Sahra Wagenknecht

Rettungsschwimmerin gesellschaftlicher Produktivität, des Kapitals und seiner politischen Herrschaft

Eine Kritik ihres Buches »Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft«
*

Wie geht man an ein Buch heran, das sich als Erklärung versteht, also eine Erklärung eines Sachverhalts vorschützt, doch mitnichten eine ist? So sehr es das Kapital bzw. das kapitalistische System in seiner Gesamtheit treffen mag, es als absurd zu bezeichnen, so wenig ist man der Rationalität eben dieses absurden Systems einen Schritt näher gekommen. Ja im Gegenteil, Sahra Wagenknecht hat sich so von der Tatsache verabschiedet, das Geldkapital auf seinen Begriff zu bringen, wie das Marx getan hat. Der Widerspruch, der Sahra Wagenknechts Buch zugrundeliegt, ist der Anspruch, eben eine solche Erklärung sein zu wollen, und die gleichzeitige Absage an den Gegenstand der (potenziellen) Erklärung. Eine Erklärung wäre Sahra Wagenknecht auch entschieden zu wenig. Ihr kommt es nicht auf das mit einer Erklärung gefällte Urteil an, sie zielt auf eine Verurteilung ab, die allenthalben leichter zu haben ist, in einer Beschreibung der Vorgänge ja reichlich Material vorfindet. Das umfangreich dargereichte Material soll dann quasi automatisch für eine Erklärung stehen. So ist denn die Berufung auf Marx – den Kapiteln 1 und 3 ist jeweils ein Marx-Zitat aus dem K III (MEW 25, S. 493 bzw. S.511 ) vorangestellt - nicht mehr als schiere Koketterie. Das dem Kapitel 4 vorangestellte, Marx unterstellte Zitat löst da schon nicht mehr als lautes Gelächter aus: So zurechtgestutzt hätte sie wohl ihren Marx gern! (Sicherheitshalber hat sie die Fundstelle bei den beiden richtigen Marx-Zitaten ebenfalls weggelassen, sehr trickreich!)

Wie geht man an so ein Werk also heran? Soll man das unsystematisch ausgebreitete Material jetzt mühsam in Marx' Kapital einordnen? Oder soll man lediglich auf die trostlosen Versuche aufmerksam machen, die eine Erklärung abgeben sollen? Im folgenden wird beides anhand einiger ausgewählter Stellen versucht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Einer durchgehenden Systematik in der Darstellung kann somit freilich nicht gefolgt werden. Allein dem Anspruch auf die Richtigkeit dargelegter Argumente soll das keinen Abbruch tun.

Funktionalität als Argument
Schon des öfteren ist in den letzten Jahren der Fehler aufgetreten, den Kapitalismus dadurch auf die Schliche zu kommen, indem man sein Funktionieren untersucht.

"Anliegen dieses Buches ist es, die Rolle und Funktionsweise der Finanzmärkte im Kapitalismus der Gegenwart offenzulegen und damit [!] auch [!] die wirklichen Hintergründe und Ursachen der jetzigen Krise." (S. 11) "Von einem Markt, auf dem niemand nichts genaues weiß, es aber zugleich um sehr viel Geld und letztlich um Sein oder Nichtsein milliardenschwerer Institute geht, sollte [ein wissenschaftliches Ethos?] man nicht erwarten, daß er vernünftig funktioniert. Daß ausgerechnet so ein Markt in der Mainstream-Ökonomie unter der Annahme »vollständiger Information« modelliert wird und Modelle, die auf dieser Annahme beruhen, fast drei Jahrzehnte lang die Wirtschaftspolitik bestimmten, gehört zu den traurigen Treppenwitzen der Geschichte." (S.179)

Seine Apologeten und Protagonisten halten das Funktionieren ob des geschaffenen, schier unermeßlichen Reichtums in abstrakter wie konkreter Form – Geld und Waren – für ein schlagendes Argument. Für ihre Begriffe hat der Realsozialismus eben deshalb nicht funktioniert, weil er den Nachweis der Produktion wirklichen Reichtums schuldig geblieben sei. Dabei treffen sie sogar auf der stofflichen Seite des Reichtums etwas. Der Realsozialismus wollte sich ja gerade darin mit dem Kapitalismus vergleichen, mit Kapitalismus in Konkurrenz treten und eben so seine gesellschaftliche Überlegenheit unter Beweis stellen. Davon, daß dieses Vorhaben mehr und mehr zum Scheitern verurteilt war, je höher die kapitalistische Entwicklung auf der Stufenleiter aufstieg, davon hatte der Realsozialismus durchaus eine Ahnung, wenn er seine Defizite auf das Fehlen von Tauschwert zurückführte und deshalb nicht unerhebliche Abteilungen seiner Industrie für den Export gegen Devisen bestimmte. Zu guter letzt hat ihn das dazu bewogen, selbst seine letzten Überreste gebrauchswertorientierter Staatsräson zu beerdigen.

Kurzum, der Realsozialismus hat für den Westen einfach nicht funktioniert, obschon er das ursprünglich, im kapitalistischen Sinne, mit der Absicht der Produktion von Reichtum in abstrakter Form, auch gar nicht wollte, ja im Grunde hier einen Systemgegensatz eröffnet hatte.
Die Realsozialisten sahen es so, daß der Kapitalismus einfach besser funktionierte, weil seine Resultate, eben gerade was die produzierten Güter anbelangt, ertragreicher waren. Sie selber wollten also gar keinen Gegensatz mehr sehen –- von Marx' sachgerechter Unterscheidung zwischen Tausch- und Gebrauchswert hatten sie offenkundig eh keinen Dunst –, sie betrachteten ihr Wirtschaftssystem als ziemlich unproduktiv, reformbedürftig und schließlich gar als überholt.

Alle Welt hält also ein System, das viel Zeug abwirft, als funktionierend, jedes andere als zumindest mangelhaft, wenn nicht gar dem Tod geweiht. Man kann dieser Haltung unschwer entnehmen, daß der Zweck, für den viel Zeug herausspringen soll, ein anderer ist als das Zeug selber; und nicht nur das: Der Zweck der Produktion gilt als so selbstverständlich unterstellt, daß er einem oberflächlichen Betrachter gar nicht auffällt, so wenig jedenfalls, daß niemand darauf beharrt, diesen Zweck einmal ins Auge zu fassen und festzuhalten. Nur so ist es übrigens verständlich, warum eine Finanz- und Wirtschaftskrise versucht wird, mit »Geiz« zu er- und verklären, ein Fehler, der bekanntlich auch vor linken und kritischen Kreisen leider nicht als solcher erkannt wird, ganz im Gegenteil, er wird als ernsthaftes Argument in die Debatte geworfen!

