politischen Versagens derer wird, die als
Aufsichtsmächte zwar großartige Absichten verkünden,
aber offensichtlich – das beweisen ja wohl die Granaten, die dort
noch immer fliegen – außerstande sind, die den Erfolg
wirklich sicherstellenden Taten folgen zu lassen.
Als Auftakt zum Entzug des Mandats der Friedensstiftung versteht sich
solches freilich nicht. Vielmehr macht sich die affirmative Deutung von
Zwecken und Taten imperialistischer Außenpolitik auf die Suche
nach den Schuldigen am Ausbleiben einer erfolgreichen Ordnungsstiftung
und rundet mit denen die Diagnose vom Versagen der Jugoslawienpolitik
ab: Schuld an diesem sei die "Uneinigkeit der
Weltmächte", die sich in Jugoslawien engagieren; wegen ihr
sei an entscheidenden Stellen die mit dem "Frieden"
beauftragte UNO immer wieder in ihrer praktischen Handlungsfreiheit
gelähmt; fehle es der EG an der nötigen
Überzeugungskraft bei ihren gleichfalls dem Zweck "Frieden" gewidmeten, daher sehr löblichen
Bemühungen, "Druck" auszuüben, und gleichfalls
wegen ihr kämen die von der NATO angedrohten
Militärschläge über den Status der bloß drohenden
Gebärde immer nie hinaus.
Damit ist das Weltbild, mit dem ein Kapitel imperialistischer Politik
kritisch kommentiert wird, komplett: Ihm zufolge gibt es eine Reihe von
Weltmächten, die jede Menge Verantwortung tragen; vornehmlich
für die Herstellung einer Weltordnung, die sich dadurch
auszeichnet, daß Frieden und Einvernehmen zwischen allen
herrscht, weswegen besagte Weltmächte auch dazu beauftragt sind,
diesen Zustand gegebenenfalls herbeizuzwingen, schließlich sind
sie ja die Weltmächte; naturgemäß verlangt ihr Dienst
an der großen Sache Weltordnung zuallererst, daß zwischen
ihnen Frieden und Einvernehmen herrscht, doch kann man davon – im
Prinzip jedenfalls – ausgehen: Wenn sie ihre Weltpolitik
betreiben, wirken sie ja doch nur in den internationalen Gremien
zusammen, in denen es den offiziellen Titeln nach vornehmlich um das
zivilisierte Zusammenleben der Völker geht. Aber leider zeigt sich
an dem Fall für Weltordnung, welcher Jugoslawien heißt,
daß es mit ihrer Gemeinsamkeit überhaupt nicht weit her ist;
daß, die dort durchzusetzende Ordnung betreffend, von einem
Konsens zwischen ihnen gar keine Rede sein kann; statt dessen muß
man konstatieren, daß sie sich pausenlos streiten, untereinander
und in den Gremien, in denen sie zusammensitzen; daß nationale
Egoismen ausbrechen und regelmäßig die "Ordnungskonzepte" zu Fall bringen, auf die man sich doch
vor kurzem erst geeinigt hatte.
Sicher: Auf eine erstklassige Quelle berufen kann sich auch diese
Diagnose der Ursachen für die an ihrem Erfolg gehinderte
internationale Aufsicht über Jugoslawien, sind es doch die in
ihrem Rahmen tätigen Politiker selbst, die sich wegen "mangelnder
Einigung" ein ums andere Mal bei der Umsetzung
ihrer Vorhaben "blockiert" vorkommen und den Verlust von so
mancher "Initiative" beklagen, die sie in Sachen
gemeinschaftlicher Befriedung des Balkans auf den Weg bringen. Doch
wäre ausgerechnet diese Quelle eher dazu angetan, ein wenig
Zweifel aufkommen zu lassen an der Stichhaltigkeit jener vorgestellten
Idylle, in der ein Verein von Weltmächten einig und gemeinsam an
einer Ordnung für alle wirkt: Wenn Politiker darüber Klage
führen, daß sie sich beim vorgehabten gemeinschaftlichen
Vorgehen untereinander nicht einig werden können –
stören sie sich dann wirklich daran, daß sie "keine
gemeinsame Lösung" zustandebringen? Oder nicht vielmehr
daran, daß sie sich mit ihren jeweiligen Vorschlägen in
Sachen "gemeinsamer Lösung" wechselseitig in die Quere
kommen und deswegen nicht einig werden, weil in der Konkurrenz, wer
sich womit gegen wen durchsetzt, keiner nachgibt? Wenn sie so sehr
hinter "Einigung" bei ihren unterschiedlichen bis
gegensätzlichen Interessen her sind – wollen Politiker dann
wirklich diesen selbst- und interesselosen Formalismus als
Erfüllung all ihrer Drangsale? Oder meinen sie mit ihrer
"Einigung" nicht vielmehr das Ideal, daß sie selbst
erfolgreich unnachgiebig bleiben, sich mit ihren Interessen gegen ihre
Kontrahenten behaupten; daß eben nicht sie, sondern die anderen
nachzugeben und in das einzuwilligen haben, was ihnen als "Einigung"
vorschwebt – so daß die in Wahrheit
gar nichts anderes ist als die Heuchelei von notorischen Erpressern,
die auch bei den übelsten Machenschaften einfach nicht davon
lassen wollen, an den Nutzen der erfolgreich geschädigten Seite zu
denken? Und schließlich: Wenn schon jeder, die politischen Macher
wie ihr ideologisches Fußvolk, so sehr auf "Einigung"
zwischen den Parteien aus ist, die für Weltpolitik zuständig
sind – soll man sich dann nicht einfach fragen, warum sie nicht
zustandekommt? Vielleicht ist ja bei einem Projekt "Weltordnung", an
dem sich konkurrierende Weltmächte
zu schaffen machen, "Einigung" zwischen ihnen das Letzte,
was man erleben wird – und das liegt gar nicht einmal nur am
mangelnden Einigungswillen der Beteiligten, sondern daran, daß
das, worüber sie sich einigen sollen, ihre Einigung
ausschließt. Vielleicht ist das einzig Bemerkenswerte – und
auch das einzig "Neue" – an dieser "Weltordnung", daß unter
dem Titel "Einigung" um sie, also darum gestritten wird, wer sich
gegen wen erfolgreich mit dem Anspruch auf Führer- und
Gefolgschaft durchzusetzen versteht.
Was diesbezüglich Jugoslawien und das beklagte "Scheitern" der Weltmächte bei ihrer
Jugoslawienpolitik betrifft, so kommt man jedenfalls nicht auf den
Grund dieses "Scheiterns", wenn man ihnen, die Kriegslage
vor Ort betreffend, "Versagen" beim Aushecken einer "befriedigenden gemeinsamen Lösung" vorwirft: Woran
die imperialistischen Mächte in Wahrheit scheitern, ist nicht die
Befriedung Jugoslawiens, sondern das, was sie mit ihrem Engagement
für den jugoslawischen "Frieden" für sich
verfolgen; und was das ist, klärt die Betrachtung von Verlauf und
Gegenstand ihrer Konkurrenz.
