Sahra
Wagenknecht
Rettungsschwimmerin gesellschaftlicher
Produktivität, des Kapitals und seiner politischen Herrschaft
Eine Kritik ihres Buches »Wahnsinn mit Methode
– Finanzcrash und Weltwirtschaft«*
Wie geht man an ein Buch heran, das sich als Erklärung
versteht, also eine Erklärung eines Sachverhalts
vorschützt, doch mitnichten eine ist? So sehr es das Kapital
bzw. das kapitalistische System in seiner Gesamtheit treffen mag, es
als absurd zu bezeichnen, so
wenig ist man der Rationalität eben dieses absurden Systems
einen Schritt näher gekommen. Ja im Gegenteil, Sahra
Wagenknecht hat sich so von der Tatsache verabschiedet, das Geldkapital
auf seinen Begriff zu bringen, wie das Marx getan hat. Der Widerspruch,
der Sahra Wagenknechts Buch zugrundeliegt, ist der Anspruch, eben eine
solche Erklärung sein zu wollen, und die gleichzeitige Absage
an den Gegenstand der (potenziellen) Erklärung. Eine
Erklärung wäre Sahra Wagenknecht auch
entschieden zu wenig. Ihr kommt es nicht auf das mit einer
Erklärung gefällte Urteil an, sie zielt auf eine
Verurteilung ab, die allenthalben leichter zu haben ist, in einer
Beschreibung der Vorgänge ja reichlich Material vorfindet. Das
umfangreich dargereichte Material soll dann quasi automatisch
für eine Erklärung stehen. So ist denn die Berufung
auf Marx – den Kapiteln 1 und 3 ist jeweils ein Marx-Zitat
aus dem K III (MEW 25, S. 493 bzw. S.511 ) vorangestellt - nicht mehr
als schiere Koketterie. Das dem Kapitel 4 vorangestellte, Marx
unterstellte Zitat löst da schon nicht
mehr als lautes Gelächter aus: So zurechtgestutzt
hätte sie wohl ihren Marx gern! (Sicherheitshalber hat sie die
Fundstelle bei den beiden richtigen Marx-Zitaten ebenfalls weggelassen,
sehr trickreich!)
Wie geht man an so ein Werk also heran? Soll man das unsystematisch
ausgebreitete Material jetzt mühsam in Marx' Kapital
einordnen? Oder soll man lediglich auf die trostlosen Versuche
aufmerksam machen, die eine Erklärung abgeben sollen? Im
folgenden wird beides anhand einiger ausgewählter Stellen
versucht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Einer
durchgehenden Systematik in der Darstellung kann somit freilich nicht
gefolgt werden. Allein dem Anspruch auf die Richtigkeit dargelegter
Argumente soll das keinen Abbruch tun.
Funktionalität als Argument
Schon des öfteren ist in den letzten Jahren der Fehler
aufgetreten, den Kapitalismus dadurch auf die Schliche zu kommen, indem
man sein Funktionieren untersucht.
"Anliegen dieses Buches ist es, die Rolle und Funktionsweise der
Finanzmärkte im Kapitalismus der Gegenwart offenzulegen und
damit [!] auch [!] die wirklichen Hintergründe und Ursachen
der jetzigen Krise." (S. 11) "Von einem Markt, auf dem niemand nichts
genaues weiß, es aber zugleich um sehr viel Geld und
letztlich um Sein oder Nichtsein milliardenschwerer Institute geht,
sollte [ein wissenschaftliches Ethos?] man nicht erwarten,
daß er vernünftig funktioniert. Daß
ausgerechnet so ein Markt in der Mainstream-Ökonomie unter der
Annahme »vollständiger Information«
modelliert wird und Modelle, die auf dieser Annahme beruhen, fast drei
Jahrzehnte lang die Wirtschaftspolitik bestimmten, gehört zu
den traurigen Treppenwitzen der Geschichte." (S.179)
Seine Apologeten und Protagonisten halten das Funktionieren ob des
geschaffenen, schier unermeßlichen Reichtums in abstrakter
wie konkreter Form – Geld und Waren – für
ein schlagendes Argument. Für ihre Begriffe hat der
Realsozialismus eben deshalb nicht funktioniert, weil er den Nachweis
der Produktion wirklichen Reichtums schuldig geblieben sei. Dabei
treffen sie sogar auf der stofflichen Seite des Reichtums etwas. Der
Realsozialismus wollte sich ja gerade darin mit dem Kapitalismus
vergleichen, mit Kapitalismus in Konkurrenz treten und eben so seine
gesellschaftliche Überlegenheit unter Beweis stellen. Davon,
daß dieses Vorhaben mehr und mehr zum Scheitern verurteilt
war, je höher die kapitalistische Entwicklung auf der
Stufenleiter aufstieg, davon hatte der Realsozialismus durchaus eine
Ahnung, wenn er seine Defizite auf das Fehlen von Tauschwert
zurückführte und deshalb nicht unerhebliche
Abteilungen seiner Industrie für den Export gegen Devisen
bestimmte. Zu guter letzt hat ihn das dazu bewogen, selbst seine
letzten Überreste gebrauchswertorientierter
Staatsräson zu beerdigen.
Kurzum, der Realsozialismus hat für den Westen einfach nicht
funktioniert, obschon er das ursprünglich, im kapitalistischen
Sinne, mit der Absicht der Produktion von Reichtum in abstrakter Form,
auch gar nicht wollte, ja im Grunde hier einen Systemgegensatz
eröffnet hatte.
