Vorschläge des Europäischen Parlaments zum 5. Weltwasserforum
Wie man erfolgreich Wasser in Geld verwandelt
Die UNO mit ihren Untergliederungen kümmert sich um Hunger, Völkermord und Seuchen. Warum also nicht auch darum,
"daß fehlende
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung jährlich 8 Millionen
Todesopfer fordern und daß mehr als 1 Milliarde Menschen keinen
problemlosen Zugang zu Trinkwasser zu akzeptablen Preisen haben und
daß fast 2,5 Milliarden Menschen über keinerlei
Abwasserentsorgung verfügen."
(Entschließung, Europäisches Parlament, 12.3.09. Daraus auch alle folgenden Zitate.)
Wie
das ihr Job ist, bewältigt sie dieses globale Problem durch
periodisches Abhalten eines Weltwasserforums, auf dem sich
transnationale Wasserkonzerne, Staudammbauer, Branchenverbände,
Finanzinstitute und andere Verantwortungsträger für dieses
"gemeinsame Gut der Menschheit" treffen. Dabei ist auch die EU
vertreten, die ihren Schützlingen den bestmöglichen Zugang
zum Weltmarkt garantieren möchte. Sie hat schon zu Beginn der
neuen GATS-Runde (WTO-Dienstleistungsabkommen) für die Aufnahme
der Wasserversorgung in den Sektor Umweltdienstleistungen
plädiert. Ein bekannt gewordener E-mail-Wechsel zwischen der
Brüsseler Generaldirektion Handel und den größten
Wasserkonzernen Europas (vivendi, Suez, Thames Water, AquaMundo) zeigt,
wie intensiv das Bemühen der EU um das Wohl ihrer Wassermultis
ist. Am 17.5.2002 fand ein Treffen der Kommission dieser Multis statt,
um "die Hürden beim Zugang auf neue Märkte" und die Belange
der Konzerne zu besprechen (E-mail an AquaMundo
vom 2.5.2002). Dem Treffen folgte ein Fragebogen, in dem die Konzerne
gebeten wurden, "die Vielfalt regulatorischer Maßnahmen" zu
nennen, "die den Marktzugang beschränken". Früchte dieser
Zusammenarbeit sind die Forderungen der EU an 72 Staaten (darunter 14
LDCs = Least Developed Countries) zur radikalen Öffnung ihrer
Wassermärkte.
Für das diesjährige Treffen Mitte März
in Istanbul hatte das EU-Parlament mit seiner Entschließung einen
entsprechenden Lösungsansatz zu bieten. Der macht Schluß mit
der ewig ineffektiven Entwicklungshilfe, die angeblich immer nur in
dunklen Kanälen oder goldenen Badewannen versickert, und mit
Brunnen, die mit Fördermitteln gebohrt werden und einfach
bloß schnödes Wasser ans Tageslicht pumpen. Der
revolutionäre Ansatz des EU-Parlaments drängt darauf,
stattdessen, "Finanzmittel von allen
möglichen Arten von Investoren zu mobilisieren und die …
Finanzierung des Wassers durch Einbindung privatwirtschaftlichen
Kapitals zu stärken", um darüber den "Zugang zu Wasser und zu sanitären Einrichtungen für alle zu verbessern". Dabei weiß das EU-Parlament sehr genau, "daß
die Armut – und nicht die fysische Knappheit des Wassers –
der Hauptgrund dafür ist, daß mehr als eine Milliarde
Menschen keinen Zugang zu Wasser haben". Es fehlt also nicht an
Wasser, sondern an Geld. Es gibt auf der einen Seite "ärmste
Bevölkerungsgruppen" auf der Welt, die von allen Mitteln
ausgeschlossen sind und sich ihre Existenzbedürfnisse nicht
erfüllen können, noch nicht mal das "Grundbedürfnis an
Wasser". Auf der anderen Seite gibt es welche, die mit ihrem Anlage
suchenden Finanzkapital das universelle Mittel besitzen, mit dem man in
der Marktwirtschaft alles, also auch Wasser verfügbar macht. Also,
so die EU-Idee, bringen wir doch marktkonform beide Seiten zusammen
– und schon kriegen die einen was zu saufen und die anderen
machen damit ihr Geschäft. Wenn das mal keine klassische
win-win-Situation ist!