Gegeneinander, aber einvernehmlich:
Probleme einer europäischen Internationale von Aufsichtsmächten
Die politische Ordnung auf dem Balkan war schon einmal zwischen einigen
europäischen Aufsichtsmächten strittig, und gar nicht
zufällig hat ihr Streit unmittelbar in die Fronten des I.
Weltkrieges geführt. Jede der Nationen, die sich damals für
die Arrondierung des Balkans nach Maßgabe ihres eigenen
Interesses für zuständig erklärte, sah sich nämlich
damit konfrontiert, daß ihr exklusiv beanspruchtes Aufsichtsrecht
mit denselben Rechten kollidierte, mit denen ihre Konkurrenten ihre
jeweiligen Interessen in der Region verfolgten. Nun sind Kollisionen
dieser Art wegen der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der
Ansprüche, die da aneinandergeraten, und wegen der Subjekte, die
hinter diesen Ansprüchen stehen, so umstandslos nicht zu
bereinigen, und friedlich-schiedlich schon gleich nicht: Mit dem
Rechtsanspruch auf das "Ordnen" der politischen Lage, den
sie selbst erhebt, bestreitet jede einzelne Aufsichtsmacht allen
anderen, dasselbe Recht auch für sich in Anspruch zu nehmen,
stellt sie also vor die Alternative, sich entweder dieser Bestreitung
ihrer Souveränitätsrechte nach außen zu beugen oder sie
zur grundsätzlichen Frage der Behauptung ihrer
Souveränität zu machen und mit ihren Gewaltmitteln, die sie
ja eigens dafür unterhält, für die Wahrung ihrer Rechte
zu sorgen. Bekanntlich haben sich seinerzeit die Nationen für
letzteres entschieden und die Entscheidung, welches Recht sich
durchsetzt, auf den Schlachtfeldern gesucht.
Auch gegenwärtig ist zwischen einigen selbsternannten
Aufsichtsmächten die politische Ordnung auf dem Balkan strittig,
und neben dem regionalen Schauplatz hat sich auch an dem, was da
zwischen ihnen strittig ist, im Prinzip nichts geändert. Wieder
sind es miteinander nicht zu vereinbarende nationale
Interessensstandpunkte, wie die "Ordnung" in Jugoslawien
auszusehen habe, die sich gegeneinander aufbauen; wieder werden Rechte
auf außenpolitische Einmischung angemeldet, die sich
wechselseitig bestreiten und das nationale Interesse, das sich in sie
einkleidet, zur existenziellen Frage staatlicher Souveränität
machen – nur werden sie diesmal von den betreffenden Mächten
so gar nicht verfochten. Diese vertreten zwar ihre nationalen
Standpunkte und wollen sich mit ihnen durchsetzen, aber eben nicht
gewaltsam gegen ihre Konkurrenten, sondern mit deren Einwilligung; sie
sind zwar unnachgiebig, was die Verfolgung ihrer Interessen anbelangt,
aber nur insoweit, als sie immer nur auf die Nachgiebigkeit ihrer
Kontrahenten erpicht sind und die aufs Nachgeben verpflichten wollen:
Alle bemühen sich um "Einigung" in der Streitfrage,
legen also bezüglich der Durchsetzung ihres Interesses Wert
darauf, daß sich ihre Konkurrenz diesem freiwillig unterordnet.
Daß sie ihren Streit um die ordnungspolitische Kompetenz in
Europa unter dem Titel "Einigung" austragen, besagt also
keineswegs, daß sich die europäischen Aufsichtsmächte
bei der Verfolgung ihrer außenpolitischen Anliegen eine gewisse
Zurückhaltung auferlegt hätten. Was sich – im Vergleich
zu ihren Rechtsvorgängern aus der Periode, die auch nach
offizieller Lesart "Imperialismus" heißt – wie
Zurückhaltung ausnimmt, betrifft nicht die Interessen selbst, um
die es ihnen geht, sondern allenfalls die gemeinschafts- und
einigungsbeflissene Form, in der sie sie durchsetzen wollen. Und selbst
das ist bloßer Schein: Die europäischen Imperialisten von
heute halten in ihrer Konkurrenz um die Ordnungsstiftung auf dem Balkan
nicht sich zurück, sondern legen sich in ihr die eine
Verpflichtung auf, sie nicht unmittelbar und offen gegeneinander
auszutragen. Und dies ist keine Übung in der Tugend der
freiwilligen Selbstbeschränkung, sondern erklärt sich aus
dem, worum heute an der Frage der politischen Ordnung in Jugoslawien
konkurriert wird.
Den Fall Jugoslawien als Auftrag an ihre eigene politische
Ordnungskompetenz haben zuerst Mächte für sich entdeckt, die
sich schon seit längerem darauf verstehen, in wesentlichen
Belangen ihrer politischen Interessen gemeinsame Sache zu machen. Das
Projekt, dem sie sich verschrieben haben, heißt ganz schlicht "Europa" und soll nach dem Willen seiner Betreiber das
recht ambitionierte Vorhaben eines Machtblocks voranbringen, der sich
im wesentlichen nur noch an jener bekannten transatlantischen
Supermacht zu messen braucht. Dieses Interesse ist in weltpolitischer
Hinsicht die Geschäftsgrundlage aller, die zuerst in einer
europäischen Gemeinschaft und nunmehr in einer Union zusammen ein
Bündnis eingegangen sind, und dieses Interesse ist auch das
einzige, was sie eint und zusammenhält: Als Union betreiben die
europäischen Imperialisten das Projekt, sich die Rolle einer mit
den USA mindestens ebenbürtigen Weltmacht zu erobern, was
umgekehrt für jede der an diesem Projekt beteiligten Nationen
heißt, daß ihr Weltmachtstatus an die politische Macht und
Geltung geknüpft ist, die sie sich im Rahmen dieses Projekts "Europa" zu erobern versteht. Daher haben alle
europäischen Partner den "Ordnungsfall Jugoslawien"
erstens als Fall für die Großmacht Europa entdeckt und
wahrgenommen: An ihm galt es das beanspruchte Mandat für
europäische Weltmachtpolitik praktisch in Angriff zu nehmen. Und
zweitens haben sie Jugoslawien als Fall für sich entdeckt, als
Auftrag, selbst für die Herstellung dieses Mandats zu sorgen und
darüber zur Großmacht in Europa zu werden.
Begonnen hat die Konkurrenz um die Bestimmung dessen, was "gemeinsame europäische Außen- und
Sicherheitspolitik" zu sein habe, bekanntlich der deutsche
Kanzler. Der nahm so kompromißlos für die Anerkennung der
jugoslawischen Sezessionisten Partei, weil er auf diesem Wege
Deutschland als neue außenpolitische Großmacht in Europa
ins Spiel brachte; ihm paßte der eingeleitete
Zersetzungsprozeß des jugoslawischen Staates, weil er an ihm
einen deutschen Handlungsbedarf für das Ziehen neuer Grenzen auf
dem Balkan geltend machen konnte; er schürte den Streit zwischen
der Zentralregierung und den abtrünnigen Republiken Jugoslawiens,
bis dieser Staat selbst unhaltbar wurde und zerbrach, weil Deutschland
so zur geborenen Schutzmacht der Kleinstaaten auf dem Balkan werden
sollte, die unter seiner Patronage neu entstehen: Indem es sie
überhaupt erst in den förmlichen Rang von souveränen
Gewalten erhebt, schafft sich Deutschland politisch souveräne
Vasallen, und die Beziehungen zu Geschöpfen dieser Art reichen, da
sie die elementare Voraussetzung von deren Souveränität
umfassen, um einiges über die Abhängigkeitsverhältnisse
hinaus, die Deutschland als die wirtschaftliche Vormacht der EU mit
ihren Export- und Kreditbeziehungen ohnehin schon mit Erfolg
überallhin unterhält.