Die Realsozialisten sahen es so, daß der Kapitalismus einfach
besser funktionierte, weil seine Resultate, eben gerade was die
produzierten Güter anbelangt, ertragreicher waren. Sie selber
wollten also gar keinen Gegensatz mehr sehen –- von Marx'
sachgerechter Unterscheidung zwischen Tausch- und Gebrauchswert hatten
sie offenkundig eh keinen Dunst –, sie betrachteten ihr
Wirtschaftssystem als ziemlich unproduktiv, reformbedürftig
und schließlich gar als überholt.
Alle Welt hält also ein System, das viel Zeug abwirft, als
funktionierend, jedes andere als zumindest mangelhaft, wenn nicht gar
dem Tod geweiht. Man kann dieser Haltung unschwer entnehmen,
daß der Zweck, für den viel Zeug herausspringen
soll, ein anderer ist als das Zeug selber; und nicht nur das: Der Zweck
der Produktion gilt als so selbstverständlich unterstellt,
daß er einem oberflächlichen Betrachter gar nicht
auffällt, so wenig jedenfalls, daß niemand darauf
beharrt, diesen Zweck einmal ins Auge zu fassen und festzuhalten. Nur
so ist es übrigens verständlich, warum eine Finanz-
und Wirtschaftskrise versucht wird, mit »Geiz« zu
er- und verklären, ein Fehler, der bekanntlich auch vor linken
und kritischen Kreisen leider nicht als solcher erkannt wird, ganz im
Gegenteil, er wird als ernsthaftes Argument in die Debatte geworfen!
Nun legt Sahra Wagenknecht den Finger in die Wunde
des Kapitalismus, seine Krisen. Sie will herausfinden, was da funktioniert
– nicht: was da funktioniert!
–, daß es dann irgendwann nicht mehr funktioniert,
wo also – um es mal ein wenig theoretischer zu formulieren
– der Übergang von der Verwertung zur Entwertung von
Kapital liegt.
Ausgangspunkt ist die große Finanzkrise jüngsten
welthistorischen Datums, die – wie allen
Linken – ihr schwer zu Denken gibt. Funktioniert der
Kapitalismus noch? fragt Sahra Wagenknecht implizit in so fast in jeder
Zeile, um dann die angepeilte Antwort argumentativ zu entwickeln, eine
Antwort, die heißt:
Wie könnte der Kapitalismus noch funktionieren, nach all dem,
was da auf dem Sektor des Geldkapitals abgelaufen ist und weiterhin
abläuft?
"Dieses Modell [der Konkurrenzkapitalismus] funktionierte, solange die
Konkurrenz rege und die Marktmacht der einzelnen Unternehmen gering
war, was sich im Übergang zum 20. Jahrhundert zu
ändern begann. Damals entstand zum ersten Mal ein
globalisierter Kapitalismus mit freiem Kapitalverkehr und international
aufgestellten, ihre Heimatmärkte beherrschenden Konzernen, die
Preise, Löhne und politische Rahmenbedingungen in ganz anderer
Weise diktieren konnten als ihre Vorgänger im 19.
Jahrhundert." (S. 191)
Schon daraus geht hervor – man braucht gar nicht den Versuch
(mehr ist die angestrengte, so gar nicht an Marx' Theorie
erinnernde Bemühung ja wirklich nicht) einer
Begründung im nächsten Satz zu zitieren ("Hauptgrund
dieser wirtschaftlichen Konzentrationen waren nicht so sehr mangelnde
Kartellgesetze, als die neuen Fertigungstechnologien in der
Schwerindustrie und aufstrebenden Automobilproduktion, die mit ihren
Kapitalanforderungen von kleineren Unternehmen gar nicht zu
bewältigen waren." [S.192]) –, daß Sahra
Wagenknecht noch nicht einmal klare Sicht, auf welcher Ebene sie sich
bewegt, nämlich auf der des fiktiven Kapitals, also auf der
Ebene G – G', auf der die für die Schaffung
abstrakten Reichtums so wichtige wie lästige Warenproduktion
(W) herausgekürzt ist. Anstatt einmal zu untersuchen, wie das
Kapital diesen Übergang geschafft hat [bzw. das mal bei Marx
nachzulesen], stammelt Sahra Wagenknecht vom »wilden Treiben
der Banker« (S. 40),
vom »CDO-Irrsinn« (S.48) etc.; dabei hat
sie das von der praktischen Seite her ja angedeutet, wenn sie Fannie
Mae und Freddy Mac beschreibt: Es ging und geht darum, einen
Kapitalrückfluß sicherzustellen, gerade weil die
Spekulation auf eine Ausweitung des Geschäftsvolumens immer
größere Unsicherheiten hervorgebracht hat. Neue Kredite, um damit
Unwägbarkeiten, einen
schleppender werdenden, ja ausbleibenden Geschäftsgang
abzudecken – den
man sich weder leisten kann noch will! –, kriegt man aber nur
für –
möglichst umgehend realisiertes – Kapital, also
muß dieses vorstellig
gemacht werden können. Deshalb muß man auch
nachweisen, daß die
Ansprüche, die aus Wert-Papieren entstehen auch bedient
werden, daß das
Kapital auch wirklich zinsheckender Kredit, Profit heckendes
Geldkapital darstellt.