Nun legt Sahra Wagenknecht den Finger in die Wunde des Kapitalismus, seine Krisen. Sie will herausfinden, was da funktioniert – nicht: was da funktioniert! –, daß es dann irgendwann nicht mehr funktioniert, wo also – um es mal ein wenig theoretischer zu formulieren – der Übergang von der Verwertung zur Entwertung von Kapital liegt.
Ausgangspunkt ist die große Finanzkrise jüngsten welthistorischen Datums, die – wie allen Linken – ihr schwer zu Denken gibt. Funktioniert der Kapitalismus noch? fragt Sahra Wagenknecht implizit in so fast in jeder Zeile, um dann die angepeilte Antwort argumentativ zu entwickeln, eine Antwort, die heißt:
Wie könnte der Kapitalismus noch funktionieren, nach all dem, was da auf dem Sektor des Geldkapitals abgelaufen ist und weiterhin abläuft?

"Dieses Modell [der Konkurrenzkapitalismus] funktionierte, solange die Konkurrenz rege und die Marktmacht der einzelnen Unternehmen gering war, was sich im Übergang zum 20. Jahrhundert zu ändern begann. Damals entstand zum ersten Mal ein globalisierter Kapitalismus mit freiem Kapitalverkehr und international aufgestellten, ihre Heimatmärkte beherrschenden Konzernen, die Preise, Löhne und politische Rahmenbedingungen in ganz anderer Weise diktieren konnten als ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert." (S. 191)

Schon daraus geht hervor – man braucht gar nicht den Versuch (mehr ist die angestrengte, so gar nicht an Marx' Theorie erinnernde Bemühung ja wirklich nicht) einer Begründung im nächsten Satz zu zitieren ("Hauptgrund dieser wirtschaftlichen Konzentrationen waren nicht so sehr mangelnde Kartellgesetze, als die neuen Fertigungstechnologien in der Schwerindustrie und aufstrebenden Automobilproduktion, die mit ihren Kapitalanforderungen von kleineren Unternehmen gar nicht zu bewältigen waren." [S.192]) –, daß Sahra Wagenknecht noch nicht einmal klare Sicht, auf welcher Ebene sie sich bewegt, nämlich auf der des fiktiven Kapitals, also auf der Ebene G – G', auf der die für die Schaffung abstrakten Reichtums so wichtige wie lästige Warenproduktion (W) herausgekürzt ist. Anstatt einmal zu untersuchen, wie das Kapital diesen Übergang geschafft hat [bzw. das mal bei Marx nachzulesen], stammelt Sahra Wagenknecht vom »wilden Treiben der Banker« (S. 40), vom »CDO-Irrsinn« (S.48) etc.; dabei hat sie das von der praktischen Seite her ja angedeutet, wenn sie Fannie Mae und Freddy Mac beschreibt: Es ging und geht darum, einen Kapitalrückfluß sicherzustellen, gerade weil die Spekulation auf eine Ausweitung des Geschäftsvolumens immer größere Unsicherheiten hervorgebracht hat. Neue
Kredite, um damit Unwägbarkeiten, einen schleppender werdenden, ja ausbleibenden Geschäftsgang abzudecken – den man sich weder leisten kann noch will! –, kriegt man aber nur für – möglichst umgehend realisiertes – Kapital, also muß dieses vorstellig gemacht werden können. Deshalb muß man auch nachweisen, daß die Ansprüche, die aus Wert-Papieren entstehen auch bedient werden, daß das Kapital auch wirklich zinsheckender Kredit, Profit heckendes Geldkapital darstellt.

Sie plädiert also für die Ablehnung dieses Übergangs in einen »fiktiven« Bereich per se, für einen »bodenständigen« Kapitalismus. Sie merkt nicht einmal, daß in einem Industrieland wie der BRD die Industrie an das Geldkapital gebunden ist, der Kapitalismus hier gar nicht so ohne weiteres auf ein bodenständiges Niveau zurückgefahren werden kann, ein Niveau, das man eher in den Periferien des hochentwickelten Kapitalismus antrifft (und das dort ja auch nicht gerade idyllisch ist). Sahra Wagenknecht versucht aus dem erreichten Niveau des Kapitalismus ein Argument gegen ihn zu drechseln. Sogesehen fällt für sie die Entwertung von Kapital nicht unter die unvermeidlich notwendigen »Neben«-wirkungen des Systems. Sahra Wagenknecht hält Entwertung von Kapital allem Anschein nach für verhinderbar, wenn, ja wenn das System sich irgendwie zügelt, auf ein gesundes Niveau zurückgeführt wird.

Sahra Wagenknecht kann sich einen gezügelten Kapitalismus sehr wohl vorstellen, einen Kapitalismus, bei dem die Arbeitskräfte in ihrer Gesamtheit noch viel umfassender angewendet werden, als es derzeit der Fall ist, wo die Intensivierung der Arbeit der Arbeitsplatzinhaber mit der Freizeit der Vielzahl der Besitzlosen in einem so krassen Verhältnis steht. Auf diesen wahrlich nicht sonderlich geistreichen Einfall, kommt sie wiederholt zu sprechen, um ihn zu betonen, z.B. so:

"Auch bei den LBOs [Leverage Buyouts] handelte es sich zunächst um ein äußerst lukratives Geschäft, das mit dem Hypothekenwahn zumindest das gemein hat, daß es die allgemeine Wohlfahrt nicht mehrt, sondern mindert. Der Kick des Ganzen besteht in diesem Fall allerdings darin, Firmen statt Familien in die Überschuldung hineinzutreiben." (S.24)

oder so:

"Denn so wie zum Fallout des Hypothekenbooms eben nicht nur faule Hausdarlehen, sondern auch Millionen in den Ruin getriebene und im schlimmsten Fall obdachlos gewordene Familien gehören, hat das Firmenmonopoly nicht allein einen Berg fragwürdiger Firmenkredite produziert, sondern zugleich Hunderttausende Menschen arbeitslos gemacht, die Lohnspirale nach unten getrieben und einst produktive Unternehmen in eine Lage hineingezwungen, in der sie jeden verdienten Cent für Zins und Tilgung verausgaben müssen statt in Forschung und neue Anlagen investieren zu können." (S. 29)

Das mit der Arbeitslosigkeit ist übrigens mal den deutschen Gewerkschaften aufgefallen, als sie vor etwa 25 Jahren die 35-Stunden-Woche forderten, eine Episode, die sie längst zu den Akten gelegt haben, weil sie nicht gleichzeitig eine »Lohnmaschine« sein wollten. Mit dem mittlerweile erreichten Lohnniveau pro Arbeitsstunde eine 35-Stunden-Woche die Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu decken, ist ja mittlerweile längst kaum mehr möglich. Von einem vergleichsweise beschaulichen Kapitalismus ist ihrer Auffasssung nach eindeutig nichts mehr zu retten, Sahra Wagenknecht und Linkspartei kommen da längst zu spät. Da nutzt der alte Kunstgriff, die gesellschaftlichen Sachzwänge zu personalisieren und damit zu moralisieren, auch nichts, soll ihr freilich als schlagendes Argument gegen das Kapital dienen:

"Denn 80 Prozent der in den Hedgefonds angelegten Gelder stammen von sogenannten High Net Worth Individuals, also Leuten, die über ein Finanzvermögen von mehr als 1 Million Dollar verfügen. Überdurchschnittlich in Hedgefonds engagiert ist vor allem die Crème de la Crème dieser Geldelite, die Ultra High Net Worth Individuals, die jeweils mehr als 30 Millionen Dollar auffahren können. Gerade 100.000 Leute dieser Sorte gibt es weltweit, die allerdings zusammen ein viele Billionen schweres Geldvermögen dirigieren." (S.152)

"Die stetig ansteigenden Häuserpreise gaben den Hypothekenanbietern die Sicherheit, ihr Geld einschließlich Zinsen in jedem Fall zurückzubekommen, auch wenn jeder rational kalkulierende Banker wußte, daß viele der großzügig mit Kredit bedachten Familien die Rückzahlung auf Dauer nicht stemmen konnten. Und die laxe Kreditvergabe sorgte dafür, daß die Nachfrage nach Häusern nicht erlahmte und die Preise weiter in den Himmel wachsen konnten." (S. 19)

Sie stellt also ernsthaft die Rationalität in Frage, mit der das System arbeitet, sie unterstellt, daß eine andere Rationalität aufgrund der Ergebnisse, die die herrschende hat, sinnvoller wäre, so, daß man sich fragt, warum huldigen die Magnaten des Kapitals einer, in Wagenknechts Augen so furchtbar falschen Rationalität? Sie tut so, als wäre das nur allzu offenkundig und schert sich einen Dreck um einen Nachweis. Daß die Kreditvergabe bisweilen »lax« war, das mag mancher Vertreter der Kapitalfraktion ja im nachhinein selber einräumen. Es ist aber ein gewaltiger Irrtum, damit das Kapital in seiner Substanz getroffen zu haben! Wie sollten auch beschreibende Eigenschaftswörter eine Erklärung sein?

Mit ihrem Schritt zurück zu einem Kapitalismus, der an einer bestimmten Stelle – Sahra Wagenknecht meint, sie genau bestimmen zu können -, nämlich da, wo Kredit nicht mehr direkt oder indirekt dem produktiven Kapital (inkl. dem Warenhandelskapital) nützlich ist, möchte Sahra Wagenknecht nichts weniger als einen haltbar gemachten Kapitalismus und diesen in diesem Status konservieren. Sie weist Marx' Ableitung zurück, wonach das Kapital selbst per se maßlos ist und sein muß. Sie übersieht, was J.W. Gilbart schon 1834 in seinem Werk The History and Principles of Banking schrieb, eine Stelle, die Marx zitiert hat: "Alles, was das Geschäft erleichtert, erleichtert auch die Spekulation, beide sind in vielen Fällen so eng verknüpft, daß es schwer ist zu sagen, wo das Geschäft aufhört und wo die Spekulation anfängt." (K III, MEW 25, S. 420)

Im Grunde ist nämlich jedes Geschäft erst einmal Spekulation auf seinen Erfolg. Es ist in aller Regel ja nicht so, daß der moderne Warenkapitalist erst einmal die Auftragseingänge abwartet, um dann zu produzieren zu beginnen. Umgekehrt, er produziert im voraus und wirft dann seine Waren auf den Markt, in der Hoffnung, sie versilbern zu können. Damit dies gelingt, eröffnet sich eine neue Sfäre des Geschäfts, das Vermarkten der Waren. Dieser Zirkulationssfäre des Kapitals hat Marx den zweiten Band des Kapitals gewidmet (MEW 24). Denn es ist klar, daß der Rückfluß vorgeschossenen Kapital gar nicht schnell genug und gar nicht dauerhaft genug sein kann, also ein Problem darstellt, wofür sich die Zuhilfenahme eines Kredits als probat anbietet, welcher natürlich als Dienstleistung, die er ist, seinen Preis hat. Ja, auf Grundlage des Kredits wird so manches Geschäft erst ein Geschäft!

Sie weist die prinzipielle Maßlosigkeit des Kapitals also zurück, indem und weil sie auf den Klassenstaat pocht, der dem Kapital Schranken zu setzen hätte, unter dem Eindruck gesellschaftlicher Disfunktionalität, die drohe, unterließe er es. Doch dieses Problem hat der Staat nicht wirklich, was nicht heißt, er sähe sich überhaupt zu keinem Eingriff veranlaßt: Ein solcher bezieht sich jedoch nicht auf das Prinzip, eher wird die Entwertung von Kapital als (wünschenswerte) Selbstreinigung des Marktes oder auch als Fehlleistung einzelner Kapitaleigner interpretiert, ja sogar auf das Fehlen notwendiger Richtlinien in Finanzsektoren, die alsbald in Gesetzesform gegossen werden, ohne dabei irgendwie geschäftsschädigend – das möchte Sahra Wagenknecht wohl auch nicht! –, sondern einzig geschäftssichernd und -fördernd zu wirken. An dieser Stelle macht Sahra Wagenknecht einen Vergleich auf zwischen tatsächlicher Geschäftsschädigung durch erfolgte Geldentwertung und einer fiktiven Geschäftsschädigung durch unterlassene staatliche Maßnahmen zur Beschränkung der Umtriebe des Kapitals.

"Die stetig ansteigenden Häuserpreise gaben den Hypothekenanbietern die Sicherheit, ihr Geld einschließlich Zinsen in jedem Fall zurückzubekommen, auch wenn jeder rational kalkulierende Banker wußte, daß viele der großzügig mit Kredit bedachten Familien die Rückzahlung auf Dauer nicht stemmen konnten. Und die laxe Kreditvergabe sorgte dafür, daß die Nachfrage nach Häusern nicht erlahmte und die Preise weiter in den Himmel wachsen konnten." (S. 19)

"Aber diese Werte [langfristige Erfahrungswerte, Kreditkartenschulden oder auch Firmendarlehen, mit denen das Risiko der ABSs und CDOs und damit ihre Ratings berechnet werden] hatten mit der Gegenwart schon allein deshalb nichts zu tun, weil es derart laxe Standards bei der Kreditvergabe zuvor nie gegeben hatte. ..." (S. 52)

Einen Nutzen von einem staatlichen Eingriff gerade im Bereich von Geldanlagen in fiktivem Kapital von vorneherein zu erfassen, ist nicht nur nicht leicht. Ein solcher Eingriff tangiert schlichtweg die Tatsache, daß das Geldkapital und sein Kredit der Motor des ganzen Systems und seines Fortschritts ist. Die potenzielle Motorleistung zu drosseln, wäre ja schon der Verzicht auf einen Spitzenplatz im internationalen Ranking potenter Wirtschaftsnationen. Und spätestens hier muß sich Sahra Wagenknecht vorwerfen lassen, daß sie immer noch der DDR mit ihrem gebrauchswertorientiertem Sektor nachtrauert und noch lange nicht im Lande des Exportweltmeisters bzw. -vizeweltmeisters angekommen ist. Wofür ein solcher Sektor gut ist, ist damit auch deutlich, nämlich zur Entlastung des Kapitals von sozialen Unkosten!