Der Status einer politischen Vormacht auf dem Balkan, den Deutschland
sich auf diesem Wege zu erkämpfen vornahm, gründet sich dabei
aber gar nicht in erster Linie auf diese speziellen
Abhängigkeitsbeziehungen, die beinahe zwangsläufig aus der
grundsätzlichen Orientierung dieser Staaten auf ihren Sponsor
erwachsen. Vielmehr betrifft er jenes Projekt, das ganz ohne
unmittelbaren Bezug auf deutsch-nationale Sonderrechte nicht nur so
schön supranational "Neuordnung Europas" heißt,
sondern eben auch als supranationales Projekt betrieben wird. Freilich
von Bonn aus, und das ist das genuin deutsche Recht, das diese Nation
sich herausnahm und am Fall Jugoslawien als erste praktisch in Anschlag
brachte: Deutschland maßte sich die Rolle der
außenpolitischen europäischen Vormacht an; es betrieb
deutsche Außenpolitik, die aber wie von selbst beanspruchte,
gesamteuropäisch zu sein, also allen "Partnern" der EU
die Richtlinien ihrer Außenpolitik vordiktierte und sie vor die
Alternative stellte, entweder dieses deutsche Recht einer Definition
von europäischer Außenpolitik mitzutragen – oder aber
das politische Verhältnis selbst in Frage zu stellen, auf dessen
Basis es geltend gemacht wird und in dem sie als europäische
Unionspartner zu Deutschland stehen.
Ein "deutscher Alleingang", der überhaupt gar keiner
sein will, weil er gleich allen europäischen Mächten die
Neuordnung Jugoslawiens in deutschem Sinn auf die außenpolitische
Tagesordnung setzt, ist freilich schon ein "Alleingang" und
bleibt als solcher den "Partnern" überhaupt nicht
verborgen. Die bekommen in dem bescheidenen Antrag aus Bonn, deutsche
Ordnungsinteressen zur gemeinsamen Linie europäischer Politik zu
machen, durchaus den politischen Inhalt des Formalismus einer
"gemeinsamen europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik" mit und bemerken, daß da von
Deutschland am Fall Jugoslawiens die Konkurrenz um die
Richtlinienkompetenz der EU nach außen eröffnet worden ist
– und entsprechend sieht ihre Antwort aus: Sie lassen sich ihre
diesbezüglichen Rechte überhaupt nicht nehmen und greifen
ihrerseits in die politische Neuordnung Jugoslawiens ein. Außer
Frage steht für Frankreich, Großbritannien und die anderen
Mächte der Union, daß sie Deutschland bei seinem
"Alleingang" aus ihrem eigenen Interesse heraus keinesfalls
allein lassen dürfen. Dies wäre nämlich die Preisgabe
all ihrer machtpolitischen Ambitionen mit, an und in Europa und
wäre mit der freiwilligen Selbstbeschränkung identisch, in
Zukunft gleich die zweite Garnitur an der Peripherie einer deutschen
Hegemoniezone mit Namen "Europa" zu spielen. Dem von
Deutschland beanspruchten Recht, sich über die Vergabe von
Lizenzen für Staatsgründungen zur bestimmenden Macht bei der
politischen Neuformierung Süd- und Osteuropas aufzubauen,
ernsthaft entgegenzutreten, verbietet sich andererseits den
Konkurrenten auch. Dies käme nämlich einer Aufkündigung
des Gemeinschaftsprojekts "Europa" und aller
weltmachtpolitischen Ambitionen, die sich an es knüpfen, gleich
und setzte den offenen Gegensatz zwischen den an diesem Projekt
Beteiligten auf die politische Tagesordnung – und daher kommt es,
daß die Linie der deutschen Außenpolitik gerade wegen der
nationalistischen Berechnungen der Mitmacher im Projekt "Europa"
tatsächlich gesamteuropäischer Konsens
wird. Getragen wird der allerdings von eben diesen Berechnungen der
deutschen "Partner", und die laufen selbstverständlich
darauf hinaus, alles, was an gemeinschaftlicher europäischer
Außenpolitik zustandekommt, für sich, für ihre Macht
und ihren Einfluß in Europa zu instrumentalisieren – so
daß sich alle europäischen Mächte darauf verpflichten,
ihre Konkurrenz, die sich am "Ordnungsfall" Jugoslawien
offenbart, nicht unmittelbar gegeneinander, sondern im Wege einer
gemeinschaftlichen Betreuung des Ordnungsfalls Jugoslawien auszutragen:
Deutschland vorweg und dann alle in Europa vertretenen nationalen
Standpunkte geraten über ihr gemeinsames Interesse, die
Auflösung Jugoslawiens als Auftrag an die eigene Ordnungskompetenz
vor Ort zu interpretieren und sich darüber als
gesamteuropäische Ordnungsmacht zu profilieren, in Gegensatz
zueinander. Nur bringen sie ihren Gegensatz nicht offen zur
Entscheidung, sondern stufen ihn auf die Rolle eines von vielen Posten
ihrer nach wie vor gemeinschaftlichen EU-Politik herab und tragen ihren
politischen Kampf um die Hegemonie in Europa fürs erste in ihren
Brüsseler Gremien als das Problem aus, sich auf ein gemeinsames
außenpolitisches Mandat zu einigen: Die Partner verlagern ihren
Streit um die gesamteuropäische Führungsrolle auf eine
gewissermaßen methodische Ebene über dem eigentlichen
Konflikt, indem sie zunächst einmal diskursiv die "Ordnung" zu
ermitteln trachten, die es im Zuge der
gesamteuropäischen Regelung des Ordnungsfalls Jugoslawien
überhaupt zu etablieren gelten soll. Das von allen beanspruchte,
daher wechselseitig in Abrede gestellte Ordnungs- und Eingriffsrecht
wird darüber zur Frage, wer sich gegen wen mit welcher
Ordnungsvorstellung durchsetzt und es auf diesem Wege versteht, die
Konkurrenz seinem machtpolitischen Interesse unterzuordnen.
Wechselseitig getestet wird dabei zwar die Nachgiebigkeit oder die
Intransigenz des einen oder anderen "Partners" bei der
einen oder anderen Frage in Sachen Einmischung in Jugoslawien. Aber
eben stets unter dem Diktat der Stiftung von Einigkeit zwischen allen
streitenden Parteien, und so stehen die konkurrierenden nationalen
Interessen gar nicht mehr als solche einander gegenüber, sondern
nehmen die Form von Vorschlägen an, die die Definition des
Ordnungsbedarfs und der der Region zu verpassenden Ordnung betreffen
und hinter denen dann die eine oder andere Nation steht, um sie zur
gemeinsamen Linie der Außenpolitik aller zu machen. Einig sind
die Konkurrenten sich dabei genau so weit und so lange, wie es das
Prinzip ihres gemeinschaftlich vorgebrachten Eingriffs- und
Ordnungsrechts betrifft – also können sie sich auch auf die
diesbezüglichen abstrakten Rechtstitel einigen: Man macht sich
gemeinsam stark für "Frieden", das "Selbstbestimmungsrecht der
Völker", die "Unverletzlichkeit der Grenzen", eine "friedliche
Konfliktaustragung" und den "Schutz von Zivilisten".