Sie plädiert also für die Ablehnung dieses
Übergangs in einen »fiktiven« Bereich per
se, für
einen »bodenständigen«
Kapitalismus. Sie merkt nicht einmal, daß in einem
Industrieland wie der BRD die Industrie an das Geldkapital gebunden
ist, der Kapitalismus hier gar nicht so ohne weiteres auf ein
bodenständiges Niveau zurückgefahren werden kann, ein
Niveau, das man eher in den Periferien des hochentwickelten
Kapitalismus antrifft (und das dort ja auch nicht gerade idyllisch
ist). Sahra Wagenknecht versucht aus dem erreichten Niveau des
Kapitalismus ein Argument gegen ihn zu drechseln. Sogesehen
fällt für sie die Entwertung von Kapital nicht unter
die unvermeidlich notwendigen »Neben«-wirkungen des
Systems. Sahra Wagenknecht hält Entwertung von Kapital allem
Anschein nach für verhinderbar, wenn, ja wenn das System sich
irgendwie zügelt, auf ein gesundes Niveau
zurückgeführt wird.
Sahra Wagenknecht kann sich einen gezügelten Kapitalismus sehr
wohl vorstellen, einen Kapitalismus, bei dem die Arbeitskräfte
in ihrer Gesamtheit noch viel umfassender angewendet werden, als es
derzeit der Fall ist, wo die Intensivierung der Arbeit der
Arbeitsplatzinhaber mit der Freizeit der Vielzahl der Besitzlosen in
einem so krassen Verhältnis steht. Auf diesen wahrlich nicht
sonderlich geistreichen Einfall, kommt sie wiederholt zu sprechen, um
ihn zu betonen, z.B. so:
"Auch bei den LBOs [Leverage Buyouts] handelte es sich
zunächst um ein äußerst lukratives
Geschäft, das mit dem Hypothekenwahn zumindest das gemein hat,
daß es die allgemeine Wohlfahrt nicht mehrt, sondern mindert.
Der Kick des Ganzen besteht in diesem Fall allerdings darin, Firmen
statt Familien in die Überschuldung hineinzutreiben." (S.24)
oder so:
"Denn so wie zum Fallout des Hypothekenbooms eben nicht nur faule
Hausdarlehen, sondern auch Millionen in den Ruin getriebene und im
schlimmsten Fall obdachlos gewordene Familien gehören, hat das
Firmenmonopoly nicht allein einen Berg fragwürdiger
Firmenkredite produziert, sondern zugleich Hunderttausende Menschen
arbeitslos gemacht, die Lohnspirale nach unten getrieben und einst
produktive Unternehmen in eine Lage hineingezwungen, in der sie jeden
verdienten Cent für Zins und Tilgung verausgaben
müssen statt in Forschung und neue Anlagen investieren zu
können." (S. 29)
Das mit der Arbeitslosigkeit ist übrigens mal den deutschen
Gewerkschaften aufgefallen, als sie vor etwa 25 Jahren die
35-Stunden-Woche forderten, eine Episode, die sie längst zu
den Akten gelegt haben, weil sie nicht gleichzeitig eine
»Lohnmaschine« sein wollten. Mit dem mittlerweile
erreichten Lohnniveau pro Arbeitsstunde eine 35-Stunden-Woche die
Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu decken, ist ja mittlerweile
längst kaum mehr möglich. Von einem vergleichsweise
beschaulichen Kapitalismus ist ihrer Auffasssung nach eindeutig nichts
mehr zu retten, Sahra Wagenknecht und Linkspartei kommen da
längst zu spät. Da nutzt der alte Kunstgriff, die
gesellschaftlichen Sachzwänge zu personalisieren und damit zu
moralisieren, auch nichts, soll ihr freilich als schlagendes Argument
gegen das Kapital dienen:
"Denn 80 Prozent der in den Hedgefonds angelegten Gelder stammen von
sogenannten High Net Worth Individuals, also Leuten, die über
ein Finanzvermögen von mehr als 1 Million Dollar
verfügen. Überdurchschnittlich in Hedgefonds
engagiert ist vor allem die Crème de la Crème
dieser Geldelite, die Ultra High Net Worth Individuals, die jeweils
mehr als 30 Millionen Dollar auffahren können. Gerade 100.000
Leute dieser Sorte gibt es weltweit, die allerdings zusammen ein viele
Billionen schweres Geldvermögen dirigieren." (S.152)
"Die stetig ansteigenden Häuserpreise gaben den
Hypothekenanbietern die Sicherheit, ihr Geld einschließlich
Zinsen in jedem Fall zurückzubekommen, auch wenn jeder
rational kalkulierende Banker wußte, daß viele der
großzügig mit Kredit bedachten Familien die
Rückzahlung auf Dauer nicht stemmen konnten. Und die laxe
Kreditvergabe sorgte dafür, daß die Nachfrage nach
Häusern nicht erlahmte und die Preise weiter in den Himmel
wachsen konnten." (S. 19)
Sie stellt also ernsthaft die Rationalität in Frage, mit der
das System arbeitet, sie unterstellt, daß eine andere
Rationalität aufgrund der Ergebnisse, die die herrschende hat,
sinnvoller wäre, so, daß man sich fragt, warum
huldigen die Magnaten des Kapitals einer, in Wagenknechts Augen so
furchtbar falschen Rationalität? Sie tut so, als wäre
das nur allzu offenkundig und schert sich einen Dreck um einen
Nachweis. Daß die Kreditvergabe bisweilen
»lax« war, das mag mancher Vertreter der
Kapitalfraktion ja im nachhinein selber einräumen. Es ist aber
ein gewaltiger Irrtum, damit das Kapital in seiner Substanz getroffen
zu haben! Wie sollten auch beschreibende Eigenschaftswörter
eine Erklärung sein?