Sahra Wagenknecht vertritt ein »richtiges« Verhältnis von produktivem und Geld-Kapital einerseits, andererseits von Löhnen und Bilanzgewinnen. Der Klassenstaat wäre so etwas wie ein Mittler zwischen den Interessen, er müsse für Gleichgewichte sorgen, weil er sonst irgendwie aus den Latschen kippt, was man ja an Griechenland sehe und auch die BRD sei davor längst nicht gefeit.

Doch was muß sie feststellen:

"Die Gründung der Staatsfonds erlaubt, was den Zentralbanken nicht gestattet wäre: Die Währungsreserven in Aktien amerikanischer und europäischer Währungen zu investieren, der einzigen Anlagenart, die auch bei drastischem Wertverlust der Währung einen Eigenwert behält. Es kann davon ausgegangen werden, daß die aktuelle Finanzmarktkrise und die sehr berechtigte Sorge vor einer Inflationierung des Dollar die Umlenkung der Währungsreserven in solche Fonds weiter beschleunigen wird. … Insgesamt bedeuten die Staatsfonds, …, eine völlige Perversion der ursprüngliche  Idee von öffentlichem Eigentum und Vergesellschaftung, indem sie an der Geschäftspolitik der Unternehmen ausdrücklich nichts verändern sollen. ... Eine vernünftige Strategie wäre dagegen, das Kasinospiel mit Aktienwerten und Arbeitsplätzen durch staatliche Mehrheitsbeteiligungen an den großen, volkswirtschaftliche entscheidenden Unternehmen zu beenden, allerdings nicht nur als Überbrückungsmaßnahme in Krisenzeiten, sondern auch zur Sozialisierung der Gewinne und vor allem mit dem Ziel, die Prioritäten der Unternehmensführung von einer blinden Profitorientierung in Richtung volkswirtschaftlich vernünftiger Investitionen, sicherer Arbeitsplätze und ausreichender Mitsprachenrechte der Beschäftigten zu verschieben. Das schließt die anhaltende Ausrichtung an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien nicht aus, wohl aber die sklavische Unterwerfung unter das Diktat der kurzfristigen Maximalrendite."
(S. 157f)

Allein der Fortschritt läßt sich so nicht aufhalten, er löst sich nämlich immer in die Notwendigkeiten des Kapitals auf, auf die der Staat im eigenen Interesse so überaus große Stücke hält, hängt doch seine eigene Berechnung, sein eigener Erfolg eben daran. Wenn es darum geht, da läßt selbst Sahra Wagenknecht einmal alle Hüllen fallen:

"Der Umfang und die hohe Liquidität der Gelder, die die großen Kapitalsammelstellen heute dirigieren, die Gleichförmigkeit ihrer Bewegungen, die filigrane Verschachtelung ihrer Anlagen, ihre schlichte Größe und in der Regel hohe Verschuldung sowie der umgekehrte Preismechanismus erklären die zutiefst instabile Verfassung des Weltfinanzsystems unserer Zeit: seinen Hang zu Blasen, Exzessen, Übertreibungen und Zusammenbrüchen.
Die Krisenanfälligkeit der heutigen Finanzmärkte ist nicht deshalb ein Problem, weil Krisen das Vermögen einiger Milliardäre vernichten können. Sie ist ein Problem, weil ein funktionstüchtiges und stabiles Finanzsystem zu den Grundbedingungen einer stabilen Wirtschaft gehört. Die Finanzmärkte unserer Tage tun genau das nicht, was ihre Aufgabe wäre: die Ersparnisse der Gesellschaft in jene Investitionen zu lenken, die die Wirtschaft produktiver, umweltverträglicher oder auf irgendeine andere Art reicher machen. Statt dessen leiten sie tausende Milliarden in die Finanzierung aberwitziger Finanzwetten und hochspekulative Investmentvehikel, die volkswirtschaftlich so überflüssig sind wie der Wiener Opernball.
Und die hyperliquiden Anlagemonstern sind nicht nur überflüssig, sie richten Schaden an. Sie erzwingen die Ausrichtung der realen Wirtschaft an ihrem eigenen, extrem kurzfristigen Zeithorizont und setzen Unternehmer unter Druck, die Löhne zu kürzen und Investitionen in Forschung und Innovationen zurückzufahren, und die Ausschüttung an die Aktionäre zu erhöhen und so die Vermögensblase weiter zu vergrößern.
Das heutige Finanzsystem ist – im Wortsinn – gemeingefährlich. Gefährlich nicht für den globalen Geldadel, dessen Macht und Einfluss es vielmehr verstärkt und schützt, sondern gefährlich für die Allgemeinheit: für die Lebensverhältnisse der großen Mehrheit der Menschen." (S. 184f)

Stabilität ist ja zweifellos keine zufällige Forderung eines geschäftsorientierten Systems, das sich per Kredit immer neue Mittel und Wege seines Fortkommens erschließt. Nämlich genau so, daß jedes dieser Mittel selber wiederum in und für sich gewinnträchtig ist. Nur durch seine äußerste Konsequenz in dieser Hinsicht glauben seine Protagonisten die Stabilität zu erreichen, die sie selber notwendigerweise in Frage stellen, wenn sie ein Geschäft platzen lassen, ja platzen lassen müssen. Wagenknecht möchte das gerne anders, sie akzeptiert nämlich nur ein Geschäft als Geschäft, das wirklich von vorne herein absehbar ein Geschäft ist; sie möchte den Widerspruch des Kapitals systemimmanent so auflösen, daß sie der Kreditvergabe Kontrollrichtlinien und -instanzen vorsetzt, welche es zwar gibt, die freilich zu »lax« seien, weil die Geschäftsergebnisse des Kapitals zu wünschen übrig ließen; und keineswegs umgekehrt, weil die Geschäftsergebnisse des Kapitals so großartig sind, daß sie auf keinen Fall auch nur den Anschein erwecken dürfen, jemals durch (staatlich vorgesetzte) Kontrolle infrage gestellt zu werden!

"Aber wann, bei wem und ob die Bankrott-Falle zuschnappt, hängt nicht so sehr von den Verlusten ab als davon, ob der Zugang zu neuem Kapital erhalten bleibt oder nicht. Während deregulierte Finanzmärkte dazu neigen, in krisenfreien Zeiten die irrwitzigsten Schuldentürme bereitwillig zu finanzieren, schlägt das Pendel im Falle einer Krise ebenso radikal ins Gegenteil um: Wer auch nur einen Anflug von Schwäche zeigt, dem wird der Geldhahn zugedreht.
Diese Situation ist besonders gefährlich aufgrund der verbreiteten Hedge- und Ponzi-Finanzierungen. Manche Unternehmen, die meisten Banken und Finanzinvestoren sowie nahezu alle Staaten müssen auslaufende Anleihen oder Kredite immer wieder durch Aufnahme neuer Kredite refinanzieren. Funktioniert das reibungslos, bleibt alles stabil und der Schuldner zahlungsfähig. Wird die Refinanzierung dagegen plötzlich vom Kapitalmarkt verweigert oder extrem verteuert, kann das selbst Schuldner in den Bankrott treiben, deren Geschäftslage sich nicht im mindesten verschlechtert haben.
Diese Mechanismen, nicht die Schrottpapiere als solche, waren auch für das Bankensterben und den Finanzcrash im Herbst 2008 verantwortlich." (S.180)