Darüber hinaus ist man sich im Kreis der an der Definition der
gemeinsamen Ordnungsmaßstäbe beteiligten Nationen auch
einig, daß man Schlußfolgerungen für das praktische
Eingreifen sich von anderen nicht vorschreiben lassen kann, sondern sie
ihnen vorzuschreiben hat. Daher streiten sich die vergemeinschafteten
europäischen Schutzmächte, welchem der von ihnen ausgemachten
Werte an welcher Stelle wie gegen wen zum Durchbruch zu verhelfen sei;
welche von den jugoslawischen Kriegsparteien in ihrem Namen zur Raison
zu rufen sei und vor allem, mit welchen Mitteln es dies zu
bewerkstelligen gelte. Gemeinsame Resolutionen und Beschlüsse
kommen durchaus zustande – aber ausschließlich deswegen,
weil mit ihnen die "Partner" auf eine eigene Linie
gezwungen werden sollen, und entsprechend sind sie beschaffen: Es sind
methodische Kontrollimperative, die gar nicht auf die wirksame
Kontrolle der Parteien bezogen sind, gegen die sie sich richten,
sondern mit denen sich die europäischen Imperialisten selbst
wechselseitig kontrollieren; in denen nationale Interessenstandpunkte,
die sich ausschließen, wechselweise versuchen, einander
"einzubinden", das heißt tendenziell unterzuordnen
und sich auf diesem Wege von den Beschränkungen zu emanzipieren,
die der Zwang zur Rücksichtnahme auf die "Partner" bei
der gemeinschaftlich vollzogenen Kontrolle allemal aufwirft; deren
Lebensdauer deswegen ganz von dem "Nachdruck" abhängt,
mit dem eine Nation eine "neue Initiative" lanciert und
einen "Vorstoß zur Konfliktlösung" –
zuerst in eigenem und dann gleich im Namen aller Beteiligten –
präsentiert, von dem sie sich mehr verspricht – nicht
für die "Lösung" des Konflikts, sondern für
die machtpolitische Rolle, die sie beim Definieren der gemeinsamen
Vorgaben spielt.
Am tatsächlichen Eingriffswillen fehlt es dabei wirklich keiner
der selbsternannten europäischen Aufsichtsmächte. Auch
über die passenden Mittel, den Konflikt für die eine oder die
andere Partei und je nach der eigenen Parteinahme zu entscheiden,
verfügen sie ganz ohne Zweifel, so daß die üblen
öffentlichen Nachreden – "Entschlußlosigkeit", "Papiertiger"
– vollkommen unangebracht sind. Wenn dennoch eine bemerkliche
Differenz existiert zwischen dem von ihnen geltend gemachten
Aufsichtsrecht einerseits und der praktischen Kontrolle der Parteien
vor Ort andererseits, zwischen dem dringlich angemeldeten Bedarf,
gewaltsam "Ordnung" zu stiften, und den praktizierten
gewaltsamen Maßnahmen einer wirklichen Befriedung des Konflikts,
so erklärt sich auch dies daraus, wofür Jugoslawien für
sie ein Fall ist.
Denn einerseits gebietet es das Interesse einer jeden in Jugoslawien
engagierten Ordnungsmacht, im Bedarfsfall auch einzumarschieren und auf
diesem Weg die "Ordnung" zu etablieren, die sie für
die Region für angebracht hält. Andererseits verbietet sich
genau dies – wenigstens solange, wie man um die Monopolstellung
der europäischen Ordnungsmacht noch politisch zu konkurrieren
vorhat und daran festhält, die anderen zur freiwilligen
Unterordnung unter seinen Führungsanspruch zu bewegen. Nachdem
diese aber die schon genannten guten imperialistischen Gründe
haben, dasselbe für sich zu versuchen, spitzt sich an der
heißen Frage eines militärischen Einstiegs zur Befriedung
der Region der Widerspruch zu, der einer gemeinschaftlich abgewickelten
Konkurrenz um die Vormachtstellung in Europa nun einmal eigen ist. Da
meldet sich eine – nur zufällig die deutsche – Seite
recht unbefangen zu Wort und vermeint, daß man – alle
gemeinsam also – "die Serben in Knie zwingen
muß" – und erklärt sich im selben Atemzug
fürs Zwingen absolut unzuständig, weil deutsche Truppen auf
dem Balkan irgendwie unschicklich wären. Die Botschaft, daß
die Deutschen gerne das politische Oberkommando über die
Ordnungsstiftung hätten, die die anderen dann mit ihren Truppen
durchsetzen, kommt natürlich an und wird entsprechend beantwortet:
"Nur Staaten, die Truppen stellen, können mitreden,"
heißt der freundliche und auch furchtbar auf Gemeinschaft,
bloß eben genau andersherum, erpichte Konter, mit dem das Recht
aufs Ordnungsstiften aus dem tatsächlichem Beitrag abgeleitet
wird, den man auch tatsächlich zu leisten bereit ist. Der Auftakt
zum Einmarsch ist freilich auch das nicht, denn zwar wäre ein
entsprechender Auftrag an die eigenen Truppen durchaus des Ende der
Frage, wer "mitreden" darf, aber eben deswegen auch die
Aufkündigung des gemeinsamen Aufsichtsprojekts, die keiner der
Beteiligten will. Truppen aber bloß als Beitrag zum Stiften einer
Ordnung zu stellen, die man selbst gar nicht bestimmt und aus der
womöglich bloß die Konkurrenten ihren Nutzen ziehen: Das
verbietet die nationale Bilanzierung von Aufwand und Ertrag in Sachen
gemeinsames Vorgehen schon gleich.
Die "neue Weltordnung" und ihre "partners in leadership":
Die Konkurrenz in den Institutionen der Weltaufsicht, mit ihnen und um sie
Wegen ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung auf Einvernehmlichkeit
beim Austragen ihrer Konkurrenz hindern sich die europäischen
Ordnungsmächte so wechselseitig am Vollzug der praktischen
Konsequenzen, die ihnen ihr angemaßtes Aufsichtsrecht nahelegt,
und üben sich deswegen, ihr unmittelbares militärisches
Engagement betreffend, in einer gewissen Zurückhaltung. Auf ihre
Konkurrenz selbst erstreckt diese sich freilich nicht, im Gegenteil.
