D I E   M Y S T I F I Z I E R U N G   D E S   H U N G E R S
ein Besuch in einem dominant deutsch denkenden Hirn

 

Augsburger Allgemeine, 03. September 2011

Diese Katastrofe hat viele Ursachen

[1] ... Doch warum kommt es — trotz aller internationaler Hilfe, die für Afrika geleistet wird — immer wieder zu Hungersnöten?


[2] Die Dürre, die derzeit in Somalia, Äthiopien und Kenia herrscht, hat viele Gründe, sagt Dieckmann: "Das ist eine Katastrofe, die nicht nur eine Ursache hat."


[3] Ein Grund liege im Klimawandel, der die Lebensbedingungen in Teilen Afrikas deutlich verschärft habe. "Die klimatischen Bedingungen haben sich verändert: Es kommt zu ausgeprägteren Trockenzeiten und stärkeren Fluten."


[4] Dazu komme, daß die Nahrungsmittelpreise durch Spekulationen um zehn bis 15 Prozent gestiegen seien. "Die Menschen können es sich nicht mehr leisten, Lebensmittel zu kaufen — auch wenn es sie gibt", sagt Bärbel Dieckmann.


[5] Außerdem sei durch die ausbleibenden Regenfälle das Vieh abgemagert und der Viehpreis im Keller.


[6] Und: "Es gibt sowohl in Äthiopien als auch in Kenia Regionen, die die wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren können."


[7] Obwohl es in beiden Ländern auch viele fruchtbare Hochebenen gebe, die allerdings oft von ausländischen Investoren aufgekauft werden. Dort wachsen dann Mais oder Rosen — für den Export.


[8] Für Somalia wird es nach Ansicht von Bärbel Dieckmann ohnehin nur eine Lösung geben, "wenn das Land befriedet ist". Wenn sich politisch nichts ändere, werden die Menschen weiter zu Tausenden in die Nachbarländer fliehen. Aber: "Es gibt eine leise Hoffnung, daß sich die Situation in Somalia stabilisieren könnte", sagt Dieckmann. Die islamistischen Kräfte hätten angesichts der Hungersnot wohl deutlich an Einfluß verloren.


[9] Mit Blick auf die Zukunft spricht Dieckmann von großen Herausforderungen für die Hilfsorganisationen. Der Grundwasserspiegel sinke in vielen Ländern stetig, Wasser wird knapp. Neue Technologien müßten eingeführt, die Landwirtschaft verbessert und ausgebaut werden, was im übrigen eine der Hauptaufgaben der Welthungerhilfe ist.


[10] "Denn die Hälfte der Weltbevölkerung lebt auf dem Land." Im Jahr 2050 werden neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Dieckmann: "Das können die Nichtregierungs-Organisationen alleine nicht bewältigen. Ohne die UN und die Regierungen der Länder können wir nichts erreichen."

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Anmerkungen:



[1] Die erste Mystifikation leistet die Präposition »trotz«: Mit ihr wird nämlich von der Frage abgesehen, wofür Entwicklungshilfe geleistet wird. Man soll wie selbstverständlich annehmen, daß die im Interesse der Armen liege. Dabei braucht man sich nur einen x-beliebigen Entwicklungshilfeminister der BRD anhören, der nichts anderes im Auge hat, als die Nutzbarmachung der Staaten im deutschen Interesse und dafür Hilfe zur Kapitalisierung anbietet, wenn nicht gar aufdrängt. Schließlich sollen jene Staaten als Anlagesfären dem deutschen Kapital zur Verfügung stehen, schließlich sollen die dortigen Naturressourcen ihren Weg zu deutscher Verwertung finden. Für die Bewältigung der Hungersnöte erklärte der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), "die betroffenen Länder seien in erster Linie selber dafür verantwortlich, künftige Hungersnöte zu verhindern." (Süddeutsche Zeitung, 13.08.11)

[2]
Der zweiten Mystifizierung wird sodann der Weg bereitet mit der Floskel, es gäbe für das Elend »viele Gründe«. So daß die Gefragte kaum weiß, wo anfangen, also am liebsten gleich wieder aufhören möchte. Mancher Fragende mag dann auch gar nichts mehr hören, wenn es so doch viel ist. Nicht so die AZ-Reporterin Andrea Kümpfbeck, der eine solche Auskunft für den Artikel, den sie schreiben will oder soll, natürlich nicht ausreicht.

[3] Also bitte: Der Klimawandel. Wer hat dieses Lamento nicht schon gehört! Wir alle stehen dem hilflos gegenüber. Er bricht einfach so herein! Ein Subjekt fiktiver Art, das sich bei den zuständigen Weltaufsichtsbehörden also auch nicht (rechtzeitig) melden konnte. Furchtbar, schrecklich! Bei aller Hilflosigkeit helfen »wir« natürlich trotzdem! »Wir« lassen »uns« das Heft des Handelns doch nicht aus der Hand nehmen!