Mit ihrem Schritt zurück zu einem Kapitalismus, der an einer
bestimmten Stelle – Sahra Wagenknecht meint, sie genau
bestimmen zu können -, nämlich da, wo Kredit nicht
mehr direkt oder indirekt dem produktiven Kapital (inkl. dem
Warenhandelskapital) nützlich ist, möchte Sahra
Wagenknecht nichts weniger als einen haltbar gemachten Kapitalismus und
diesen in diesem Status konservieren. Sie weist Marx' Ableitung
zurück, wonach das Kapital selbst per se maßlos ist
und sein muß. Sie übersieht, was J.W. Gilbart schon
1834 in seinem Werk The History and Principles of Banking
schrieb, eine Stelle, die Marx zitiert hat: "Alles, was das
Geschäft erleichtert, erleichtert auch die Spekulation, beide
sind in vielen Fällen so eng verknüpft, daß
es schwer ist zu sagen, wo das Geschäft aufhört und
wo die Spekulation anfängt." (K III, MEW 25, S. 420)
Im Grunde ist nämlich jedes Geschäft erst einmal
Spekulation auf seinen Erfolg. Es ist in aller Regel ja nicht so,
daß der moderne Warenkapitalist erst einmal die
Auftragseingänge abwartet, um dann zu produzieren zu beginnen.
Umgekehrt, er produziert im voraus und wirft dann seine Waren auf den
Markt, in der Hoffnung, sie versilbern zu können. Damit dies
gelingt, eröffnet sich eine neue Sfäre des
Geschäfts, das Vermarkten der Waren. Dieser
Zirkulationssfäre des Kapitals hat Marx den zweiten Band des
Kapitals gewidmet (MEW 24). Denn es ist klar, daß der
Rückfluß vorgeschossenen Kapital gar nicht schnell
genug und gar nicht dauerhaft genug sein kann, also ein Problem
darstellt, wofür sich die Zuhilfenahme eines Kredits als
probat anbietet, welcher natürlich als Dienstleistung, die er
ist, seinen Preis hat. Ja, auf Grundlage des Kredits wird so manches
Geschäft erst ein Geschäft!
Sie weist die prinzipielle Maßlosigkeit des Kapitals also
zurück, indem und weil sie auf den Klassenstaat pocht, der dem
Kapital Schranken zu setzen hätte, unter dem Eindruck
gesellschaftlicher Disfunktionalität, die drohe,
unterließe er es. Doch dieses Problem hat der Staat nicht
wirklich, was nicht heißt, er sähe sich
überhaupt zu keinem Eingriff veranlaßt: Ein solcher
bezieht sich jedoch nicht auf das Prinzip, eher wird die Entwertung von
Kapital als (wünschenswerte) Selbstreinigung des Marktes oder
auch als Fehlleistung einzelner Kapitaleigner interpretiert, ja sogar
auf das Fehlen notwendiger Richtlinien in Finanzsektoren, die alsbald
in Gesetzesform gegossen werden, ohne dabei irgendwie
geschäftsschädigend – das möchte
Sahra Wagenknecht wohl auch nicht! –, sondern einzig
geschäftssichernd und -fördernd zu wirken. An dieser
Stelle macht Sahra Wagenknecht einen Vergleich auf zwischen
tatsächlicher Geschäftsschädigung durch
erfolgte Geldentwertung und einer fiktiven
Geschäftsschädigung durch unterlassene staatliche
Maßnahmen zur Beschränkung der Umtriebe des
Kapitals.
"Die stetig ansteigenden Häuserpreise gaben den
Hypothekenanbietern die Sicherheit, ihr Geld einschließlich
Zinsen in jedem Fall zurückzubekommen, auch wenn jeder
rational kalkulierende Banker wußte, daß viele der
großzügig mit Kredit bedachten Familien die
Rückzahlung auf Dauer nicht stemmen konnten. Und die laxe
Kreditvergabe sorgte dafür, daß die Nachfrage nach
Häusern nicht erlahmte und die Preise weiter in den Himmel
wachsen konnten." (S. 19)
"Aber diese Werte [langfristige Erfahrungswerte, Kreditkartenschulden
oder auch Firmendarlehen, mit denen das Risiko der ABSs und CDOs und
damit ihre Ratings berechnet werden] hatten mit der Gegenwart schon
allein deshalb nichts zu tun, weil es derart laxe Standards bei der
Kreditvergabe zuvor nie gegeben hatte. ..." (S. 52)
Einen Nutzen von einem staatlichen Eingriff gerade im Bereich von
Geldanlagen in fiktivem Kapital von vorneherein zu erfassen, ist nicht
nur nicht leicht. Ein solcher Eingriff tangiert schlichtweg die
Tatsache, daß das Geldkapital und sein Kredit der Motor des
ganzen Systems und seines Fortschritts ist. Die potenzielle
Motorleistung zu drosseln, wäre ja schon der Verzicht auf
einen Spitzenplatz im internationalen Ranking potenter
Wirtschaftsnationen. Und spätestens hier muß sich
Sahra Wagenknecht vorwerfen lassen, daß sie immer noch der
DDR mit ihrem gebrauchswertorientiertem Sektor nachtrauert und noch
lange nicht im Lande des Exportweltmeisters bzw. -vizeweltmeisters
angekommen ist. Wofür ein solcher Sektor gut ist, ist damit
auch deutlich, nämlich zur Entlastung des Kapitals von
sozialen Unkosten!