Ja, nicht nur zu lax, sondern überhaupt falsch. Dabei gehorchen sie ja doch genau den Wunschvorstellungen, die Wagenknecht hat. Wenn es zu riskant wird, dann wird der Geldhahn abgedreht oder verteuert. Was sie jedoch nicht möchte, ist die Freiheit des Kapitals über solcherlei Entscheidungen; denn die würden zu spät getroffen, dann nämlich, wenn man schon wieder Mitleid mit dem Kapital haben muß, so unversehens es in Not geraten. In Not geraten durch eine Unterlassungssünde des Staates. Ihrer Meinung nach ist das Kapital nämlich nicht in der Lage, seine Resultate abzusehen. Ihr gilt die Gewinnerwartung des Kapitals, sein unbedingter Anspruch nichts. Sie setzt die Resultate kontrafaktisch dagegen: Die abzusehen, das wäre Aufgabe des Staates. So löst sich ihre rein funktionelle Kritik am Kapital in einem politischen Antrag an den Klassenstaat auf, er möchte das Kapital doch in die rechten Bahnen weisen. Man spürt einen letzten Rest eines DDR-Denkens.

"Es ist offenkundig, daß dieser ganze Vorgang volkswirtschaftlich ein einziger Schwachsinn ist. Hier wird nichts produziert, keine neue Technologie erfunden, keine intelligente Idee ausgebrütet.
Es wird einfach immer nur dasselbe Aktienpaket hin- und hergeschoben. Trotzdem sind schon in dem kurzen Prozeß, den wir uns angesehen haben, erhebliche Einkommen entstanden. ...
Insgesamt wurden 1,4 Millionen Euro Einkommen »erwirtschaftet«, ohne daß sich der gesellschaftliche Reichtum in Form realer Güte rund Leistungen um einen einzigen müden Euro erhöht hätte." (S. 133)

Sie will keinen Zweck wahrnehmen, wenn die Aktieninhaber von Kapital, Geldkapital zumal, in einer Sfäre sich bewegen, die ihre Renditeerwartung sucht. Nicht weil sie den Gewinn als solchen für etwas Schädliches hielte, sondern weil sie den Anspruch, der über den Vergleich und die Konkurrenz von Kapitalanlagemöglichkeiten vorankommt, nicht als produktiv wahrnimmt. Dabei schlagen diese Ansprüche auch und gerade beim produktiven Kapital und beim Warenhandelskapital nicht nur durch, sie sind da in eben solcher Weise zu Hause. So wird dann und dort Kapital vorgeschossen, wenn und wo es sich rentiert, bzw. umgekehrt, damit es sich rentiert, werden Investitionen rentabel gemacht, wofür es dann ja auch Kredit braucht und gibt. So unterbleibt im Kapitalismus also so gut wie nichts, es sei denn, es erwiese sich etwas als wirklich wertlos, d.h. Ware oder Geldware heckt keinen Geldwert (Tauschwert) in sich.

Doch wo findet sich bei ihr eine Erklärung für die »irrwitzigsten Schuldentürme« und deren Krise? Zu mehr als einem Anwurf, sie hätten nicht zu sein brauchen, will sie sich ja gar nicht hinreißen lassen. Das ist schon der Aberwitz, gerade da sie sich auf Marx beruft. Und ihn immerzu konterkariert. Der war nämlich durchaus der Ansicht, daß das alles sein Quidproquo hat, also einer Logik geschuldet ist:

"Die allgemeinen Bemerkungen, wozu das Kreditwesen uns bis jetzt Veranlassung gab, waren folgende:
I. Notwendige Bildung desselben, um die Ausgleichung der Profitrate zu vermitteln oder die Bewegung dieser Ausgleichung, worauf die ganze kapitalistische Produktion beruht.
II. Verringerung der Zirkulationskosten.
1. Eine Hauptzirkulationskost ist das Geld selbst, soweit es Selbstwert. Es wird in dreifacher Art durch den Kredit ökonomisiert.
A. Indem es für einen großen Teil der Transaktionen ganz wegfällt.
B. Indem die Zirkulation des umlaufenden Mediums beschleunigt wird. Dies fällt zum Teil zusammen mit dem, was unter 2 zu sagen. Einerseits ist nämlich die Beschleunigung technisch; d.h. bei sonst gleichbleibender Größe und Menge der wirklichen, die Konsumtion vermittelnden Warenumsätze verrichtet eine geringere Masse von Geld oder Geldzeichen denselben Dienst. Dies hängt mit der Technik des Bankwesens zusammen. Andrerseits beschleunigt der Kredit die Geschwindigkeit der Warenmetamorfose und hiermit die Geschwindigkeit der Geldzirkulation.
C. Ersetzung von Goldgeld durch Papier.
2. Beschleunigung, durch den Kredit, der einzelnen Fasen der Zirkulation oder der Warenmetamorfose, weiter der Metamorfose des Kapitals und damit Beschleunigung des Reproduktionsprozesses überhaupt. (Andrerseits erlaubt der Kredit, die Akte des Kaufens und Verkaufens länger auseinanderzuhalten, und dient daher der Spekulation als Basis.) Kontraktion der Reservefonds, was doppelt betrachtet werden kann: einerseits als Verminderung des zirkulierenden Mediums, andrerseits als Beschränkung des Teils des Kapitals, der stets in Geldform existieren muß.
III. Bildung von Aktiengesellschaften. Hierdurch:
1. Ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion und Unternehmungen, die für Einzelkapitale unmöglich waren. Solche Unternehmungen zugleich, die früher Regierungsunternehmungen waren, werden gesellschaftliche.
2. Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher Produktionsweise beruht und eine gesellschaftliche Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften voraussetzt, erhält hier direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst.
3. Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremdes Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten. Selbst wenn die Dividenden, die sie beziehn, den Zins und Unternehmergewinn, d.h. den Totalprofit einschließen (denn das Gehalt des Dirigenten ist, oder soll sein, bloßer Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter Arbeit, deren Preis im Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder andren Arbeit), so wird dieser Totalprofit nur noch bezogen in der Form des Zinses, d.h. als bloße Vergütung des Kapitaleigentums, das nun ganz so von der Funktion im wirklichen Reproduktionsprozeß getrennt wird wie diese Funktion, in der Person des Dirigenten, vom Kapitaleigentum. Der Profit stellt sich so dar (nicht mehr nur der eine Teil desselben, der Zins, der seine Rechtfertigung aus dem Profit des Borgers zieht) als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten Taglöhner. In den Aktiengesellschaften ist die Funktion getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum. Es ist andrerseits Durchgangspunkt zur Verwandlung aller mit dem Kapitaleigentum bisher noch verknüpften Funktionen im Reproduktionsprozeß in bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche Funktionen.
Bevor wir weitergehn, ist noch dies ökonomisch Wichtige zu bemerken: Da der Profit hier rein die Form des Zinses annimmt, sind solche Unternehmungen noch möglich, wenn sie bloßen Zins abwerfen, und es ist dies einer der Gründe, die das Fallen der allgemeinen Profitrate aufhalten, indem diese Unternehmungen, wo das konstante Kapital in so ungeheurem Verhältnis zum variablen steht, nicht notwendig in die Ausgleichung der allgemeinen Profitrate eingehn.
Es ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sfären das Monopol her und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.
IV. Abgesehn von dem Aktienwesen - das eine Aufhebung der kapitalistischen Privatindustrie auf Grundlage des kapitalistischen Systems selbst ist, und in demselben Umfang, worin es sich ausdehnt und neue Produktionssfären ergreift, die Privatindustrie vernichtet -, bietet der Kredit dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit. Verfügung über gesellschaftliches, nicht eignes Kapital, gibt ihm Verfügung über gesellschaftliche Arbeit. Das Kapital selbst, das man wirklich oder in der Meinung des Publikums besitzt, wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau. Es gilt dies besonders im Großhandel, durch dessen Hände der größte Teil des gesellschaftlichen Produkts passiert. Alle Maßstäbe, alle mehr oder minder innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise noch berechtigten Explikationsgründe verschwinden hier. Was der spekulierende Großhändler riskiert, ist gesellschaftliches, nicht sein Eigentum. Ebenso abgeschmackt wird die Frase vom Ursprung des Kapitals aus der Ersparung, da jener gerade verlangt, daß andre für ihn sparen sollen. Der andren Frase von der Entsagung schlägt sein Luxus, der nun auch selbst Kreditmittel wird, direkt ins Gesicht. Vorstellungen, die auf einer minder entwickelten Stufe der kapitalistischen Produktion noch einen Sinn haben, werden hier völlig sinnlos. Das Gelingen und Mißlingen führen hier gleichzeitig zur Zentralisation der Kapitale und daher zur Expropriation auf der enormsten Stufenleiter. Die Expropriation erstreckt sich hier von den unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; und der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner Glücksritter. Da das Eigentum hier in der Form der Aktie existiert, wird seine Bewegung und Übertragung reines Resultat des Börsenspiels, wo die kleinen Fische von den Haifischen und die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen werden. In dem Aktienwesen existiert schon Gegensatz gegen die alte Form, worin gesellschaftliches Produktionsmittel als individuelles Eigentum erscheint; aber die Verwandlung in die der Aktie bleibt selbst noch befangen in den kapitalistischen Schranken; statt daher den Gegensatz zwischen dem Charakter des Reichtums als gesellschaftlicher und als Privatreichtum zu überwinden, bildet sie ihn nur in neuer Gestalt aus."
(Marx, K III, MEW, S.451)