Wie es sich für Mächte gehört, die in Europa auf ihre
Tour "Frieden" stiften, weil sie "weltpolitische
Verantwortung" tragen wollen und sich dafür mit ihrem
Projekt "Europa" auf "Einigkeit" verpflichten,
ist für sie der Fall Jugoslawien auch wirklich nur ein Fall: An
ihm wird regional begrenzt ein Anspruch aktualisiert, der sich im
übrigen auf den ganzen Globus erstreckt und bei dem es um nichts
Geringeres als das Monopol der Weltaufsicht und -kontrolle geht. Bei
dieser Konkurrenz um die Frage, wer für die Weltordnung
überhaupt zuständig ist, treffen sie allerdings unmittelbar
auf die weltpolitische Macht, gegen die sie sich als europäischer
Block aufbauen – und damit auf gewisse, gleichfalls unter dem
verpflichtenden Titel von Einigkeit & Einvernehmen von "Partnern" stehende Sonderbeziehungen mit dieser, die sie
aus ihrer jüngeren Geschichte geerbt haben und die nunmehr zur
Überprüfung anstehen.
Die Nationalismen, die zusammen den Verein der Europäischen Union
bilden und in dem sie ihre seltsam gebremste Konkurrenz um die "neue politische Ordnung in Europa" austragen, haben
nämlich – solange es die noch gab – schon in der "alten" Weltordnung eine gewichtige, aber nach zwei Seiten
hin beschränkte Rolle gespielt. Sie waren als "Europa"
fest im Lager des "freien Westens" integriert und insoweit
Teilhaber an der von diesem kollektiv ausgeübten Weltaufsicht.
Ihre faktische Kontrollmacht über die freiheitliche Weltordnung
aber reichte immer nur genau so weit, wie es der sozialistische Block
mit seiner Macht zuließ, und das war die erste Beschränkung,
mit der sie zu leben hatten. Konkurrenz um die Weltherrschaft
hieß für alle Mitglieder des westlichen Wertevereins
zuallererst, den großen Feind ihrer Weltordnung zu erledigen; und
daraus, daß sie dafür ein Kriegsbündnis eingingen,
erwuchs die zweite Beschränkung: Nur indem sie ihre Gewaltmittel
dem Oberbefehl einer transatlantischen Vormacht unterwarfen, konnten
sie sich mit einigen Aussichten auf Erfolg gegen das östliche
System aufbauen. Insoweit war ihre Allianz die Lebensgrundlage ihres
Imperialismus und in letzter Instanz für sie daher immer der
gewichtigste Grund, alle politischen Streitfälle, bei denen sie
als imperialistische Konkurrenten – die sie bei allem ja nach wie
vor blieben – aneinandergerieten, einvernehmlich zu lösen.
Mit diesem, in der gemeinsamen Feindschaft gegen einen Gegner des
eigenen Systems begründeten Zwang zur Gemeinschaft ist es nunmehr,
nach dem Ende der Weltmacht UdSSR, vorbei. Verschwunden ist mit der
Sowjetunion auch die feste – und immer in positiver Richtung den
entscheidenden Ausschlag gebende – Bezugsgröße bei der
Kalkulation der Vorteile, die einem die eigene Unterwerfung unter einen
supranationalen Bündniszweck im Vergleich zur damit einhergehenden
Preisgabe eigener Souveränität beschert. Keinesfalls auch
verschwunden aber sind mit diesem guten Grund, bei der Ausübung
ihrer Weltaufsicht sich der Vormacht USA unterzuordnen und als
Mächte zweiten Ranges mit ihr gemeinsame Sache zu machen, all die
institutionalisierten Abhängigkeiten, in die die imperialistischen
Nationen sich im Rahmen ihrer übergreifenden "Partnerschaft" wechselseitig begeben haben und mit denen
sie eine ganze Nachkriegsordnung hindurch groß geworden sind. Und
das schafft für die aufstrebenden europäischen Imperialisten
neben ihrer Konkurrenz um die Bestimmung eines einheitlichen
außenpolitischen Willens Europas zusätzliche Probleme. Wo es
den übergeordneten ordnungspolitischen Zweck ihrer Allianz, die
Beseitigung eines feststehenden Störenfrieds "ihrer"
Weltordnung, nicht mehr gibt, vielmehr die Definition von "Stör-" bzw. "Ordnungsfällen" selbst
Gegenstand ihrer Konkurrenz ist, da sehen sie in den überkommenen
supranationalen Einrichtungen nur noch das, was die allerdings schon
immer waren: Das politische Instrument der Führungsmacht des
Westens, mit dem diese ihren Bündnispartnern den gemeinsamen
Nenner ihrer Konkurrenz um weltpolitische Macht vorgab und sie sich auf
diesem Wege erfolgreich unterzuordnen verstand.
Von deren Diktat wollen sie sich nun freimachen, während die
Vormacht umgekehrt selbst natürlich weiter diktieren will, so
daß der Bedarf an "Einigkeit" zwischen den "Partnern" erheblich wächst. Die geraten nämlich
um so mehr aneinander, je ergiebiger sie die supranationalen Gremien,
in denen Weltpolitik von den dazu Befugten gemacht wird, als Hebel
ihres Einflusses zu nutzen und den Zweck wie die Aufgaben selbst zu
definieren versuchen, die ihr(e) Bündnis(se) beim Bau der "neuen Weltordnung" wahrzunehmen hätten. Und je
entschiedener sie dann darauf bestehen, daß die kollektiven
Organe ihr Instrument der weltpolitischen Einflußnahme zu sein
haben, und zu diesem Zweck versuchen, als Mitglied des Kollektivs den
restlichen Mitgliedern die Vorgaben zu diktieren, denen es dann
gemeinsam zu folgen gelte, desto dringlicher wird die Forderung nach
Unterordnung und lauter der Ruf nach "Einigung".
Am Fall Jugoslawien begegnen sich die bekannten imperialistischen
Mächte also nochmals und ungefähr so oft, wie es
Institutionen gibt, in denen sie als Weltaufsichtsmächte in ihrer
Konkurrenz gemeinsame Sache machen. In diesen Gremien befassen sie sich
dann von neuem mit den Fragen, die aus einem zwar gegeneinander geltend
gemachten, aber nicht gegeneinander ausgetragenen Aufsichts- und
Eingriffsrecht erwachsen. Und der Zweck, den sie dabei verfolgen, ist
ziemlich offenkundig: Jede Nation versucht, ihr eigenes
Einmischungsinteresse zur supranationalen Angelegenheit zu machen, also
ihre "Partner" auf einen von ihr definierten Ordnungszweck
festzulegen. Und da sie das alle in allen Gremien versuchen, in denen
sie ihre weltweite wirtschaftliche und politische Abhängigkeit
voneinander betreuen, kommt es dazu, daß aus ihrer Konkurrenz in
den Weltaufsichtsbehörden ein Streit wird, welche von diesen
Behörden nun zu welchem Eingriff mandatiert wird und von wem:
Dieselben Mächte, die sich im Rahmen ihrer supranationalen
Europäischen Union wechselseitig auf die Linie, die eine von ihnen
vorgibt, festzulegen versuchen, versuchen dasselbe nochmals mit ihrem
großen transatlantischen Partner im Verein der NATO, dann auch
wieder von diesem Partner getrennt in Gestalt der ersten Gehversuche
einer WEU, und an erster Stelle natürlich in der UNO, da diese
Behörde nach dem Ende der Sowjetunion von der verbliebenen
Weltmacht USA zur höchsten Instanz einer gemeinschaftlich
organisierten, aber unter ihrer Führung stehenden Weltaufsicht
erklärt wurde. Und bei all diesen Versuchen werden sie den
Widerspruch ihres supranationalen Engagements nicht los, ihre
Konkurrenten um das Monopol auf Weltaufsicht im Wege einer Einigung auf
gemeinschaftliches Vorgehen am Fall Jugoslawien zu einer freiwilligen
Unterordnung unter ihren exklusiven Anspruch auf dieses bewegen zu
wollen.