Sahra Wagenknecht vertritt ein »richtiges«
Verhältnis von produktivem und Geld-Kapital einerseits,
andererseits von Löhnen und Bilanzgewinnen. Der Klassenstaat
wäre so etwas wie ein Mittler zwischen den Interessen, er
müsse für Gleichgewichte sorgen, weil er sonst
irgendwie aus den Latschen kippt, was man ja an Griechenland sehe und
auch die BRD sei davor längst nicht gefeit.
Doch was muß sie feststellen:
"Die Gründung der Staatsfonds erlaubt, was den Zentralbanken
nicht gestattet wäre: Die Währungsreserven in Aktien
amerikanischer und europäischer Währungen zu
investieren, der einzigen Anlagenart, die auch bei drastischem
Wertverlust der Währung einen Eigenwert behält. Es
kann davon ausgegangen werden, daß die aktuelle
Finanzmarktkrise und die sehr berechtigte Sorge vor einer
Inflationierung des Dollar die Umlenkung der Währungsreserven
in solche Fonds weiter beschleunigen wird. … Insgesamt
bedeuten die Staatsfonds, …, eine völlige
Perversion der ursprüngliche Idee von
öffentlichem Eigentum und Vergesellschaftung, indem sie an der
Geschäftspolitik der Unternehmen ausdrücklich nichts
verändern sollen. ... Eine vernünftige Strategie
wäre dagegen, das Kasinospiel mit Aktienwerten und
Arbeitsplätzen durch staatliche Mehrheitsbeteiligungen an den
großen, volkswirtschaftliche entscheidenden Unternehmen zu
beenden, allerdings nicht nur als
Überbrückungsmaßnahme in Krisenzeiten,
sondern auch zur Sozialisierung der Gewinne und vor allem mit dem Ziel,
die Prioritäten der Unternehmensführung von einer
blinden Profitorientierung in Richtung volkswirtschaftlich
vernünftiger Investitionen, sicherer Arbeitsplätze
und ausreichender Mitsprachenrechte der Beschäftigten zu
verschieben. Das schließt die anhaltende Ausrichtung an
betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien nicht aus, wohl aber die
sklavische Unterwerfung unter das Diktat der kurzfristigen
Maximalrendite."
(S. 157f)
Allein der Fortschritt läßt sich so nicht aufhalten,
er löst sich nämlich immer in die Notwendigkeiten des
Kapitals auf, auf die der Staat im eigenen Interesse so
überaus große Stücke hält,
hängt doch seine eigene Berechnung, sein eigener Erfolg eben
daran. Wenn es darum geht, da läßt selbst Sahra
Wagenknecht einmal alle Hüllen fallen:
"Der Umfang und die hohe Liquidität der Gelder, die die
großen Kapitalsammelstellen heute dirigieren, die
Gleichförmigkeit ihrer Bewegungen, die filigrane
Verschachtelung ihrer Anlagen, ihre schlichte Größe
und in der Regel hohe Verschuldung sowie der umgekehrte
Preismechanismus erklären die zutiefst instabile Verfassung
des Weltfinanzsystems unserer Zeit: seinen Hang zu Blasen, Exzessen,
Übertreibungen und Zusammenbrüchen.
Die Krisenanfälligkeit der heutigen Finanzmärkte ist
nicht deshalb ein Problem, weil Krisen das Vermögen einiger
Milliardäre vernichten können. Sie ist ein Problem,
weil ein funktionstüchtiges und stabiles Finanzsystem zu den
Grundbedingungen einer stabilen Wirtschaft gehört. Die
Finanzmärkte unserer Tage tun genau das nicht, was ihre
Aufgabe wäre: die Ersparnisse der Gesellschaft in jene
Investitionen zu lenken, die die Wirtschaft produktiver,
umweltverträglicher oder auf irgendeine andere Art reicher
machen. Statt dessen leiten sie tausende Milliarden in die Finanzierung
aberwitziger Finanzwetten und hochspekulative Investmentvehikel, die
volkswirtschaftlich so überflüssig sind wie der
Wiener Opernball.
Und die hyperliquiden Anlagemonstern sind nicht nur
überflüssig, sie richten Schaden an. Sie erzwingen
die Ausrichtung der realen Wirtschaft an ihrem eigenen, extrem
kurzfristigen Zeithorizont und setzen Unternehmer unter Druck, die
Löhne zu kürzen und Investitionen in Forschung und
Innovationen zurückzufahren, und die Ausschüttung an
die Aktionäre zu erhöhen und so die
Vermögensblase weiter zu vergrößern.
Das heutige Finanzsystem ist – im Wortsinn –
gemeingefährlich. Gefährlich nicht für den
globalen Geldadel, dessen Macht und Einfluss es vielmehr
verstärkt und schützt, sondern gefährlich
für die Allgemeinheit: für die
Lebensverhältnisse der großen Mehrheit der
Menschen." (S. 184f)
Stabilität ist ja zweifellos keine zufällige
Forderung eines geschäftsorientierten Systems, das sich per
Kredit immer neue Mittel und Wege seines Fortkommens
erschließt. Nämlich genau so, daß jedes
dieser Mittel selber wiederum in und für sich
gewinnträchtig ist. Nur durch seine
äußerste Konsequenz in dieser Hinsicht glauben seine
Protagonisten die Stabilität zu erreichen, die sie selber
notwendigerweise in Frage stellen, wenn sie ein Geschäft
platzen lassen, ja platzen lassen müssen. Wagenknecht
möchte das gerne anders, sie akzeptiert nämlich nur
ein Geschäft als Geschäft, das wirklich von vorne
herein absehbar ein Geschäft ist; sie möchte den
Widerspruch des Kapitals systemimmanent so auflösen,
daß sie der Kreditvergabe Kontrollrichtlinien und -instanzen
vorsetzt, welche es zwar gibt, die freilich zu
»lax« seien, weil die Geschäftsergebnisse
des Kapitals zu wünschen übrig ließen; und
keineswegs umgekehrt, weil die Geschäftsergebnisse des
Kapitals so großartig sind, daß sie auf keinen Fall
auch nur den Anschein erwecken dürfen, jemals durch (staatlich
vorgesetzte) Kontrolle infrage gestellt zu werden!