Ja, wenn sie das (zumindest teilweise) aus dem Fall Fannie Mae und Freddie Mac erschlossen hätte, dann wäre sie schon einen gewaltigen Schritt weiter. Wir stellen dem theoretischen Ergebnis von Marx hier die praktische Wirklichkeit gegenüber:

"Mortgage Backed Securities (MBS) und forderungsbesicherte Wertpapiere im allgemeinen sind in den 80er Jahren in Mode gekommen, haben sich seit Mitte der 90er Jahre immer mehr verbreitet und seit der Jahrtausendwende explosionsartig zugenommen. Zu den wichtigsten Emittenten amerikanischer MBS gehören zwei Hypothekenriesen mit knuddeligen Namen, die es wegen der  Finanzkrise mittlerweile zu internationaler Berühmtheit gebracht haben: Fannie Mae und Freddie Mac.
Vor allem Fannie Mae ist ein Institut mit langer Tradition. Im Jahr 1938 wurde im Zuge des New Deal und mit dem Ziel, mehr amerikanische Familien in Wohneigentümer zu verwandeln, die Federal National Mortgage Association gegründet. Fannie Mae, wie das Institut bald abgekürzt genannt wurde, war damals das, was es heute wieder ist: ein staatliches Unternehmen. Das Institut vergab selbst keine Hauskredite, sondern hatte die Aufgabe, den Banken Hypothekenforderungen abzukaufen und so deren Kreditspielraum zu erhöhen. Eine verkaufte Hypothek verschwindet aus der Bilanz einer Bank, bindet also kein Eigenkapital mehr.
Vielmehr erhält die Bank das verliehene Geld zurück und kann es für neue Darlehen nutzen. Ihr entgehen auf diesem Wege zwar die langfristigen Zinseinnahmen, die der Kredit während seiner Laufzeit bringt. Stattdessen macht sie aber einen kurzfristigen Gewinn, weil sie die Hypothek natürlich zu einem höheren Preis weiterverkauft, als sie dem Häuslebauer tatsächlich geliehen hat.
Von Fannie Mae wurden die den Banken abgekauften Hypotheken zunächst in den eigenen Büchern gehalten und über die Ausgabe kurz- und langfristiger Schuldverschreibungen refinanziert. Da hinter dem Institut der amerikanische Staat stand, der die Bonität dieser Schulden garantierte, lag der Zinssatz der von Fannie Mae emittierten Schuldtitel nicht wesentlich höher als der von Staatsanleihen. Der Hypothekenfinanzierer konnte sich also billig Geld verschaffen und den Banken die Hypotheken daher mit einem guten Aufschlag abkaufen. Auf diese Weise wurde der amerikanische Hypothekenmarkt mit Liquidität versorgt, die Häuslebauer bekamen mehr und günstigere Hausdarlehen, als der freie Markt bereitstellen konnte, und die Banken machten ein gutes und risikofreies Geschäft mit der Vergabe und dem Weiterverkauf dieser Kredite."

Da sieht man doch, was der Staat produktiv im Kreditwesen tun kann! Doch weiter im Text:

"Allerdings konnte das System nur funktionieren, weil durch strikte Regeln vermieden wurde, daß Fannie Mae und damit die öffentliche Hand am Ende auf einem Berg fauler Hypotheken sitzen blieb. Daher wurden ursprünglich nur Hausdarlehen, die bestimmte gesetzlich festgelegte Kriterien erfüllten, von Fannie Mae aufgekauft. Diese Kriterien sollten sicherstellen, daß nur solche Familien in die eigenen vier Wände umziehen, die es sich auch leisten konnten, und daß die Höhe des Darlehens in einem vernünftigen Verhältnis zum persönlichen Einkommen steht. Es gab neben den von Fannie Mae aufgekauften Hypotheken natürlich immer auch solche, welche die Banken in ihren eigenen Büchern behielten. Aber da sie hier auch das volle Ausfallrisiko trugen beziehungsweise sich dieses durch höhere Zinsen bezahlen ließen, war auch dieser Markt begrenzt und übersichtlich.
Der Übergang zum neoliberalen Zeitalter kündigte sich drei Dekaden später, im Jahr 1968, mit der Privatisierung des Hypothekenfinanzierers an. Fannie Mae blieb aber auch danach ein Institut mit besonderem staatlichem Schutz, und an dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell – einschließlich der erforderlichen Qualitätsstandards für Hausdarlehen – änderte sich zunächst nichts. Allerdings wurde der liberalen Wettbewerbsideologie dadurch Genüge getan, daß dem Institut ein zweites, ebenfalls staatlich gestütztes als Konkurrent gegenübergestellt wurde: die Federal Home Loan Mortgage Corporation, kurz Freddie Mac. Freddie Mac hatte genau die gleichen Aufgaben wie Fannie Mae, und auch die von ihm aufgekauften Hausdarlehen unterlagen strengen Kriterien.
Seit Beginn der 80er Jahre gingen Fannie Mae und Freddie Mac dazu über, die aufgekauften Hypotheken nicht mehr allein über die Emission eigener Anleihen zu refinanzieren, sondern sie in größere Bündel zusammenzufassen und in handelbare Wertpapiere zu verwandeln. Sie begannen also, Mortgage Backed Securities zu schaffen, die sie an andere Investoren weiterverkaufen konnten. Dabei standen Freddie und Fannie für die Bonität dieser Wertpapiere gerade, was ihre Verzinsung reduzierte und so den erlösten Preis erhöhte. Diese Garantie schloß natürlich ein, bei Zahlungsausfällen der verbrieften Hypotheken mit eigenem Geld die den Investoren zugesagten Einnahmen auszugleichen.
Auch das Geschäft mit den garantierten MBS war natürlich nur durchführbar, weil die aufgekauften und verbrieften Hypotheken zunächst weiterhin strengen Kriterien genügen mußten.
Tatsächlich lag die Ausfallquote der von Fannie Mae übernommenen Hypotheken über Jahrzehnte bei extrem niedrigen 1 Prozent, im Vergleich zu 2 bis 3 Prozent am Gesamtmarkt für normale (nicht Subprime) Hypotheken. Die von Fannie Mae und Freddie Mac emittierten MBS-Papiere waren daher ebenso wie ihre Schuldverschreibungen eine biedere und sichere Anlagevariante für Pensionsfonds, Versicherungen, Investmentbanken oder wer immer sonst sein Geld mit moderater Verzinsung, dafür aber sicher, mehren wollte.
Heute verwalten Fannie Mae und Freddie Mac zusammen ein Hypothekenvolumen von 5 Billionen Dollar. Annähernd die Hälfte aller US-Hauskredite befindet sich in ihrem Portefeuille oder wird von ihnen garantiert. Wer diese garantierten Papiere gekauft hat, hat erst einmal kein Problem. Er kann im Falle von Verlusten bei Freddie oder Fannie vorstellig werden, die dann für den Schaden einspringen müssen. Wären die zur Geburtsstunde der beiden Institute gültigen Anforderungen an Baukredite beibehalten worden, würde dieses Modell sicher auch heute noch funktionieren. Allerdings hätten sich dann wohl kaum Hypothekenkredite in dem gigantischen Volumen von 5 Billionen Dollar in ihren Büchern aufgehäuft. Das war nur möglich, weil Fannie Mae und Freddie Mac zunehmend zweifelhafteren Hausdarlehen ihr Garantiesiegel aufgeprägt haben.
Vor allem in den Jahren seit 2004 sind die beiden Hypothekenfinanzierer dazu übergegangen, kräftig in Subprime-Hypotheken und sogenannte Alt-A-Hypotheken zu investieren. Nach Angaben der US-Aufsichtsbehörde Ofheo (Office of Federal Housing Enterprise Oversight) entfallen gegenwärtig etwa 9 Prozent des Hypothekenvolumens der beiden Institute auf Subprime-Kredite. Der Anteil von Krediten problematischer Bonität wird mit 15 Prozent angegeben. Genau wissen kann das natürlich auch Ofheo nicht.
Daher folgte, was folgen mußte. Bereits im ersten Jahr der Hypotheken-Krise summierten sich die Verluste der beiden Hypothekenfinanzierer auf über 14 Milliarden Dollar. Bei Freddie Mac überstiegen die Abschreibungen die Vermögenswerte schon im ersten Quartal 2008 um etwa 5,2 Milliarden Dollar. Nur wenig besser sah es bei Fannie Mae aus. Dabei steht den gesamten Verbindlichkeiten der beiden Giganten in Höhe von 5.000 Milliarden Dollar ein Eigenkapitalpolster von lächerlichen 83 Milliarden Dollar gegenüber. Um den sonst unvermeidlichen Bankrott abzuwenden, stellte der amerikanische Staat Anfang September 2008 ein Rettungspaket in Höhe von 200 Milliarden Dollar bereit und übernahm im Gegenzug 80 Prozent der Aktien. »Freddie und Fan- nie waren zu groß, um sie umfallen zu lassen«, begründete der amerikanische Finanzminister Henry Paulson diesen Schritt. Too big to fail — zu groß, um zu scheitern —, diese Begründung sollten die Steuerzahler in aller Welt in den Folgemonaten noch oft zu hören bekommen.
Die beiden Hypothekenriesen untergehen zu lassen, hätte wohl tatsächlich bedeutet, dem US-Immobilienmarkt auf Jahre den Garaus zu machen. Denn inzwischen sind die beiden Institute fast die einzigen, die in den USA überhaupt noch Hausdarlehen vergeben. Wäre dieses Angebot auch noch weggebrochen, wären die Immobilienpreise wohl in den freien Fall übergegangen und die Bauwirtschaft endgültig zusammengebrochen.
Aber das noch größere Problem waren die Folgewirkungen einer Pleite auf das internationale Finanzsystem. Denn die von Fannie und Freddie emittierten MBS und Schuldverschreibungen befinden sich in den Portefeuilles internationaler Geldhäuser, Fonds und sogar Zentralbanken von Moskau über Peking bis Tokio. Bei den von Freddie Mac emittierten Anleihen beispielsweise bilden Zentralbanken mit einem Anteil von 43 Prozent sogar die größte Anlegergruppe. Investmentfonds halten knapp 30 Prozent, Banken 13 Prozent und Pensionsfonds und Versicherungen immerhin 6 Prozent. Die Investorenstruktur von Fannie Mae sieht ähnlich aus. Ein Konkurs der beiden Hypothekengiganten hätte eine Verlustwelle in der internationalen Finanzwelt nach sich gezogen, die dem Weltfinanzmarkt vermutlich den Rest gegeben hätte. Zum Vergleich: Das Geschäftsvolumen des Hedgefonds LTCM, dessen Kollaps die amerikanische Fed im Jahr 1998 in einer konzertierten Aktion verhinderte, weil er nach ihrer Einschätzung das globale Finanzgebäude hätte zum Einsturz bringen können, lag bei wenig über 1 Billion Dollar. Bei Freddie Mac und Fannie Mae reden wir über das Fünffache.
Also fließt Steuergeld, um die beiden Institute, koste es, was es wolle, am Leben zu erhalten. Natürlich weiß niemand genau, wie viele der von Fannie Mae und Freddie Mac garantierten Hypotheken tatsächlich faul werden. Aber es spricht viel dafür, daß die jetzt bereitgestellten 200 Milliarden noch nicht das letzte Wort gewesen sind. Paulson selbst hat vorsichtshalber schon einmal angekündigt: »Wir wissen nicht, was es den Steuerzahler kosten wird.«
Hinzu kommt, daß sich die Zahlen durch das gegenwärtige Geschäft der beiden Unternehmen nicht gerade verbessern. Erst im März 2008 hatte die amerikanische Regierung die für sie geltenden Kapitalanforderungen weiter verwässert, damit Fannie und Freddie im großen Stil Hypotheken aufkaufen und so den eingefrorenen US-Immobilienmarkt wieder flüssiger machen konnten. Hunderte Milliarden Dollar sollten auf diese Weise in den Markt gepumpt werden, um strauchelnde Hausbesitzer bei der Refinanzierung ihrer Hypotheken zu unterstützen. Insbesondere dadurch ist der Anteil der beiden Riesen an den neu vergebenen Immobiliendarlehen auf mittlerweile 80 Prozent hochgeschnellt.
Gegen das Anliegen, durch Refinanzierungsmöglichkeiten die Zahl der Zwangsversteigerungen zu verringern, ist natürlich nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, daß diese Steuergelder natürlich nicht nur den Hausbesitzern helfen, sondern vor allem den Banken, die sich dadurch elegant von Problemkrediten trennen können, die sie in ihren Büchern haben.
Zurück zur Ausgangsfrage. Ein gewisser Teil der beispiellosen Kreditausweitung läßt sich also mit dem Wirken der Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac erklären [!!]. Daß die von ihnen emittierten Papiere, unabhängig von der Qualität der zugrunde liegenden Hypotheken, interessierte Abnehmer fanden, verwundert nicht. Immerhin waren sie dank der Garantie der beiden Institute eine nahezu risikofreie Investition.
Aber so groß die beiden Baufinanzierer sind, beim Aufblähen der Kreditblase waren sie eher Trittbrettfahrer als eine treibende Kraft. Weder erklärt [!!] die Geschichte von Fannie und Freddie die explosive Ausweitung der Subprime-Hypotheken und der sonstigen US-Konsumentenkredite, noch lassen sie sich für die Expansion des Leveraged-Loan-Marktes für Firmenkredite verantwortlich machen, mit dem sie schon gar nichts zu tun haben.
Kredite zu verbriefen und weiterzuverkaufen, wurde vielmehr auch [Achtung! Jetzt die richtige Erklärung!!] jenseits des staatlich regulierten Teils des Hypotheken marktes eine seit den 80er Jahren immer beliebtere Praxis der Banken. Zum einen lagen die Margen in diesem Geschäft deutlich höher als bei der traditionellen Kreditvergabe, die in der Regel weniger als 10 Prozent Rendite brachte, und zum anderen konnte das Kreditvolumen auf diese Weise weit über die Grenzen des Eigenkapitals der betreffenden Bank ausgedehnt werden. Da die Gewinne der Bank mit jedem vergebenen Kredit weiter anschwollen und das Ausfallrisiko ja auf die Käufer der Kreditpapiere überging, waren die Baufinanzierer fortan verständlicherweise bestrebt, so viele Darlehen wie möglich an wen auch immer zu vergeben.
Weil aber nun die Zahl der Familien begrenzt ist, die sich ein Eigenheim wirklich leisten können, und die miserable Lohnentwicklung in den Vereinigten Staaten seit Ende der 70er Jahre auch nicht gerade dazu beigetragen hat, diese Zahl zu erhöhen, lag es im natürlichen Geschäftsinteresse der Banken, immer größere Bevölkerungskreise zum Hauskauf oder zur Beleihung ihres Hauses zu überreden, auch wenn diese zur Rückzahlung der Darlehen absehbar nicht in der Lage waren. Sobald der Kredit verkauft war, war das ja nicht mehr das Problem der Bank. Wie die bereits zitierte US-Studie über »Credit Booms and Lending Standards« zeigt, gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Verlotterung der Standards bei der Hypothekenvergabe in den einzelnen Regionen der USA und dem Anteil der Kredite, den die Baufinanzierer jeweils verbriefen und weiterverkaufen konnten. Je höher dieser Anteil, desto gedankenloser wurde Geld in Subprime-Hypotheken versenkt. ....
(S. 31ff)