Daraus erklären sich dann eben die Absonderlichkeiten der
gemeinsam wahrgenommenen Aufsicht über den "Ordnungsfall", anhand derer kritische Zeitgenossen nur
immer das "Versagen" der versammelten imperialistischen
Mächte feststellen mögen.
Ein militärischer Eingriff in den laufenden Krieg findet statt,
neben dem Embargo gegen "Restjugoslawien", das die WEU mit
ihren ersten Gehversuchen bewachen darf, und der Kontrolle des
Luftraumes, wofür dieselben Mächte als NATO vor Ort sind,
hauptsächlich in Gestalt von UNO-Truppen. Die greifen aber ins
eigentliche Kriegsgeschehen gar nicht ein, trennen weder die
Kriegsparteien voneinander noch verhelfen sie einer Seite zu
entscheidenden Kriegsvorteilen. Das sollen sie auch gar nicht, denn
hinter ihnen steht nicht der einheitliche Wille eines politischen
Subjekts, sondern sie repräsentieren lediglich den Konsens, zu dem
die vielen imperialistischen Subjekte in ihrer Konkurrenz allenfalls
gelangt sind: Sie symbolisieren das abstrakte Eingriffsrecht einer
gesamtimperialistisch geltend gemachten Aufsicht und dokumentieren mit
ihrer Präsenz, daß die hinter dieser stehenden Mächte
es an prinzipiellem Eingriffswillen auch nicht fehlen lassen. Beides
tun sie dann, indem sie inmitten eines laufenden Krieges mit "Schutzzonen" und "Korridoren" jedenfalls die
Selbstlosigkeit und den abgrundtiefen Humanismus dieses Rechts ihrer
Auftraggeber vor Augen führen und der "notleidenden
Bevölkerung" beim Hungern und Sterben helfen.
Eine politische Kontrolle des Krieges findet gleichfalls statt, und
auch die ist so schön von "mangelnder Einigkeit" der
Kontrolleure bestimmt, weil die sich ganz nach Maßgabe ihrer
Konkurrenz um ihre Ordnungskompetenz diplomatisch am Krieg zu schaffen
machen. Unter der Regie von UNO und EU werden Landkarten neu
gezeichnet, Staaten ideell zerlegt und mit ethnischen Zonen, neutralen
Korridoren sowie Enklaven unter internationaler Hoheit versehen und den
Kriegsparteien als Friedenskompromiß unterbreitet, in den sie
doch einwilligen möchten. Ohne große Resonanz bleiben diese
Friedensinitiativen nicht nur deswegen, weil Kriegsparteien ihre
Kriegsziele allemal selbst zu definieren pflegen, sondern in erster
Linie deswegen, weil die engagierten Aufsichtsmächte keinesfalls
vorhaben, die ideellen Früchte ihres Ordnungswillens, ihre
"Friedenspläne" und "Vermittlungsvorschläge" auch praktisch,
und das
heißt immer: gegen Widerstand durchzusetzen. Auch in und mit
ihrer Diplomatie konkurrieren sie nämlich in erster Linie
gegeneinander, was so manchen mit großem Hallo gestarteten
"Initiativen" ein jähes Ende beschert, wenn ihnen der
Rückhalt eines gemeinschaftlich gefaßten und getragenen
Beschlusses von einer oder von mehreren Seiten entzogen wird. Etwa so,
daß eine Konkurrenzpartei unter Berufung auf die "verfahrene
Situation" und – natürlich: –
auf die Hilfsbedürftigkeit des muslimischen Volkes aus dem Konsens
ausschert, sich verbal zur Partei im Krieg erklärt und z. B.
für die "Aufhebung des Waffenembargos gegen
Bosnien-Herzegowina" plädiert. So etwas, aber auch zum
richtigen Zeitpunkt wieder ins Gespräch gebrachte "Luftangriffe
gegen serbische Stellungen" torpediert
erfolgreich den gemeinschaftlich geleiteten "Verhandlungsprozeß"
– überhaupt nicht
unabsichtlich, denn genau so bestreitet man die Regelungskompetenz
seiner Konkurrenten und stellt sich wieder exklusiv in der eigenen
Befugnis zur Friedensstiftung vor. Diese wird im übrigen
darüber auch wieder enorm dringlich, denn keineswegs zufällig
und auch nicht ungewollt pflegen Drohungen dieser Art den
Durchhaltewillen der Partei enorm zu beflügeln, gegen die sie
nicht ergehen. Und je mehr Blut fließt, desto verantwortlicher
ist man bekanntlich als Humanist. Dazu berufen natürlich auch, in
der eigenen guten Gesinnung "initiativ" zu werden, was dem
Völkerschlachten noch eine Funktion beschert – zur Erbauung
am eigenen imperialistischen Rechtsgefühl kommen die Massakrierten
täglich ins Farbfernsehen.
So treiben die Weltmächte allesamt Jugoslawienpolitik,
erklären ihre Zuständigkeit für den Krieg und sich
selbst zu den Mächten, die ihn mit ihrer Gewalt zu beenden haben,
und insoweit bleiben sie selbst sich überhaupt nichts schuldig.
Die praktischen Nachweise ihrer angemaßten Aufsichtsrolle aber
führen sie nicht, und insoweit bleiben sie – wiederum ihrem
Selbstverständnis nach – durchaus einiges schuldig: Die
Taten nämlich, die der von ihnen usurpierten Rolle würdig
sind und wirklich mit Gewalt die Ordnung schaffen, die sie wollen. Dazu
gelangen sie einfach solange nicht, wie sie daran festhalten, ihre
Konkurrenz gegeneinander bei der Befriedung des Balkans als
Gemeinschaftswerk zu organisieren, sich somit weigern, ihre jeweiligen
Einmischungs- und Ordnungsinteressen allein und damit offen
gegeneinander durchzusetzen und die notwendigen Gewaltmaßnahmen
ohne berechnende Rücksichtnahme aufeinander in die Wege zu leiten.
Diesen Konflikt zwischen dem von ihnen praktisch wahrgenommenen
Aufsichtsrecht einerseits und dem ausbleibenden schlüssigen
Nachweis einer auch erfolgreich in die Tat umgesetzten Aufsichtsnahme
andererseits nehmen die in Jugoslawien engagierten Mächte dann auf
ihre Weise wahr. Allesamt beklagen sie die bittere "Ohnmacht", die sie bei ihren Maßnahmen der
Friedensstiftung erfahren müßten, kritisieren die
Folgenlosigkeit ihrer Gewaltmittel vor Ort – und gelangen von da
aus zu der Forderung nach einem überzeugenden Beweis ihrer Macht.