"Aber wann, bei wem und ob die Bankrott-Falle zuschnappt,
hängt nicht so sehr von den Verlusten ab als davon, ob der
Zugang zu neuem Kapital erhalten bleibt oder nicht. Während
deregulierte Finanzmärkte dazu neigen, in krisenfreien Zeiten
die irrwitzigsten Schuldentürme bereitwillig zu finanzieren,
schlägt das Pendel im Falle einer Krise ebenso radikal ins
Gegenteil um: Wer auch nur einen Anflug von Schwäche zeigt,
dem wird der Geldhahn zugedreht.
Diese Situation ist besonders gefährlich aufgrund der
verbreiteten Hedge- und Ponzi-Finanzierungen. Manche Unternehmen, die
meisten Banken und Finanzinvestoren sowie nahezu alle Staaten
müssen auslaufende Anleihen oder Kredite immer wieder durch
Aufnahme neuer Kredite refinanzieren. Funktioniert das reibungslos,
bleibt alles stabil und der Schuldner zahlungsfähig. Wird die
Refinanzierung dagegen plötzlich vom Kapitalmarkt verweigert
oder extrem verteuert, kann das selbst Schuldner in den Bankrott
treiben, deren Geschäftslage sich nicht im mindesten
verschlechtert haben.
Diese Mechanismen, nicht die Schrottpapiere als solche, waren auch
für das Bankensterben und den Finanzcrash im Herbst 2008
verantwortlich." (S.180)
Ja, nicht nur zu lax, sondern überhaupt falsch. Dabei
gehorchen sie ja doch genau den Wunschvorstellungen, die Wagenknecht
hat. Wenn es zu riskant wird, dann wird der Geldhahn abgedreht oder
verteuert. Was sie jedoch nicht möchte, ist die Freiheit des
Kapitals über solcherlei Entscheidungen; denn die
würden zu spät getroffen, dann nämlich, wenn
man schon wieder Mitleid mit dem Kapital haben muß, so
unversehens es in Not geraten. In Not geraten durch eine
Unterlassungssünde des Staates. Ihrer Meinung nach ist das
Kapital nämlich nicht in der Lage, seine Resultate abzusehen.
Ihr gilt die Gewinnerwartung des Kapitals, sein unbedingter Anspruch
nichts. Sie setzt die Resultate kontrafaktisch dagegen: Die abzusehen,
das wäre Aufgabe des Staates. So löst sich ihre rein
funktionelle Kritik am Kapital in einem politischen Antrag an den
Klassenstaat auf, er möchte das Kapital doch in die rechten
Bahnen weisen. Man spürt einen letzten Rest eines DDR-Denkens.
"Es ist offenkundig, daß dieser ganze Vorgang
volkswirtschaftlich ein einziger Schwachsinn ist. Hier wird nichts
produziert, keine neue Technologie erfunden, keine intelligente Idee
ausgebrütet.
Es wird einfach immer nur dasselbe Aktienpaket hin- und hergeschoben.
Trotzdem sind schon in dem kurzen Prozeß, den wir uns
angesehen haben, erhebliche Einkommen entstanden. ...
Insgesamt wurden 1,4 Millionen Euro Einkommen
»erwirtschaftet«, ohne daß sich der
gesellschaftliche Reichtum in Form realer Güte rund Leistungen
um einen einzigen müden Euro erhöht hätte."
(S. 133)
Sie will keinen Zweck wahrnehmen, wenn die Aktieninhaber von Kapital,
Geldkapital zumal, in einer Sfäre sich bewegen, die ihre
Renditeerwartung sucht. Nicht weil sie den Gewinn als solchen
für etwas Schädliches hielte, sondern weil sie den
Anspruch, der über den Vergleich und die Konkurrenz von
Kapitalanlagemöglichkeiten vorankommt, nicht als produktiv
wahrnimmt. Dabei schlagen diese Ansprüche auch und gerade beim
produktiven Kapital und beim Warenhandelskapital nicht nur durch, sie
sind da in eben solcher Weise zu Hause. So wird dann und dort Kapital
vorgeschossen, wenn und wo es sich rentiert, bzw. umgekehrt, damit es
sich rentiert, werden Investitionen rentabel gemacht, wofür es
dann ja auch Kredit braucht und gibt. So unterbleibt im Kapitalismus
also so gut wie nichts, es sei denn, es erwiese sich etwas als wirklich
wertlos, d.h. Ware oder Geldware heckt keinen Geldwert (Tauschwert) in
sich.
