neues vom wahlfang von WIGLAF DROSTE (taz 19.08.2005)
Wahlkampfzeiten
sind harte Toleranzproben für alle, die noch nicht in der Gnade
leben, das Hörgerät ausstellen zu können. Der
Heuchelpegel, ohnehin chronisch im roten Bereich, steigt ins
Unermeßliche, ein Gargel und Gejabbel hebt an, daß man die
Ohren einrollen und zusammenknüllen möchte. Günter
Grass, der Butt mit Stinkepfeife, hausmeistert wieder durchs Land; wie
Uranus in Schlappen und Bademantel schlurft er durchs ewige
Ollenhauer-Haus und knöttert vor sich hin: SPD, SPD! Weil Grass
die Futterluke nicht geschlossen halten kann, tischt er zum hundertsten
Mal die Einschüchterungsfrase auf, niemand dürfe jetzt
schweigen, und für die Folklore hat er den Betriebsmitmischer
Feridun Zaimoglu angemietet. Sozialdemokratische Langeweiler heulen
über "Politikverdrossenheit", und ihre Journalisten finden das
"unglaublich spannend". Wie doof darf man eigentlich sein in
Deutschland?
Fortlaufen
möchte man, in den Wald, zu den Steinpilzen und den anderen
glücksverwöhnten Wesen, denen die Namen Schröder, Merkel
et cetera nichts sagen. Doch während man schon sein Bündel
schnürt, hört man so unglaublich freundliches, heiteres
Gekichere, daß man innehält. Zwei Frauen, der Klangfarbe
ihrer Stimmen nach aus Mecklenburg stammend, prusten sich zu: "Hast du
heute Abend Zeit?" - "Nee du, leider nicht, ich muß meine Kinder
erwürgen, und du weißt ja, das dauert."
Weise und
milde humorvoll ist diese Reaktion auf Jörg Schönbohms
Umnachtungsgeknattere von Zwangsproletarisierung, Verwahrlosung und
Gewaltbereitschaft in der ehemaligen DDR. Wer das ernsthaft
zurückwiese, zöge sich den Schuh ja schon halb an oder
suggerierte, es könne auch nur irgendetwas daran sein. Ich lausche
weiter: "Die hat ihre Kinder erstickt? Komisch - ich hab meine immer
ersäuft." Und dann gnickern die beiden ganz reizend und
küssen ihre Kinderchen.
Die
Spielregeln der Demokratie heißen: Alle vier Jahre schön
Kreuzchen machen, ansonsten wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Die
Westdeutschen haben das tief verinnerlicht und fühlen sich den
Ostdeutschen deshalb überlegen. Die müssen erst noch lernen,
was Pluralismus wirklich bedeutet: Eintönigkeit und
Gleichförmigkeit.
Zum
Anklammerglauben, daß es etwas zu wählen gäbe, soll
ihnen die Linkspartei/PDS verhelfen. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine
führen das Protestpotenzial in den Hafen der Demokratie - dort
geht es vor Anker oder läuft gleich für immer
konsensfähig auf Grund. Statt die Linkspartei und ihre Kandidaten
zu beschimpfen, müßte die ausgeleierte Konkurrenz ihnen
dankbar sein: Dank dieser Leute wird die Wahlbeteiligung auch in diesem
Jahr noch einmal bei mehr als 50 Prozent liegen - und nicht bei 0,1
Prozent, was eine angemessene Reaktion wäre auf den Schangel, der
einem angeboten wird.
So aber
werden auch die PDS-/Linkswähler am Wahlabend vor den
Volksempfängern liegen und sich wie die Schneekönige
über jedes Prozentpünktchen freuen - ihre Delegierten sind
Teil des Kartells, und sie selbst sind absorbiert. Wie sagte der
Dichter Joachim Ringelnatz:
"Und dann lächelt alles froh / Im statistischen Büro."
Bücher von Wiglaf Droste:
Kommunikaze, Berlin 1989
In 80 Phrasen um die Welt, Hamburg 1992
Mein Kampf, Dein Kampf, Hamburg 1992
Am Arsch die Räuber, Hamburg 1993
Sieger sehen anders aus, Hamburg 1994
Brot und Gürtelrosen und andere Einwürfe aus Leben, Literatur und Lalala, Berlin 1995
Der Barbier von Bebra, Hamburg 1996 (zusammen mit Gerhard Henschel)
Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses, Hamburg 1997
In welchem Pott schläft Gott?, Hamburg 1998 (zusammen mit Rattelschneck)
Bombardiert Belgien! & Brot und Gürtelrosen, Berlin 1999
Zen-Buddhismus und Zellulitis, München 1999
Der Mullah von Bullerbü, Hamburg 2000 (zusammen mit Gerhard Henschel)
Die Rolle der Frau und andere Lichtblicke, Berlin 2001
Der infrarote Korsar, Berlin 2003
Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi. Berlin 2004
Nutzt gar nichts, es ist Liebe. Leipzig 2005
Kafkas Affe stampft den Blues. Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2006,
Wiglaf Droste, Vincent Klink, Nikolaus Heidelbach: Wurst, DuMont Literatur & Kunst, Köln 2006, (Rezensionen in WamS und Eßlinger Zeitung)
Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen? Edition Tiamat, Berlin 2007