Die Frauenfrage heute: Anerkennung von "Frauenproblemen" statt Kritik an deren Gründen

fadi abou1. Die Frau - ein bürgerlicher Stand, anerkannt mit seinen Sonderproblemen
Das Bedürfnis, ganz frau und darin frei zu sein, ist in. Es darf mitten im Kapitalismus als Argument zu jeder Zeit und bei jedem Anlaß vorgebracht werden. Dieses Argument verkündet in allen Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens dasselbe, nämlich eine besondere Betroffenheit der Frau, um daraus ein extra Recht auf Berücksichtigung abzuleiten. Mit "Emanzipation", mit einer tatsächlichen Veränderung der Stellung der Frau, hat das nichts zu tun. Eingeklagt wird nur der Respekt vor der Würde der Frau bei dem, was sie im kapitalistischen Betrieb und für ihn leistet. Und dieser Respekt ist dann am Werk, wenn der Frauenstandpunkt vertreten werden darf und Gehör findet. Wenn heute auch Frauen in Parteien, Unternehmensvorständen und Universitäten Ämter bekleiden, wenn sie Mathematik studieren oder zur Bundeswehr dürfen, dann gilt dies per se als Schritt in die richtige Richtung, als Ausdruck gelungener Frauenpolitik. Die Fremdherrschaft des anderen Geschlechts ist abgeschüttelt, wenn und weil nun auch Frauen nach ihrem Bevölkerungsanteil überall dabei sind.
Die politische Emanzipation, welche Frauen dadurch erfahren, daß auch sie Repräsentanten in die Zentren der Macht schicken dürfen; daß sie nicht mehr nur gehorchen müssen, sondern auch befehlen dürfen, gilt als die Erfüllung ihrer Anliegen, und ist doch nichts als der Ersatz dafür. Die wirklichen Übel werden so nicht abgestellt, sondern als vertretungswürdige Probleme anerkannt. In diesem Sinn war die Frauenbewegung in den letzten 20 Jahren ziemlich erfolgreich: Die Frauenproblematik gilt und wird betreut. In jedem Stadtrat, Betriebsrat und in jeder Universität gibt es eine Frauenbeauftragte - selbstverständlich eine Frau, nur sie genießt das Vertrauen der Geschlechtsgenossinnen. Sie kümmert sich um die anerkanntermaßen besonderen Probleme und Schwierigkeiten der Frauen - die weiter bestehen. Überall gibt es staatlich geförderte Frauenhäuser; Eheterror und Prügelszenen sind ebenso wenig beseitigt wie die ruinöse Doppelbelastung durch Kindererziehung und Beruf. Härtere Strafen für Vergewaltigung führen nicht dazu, daß die Vergewaltiger aussterben. Und wenn ein Arbeitgeber Frauen schlechter bezahlt, dann darf er vor Gericht nicht das Geschlecht als Grund nennen.