Doch wo findet sich bei ihr eine Erklärung für die
»irrwitzigsten Schuldentürme« und deren
Krise? Zu mehr als einem Anwurf, sie hätten nicht zu sein
brauchen, will sie sich ja gar nicht hinreißen lassen. Das
ist schon der Aberwitz, gerade da sie sich auf Marx beruft. Und ihn
immerzu konterkariert. Der war nämlich durchaus der Ansicht,
daß das alles sein Quidproquo hat, also einer Logik
geschuldet ist:
"Die allgemeinen Bemerkungen, wozu das Kreditwesen uns bis jetzt
Veranlassung gab, waren folgende:
I. Notwendige Bildung desselben, um die Ausgleichung der Profitrate zu
vermitteln oder die Bewegung dieser Ausgleichung, worauf die ganze
kapitalistische Produktion beruht.
II. Verringerung der Zirkulationskosten.
1. Eine Hauptzirkulationskost ist das Geld selbst, soweit es
Selbstwert. Es wird in dreifacher Art durch den Kredit
ökonomisiert.
A. Indem es für einen großen Teil der Transaktionen
ganz wegfällt.
B. Indem die Zirkulation des umlaufenden Mediums beschleunigt wird.
Dies fällt zum Teil zusammen mit dem, was unter 2 zu sagen.
Einerseits ist nämlich die Beschleunigung technisch; d.h. bei
sonst gleichbleibender Größe und Menge der
wirklichen, die Konsumtion vermittelnden Warenumsätze
verrichtet eine geringere Masse von Geld oder Geldzeichen denselben
Dienst. Dies hängt mit der Technik des Bankwesens zusammen.
Andrerseits beschleunigt der Kredit die Geschwindigkeit der
Warenmetamorfose und hiermit die Geschwindigkeit der Geldzirkulation.
C. Ersetzung von Goldgeld durch Papier.
2. Beschleunigung, durch den Kredit, der einzelnen Fasen der
Zirkulation oder der Warenmetamorfose, weiter der Metamorfose des
Kapitals und damit Beschleunigung des Reproduktionsprozesses
überhaupt. (Andrerseits erlaubt der Kredit, die Akte des
Kaufens und Verkaufens länger auseinanderzuhalten, und dient
daher der Spekulation als Basis.) Kontraktion der Reservefonds, was
doppelt betrachtet werden kann: einerseits als Verminderung des
zirkulierenden Mediums, andrerseits als Beschränkung des Teils
des Kapitals, der stets in Geldform existieren muß.
III. Bildung von Aktiengesellschaften. Hierdurch:
1. Ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion und
Unternehmungen, die für Einzelkapitale unmöglich
waren. Solche Unternehmungen zugleich, die früher
Regierungsunternehmungen waren, werden gesellschaftliche.
2. Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher Produktionsweise
beruht und eine gesellschaftliche Konzentration von Produktionsmitteln
und Arbeitskräften voraussetzt, erhält hier direkt
die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter
Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen
treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu
Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des Kapitals als
Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen
Produktionsweise selbst.
3. Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen
bloßen Dirigenten, Verwalter fremdes Kapitals, und der
Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer,
bloße Geldkapitalisten. Selbst wenn die Dividenden, die sie
beziehn, den Zins und Unternehmergewinn, d.h. den Totalprofit
einschließen (denn das Gehalt des Dirigenten ist, oder soll
sein, bloßer Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter
Arbeit, deren Preis im Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder
andren Arbeit), so wird dieser Totalprofit nur noch bezogen in der Form
des Zinses, d.h. als bloße Vergütung des
Kapitaleigentums, das nun ganz so von der Funktion im wirklichen
Reproduktionsprozeß getrennt wird wie diese Funktion, in der
Person des Dirigenten, vom Kapitaleigentum. Der Profit stellt sich so
dar (nicht mehr nur der eine Teil desselben, der Zins, der seine
Rechtfertigung aus dem Profit des Borgers zieht) als bloße
Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der
Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung
gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als
fremdes Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion
tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten
Taglöhner. In den Aktiengesellschaften ist die Funktion
getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich
getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit.
Es ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der
kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur
Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber
nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als
das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares
Gesellschaftseigentum. Es ist andrerseits Durchgangspunkt zur
Verwandlung aller mit dem Kapitaleigentum bisher noch
verknüpften Funktionen im Reproduktionsprozeß in
bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in
gesellschaftliche Funktionen.
Bevor wir weitergehn, ist noch dies ökonomisch Wichtige zu
bemerken: Da der Profit hier rein die Form des Zinses annimmt, sind
solche Unternehmungen noch möglich, wenn sie bloßen
Zins abwerfen, und es ist dies einer der Gründe, die das
Fallen der allgemeinen Profitrate aufhalten, indem diese
Unternehmungen, wo das konstante Kapital in so ungeheurem
Verhältnis zum variablen steht, nicht notwendig in die
Ausgleichung der allgemeinen Profitrate eingehn.
Es ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise
innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein
sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie als
bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform
sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der
Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sfären das Monopol her
und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er reproduziert eine
neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von
Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen
Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf
Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist
Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.
IV. Abgesehn von dem Aktienwesen - das eine Aufhebung der
kapitalistischen Privatindustrie auf Grundlage des kapitalistischen
Systems selbst ist, und in demselben Umfang, worin es sich ausdehnt und
neue Produktionssfären ergreift, die Privatindustrie
vernichtet -, bietet der Kredit dem einzelnen Kapitalisten oder dem,
der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser
Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und
fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit.
Verfügung über gesellschaftliches, nicht eignes
Kapital, gibt ihm Verfügung über gesellschaftliche
Arbeit. Das Kapital selbst, das man wirklich oder in der Meinung des
Publikums besitzt, wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau.
