Im Blickpunkt: Das EU-Fischereiabkommen mit Marokko von David Cronin

Brüssel (IPS, 08.03.10)
Rechtsberater des Europaparlaments haben europäischen Fangflotten die Legitimität abgesprochen, die Küstengewässer der von Marokko besetzten Westsahara abzufischen. Die Europäische Kommission, der Exekutivarm der EU, wies den Vorwurf als unbegründet zurück. Unter einem Fischereiabkommen von 2005 zwischen Europäischer Union und Marokko dürfen EU-Fischtrawler nur dann vor der Küste der Westsahara fischen, wenn der Fischfang den dort lebenden Menschen, den Sahrauis, zugute kommt. Dafür gibt es jedoch keine Hinweise, wie die Juristen betonen. Sie plädieren dafür, den EU-Fangbooten das Vordringen in die 200 Seemeilenzone der Westsahara zu verbieten, sollten Verhandlungen mit Marokko nicht dazu führen, das die Sahrauis von dem Abkommen profitieren.
Dazu meinte ein EU-Fischereibeamter, der sich Anonymität ausbat, daß die Kommission "von dem direkten und indirekten Nutzen der Übereinkunft" für die Westsahara überzeugt sei. "Das Abkommen gewährleistet, daß die Aktivitäten der EU-Fangschiffe transparent und ökologisch einwandfrei verlaufen", versicherte er. "Die EU-Fischtrawler lassen einen Teil ihres Fangs in Marokko und der Westsahara, was sich positiv auf die lokale Wirtschaft auswirkt."
Marokko, das die Westsahara nach dem Abzug der spanischen Kolonisatoren Anfang 1995 besetzt hält, verdient an dem vierjährigen Fischereiabkommen 144 Millionen Euro (196 Millionen US-Dollar). Den Rechtsberatern des Europaparlaments zufolge können die marokkanischen Behörden dem Abkommen zufolge nach Gutdünken verfahren, was die Verwendung der Mittel angeht, auch wenn "verantwortungsvolle und nachhaltige Fischereipraktiken" als erklärte Ziele ausgewiesen wurden.
Aicha Dahane, eine in Großbritannien als Flüchtling anerkannte Sahrauri, weiß von niemanden in der Westsahara, der im Vorfeld des Abkommens informiert geschweige denn um seine Meinung gebeten worden wäre. Sie beschuldigte die EU, "Marokko mehr für Fisch zu zahlen als für unsere Flüchtlinge in Algerien". Die EU-Hilfe für die in Algerien lebenden 100.000 Sahrauis beläuft sich auf jährlich zehn Millionen Euro.
In dem Bemühen, die Ausweitung des Fischereiabkommens auf die Westsahara zu rechtfertigen, beruft sich die Europäische Unon auf ein Rechtsgutachten der UN von 2002. Doch Autor Hans Correll erklärte Jahre später, sich als Europäer für die Art und Weise zu schämen, wie seine Argumente ausgelegt worden seien. Correll zufolge darf die EU nur in den Küstengewässern der Westsahara mit Zustimmung der dort lebenden Menschen fischen.
Sarg Eyckmans von der Solidaritätsgruppe 'Western Sahara Resource Watch' zufolge hat die Europäische Kommission bislang keinen einzigen Nachweis erbracht, daß die Sahrauis von dem EU-Fischereiabkommen profitieren. Das sei enttäuschend und schockierend. Sie sieht in dem Abkommen zudem einen klaren Verstoß gegen internationales Seerecht. So sei der Fischfang in Gewässern verboten, die nicht einem speziellen Land zugeordnet werden können. Marokko habe zwar Anspruch auf die Westsahara, nicht aber auf die Küstengewässer geltend gemacht.
Den Rechtsberatern des Europäischen Parlaments zufolge muß die Westsahara als "Territorium ohne eigene Regierung" behandelt werden. Nach internationalem Recht gelte es die Wünsche der lokalen Bevölkerung eines solchen Territoriums zu respektieren, dessen Ressourcen zu wirtschaftlichen Zwecken ausgebeutet werden.
Seit 1975 erheben Marokko und die von Algerien unterstützte Widerstandsgruppe POLISARIO Anspruch auf die Westsahara. Während die POLISARIO auf ein Referendum für die Unabhängigkeit pocht, ist Marokko lediglich bereit, den Menschen in der ressourcenreichen Region ein gewisses Maß an Autonomie zuzugestehen. Der Internationale Gerichtshof hatte der Westsahara bereits 1975 das Recht auf Selbstbestimmung zugesprochen. 1976 verhinderte der Einmarsch marokkanischer Truppen das von Spanien geplante Referendum und provozierte die Gründung der Widerstandsgrippe POLISARIO, die noch im selben Jahr die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) ausrief.
Marokko erkannte die DARS nicht an und annektierte die nördlichen zwei Drittel der Westsahara, Mauretanien beanspruchte den Süden, zog sich aber 1979 aus der Westsahara zurück und überließ Marokko das Feld. 1991 wurde ein Waffenstillstand beschlossen, und der UN-Sicherheitsrat verabschiedete eine Resolution zu einem Referendum, das allerdings bis heute aufgrund des marokkanischen Widerstands auf sich warten läßt.
Im April 2007 legte Marokko der UN als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen mit der POLISARIO einen Autonomieplan vor. Darin signalisiert die Besatzungsmacht ihre Bereitschaft, einen Teil der Macht an Institutionen und Funktionäre abzugeben, die von den Sahrauis bestimmt werden sollen.
Ein Referendum über die Unabhängigkeit der letzten Kolonie Afrikas, in der 1949 die weltgrößten Fosfatlager entdeckt wurden, lehnt Marokko jedoch weiterhin kategorisch ab. Um jeden Zweifel an einem Rechtsanspruch auf das Gebiet auszuräumen, hat das Land einen entsprechenden Passus in die Verfassung von 1996 aufgenommen. Darin heißt es, daß der König "die Unabhängigkeit des Landes und die territoriale Integrität des Königreichs innerhalb seiner authentischen Grenzen garantiert".


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