
Unlängst hat die UN in ihrer Statistik
über Hungerleidende ausgewiesen, daß im Jahre 2009
die Marke von einer Milliarde geknackt worden ist; allgemeinem
Verständnis zufolge trotz des globalisierten Kapitalismus, in
Wahrheit eben wegen ihm.
Vielen Regierungen von Drittweltstaaten stirbt die Bevölkerung
geradezu unter den Händen weg, ganz ohne daß sie je
einer staatsdienlichen ökonomischen Beschäftigung
zugeführt werden könnte. (Die dafür nötigen
Maßstäbe, wie den, »Arbeitsplätze zu
schaffen«, haben sie
längst vorbehaltlos adaptiert.) Ausgangspunkt aller
Staatsräson jener Herrschaften ist es daher, dieses
Dahinvegetieren
und massenhafte Sterben, wenn schon nicht zu verhindern, so doch
in einem staatserträglichen und -verträglichen Rahmen zu
halten. Aufgrund der
Exportausrichtung ihrer auf den Weltmarkt ausgerichteten
landwirtschaftlichen Produktion, die es in den meisten dieser
Länder gleichwohl gibt, steht die nicht für die
Ernährung der einheimischen Bevölkerung zur
Verfügung. Das veranlaßt Staaten solcher Sorte,
Nahrungsmittel zu importieren. Das wiederum hat den Haken, daß
dafür immerzu viel zu wenig Geld im Staatshaushalt vorhanden
ist, zumal die Exportprodukte des Landes allenthalben viel zu wenig
abwerfen; schließlich bestimmen ganz andere
»Herrschaften« im Ausland die Preise, die
für sie gezahlt werden. Außerdem werden die verfügbaren
Haushaltsmittel in aller Regel für Wichtigeres gebraucht, denn
so wie die Staatenwelt einmal konzipiert ist, kommt es zu allererst
darauf an, die eigene Gewalt - einmal etabliert - auch
aufrechtzuerhalten als
eine monopolisierte, was bekanntlich in vielen jener Staaten ein gar
erhebliches Problem darstellt. Doch wofür gibt es im
globalisierten Kapitalismus keine Lösung? Die
imperialistischen Staaten selber machen sich die Notlage anderer
Staaten zum Anliegen und bieten Kredite an, die sie u.a. über die
Weltbank vergeben. Nahrungsmittelkredite gibt es zwar zu
ganz speziellen Preisen - die verlogene humanitäre Begründung soll an dieser Stelle der Erklärung die wirklichen Gründe
nicht weiter stören -, allerdings keineswegs kostenlos. Doch nicht
nur, daß an der Not von
Drittweltstaaten und deren Menschenmaterial verdient werden kann!
Gleichzeitig fördern die imperialistischen Staaten ihr heimisches,
mit überlegenen technischen Mitteln produzierendes, im
landwirtschaftlichen Bereich investiertes Kapital, dem sie so
Absatzmärkte in einer
Größenordnung verschaffen, die die heimischen Märkte
nicht hergeben.
In die Nahrunsgmittel produzierende Weltmarktkonkurrenz eingetreten sind
- seit einigen Jahren schon - Staaten der früheren UdSSR: Rußland, die
Ukraine und Kasachstan. Auf auswärtigen Märkten
können die neuen Agrar-Kapitalisten dieser Staaten mehr Geld verdienen als
mit der einheimischen, chronisch geldklammen Bevölkerung.
Daß die Weltmarktpreise trotz des erweiterten
Weltmarktangebots an Getreide in den letzten Jahren einigermaßen stabil geblieben sind, verdankt
sich einem anderen, gleichzeitig aufgetretenem, mit dadurch
angeschobenem Fänomen auf diesem Sektor der Ökonomie,
nämlich einem Sfärenwechsel: Landwirtschaftliche
Produktion in großem Stil wurde jetzt mit ganz anderen
Produkten interessant. Die Gewinnung von Kraftstoff aus Nutzpflanzen
spielt eine immer größere Rolle. Die Augsburger
Allgemeine hatte vor zwei Jahren anläßlich eines
Ernährungsgipfels der FAO in Rom (passenderweise im Circo Massimo, wo
die antiken Formel I-Rennen abgehalten wurden) einen unter
kapitalistischer Betrachtungsweise völlig
deplatzierten Zusammenhang aufgemacht:
"Für hundert Liter Bioethanol ist so viel
Getreide nötig, wie ein Mensch für ein Jahr
über Nahrung zu sich nimmt. Oder: Ein Hektar Ackerland wird
benötigt, um 1150 Liter Diesel herzustellen. Damit
könnte ein PKW etwa 14250 Kilometer fahren. Diese Menge an
Getreide könnte auch für 28 Menschen als
Nahrungsmittel dienen." (AZ, 04.06.2008)
Bezüglich der unterstellten Frage, warum die Tankfüllungen dem Überleben von
Menschen vorgezogen wird, wird darauf hingewiesen, daß
die EU trotz der - damals ebenfalls steigenden - Preise für
Nahrungsmittel am Ziel festhält, mehr Kraftstoff aus
Nutzpflanzen zu gewinnen, womit nämlich der Kohlendioxidausstoß
gesenkt werden solle: auch so eine schöne ideologische
Rechtfertigung der ganz ordinären kapitalistischen
Gewinnrechnung! Sodann wird in der AZ konsequenterweise die Sorge über
die steigenden Preise breitgetreten: Dabei kommt sie tatsächlich auf die Sache selber, auf den
Sfärenwechsel zu sprechen: "Zahlreiche Regierungen (unter
anderem Brasilien und Indonesien) versuchen ihre Abhängigkeit
vom Öl zu verringern und setzen auf Bio-Treibstoff.