Allerdings ist bei dieser Spitzen-Idee noch eine
Kleinigkeit offen: Wie macht man die Wasserversorgung zu einem
lohnenden Geschäft für die Financiers. Wo der Ertrag nicht
garantiert ist, herrscht nämlich trübe "Zurückhaltung
von Investoren auf dem Wassermarkt". Was das Wasser also unbedingt
braucht, um trinkbar zu werden, ist ein "Garantiemechanismus…,
um der (Zurückhaltung) entgegenzuwirken", durch den "ein
Preisniveau festgelegt wird", das den Investoren schmeckt. Wenn sich
das Geschäft nicht lohnt, ist es eben lohnend zu machen!
Das hat zwar einerseits den Haken, daß damit vor
dem "garantiertem Zugang zu Wasser" für die Armen ihr
grundsätzlicher Ausschluß vom Wasser steht: Es gibt keines
für sie, es sei denn, sie bezahlen den festgelegten Preis dieses
"Wirtschaftsgutes". Andererseits aber ist es – wer wollte hier
von Zynismus reden! – von Vorteil, daß sie nicht mehr von
der launischen Natur mit ihrer "äußerst ungleichen
Wasserverteilung" abhängig sind und mit Geld so viel Wasser
bekommen können, wie sie Lust haben. Umgekehrt gilt dann aber um
so mehr: Wo nix Geld, da nix Wasser.
"Die Liberalisierung
und Deregulierung der Wasserverteilung in den Entwicklungsländern
und insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern
können zu Preissteigerungen führen, von denen die
Ärmsten betroffen sind und die ihren Zugang zum Wasser verringern."
Kaum hilft man in der Marktwirtschaft den "ärmsten
Bevölkerungsgruppen", stellt sich heraus, daß die zu arm
dafür sind, sich diese Hilfe leisten zu können. Ein wahrer
Teufelskreis...
Dieses Resultat ihres Wassergeschäftsplans ist
für Europas Volksvertreter kein Hindernis, das sich nicht
handhaben ließe. Wenn die einen das Wasser nur gegen Geld
hergeben, die anderen aber kein Geld haben, dann müßte sich
dieser objektive Gegensatz doch in Luft auflösen lassen –
mittels Subvention.
Hier muß man allerdings zunächst ganz genau
aufpassen, richtige von falscher Subvention zu unterscheiden:
Schließlich besteht "einer der Hauptgründe für den
Wassermangel" darin, "daß die weltweite Subventionierung von
Wasser, die zu künstlich niedrig gehaltenen Wasserpreisen
führt, der Verschwendung durch bestimmte Sektoren Vorschub
leistet". "Künstlich" niedrig ist der Wasserpreis dann,
wenn kapitalistische Wasserversorger damit zu wenig verdienen. Seine
"natürliche" Höhe hat er hingegen, wenn damit dem
"Privatsektor mit seiner Kapitalkraft, seinem Knowhow und der
Technologie" in seinem Ertragsbedürfnis entsprochen wird.
Dafür sind Subventionen des Wasserpreises da und damit ist
für die EU auch der Wasserversorgung optimal auf die Sprünge
geholfen.
Wasser ist dann nämlich so teuer, daß man
sich Verschwendung nicht mehr leisten kann. Die "bestimmten Sektoren",
die da als Verschwender ausgemacht werden, sind allerdings nicht arm.
Das EU-Parlament verweist selbst darauf, "daß die multinationale
Agroindustrie Hauptnutzer von Trinkwasser in der Welt ist". Und die ist
allemal in der Lage, ihr Geschäftsinteresse in die Verhandlung
über die "natürliche" Höhe des Wasserpreises
einzubringen. Erfolgreich verhindert wird so allenfalls die
Wasser"verschwendung" durch Kleinbauern und sonstige armen Schlucker,
die dann kein Wasser mehr verbrauchen, weil sie es nicht mehr bezahlen
können. Damit die nicht als Kunden ausfallen und alle verdursten,
sollen sie, so will es die EU, ein bißchen subventioniert werden:
Es müssen "gezielt Beihilfen eingesetzt werden, insbesondere
für arme und ländliche
Bevölkerungsgruppen". Die benötigten Mittel für diese
Zuschüsse haben Europas Abgeordnete praktischerweise gleich dort
ausgemacht, wo auch die Wassernot beheimatet ist: in den in
"Entwicklungsländern" selbst. In ihnen wird zwar "dem Wasser kaum
eine politische und finanzielle Priorität eingeräumt" und
unhaltbare Zustände sind endemisch – "unzureichender
Rechtsrahmen … schlechte Bewirtschaftung … Mangel an
Transparenz …Korruption … Fehlen von Diskussionen
über das Preisniveau" – , dennoch ist das EU-Parlament der
Ansicht, daß diese Sorte "Staat weiterhin ein Hauptakteur der
Wasserpolitik ist" und "die Regierungen Unterstützung leisten
müssen". Der Auftrag zur finanziellen Unterstützung der
"Ärmsten" ergeht also an "die am wenigsten entwickelten
Länder", die für diese Unterstützung kaum Geld haben.