Konkret durchsetzen wollen sie dabei überhaupt nichts. Die
Gewaltmaßnahmen, die sie ins Auge fassen, mögen sich zwar
gegen "die Serben" als den gemeinsam ausgemachten
Hauptschuldigen am Ausbleiben des "Friedens" richten. Aber
ihr Zweck ist nicht, mit ihnen gegen "die Serben" eine "Friedenslösung" zu erzwingen, sondern viel
grundsätzlicherer Art: Sie sind sich den Beweis ihrer Macht
schuldig, ihre Gewalt soll endlich ihrem Recht Geltung verschaffen, und
diesem Bedürfnis ganz entsprechend kürzen sich ihre
außenpolitischen Ambitionen in Jugoslawien auf ihren
abstraktesten Grundsatz und Inhalt zusammen: Eigene "Schritte zur
Eskalation" des Kriegs empfehlen sich als Methode, die
angemaßte Ordnungskompetenz auch wirklich unwidersprechlich zu
machen.
In diesen "Schritten" – so nett heißen Bomben,
wenn Staaten sich um ihre Rechte sorgen – sehen z. B. frustrierte
UNO-Generäle aus Frankreich, die entweder die pausenlose "Erniedrigung" der doch in so hohem Auftrag vor Ort
befindlichen Weltgemeinschaft oder die ihrer Grande Nation nicht mehr
aushalten mögen, das politische Gebot der Stunde. Aber
natürlich auch die auftraggebenden Mächte der UNO selbst, und
zwar jede für sich, so daß es schon wieder sehr auf ihre "Einigkeit" ankommt und die Frage, wer von ihnen mit wem
und in welchem Verband in Jugoslawien einmal so richtig gescheit
hineinschlagen soll, zum beherrschenden Thema ihrer
Beschlußfindung zur gemeinsamen Außenpolitik wird.
Ob sie sich diesbezüglich auf etwas einigen, wird man sehen. Sie
jedenfalls waren sich auf ihrer jüngsten NATO – Tagung im
Prinzip sehr einig darüber, daß sie um ihrer
"Glaubwürdigkeit" willen Bosnien ein bißchen
Luftkrieg schuldig sind. Interessanterweise sind sie auf dieses
Vertrauensdefizit nicht bei der Prüfung ihrer Auftragslage im Fall
Jugoslawien gestoßen. Bei ihren Bemühungen, die
Hinterlassenschaften der Sowjetunion, diese bedingt bis
vollständig unbrauchbaren, unhandlichen und unberechenbaren
Gebilde des ehemaligen sozialistischen Lagers wirksam ihrer Aufsicht zu
unterstellen, haben sie die große Herausforderung für die
Zukunft ihrer Allianz und dafür entdeckt, auch weiterhin
gemeinsame "Bündnis"-Politik zu machen – und
dabei haben sie so ungefähr dieselbe Aufgabe auf sich zukommen
gesehen wie in Jugoslawien, freilich in größerem
Maßstab. Für die Imperialisten ist Jugoslawien eben nur ein
Fall, und sie wissen selbst am besten und sagen es auch frei heraus,
wofür Jugoslawien ein Fall ist: Wem Bomben auf "serbische
Stellungen" als Ausweis eigener Glaubwürdigkeit ausgerechnet
dann einfallen, wenn er gerade dabei ist, das Aufsichtsgebiet seiner
Kriegsallianz nach Osten auszudehnen, der weiß, daß dort
die nächsten Etappen in der Konkurrenz der
Weltaufsichtsmächte zur Entscheidung anstehen. Der will die
Entschlossenheit zur Wahrnehmung des westlichen Monopols auf
Weltherrschaft gerade gegenüber der Macht demonstrieren, die von
dem alten großen Feind nicht nur die Machtmittel und einen Sitz
im Weltsicherheitsrat geerbt hat, sondern schon wieder Anzeichen eines
eigenen – russischen diesmal – Behauptungswillens zu
erkennen gibt, sich also als neuer großer Feind aufzubauen droht.
Und er will zugleich bedeuten, wie er alle diese Ordnungsfälle der
"neuen Weltordnung" im Prinzip in Griff zu nehmen gedenkt:
Wie im Fall Jugoslawien eben, in Bündnis & Partnerschaft mit
den Konkurrenten, also im Wege von deren Instrumentalisierung für
das Interesse, das jeder für sich selbst verfolgt.
Die sichere Perspektive der imperialistischen Konkurrenz:
Von wegen "Einigung" und "Neue Weltordnung"
Der Stoff für die Forderung der "Partner" nach "Einigkeit" unter sich wird also nicht ausgehen. Aber
umgekehrt wird, solange diese Forderung von ihnen erhoben wird, sich
alles andere als "Einigkeit" zwischen ihnen einstellen, und
das hat einen einfachen Grund. Der hat mit Jugoslawien und den
Problemen, die es für die beflissenen Stifter von "Frieden" und "Ordnung" aufwirft, allerdings
nur wieder insoweit zu tun, als an Jugoslawien das Prinzip exekutiert
wird, dem die Außenpolitik der imperialistischen
Aufsichtsmächte verpflichtet ist und um das sich ihre Konkurrenz
dreht. Landläufig bekannt und gleichermaßen für
selbstverständlich in Ordnung befunden ist dieses Prinzip unter
dem Namen des "außenpolitischen Rechts", das Nationen
für sich beanspruchen. Eher weniger bekannt ist jedoch, was mit
diesem Rechtstitel beansprucht wird und worauf sich das Recht
erstreckt, wenn es – wie aktuell – bei der Etablierung
einer "neuen Weltordnung" in Anschlag gebracht wird:
Nationen, die außenpolitische Rechte verfolgen, nehmen ihr
nationales Interesse absolut. Sie erklären ganz prinzipiell ihre
Absicht, nichts weniger als die ganze Welt für den Dienst an
diesem Interesse benutzen zu wollen, und sie geben zugleich zu
verstehen, daß sie dabei keine Hindernisse zu dulden gewillt
sind. Sie wissen nämlich, daß die politischen
Ansprüche, die sie weltweit anmelden, ein exklusives Zugriffsrecht
ihrer Nation auf den Rest der Welt reklamieren und daß sie von
ihrem Recht andere Nationen ausschließen, die genau so, wie sie
selbst es tun, außenpolitische Rechte in ihrem heiligen
nationalen Interesse geltend machen. Da es ihnen allen zusammen um
dasselbe Prinzip geht, wonach die Welt ausschließlich ihrem
eigenen Nationalinteresse zu dienen hat, bestreiten sie sich
wechselseitig das Recht, das sie anmelden; jedes Fitzelchen an "politischem Einfluß" oder "weltpolitischem
Gewicht", das sie erlangen mögen, geht auf Kosten eines oder
aller anderen Konkurrenten um diese heiße Ware, will also auch
immer gegen sie erkämpft sein. Und was man in diesem Kampf vermag,
entscheidet dann in letzter Instanz darüber, wer sich zu den ganz
wenigen Weltmächten rechnen darf, die – wie ihr Name sagt
– die Weltherrschaft unter sich ausmachen und den Rest der
Staatenwelt kontrollieren.