Und so zu. Die »Erklärung« soll mit der Interpretation des Geschehens, wie sie mit dem Wort »versenkt« gegeben ist, auch schon geleistet sein. Während zum Beispiel Robert Kurz das unausweichliche Fiasko des ganzen Kapitalismus, das er am Horizont heraufziehen sieht, noch mit einem Wissen von dem Vorhaben des Projekts zu begleiten sucht – er hat ja Marx soweit richtig verstanden –, verzichtet Wagenknecht gleich auf die ganze theoretische Ableitung mit ihrem Verweis auf die Oberfläche des Geschehens, welches sie für selbstentlarvend hält, was es aber nicht ist.

Dann hätte sie freilich einfach Marx Kapital studieren können, anstatt eine eigene eigenartige Gesellschaftskritik zu fabrizieren, die sich zu Unrecht auf Marx beruft.

Mit ihrem Wunsch, die Krise zu bannen, rennt sie zwar einerseits offene Türen ein, doch ihre Methoden, ihn zu erreichen, stoßen auf Ablehnung. Es paßt ja nun wirklich nicht zusammen, einen entfesselten Geist in eine Flasche wieder zurückzupressen, aus der sein Entweichen als der Fortschritt schlechthin gefeiert wird und dem Sahra Wagenknecht ja durchaus ihre Anerkennung ebenso zollt wie seiner Problematik in Krisenzeiten. Im Grunde hat ihr erst die Krise des Kapitals ein ökonomisches Argument in die Hand gegeben, das weder als solches noch überhaupt eines ist.
Aber man soll es als solches nehmen. Kapital ohne Krise = ziemlich okay (für die Sozialfälle kommt der Sozialsstaat auf, den es dafür gibt); Kapital mit Krise = ganz schlecht, weil es den Staat auf dem falschen Fuß erwischt. Sogesehen also auch wieder gut, weil Sahra Wagenknecht und ihre Linkspartei auf der Matte steht, eine bessere Staatsräson feilzubieten.

Die Allgemeinheit und das Allgemeinwohl, das Interesse an Stabilität reden da ziemlich unverblümt der Klassengesellschaft das Wort, die als solche aber nicht ans Licht treten soll. Permanente Superlative negativer Art sind Wagenknechts Ersatz für eine Erklärung der Verhältnisse, sie sind ihre Verklärung wie ihre Verurteilung zugleich. Andererseits sind sie die Propagierung eines vernünftigen Kapitalismus, als ob er wie auch immer vernünftiger überhaupt gehen könnte, Krisen inbegriffen.

(2011)

___________________________________________________________________________________________________________________________
* Sahra Wagenknecht: Wahnsinn mit Methode, Finanzcrash und Weltwirtschaft, Verlag Das Neue Berlin, 3. korr. Auflage 2009, [Erstausgabe 2008]