Abwrackprämie
oder:
Die schäbige Rolle der kleinen Kaufkraft
Die Behauptung, der Staat wolle seine Bürger von
ihren alten Kisten erlösen, hat gottseidank keiner in die Welt
gesetzt. Auch daß er der armen Umwelt einen Gefallen tun wollte,
wird nicht ernsthaft behauptet. Ganz unverblümt wird diesmal mit
der Wahrheit argumentiert:
Die Abwrackprämie ist dafür da, der
krisengefährdeten Automobilindustrie und allem, was daran
hängt, einen Gewinnschub zu verleihen. Dafür soll, als ein
Instrument unter anderen, die Kaufkraft des Volkes eingesetzt werden.
Da der Staat weiß, daß es um die nicht zum Besten steht,
greift er ihr – außergewöhnliche Umstände
erfordern außergewöhnliche Maßnahmen – mit 2500
Euro unter die Arme, tut seinem Volk also die Ehre an, als wirtschaftspolitischer Faktor zu fungieren:
Das Geld wird nicht direkt in die Autoindustrie gesteckt, sondern soll sich als Nachfrage
in den Autohäusern melden. Überlassen wir die Frage, ob das
nun für die berühmte Nachhaltigkeit und bei der Autoindustrie
für Durchhaltewillen und Optimismus sorgt, den
wirtschaftspolitischen Experten. Klargestellt ist damit auf jeden Fall:
Kaufkraft ist ein ökonomischer Auftrag,
sich im Dienst einer profitlichen Versilberung des Warenkapitals
nützlich zu machen, erst recht in der Krise – und die
Prämie soll dafür einen Anreiz bieten, der nicht ohne
weiteres auszuschlagen ist: Wann bekommt man schon vom Staat etwas
geschenkt!
Die Maßnahme ist erfolgreich, der
Prämientopf nach kurzer Zeit fast ausgeschöpft. Und doch:
ausgerechnet journalistische Experten, die sonst den privaten Konsum
nur als Kaufkraft kennen, fangen an zu zetern. Sie haben erhebliche
Bedenken – beispielhaft Kohler in der FAZ
vom 9.4. –, ob es die Funktionalisierung der Kaufkraft in diesem
Fall bringt. Das geht los mit der Frage, ob ein vom deutschen Staat
ausstaffierter Kaufkraftinhaber seine Kaufkraft auch in deutsche Autos investiert – die Warnungen früherer Tage vor "protektionistischen Tendenzen" spielen jetzt mal keine Rolle. Das geht dann weiter zu der Sorge, "der
staatliche Eingriff verzerre den Wettbewerb schon in der
Automobilbranche und ziehe Kaufkraft aus anderen Konsumbereichen ab",
was dann in "Strohfeuer und bald in Katzenjammer" endet – auch
eine Art, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Kaufkraft des gemeinen
Volkes allemal eine beschränkte ist.
Das interessiert den Kommentator allerdings nicht wegen
der Sorgen derer, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten
müssen. Die Beschränktheit dieser Ressource macht es für
ihn fraglich, ob sie die von ihr erwartete wirtschaftspolitische
Leistung bringt; die Stimulierung eines bestimmten Konsums mit
Haushaltsmitteln (alias "Steuergeldern"!) erscheint ihm als glatte
Verschwendung.
Und damit nicht genug. Die geringfügige
Aufstockung der Mittel im Portemonnaie von Otto Normalverbraucher
erscheint ihm nicht nur ökonomisch verfehlt, sondern symptomatisch
für eine moralische Degeneration des Verhältnisses von Volk
und politischer Führung. Die Abwrackprämie, so die Diagnose,
ist ein "Lockangebot an die deutsche Volksseele", die sich dafür, das war zu erwarten, empfänglich zeigt: "... erst die Verheißung des staatlichen Zuschusses setzte die Massen in Bewegung".
So weit ist es in Deutschland gekommen, daß der Staat seine Entscheidungen
zur Bewältigung der Krise von den materialistischen Berechnungen
der Leute abhängig macht, dafür auch noch Prämien
aussetzt und damit letztlich nur eins belohnt: eine grundsätzlich
verkehrte, weil berechnende Einstellung zum Staat. Und diese Zersetzung
der Sitten ist nicht erst mit der Abwrackprämie eingerissen: "Denn dazu hat der deutsche Sozialstaat ganze Generationen erzogen: Prämienoptimierer zu werden." Und von denen ist nicht zu erwarten, daß sie merken, in welche Falle sie damit rennen: "Staatliche
Fürsorge, in welcher Form auch immer, trifft in Deutschland selten
auf Widerspruch. Nicht viele Politiker und Parteien warnen vor der
Entmündigung, die in ihr steckt."
Gut, daß wenigstens der Journalist sein
Wächteramt ernst nimmt und an seinem Herrschaftsideal alle
blamiert: das niedrige Volk mit seiner Begehrlichkeit sowieso, aber
auch die Politiker, die die Nachgiebigkeit gegenüber dem
Anspruchsdenken als Fürsorge verkaufen und damit die sittliche
Entwicklung der Volksseele verbauen. Mündigkeit
besteht für diesen demokratischen Radikalinski der bedingungslosen
Gefolgschaft offensichtlich in dem Paradox der von keiner Berechnung
verfälschten Unterordnung des Bürgerinteresses unter die
Staatsnotwendigkeiten – als Akt der Freiheit! Andererseits ist er
Realist genug, um zu konstatieren, daß sich in einem Wahljahr
keiner an seine hohen Ansprüche hält: "Die
drei Volksparteien sind sich in der Karwoche rasch einig geworden,
daß man den so genannten kleinen Mann, nachdem man ihm eine
kräftige Dosis Fürsorge verabreicht hat, nicht auf Entzug
setzen darf." Volksparteien stehen halt ständig mit einem Fuß in der Populismusfalle!
Solche von tief empfundener Volksverachtung getragene Sorge um die
Demokratie kann sich des Beifalls der klugen Köpfe sicher sein,
die beim Kauf einer ihrem gesellschaftlichen Status angemessenen
Karosse nicht auf läppische 2500 Euro angewiesen sind. Sie sind
schließlich "die Wirtschaft" und – nicht nur theoretisch
– sicher, daß das Allgemeinwohl mit dem Wachstum ihres
Privatreichtums zusammenfällt. Und wenn die Politiker verlangen,
daß auch die zahlungsfähigen Bedürfnisse des kleinen
Mannes dafür eingespannt werden, daß wieder Vertrauen ins
kapitalistische Geschäft entsteht – müssen sie ihm
dafür so viel Geld nachwerfen?
(Sozialistische Hochschulzeitung Erlangen-Nürnberg, Ausgabe Juni 2009)