Für viele Bauern ist es mittlerweile lukrativer, für
den Treibstoffmarkt statt für den Nahrungsmittelmarkt zu
produzieren."
Das ist auch schon die ganze Wahrheit einer
»Nahrungsmittelkrise«. (Daß das Finanzkapital auf
gewinnträchtige(re) Sfären, sie vergleichend, spekuliert und
somit
über die Kreditwürdigkeit entscheidet, soll an dieser
Stelle nicht weiter interessieren, weil das keine Spezialität
des Nahrungsmittelsektors ist.)
Doch nun endlich zum vorliegenden, aktuellen Fall:
"Die Weltbank hat wichtige Weizenexporteure davor gewarnt, Ausfuhrstops
zu verhängen. Ansonsten könnte es zu einer neuen
Nahrungsmittelkrise kommen, sagte Weltbank-Direktorin Ngozi
Okonjo-Iweala. Die große Trockenheit in mehreren Regionen
könnte Länder dazu veranlassen, dem Beispiel
Rußlands zu folgen und den Export einzuschränken.
Das Welternährungsprogramm (WFP) sieht bereits eine
gefährliche Preisspirale." (SZ,
11.08.10)
Wem gilt die Sorge der Weltbank? Offenkundig der Tatsache,
daß mit steigenden Preisen für Getreide weniger
Geschäft laufen könnte. Nicht jedoch der Tatsache,
daß aufgrund eines Preisschubs mehr Menschen hungern
werden, mehr als die - offiziell erfaßten - eine
Milliarde ohnehin Hungernden. Weltbanker verdrehen dies in ihrer
Darstellung, wenn sie so tun, als würde ein Mehr an Hunger
durch uneingeschränkte Geschäftstätigkeit - zumindest - gemildert. Doch gäbe es ein Noch-Mehr an Hunger
ohne Subsumption der Nahrungsmittel unters
Geschäft überhaupt?
Will die Weltbank etwa das Gegenteil ihrer nun
vorgebrachten Sorge, nämlich einen
Preisverfall, damit sich auch Menschen Brot kaufen können,
die
ansonsten darben müssen? Keineswegs! Das ideologische
Geistersubjekt namens »Markt« freilich kann es der
Weltbank ohnehin selten recht machen, da hätte es die
Feuer in Rußland wirklich nicht gebraucht. Obendrein ist die
- ideologisierte - Sorge der Weltbank natürlich geheuchelt,
denn sie
wird mit einer Nahrungsmittelkrise
lässig fertig, sie überführt sie ja sogleich in neue
Kredite. Insofern ist der Weltbank jede Nahrungsmittelkrise ein Segen,
jede Naturkatastrofe eine (Herausforderung für die) Produktivkraft
des Kapitalismus.
Die Wirkungen der kapitalistischen Produktionsweise machen
Rußland zweifelsohne auch bei den verheerenden Bränden zu
schaffen. Die taz begrüßt das außerordentlich,
ohne freilich diesen einzig sachgerechten Zusammenhang herzustellen.
Sie begrüßt die kapitalistische Produktionsweise ja gerade,
indem sie deren zerstörerische Wirkungen von ihr abtrennt. Die
zerstörerischen Wirkungen dieser Produktionsweise machen dem
russischen Staat so zu schaffen, daß er alle Hände voll zu
tun hat, seine »Stabilität«, also sein Gewaltmonopol
und seine - durchwegs kapitalistische - Staatsräson
aufrechtzuerhalten. Wenn die taz die zerstörerischen
Wirkungen der Ökonomie begrüßt, dann lehnt sie auch
jedes Verständnis [Verständnis bedeutet im demokratischen -
also vorsätzlich falschen - Sinne ja Billigung!] für das
daraus resultierende Problem der russischen Staatsräson bzw. deren
Widersprüche ab. Sie peilt einen Angriff auf das Gewaltmonopol
selber an: Ihr Vorwurf ideologischer Art zielt auf die Substanz: Es
gäbe keine Meinungsfreiheit ("gleichgeschaltete TV-Sender"), keine
Demokratie ("wo andere Gesellschaften aufbegehrten" [aber nicht in der
BRD, wo es dank taz ja keinen Grund gibt!]), keine Gewaltenteilung, so Oberschlauberger Klaus-Helge Donath (taz
v. 10.08.10). Man ist geneigt zu fragen, ob dieser Herr oder diese
Zeitung - denn diese antirussische Hetze ist für sie typisch -
private Rechnungen (etwa aus WK II) mit den Russen offen haben?
Deutsch-nationale Hybris oder was?
Ein ähnlicher Abschuß gelang dem AZ-Kommentator Züfle (AZ
v. 10.08.10), selber ein der CSU höriger Ausbund an
Unterwürfigkeit und Schleimscheißerei. Auch er hält die
Medien dort - ganz im Gegensatz zu denen hierzulande - "auf
Regierungskurs [= Staatsräson] getrimmt"; auch er hält viele
Russen für "autoritätsgläubig" - ganz im Gegensatz zum
Stimmvieh hierzulande -, womit Putin leichtes Spiel habe.
Wofür so eine Feuersbrunst doch gut ist! Die zynische Brut des
Kapitalismus weiß sich daran zu ergötzen wie seinerzeit
Kaiser Nero bei den Wagenrennen und anderen, feurigen Späßen
im alten Rom.
(12.08.10)