Um genau dieses Prinzip in seiner ganzen banalen Grundsätzlichkeit
dreht sich die gewöhnliche Außenpolitik imperialistischer
Mächte, aus deren Erfolgen und Rückschlägen dann das "Kräfteverhältnis" resultiert, in dem sie
zueinander stehen. Da bestimmen sie, so gut sie eben können, die "politischen Verhältnisse", die auf dem Globus
herrschen, indem sie auf Basis von im Grundsatz konsolidierten
Machtverhältnissen, wie sie zwischen Souveränen existieren,
ihre Macht in einer Weise geltend machen, daß der weiteren
Wahrung ihres Einflusses und damit auch des Nutzens, den sie aus ihm
ziehen, nichts in den Weg gelegt wird. Und wo die
Souveränitätsfrage selbst nicht geklärt oder nicht in
ihrem Sinne zufriedenstellend geregelt ist, schaffen sie selbst die
allererste und abstrakteste Grundlage der nützlichen Beziehungen,
an denen ihnen so gelegen ist: Sie stiften die "politische
Ordnung", die sie benutzen wollen, in Form von souveränen
Gewalten, die für sie benutzbar sind. Wenn sich die "politischen Verhältnisse", die sie mit ihrer
außenpolitischen Einflußnahme kontrollieren, ohne ihr
unmittelbares Zutun ändern; wenn eine ganze "Weltordnung" und mit ihr reihenweise Staaten
zusammenbrechen, die in ihr ihre Lebensgrundlage hatten; dann sind die
imperialistischen Nationen mithin nicht nur mit einer neuen Lage
konfrontiert. Vielmehr sehen sie sich in die Pflicht genommen und
praktisch herausgefordert. Sie reklamieren ihre Zuständigkeit
dafür, die neu entstandene weltpolitische Lage neu zu ordnen, und
das heißt, auf diese Lage den Einfluß auszuüben, der
sie für ihr nationales Interesse tauglich macht. Und genau so
treu, wie die imperialistischen Staaten sich dabei in ihrem Selbst- und
Rechtsverständnis bleiben, daß die Welt von ihnen und zu
ihrem Nutzen kontrolliert werden muß, so treu bleiben sie dabei
auch dem Erfolgsprinzip ihrer bisherigen Außenpolitik: Auch und
erst recht dort, wo es der Welt eine "neue Ordnung" zu
verpassen gilt, ist die Gewalt die allererste Produktivkraft für
das Zustandekommen des politischen Einflusses, auf den sie es abgesehen
haben, und zwar Gewalt in ziemlich elementarer Form.
Doch so einfach beschaffen und geradlinig dieses Interesse
imperialistischer Außenpolitik seiner Natur nach ist – es
erfolgreich durchzusetzen, will allemal erst noch geleistet sein. Denn
dem von jeder imperialistischen Großmacht für sich
reklamierten Anspruch, über exklusiv ihr zugehörige
politische Einflußbereiche zu verfügen und so die Rolle der "Ordnungsmacht" im Weltmaßstab wirksam
auszuüben, steht nicht nur regelmäßig die "Lage
vor Ort" im Wege, die es für das eigene Interesse erst
gewaltsam herzurichten gilt. Durchgesetzt sein will die beanspruchte
Großmachtrolle vor allem gegen alle, die "Ordnungsaufgaben" der genannten Art gleichfalls als
Gelegenheit und Auftrag für sich nehmen, aus der eigenen Nation
eine Weltmacht zu machen: Verwirklichen läßt sich der eigene
Großmachtanspruch nur, wenn man ihn allen anderen praktisch
wirksam und möglichst auf Dauer zu bestreiten versteht und ihnen
Respekt vor der politischen Einflußnahme aufzwingt, die man im
Namen des eigenen nationalen Interesses für geboten hält und
ausübt. Und genau dies zeigt der ganze Fall Jugoslawien: Das ist
der erste praktische Anwendungsfall dieser Konkurrenz,
gewissermaßen die erste Probe davon, wie die "Partner" der Weltordnung von gestern mit ihren
Gewaltmitteln in den Kampf um ihre Neugestaltung einsteigen. Für
jede der imperialistischen Mächte ist der Zerfall der bisherigen
politischen Ordnung in dieser Region eine Herausforderung ihrer
weltweit beanspruchten Ordnungskompetenz und somit ein Fall, an dem es
die Konkurrenz um das Monopol auf die politische Beherrschung der
ganzen Welt zu eigenen Gunsten ein Stück weiter zu entscheiden
gilt. Nur dafür betreiben die Großmächte ihre
Jugoslawienpolitik, oder, was dasselbe ist, betreiben in Jugoslawien
gegeneinander Großmachtpolitik. Jede einzelne von ihnen
erklärt sich zur Instanz der "Neuordnung" des Balkans,
weil diese den Auftakt bildet für die nach dem Zusammenbruch des
östlichen Machtblocks insgesamt anstehende Neubestimmung des
politischen Kräfteverhältnisses auf der ganzen Welt –
und beschneidet damit dieselben Rechte, die ihre Konkurrenten jeweils
für sich in Anschlag bringen. Dazu wirkt sie mit politischen und
anderen Mitteln auf das Kriegsgeschehen in Jugoslawien ein, dazu
versucht sie, ihre Konkurrenten auf "Einigung", d.h. auf
Unterordnung und Gefolgschaft zu verpflichten, um so an diesem Fall ein
praktisches Exempel der Rolle zu statuieren, die sie generell und weit
über den Balkan hinaus beansprucht: Eine politische Macht zu sein,
die bestimmend auf das Einfluß nimmt, was so nett "neue
Weltordnung" heißt, die also über eigene "Machtbereiche" verfügt, die sie nach ihrem Interesse
kontrollieren und über die sie nach Bedarf und eigenem
Gutdünken verfügen kann.
Als Ergebnis dieser Konkurrenz von Weltmächten um die Aufteilung
der Welt in Zonen ihres politischen Einflusses wird sich also alles
andere einfinden als eine "neue Weltordnung", in der jede
der konkurrierenden Mächte ihr Interesse positiv aufgehoben sehen
kann, denn der Einfluß der einen schließt den der anderen
aus. An die Vorstellung einer gemeinsamen Stiftung dieser "Weltordnung" halten sich diese Mächte nur solange,
wie sie ihre Konkurrenz in dem vergleichsweise zivilisierten
Bemühen um diplomatische "Einigung" untereinander
abwickeln, weil sie sich keine Entscheidung zutrauen. Daß dies
kein dauerhafter Zustand bleiben kann, ist keine Prognose: Solange es
mehr als eine Weltmacht gibt, ist für alle imperialistischen
Konkurrenten die Welt überhaupt nicht in Ordnung. Davon ist
Jugoslawien erst der Anfang.
[1] Der folgende Artikel befaßt sich ausdrücklich mit
der Funktion, die der Krieg auf dem Balkan für die Nationen
besitzt, die sich der Pflicht zum Weltordnen verschrieben haben. Es
demonstriert die Folgen, welche die als selbstverständlich
angesehene Anmaßung ihrer Zuständigkeit für den
Zynismus von Weltmächten hat, die ihrem angeblichen Zuschauen
jetzt ein Ende bereiten wollen. An anderer Stelle in diesem Buch ist
von Tätern und Opfern auf dem jugoslawischen Kriegsschauplatz
ausführlich die Rede – allerdings ohne das Verständnis,
das die auf Kontrolle und Intervention so erpichten Demokraten auf die
Kriegsparteien verteilen.
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