[4]  Und dann, klar: Spekulationen! Wo kommen die her, welchem Interesse verdanken die sich eigentlich? Völlig falscher Gedanke! Die sind in der Welt und werden schon ihren guten Grund haben! Jedenfalls müssen sie sein, wenn sie schon sind. Und überhaupt. Was können die Spekulationen dafür, wenn die Einkommen nicht Schritt halten: Denn die sind ja wohl ein persönliches Problem: Da hat sich einer nicht genügend angestrengt, nichts geleistet, ist kein Leistungsträger geworden, hat vielleicht gar die deutsche »Hilfe zur Selbsthilfe« in den Wind geschlagen und hat seinen Hunger somit selber verschuldet. Wäre er ein Leistungsträger wie beispielsweise der Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel geworden, würde er nicht hungern, sondern könnte mit der Hungerhilfspräsidentin die Neger im Flüchtlingslager Dadaab besuchen. Davon lassen sich dann prima Bilder ins Internet stellen...  
Nahrungsmittel sind für's Geschäft vorgesehen, für hungernde Negerbäuche also viel zu schade, wenn sie nicht über Zahlungsfähigkeit verfügen: Diese schlichte Wahrheit will Frau Dieckmann nie & nimmer behaupten, wenn sie auf »Spekulationen« zu sprechen kommt.

[5] Kaum war sie nah dran, spielte mit dem Feuer, schon kommt wieder ein retardierendes Moment: Ja, im Grunde sei es ja die Natur, die die Preise bestimme. Die Preise kommen durch Regenhäufigkeit zustande: Fallen, wenn es regnet (aber auch nicht zuviel), und steigen, wenn Trockenheit herrscht. Womit sie wohl in Anspruch nehmen kann, als Gymnasiallehrerin einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung bürgerlicher Wirtschaftswissenschaft geleistet zu haben. [Solche Koryfäen des Geistes bekommen die Schüler heutzutage vorgesetzt!]

[6] Die Bevölkerung wächst einfach! Was soll das mit der Ernährung zu tun haben? Eben: Dort unten herrscht tiefstes Mittelalter, die Neger wissen nicht mal, wie man einen Brunnen bohrt: Also muß sich die deutsche Kolonialaufseherin schon mal herablassen und Klartext reden: Das Wachstum habt ihr nicht verdient: Macht aus Euren Ländern erstmal eine Bundesrepublik Deutschland, dann ist das mit dem Bevölkerungswachstum eine andere Sache ... aber das will sie ja so auch nicht betonen, schließlich sieht sie es gerne, wenn diese Länder der BRD keine Konkurrenz zu machen in der Lage sind, sondern in ihrer – der BRD nützlichen – Lage, zumindest im Prinzip, verharren.

[7] Das ist unter dem Aspekt des Hungers natürlich bedauerlich. Andrerseits darf das nicht dazu führen, die ausländischen Investitionen zu verteufeln oder gar zu verbieten, was Frau Dieckmann keineswegs möchte. Schließlich führen die die Länder zumindest total langfristig aus dem Elend. Schließlich gibt es dann Arbeit für die Arbeiter auf einer Blumenplantage. Der Arbeiter wird entlohnt und hat Geld, um sich (importiertes, deutsches?) Brot zu kaufen. Im Grunde gibt es noch viel zu wenig ausländische Investoren auf den fruchtbaren Hochebenen...

[8] Fast hätte sie den entscheidenden Punkt unter den »vielen« nicht mehr ins Spiel gebracht. Sie muß betonen, daß zunächst einmal alles eine Ordnungsaufgabe ist: Nur da wo die Freiheit (des Kapitals) herrscht, sei Entwicklung möglich, sei ein »Kampf gegen die Armut« ein erfolgsversprechender. Da sind einheimische Scharmützel, noch dazu solche die von islamischen geführt werden, kontraproduktiv: Wir, deutsche Christen, wissen, wo es langzugehen hat, wir wissen, wofür eine deutsche Seestreitmacht vor dem Horn von Afrika kreuzt. Wir, ja wir bekämpfen den Hunger viel grundsätzlicher als mit ein paar Säcken Getreide!

[9] Dabei ergäben sich auch hervorragende Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Exporteure! Das sei nur angedeutet, denn es versteht sich von selber, daß – spricht man von Hunger  nicht gleichzeitig von Geschäften zu sprechen sich gehört. Das wäre ja geradezu zynisch. Zwar entspräche das der Wahrheit, die allerdings nicht gefragt ist. Es geht um Hunger! Es geht um die ultimative Aufforderung an den deutschen Untertan in seiner nationalen Mit-Verantwortung, Geld zu spenden!

[10] Die wirklichen Subjekte sind gefragt, um den Welt-Laden im Griff zu behalten. Die Weltbevölkerung und ihr Ernährungs-»Problem« ein famoser Auftrag aller politischen Gewalt! Das kann sie schon mal so sagen. Das muß nicht mystifiziert werden, denn darin sind sich ja sowieso alle – global denkende Nationalisten – einig.



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[Übrigens: Als Mitglied der SPD paßt Frau Dieckmann ausgezeichnet in diesen nationalistischen Verantwortungsverein.]
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