Auch wenn diese Beihilfen schon deshalb nie und nimmer dafür
sorgen, "armen Familien ihre Grundbedürfnisse an Wasser" bezahlbar
zu machen, bleibt die EU dabei, daß es in jedem Fall als
unerwünschte Subventionierung zu verurteilen ist, wenn denen das
nötige Wasser umsonst gegeben wird.
Mag es in solchen Gemeinwesen an Geld und
Ordnung auch in jeder Hinsicht fehlen, "auf der kommunalen Ebene",
sieht Straßburg da allerhand Möglichkeiten. Vor Ort sollte
genau geprüft werden, ob sich finanzmäßig nicht doch
etwas holen ließe. Kaum betrachtet man nämlich die "armen
Familien" unter dem Gesichtspunkt "lokaler Bevölkerungsgruppen",
lassen sich summa summarum bei ihnen bestimmt "örtliche
Ersparnisse" ausfindig machen. Die ließen sich doch für die
"Entwicklung örtlicher Finanzmärkte" verwenden.
Die zuständigen Regierungen müssen sich dann
nur noch dazu entschließen, dafür "alle Hindernisse
rechtlicher, steuerlicher oder administrativer Art [zu] beseitigen",
sich also vom Standpunkt staatlicher Einflußnahme oder Kontrolle
verabschieden. Denn das braucht man für die Versorgung mit
Trinkwasser zu guter Letzt mehr als jede Wasserleitung:
Ein freies Kreditgewerbe, das das Geld fürs Wasser bewirtschaftet
und aus seiner Finanzierung durch besagte "örtliche Ersparnisse"
ein eigenes Geschäft macht. Derart rationell und effektiv in
Sachen Bedürfnisbefriedigung ist echt nur der globale
Kapitalismus. Da klappt das mit dem Millenniumsziel, "bis 2015 den Anteil der Bevölkerung ohne dauerhaften Zugang zu Wasser zu halbieren" in jedem Fall – es müssen nur genug verdursten.
P.S.:
Zum "Mißfallen vieler Teilnehmer hatte die
Abschlußerklärung des Weltwasserforums darauf verzichtet,
sauberes Trinkwasser als Menschenrecht zu definieren" (FocusOnline,
22.3.09), und das, obwohl die EU in ihrer Entschließung doch
"...erklärt, daß Wasser ein Gemeingut der Menschheit ist und
daß der Zugang zu Trinkwasser ein universelles Grundrecht sein
sollte."
Selbst wenn es der mächtigste Verfechter einer
Verwandlung des "Lebensmittels" Wasser in einen Geschäftsartikel
ist, der das als Menschenrecht deklariert wissen will, kommen diesen
Kritikern keine Zweifel an der Menschenfreundlichkeit solcher Titel.
Was würde sich ändern, wenn "Zugang zu
sauberem Wasser" zum Menschenrecht erklärt würde? Sauberes
Trinkwasser haben und ein (Menschen-) Recht auf Zugang zu ihm sind zwei
disparate Dinge: Das Menschenrecht auf Wasser
ist dann erfüllt, wenn den Menschen der Zugang zu Wasser
möglich ist, und nicht erst dann, wenn sie wirklich ihren Durst
löschen. Diese Möglichkeit hängt im Kapitalismus nun mal
ab vom Besitz von Geld. Ein Menschenrecht auf Geld gibt's aber nicht.
Ohne Moos ist auch, was das Wasser angeht, nix los. Oder wie Herta
Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, letztes Semester in Tübingen erklärte:
"...wenn Sie die
sozialen Menschenrechte ernst nehmen, dann werden Sie natürlich
auch gucken müssen, daß das Bruttosozialprodukt das hergibt."
Ja und wenn nicht? Das BSP ist die in Geld errechnete
Summe nationaler Geschäftserfolge. Wenn die es nicht "hergeben",
gibt es auch kein Wasser. Dann sitzen die Menschen trotz Menschenrecht
auf dem Trockenen – Durst hin, Durst her.
VERSUS (herausgegeb. v. Gruppe kritischer Studenten Tübingen und Freiburg), Ausgabe 30, Juni 2009