2. Die Frauenemanzipation: Von Gleichberechtigung zum positiven Geschlechterrassismus
a. Seit ihrem Beginn antwortete die Bewegung der Frauen auf die Rolle, welche Frauen im Kapitalismus spielen müssen, mit dem Ruf nach Gleichberechtigung. Auf Kinder und Ehe festgelegt, dem Mann zu ehelichen Diensten verpflichtet und von seinem Einkommen abhängig; in der Konkurrenz um Arbeit und Lohn schlechter gestellt und den Konjunkturen der Geschäfte ganz besonders ausgeliefert - das alles erschien dem Emanzipationsstreben der Frauen ein grundloses Unrecht speziell gegen sie; eine relative Schlechterstellung gegenüber den Männern. Nie wollte ihnen auffallen, daß ihre Schlechterstellung Produkt der Gleichbehandlung nach den Maßstäben der gültigen Wirtschaftsordnung war und ist: Wo Löhne Kosten sind und der Arbeitgeber möglichst viel Leistung für wenig Geld sehen will, da sucht er sich seine knapp kalkulierten Leistungsträger nach extrem kleinlichen Maßstäben aus; da schlägt die wirkliche oder auch bloß mögliche Einschränkung des Zur-Verfügung-Stehens, die das Kinderkriegen (samt staatlichem Mutterschutz) für den Arbeitgeber bedeuten könnte, als Konkurrenznachteil gegen die Bewerberin aus. Ebenso wenig galt die Kritik der Frauenbewegung der Institution Familie als staatlicher Verpflichtung auf Treue und Fürsorge; nie der Belastung des Geschlechterverhältnisses mit den Kosten und Opfern der völkischen Reproduktion. Die Kritik galt einer ungleichen Verteilung der Opfer zwischen Mann und Frau und wollte vom anders verpflichteten Mann einen analogen Grad des Opfers einklagen.
b. Der Ruf nach Gleichberechtigung wurde erhört: In der Rechtsstellung der Frau hat es Fortschritte gegeben. Die Angleichung ihrer Rechtsstellung an die der Männer hat das Los der großen Mehrheit der Frauen allerdings nicht verbessert: Die rechtliche Gleichstellung begleitete vielmehr die mehrheitliche Eingliederung der Frauen in Deutschland ins kapitalistische Berufsleben. Die "Befreiung" aus der Enge der Familie führte nur zur allgemeinen Gewohnheit erst des Zu-, dann des Doppelverdienens – so sehr, daß heute kein Mensch einen proletarischen Lohn von Mann oder Frau mehr daran mißt, daß man damit eine Familie ernähren können müßte. Also bleiben die meisten Frauen und Mütter nicht nur wegen der Lebenslüge vom familiären Glück, sondern aus blanker Not auf das Arrangement mit dem Gatten angewiesen. Daß dieses Recht den normalen Frauen die Freiheit nicht bringt, liegt nicht am Recht, sondern am durchschnittlichen Masseneinkommen, das eine Versorgung von zwei Haushalten nicht erlaubt. Zugleich stand Frauen mit der Ausweitung von Gymnasien und Universitäten erstmals auch die Konkurrenz um die höheren Positionen der Berufshierarchie offen. Hier machten Frauen Differenzen in Karrierechancen und Einkommen als ungerechtfertigte Relikte aus einer anderen Zeit dingfest und deren Beseitigung als ihr Recht geltend.
Hier betätigt sich das zeitgemäße Selbstbewußtsein der modernen Frau, die die berufliche Karriere nicht mehr nur nebenher und bis zur Heirat, sondern als selbständiges Lebensziel neben (oder vor) die Familienpflichten setzt.
Es ist die spezielle Borniertheit der Frauenbewegung, in diesen, höchst verschiedenen Lebenslagen immerzu und ununterschieden die Frauen als Frauen betroffen zu sehen. Daß alle Rechtsgleichheit nichts an der Lage der normalen Frauen geändert hat, haben die Vertreterinnen der Ungleichheitskritik aus den besseren Kreisen nicht zum Anlaß genommen, die Vernunft der alten Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung in Zweifel zu ziehen. Sie halten an dem Ruf nach gleichen Rechten fest und halten die Lage der Frauen für den Ausdruck verweigerter Rechte, die es gibt. Diskriminierung heißt dies und ist eine sehr positive Einstellung zu den juristischen Anordnungen der Staatsgewalt: Sie würden Gleichheit versprechen, aus anderen Gründen aber würde diese Gleichheit den Frauen im praktischen Leben der Gesellschaft verweigert. Frauenbewegte sehen es so, daß mehr dahinter steckt als schlechte oder ungerechte Gesetze; aber nicht etwa staatliche oder ökonomische Anliegen, sondern eine ganz grundsätzlich falsche Einstellung der Männer zur Frau. Jetzt bekämpfen sie den Geist der abgeschafften alten Gesetze als Männermoral. Diese seien eben zu einer wirklichen Wertschätzung und Anerkennung der Frauen nicht bereit.
c. So wird die Frauenbewegung zum Feminismus und die Entdeckung verweigerter Frauenrechte universell. Erst von diesem Gedanken aus wird ein anzüglicher Männerblick dasselbe wie eine Vergewaltigung, wird das unbestimmte Personalpronomen der deutschen Sprache eine Beleidigung des weiblichen Geschlechts. Erst auf diesem Standpunkt schließt sich die Karrierefrau mit der "unterdrückten Frau", in deren Namen sie kritisiert, wieder solidarisch zusammen und findet sich mindestens ebenso betroffen wie diese. Nicht nur in Fabriken verdienen Frauen weniger, sie können auch nicht so leicht Chefarzt einer großen Klinik werden wie Männer; und beides ist gleich verwerflich, weil beides Ausdruck einer ideellen Mißachtung der Frau ist, die überall in der Gesellschaft ihr Unwesen treibt. Von diesem, ideellen Standpunkt der Anklage im Namen verweigerter Würde werden Feministinnen radikal: Sie gehen dazu über, sich die verweigerte Anerkennung selbst zu spenden, und sichern sich die Frauenwürde wechselseitig als Frauen. Sie bekennen sich zu sich selbst und sind stolz auf haargenau das, was die Verächter verachten. So wird das Geschlecht - der biologischen Zufall des kleinen Unterschieds - zur absoluten Hauptsache: Man versteht sich als Frau - und pflegt Fraulichkeit. Hat man früher gleiche Chancen und Zugang zu Geschäft, Bildung und öffentlichem Leben gefordert, so nun Rassentrennung: Frauencafés, Frauendiscos und Frauenräume in der Uni. Frauen sind anders, haben eine Frauentradition und Frauenideologie. Den Inhalt bezieht der Stolz auf die Andersartigkeit der Frau aus all den Macho-Rassismen von der weiblichen Inferiorität; nun freilich als positiv umgewertete Eigenschaften, als Selbstverwirklichung und natürliche Bestimmung der Frau: Fühlen statt Denken, ganzheitlich statt analytisch, Wunder des Lebens statt Technik, Mutteropfer als Mutterglück.

3. So kommt die Frauenbewegung da an, wo sie heute steht:
frauenparkplatzWo es nur noch um Respekt und Anerkennung geht, ist frau leicht zufrieden zu stellen. Ihre Erwähnung in sämtlichen Affären, von der großen Politik übers Militär bis zu den kleinen Scherzen bei der Parkordnung leistet da hervorragende Dienste. Die Aufnahme von frau in die Verkaufsstrategie der Politiker und ihre Beförderung zum Geschäftsartikel einer freien Presse sind die passenden Antworten auf die Dummheiten einer Bewegung, die inzwischen darin aufgeht, sich für den geschlechtlichen Artenschutz stark zu machen. Andererseits dürften die Anwälte der Frauenwürde kaum je zur Beendigung ihrer Plädoyers kommen. Die ausgiebige Zirkulation ihres Standpunkts ist eben der einzige Fortschritt in der Frauenfrage; und aus ihrer Sicht der Dinge gibt es immer noch haufenweise Machos, denen es Bekenntnisse und Quotierungen abzuhandeln gilt.

Vortrag von Prof. Dr. Margaret Wirth, gehalten am 11.12.2008 in Bielefeld