Ware? Oder keine Ware?

»Wasser ist keine Ware.« Oder
»Gesundheit ist keine Ware.« Oder »[Dies und das] ist keine Ware.« Wenn blockupy, attac oder wer auch immer mit einem derartigen Slogan Öffentlichkeit erregt, dann wird ein treffender Begriff verwendet, ohne ihn allerdings — so scheint es jedenfalls — wirklich begriffen zu haben. Der Begriff Ware erheischt eine nähere Untersuchung*. Im Kapitalismus ist alles Ware, was zählt, also etwas, was Wert hat**. Warum soll also z.B. Wasser keinen Wert haben? An dieser Stelle wird offensichtlich, daß der Begriff Wert ein ambivalenter ist, denn zweifellos wird niemand bestreiten, daß das Wasser Wert hat, bestritten wird jedoch, daß es einen Wert im kapitalistischen Sinne der Verwertung hat bzw. haben sollte. Wer also darauf besteht, Wasser solle keine Ware sein, der besteht darauf, daß Wasser einen Gebrauchswert hat und nur einen solchen, also keinen Wert, der einer Verwertung von Geld anheimfallen soll, also keinen Wert, der — im Tausch gegen Geld — einem »Investor« Gewinn bringen möge. Kurzum, Wasser solle Gebrauchswert sein, nicht jedoch ein Tauschwert, also der kapitalistischen Rechnungsweise entzogen sein.

Es ist unverfroren gültige Geschäftspraxis, daß ein Rohstoff wie (unter vielen anderen) Wasser der allgemeinen Verfügung vor seinem Gebrauch erst einmal entzogen wird, um ihn dann gegen Zahlung wieder herauszurücken. Aber so ist es ja überhaupt im Kapitalismus. Auf Rohstoffe, natürliche Ressourcen greift ein Kapital zu, rücksichtslos gegen alle Bedürfnisse der (ortsansässigen) Bevölkerung unter dem Vorwand, damit etwas für eben jene Bevölkerung zu tun***. Und es stellt sich an dieser Stelle die Frage, bei welchen Rohstoffen das für die »...ist keine Ware«-Kritiker in Ordnung geht und wann nicht. Wenn diese Kritiker nicht bloß ans Wasser und ein paar andere Dinge dächten, dann würde ihnen zum Beispiel folgendes auffallen können: Auch die menschliche Arbeitskraft ist  ja durchaus ein natürliches Ding: Herz, Hirn, Nerv, Muskel etc., wer würde das bestreiten? Geht der Kauf und Verkauf dieses Rohmaterials jetzt in Ordnung? Oder geht das etwa allein deshalb in Ordnung, weil die menschliche Materie bezahlt wird, weil zumindest ein Bruchteil ihrer Wertschöpfung ihr von dem bezahlt wird, welcher sie zu seinem eigenen Nutzen anwendet?****

Gemeinhin gilt im Kapitalismus, daß alle Rohstoffe nur dann einen Wert haben, wenn sie sich als Tauschwert verwertet haben und nachdem sie sich als solchem verwertet haben. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Wert des Stoffes genossen werden, als Gebrauchswert eben. Ansonsten nicht. Das kennt man ja zur Genüge von den Lebensmitteln, die eher weggeworfen, als
verschenkt werden oder zumindest zu einem günstigeren Preis losgeschlagen werden, einem Preis, der den Tauschwert nicht realisieren kann. [Da schütteln dann irgendwelche christlichen Moralheinis den Kopf und wollen die Welt nicht mehr verstehen, ganz so als hätten sie die zuvor verstehen wollen.]
Sicher, beim Biß in Fleisch oder Apfel merkt niemand, daß da Tauschwert drinsteckt, daß der, gesellschaftlich gesehen, zählt, während der pure, materielle Genuß eines Lebensmittels als solcher eben nicht zählt. Möglichst alles soll Geschäftsmittel sein, ob es dann nebensächlicherweise noch als Gebrauchs- und Lebensmittel Verwendung findet, ist dann schon ziemlich egal. Bekanntlich wird ja auch vieles gekauft, das dann ziemlich schnell unverzehrt und ungenossen im Müll landet. Und auf den vom Taifun heimgesuchten Inseln der Filippinen gilt die Sorge hiesiger Medien derzeit offenkundig weniger der Not, als vielmehr dem Schutz des Waren-Eigentums: Tatsächlich haben dort Hungernde Supermärkte und Lebensmittellager »geplündert«! Offenbar sollten sie nach Ansicht den Herren der kapitalistischen Weltordnung lieber verrecken, als Reis unbezahlt verzehren!

Alles in allem läßt sich sagen, daß es einfacher ist aus Rohstoffen Wert in Form von Geld zu schlagen, als aus einem Menschen selber. Der muß sich nämlich reproduzieren, der kann gar nicht umsonst arbeiten; der arbeitet für Lohn, wenngleich als Mittelloser — als solcher ist er erpreßbar —, unter dem Wert seiner Arbeitskraft. Denn den Wert, den er nicht bezahlt kriegt, den er aber gleichwohl mit der Verausgabung seiner Arbeitskraft geschaffen hat, schiebt das Kapital, das ihn beschäftigt, als seinen Profit ein (jedenfalls insoweit, als es ihn gegen die Konkurrenz anderer Kapitale auf dem Markt durchsetzen kann). Soweit die menschliche Arbeitskraft also produktiv, d.h. gewinnträchtig angewendet und vernutzt werden kann, gelten sowohl sie selber als auch ihre Produkte als Waren. Soweit das nicht der Fall ist, wiewohl Arbeiten gesellschaftlich gesehen unentbehrlich sein mögen, gelten sie nicht als Waren. Das ist vor allem im Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft der Fall. Eigenhändige häusliche Arbeiten sind ja keine Lohnarbeit, für sie fließt kein Geld. So notwendig diese menschliche Reproduktion für die Produktion selber ist, so wenig gilt sie als Wert schöpfend. Wäre die Reproduktion das, müßten für die produktive Arbeitskraft ganz andere Löhne gezahlt werden. Dieses »Problem« hat der ideelle Gesamtkapitalist, der Staat, als solches anerkannt und in seiner Steuergesetzgebung und der Definition eines Existenzminimums (und möglicherweise demnächst in der Festlegung eines allgemeinen Mindestlohns) mehr schlecht als recht berücksichtigt. Was natürlich keineswegs heißt, daß dadurch die Arbeitkraft  auf einen grünen Zweig käme. Ja, der Staat hat dieses »Problem« sogar noch viel grundsätzlicher berücksichtigt: Er hat für die Reproduktion der Arbeitskraft eine Institution eingerichtet, eine Zwangsgemeinschaft namens Ehe. Hierbei nutzt er das zwischengeschlechtliche Bedürfnis nach Zuneigung und Liebe aus, um die Paare aneinander so zu schmieden, daß sie füreinander arbeitsteilig ihre Reproduktion bewerkstelligen und damit die Reproduktion dem Anwender der Arbeitskraft (wie dem Staat selber) abnehmen, ihn also davon entlasten. Und es ist somit in aller Regel heute noch so, daß der Mann für das Geld-Ranschaffen und die Frau für die unproduktiven Tätigkeiten herhalten muß.

Daß sich so manche Frau nicht mehr wie früher auf die berühmten drei Ks reduziert sehen will, sondern selber einer Erwerbsarbeit nachgehen möchte, darüber gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen hofft, ändert wenig an dieser Tatsache. Denn selbstverständlich obliegt ihr trotzdem nach wie vor der Hauptteil der (nicht entlohnten) Reproduktionsarbeit, dann eben nicht nur der für den Ehemann, sondern eben auch noch für sich selber. Es ist  deshalb so, daß viele Frauen nur hinzuverdienen, also nur Teilzeit arbeiten, wenn möglich. Von den eingeschränkten Möglichkeiten, mit einem einzigen Lohn zu zweit mehr über- als leben zu können, ganz zu schweigen. Der Staat in seiner Funktion als ideeller Gesamtkapitalist begrüßt es natürlich, wenn auch das weibliche Geschlecht, für ihn und seine Ökonomie nicht bloß reproduktiv, sondern gleichzeitig produktiv zu werden gedenkt. Er begrüßt es als Beitrag zur Emanzipation, denn so wird Emanzipation heutzutage verstanden
(einschließlich Emma-Schwarzer): Ware Arbeitskraft Frau!

Ist es einer Frau schon jemals in den Sinn gekommen, daß sie keine Ware ist? Vielleicht ausgerechnet jenen, die sich auf die Reproduktion versteifen, also moralisch einwandfrei vorzugsweise ihre gesellschaftlichen Funktionen unentgeltlich erfüllen und so Anerkennung zu erlangen hoffen? Wie auch immer. Daß der weibliche Spagat zwischen reproduktiver und produktiver Arbeit Grund dafür ist, daß ihre produktive Arbeit durchweg schlechter entlohnt wird als die männlicher Lohnarbeit, liegt auf der Hand. Allein wenn sich eine Frau als pures, als organisch-anorganisches, passives Naturprodukt einem männlichen Geldbeutel verkauft, dann und nur dann, wird eben dieses sogar besser bezahlt. Daß Prostitution in kapitalistischen Gesellschaften ein aufstrebender Geschäftszweig ist, geht einerseits aus der unmittelbaren Notlage der Frau hervor, andrereseits daraus, daß die Beziehungskisten ihrem staatlich vorgegebenen Zweck immer weniger erfüllen können. Die Ansprüche, die an menschliche Arbeitskräfte gestellt werden, wachsen kolossal und gleichzeitig wachsen die Reproduktionsbedürfnisse, die verständlicherweise ein Ehepartner nur selten noch zu erfüllen in der Lage und damit willens ist, nicht einmal mehr in gehobeneren Einkommensschichten.

Im übrigen ist der Staat als ideeller Gesamtkapitalist ein kühler Rechner: Der Vorwurf, er sei zynisch, prallt an seinen vitalen Interessen ab: Der Staat weiß selber, daß bei Frauen noch weit mehr herauszuholen ist, er braucht ja nur auf die durchschnittliche Lebenserwartung zu schauen, die bei ihnen deutlich über der der Männer liegt. Insofern hat er natürlich gar nichts dagegen, wenn sich Frauen in Reproduktions- und Produktionsarbeit gleichzeitig aufarbeiten. Da braucht er sich zwar nicht zu wundern, wenn die Geburtenrate zu wünschen übrig läßt. Aber dazu fällt im gleich eine probate Lösung ein, nämlich, daß die auf Geld, das sie nicht haben, angewiesenen Frauen sich mit einer Kinderwurf- bzw. Kinderbetreuungsprämie leicht ködern lassen. Geld ist eben eine Ware, die zu allem taugt. Und das liegt an ihrem Tauschwert.******

Soviel zu Wasser, Ware, Wert. Offenbar ist es nicht so, daß die oben genannten Ware-Kritiker so weit gehen, daß sie fordern, alles außer Geld sei keine Ware! Damit hätten sie das Geld selber ja schon entzaubert. Das wollen sie nicht.
Ist es nun nicht allzu bescheiden, wenn man sagt: Bitte nicht auch noch den letzten Tropfen tauschwertmäßig verwerten*****? Hat die unverschämte Bande von Staats- und Kapitalprotagonisten soviel Nachsicht verdient??

(13.11.2013)

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Da man im Alltag permanent auf Waren stößt, also auf Gebrauchsgegenstände, welche die Eigenart haben, durch einen Preis, einen Wert-Ausdruck erst einmal und ganz prinzipiell denjenigen vom Gebrauch auszuschließen, der sie - einfach so, weil er sie halt braucht und will - haben will, da man also auf diese eigenartigen Dinge namens Waren also stößt, ist es kein Wunder, daß ein seriöser Wissenschaftler dies einmal näher untersucht hat. Schließlich stößt man ja nur allzuoft nicht nur auf sie, sondern sich an ihnen, genauer: man stößt sich an ihren untrennbar haftenden Preisen. Jener Wissenschaftler hat anhand dieses Untersuchungsgegenstandes tatsächlich die ganze auf Geld basierende Ökonomie des Kapitalismus korrekt abgeleitet.
** Sogar für Abwasser muß man zahlen, obwohl es keinen Wert hat: Das Entsorgen von Abwasser und Abfällen, von allem, was die kapitalistische Produktionsweise im Überfluß an nicht länger Brauchbarem und Unverwertbarem abwirft, wird per Lohnarbeit abgewickelt.
*** Daß das Kapital und seine politischen Protagonisten bisweilen vorgeben, die Armut abzuschaffen, welche sie selber mit ihren Geschäftstätigkeiten erst hervorrufen, ist allein ihren Rechtfertigungsbedürfnissen geschuldet. Das soll nicht ausschließen, daß manche selber so dumm sind und ihre Lügen für bare Münze nehmen.
**** Es ist nur zu verständlich, daß Arbeitskräfte, die nicht im wertschöpfenden Bereich arbeiten, also den Rohstoffen keinen Wert eigener Arbeitskraft hinzufügen, entsprechend extra mau entlohnt werden. Das gilt gerade für Arbeitskräfte im Rostoffabbau. Ein Beispiel: "Für eine Kiste Orangen (à 40,8 kg) zahlen die Saftproduzenten aktuell rund 2,60 Euro an die Orangenbauern, deren Ernte sie zusätzlich zu ihrer eigenen verarbeiten. Die starke Marktkonzentration ermöglicht es, die Preise immer wieder unter die Produktionskosten zu drücken. Gefrorenes Orangensaftkonzentrat (kurz FCOJ) wird international an den Börsen gehandelt. Der Marktpreis schwankt stark je nach Ernteertrag und Wetterlage. Der Handel in Deutschland mit nicht-alkoholischen Getränken wird von vier führenden Handelsunternehmen bestimmt, die einen Marktanteil von 85% auf sich vereinen...." (Orangensaft im Fokus, Zeitungsbeilage der Christlichen Initiative Romero, 11.10.2013)
***** Ob man das Wasser einer privaten Firma oder einer staatlichen zahlen muß, ist übrigens ziemlich egal: Kaum war die Wasserversorgung in Augsburg wieder rekommunalisiert, schon erhöhten die Stadtwerke die Gebühren. Sie trafen auf keinen Protest.
******Literaturhinweis: Das Geld