Es gilt dies besonders im Großhandel, durch dessen
Hände der größte Teil des
gesellschaftlichen Produkts passiert. Alle Maßstäbe,
alle mehr oder minder innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise
noch berechtigten Explikationsgründe verschwinden hier. Was
der spekulierende Großhändler riskiert, ist
gesellschaftliches, nicht sein Eigentum. Ebenso abgeschmackt wird die
Frase vom Ursprung des Kapitals aus der Ersparung, da jener gerade
verlangt, daß andre für ihn sparen sollen. Der
andren Frase von der Entsagung schlägt sein Luxus, der nun
auch selbst Kreditmittel wird, direkt ins Gesicht. Vorstellungen, die
auf einer minder entwickelten Stufe der kapitalistischen Produktion
noch einen Sinn haben, werden hier völlig sinnlos. Das
Gelingen und Mißlingen führen hier gleichzeitig zur
Zentralisation der Kapitale und daher zur Expropriation auf der
enormsten Stufenleiter. Die Expropriation erstreckt sich hier von den
unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten
selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen
Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in
letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den
Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte
der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der
Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches
Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt
sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des
kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt
dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; und
der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner
Glücksritter. Da das Eigentum hier in der Form der Aktie
existiert, wird seine Bewegung und Übertragung reines Resultat
des Börsenspiels, wo die kleinen Fische von den Haifischen und
die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen werden.
In dem Aktienwesen existiert schon Gegensatz gegen die alte Form, worin
gesellschaftliches Produktionsmittel als individuelles Eigentum
erscheint; aber die Verwandlung in die der Aktie bleibt selbst noch
befangen in den kapitalistischen Schranken; statt daher den Gegensatz
zwischen dem Charakter des Reichtums als gesellschaftlicher und als
Privatreichtum zu überwinden, bildet sie ihn nur in neuer
Gestalt aus."
(Marx, K III, MEW, S.451)
Ja, wenn sie das (zumindest teilweise) aus dem Fall Fannie Mae und
Freddie Mac erschlossen hätte, dann wäre sie schon
einen gewaltigen Schritt weiter. Wir stellen dem theoretischen Ergebnis
von Marx hier die praktische Wirklichkeit gegenüber:
"Mortgage Backed Securities (MBS) und forderungsbesicherte Wertpapiere
im allgemeinen sind in den 80er Jahren in Mode gekommen, haben sich
seit Mitte der 90er Jahre immer mehr verbreitet und seit der
Jahrtausendwende explosionsartig zugenommen. Zu den wichtigsten
Emittenten amerikanischer MBS gehören zwei Hypothekenriesen
mit knuddeligen Namen, die es wegen der Finanzkrise
mittlerweile zu internationaler Berühmtheit gebracht haben:
Fannie Mae und Freddie Mac.
Vor allem Fannie Mae ist ein Institut mit langer Tradition. Im Jahr
1938 wurde im Zuge des New Deal und mit dem Ziel, mehr amerikanische
Familien in Wohneigentümer zu verwandeln, die Federal National
Mortgage Association gegründet. Fannie Mae, wie das Institut
bald abgekürzt genannt wurde, war damals das, was es heute
wieder ist: ein staatliches Unternehmen. Das Institut vergab selbst
keine Hauskredite, sondern hatte die Aufgabe, den Banken
Hypothekenforderungen abzukaufen und so deren Kreditspielraum zu
erhöhen. Eine verkaufte Hypothek verschwindet aus der Bilanz
einer Bank, bindet also kein Eigenkapital mehr.
Vielmehr erhält die Bank das verliehene Geld zurück
und kann es für neue Darlehen nutzen. Ihr entgehen auf diesem
Wege zwar die langfristigen Zinseinnahmen, die der Kredit
während seiner Laufzeit bringt. Stattdessen macht sie aber
einen kurzfristigen Gewinn, weil sie die Hypothek natürlich zu
einem höheren Preis weiterverkauft, als sie dem
Häuslebauer tatsächlich geliehen hat.
Von Fannie Mae wurden die den Banken abgekauften Hypotheken
zunächst in den eigenen Büchern gehalten und
über die Ausgabe kurz- und langfristiger Schuldverschreibungen
refinanziert. Da hinter dem Institut der amerikanische Staat stand, der
die Bonität dieser Schulden garantierte, lag der Zinssatz der
von Fannie Mae emittierten Schuldtitel nicht wesentlich höher
als der von Staatsanleihen. Der Hypothekenfinanzierer konnte sich also
billig Geld verschaffen und den Banken die Hypotheken daher mit einem
guten Aufschlag abkaufen. Auf diese Weise wurde der amerikanische
Hypothekenmarkt mit Liquidität versorgt, die
Häuslebauer bekamen mehr und günstigere Hausdarlehen,
als der freie Markt bereitstellen konnte, und die Banken machten ein
gutes und risikofreies Geschäft mit der Vergabe und dem
Weiterverkauf dieser Kredite."
Da sieht man doch, was der Staat produktiv im Kreditwesen tun kann!
Doch weiter im Text:
"Allerdings konnte das System nur funktionieren, weil durch strikte
Regeln vermieden wurde, daß Fannie Mae und damit die
öffentliche Hand am Ende auf einem Berg fauler Hypotheken
sitzen blieb. Daher wurden ursprünglich nur Hausdarlehen, die
bestimmte gesetzlich festgelegte Kriterien erfüllten, von
Fannie Mae aufgekauft. Diese Kriterien sollten sicherstellen,
daß nur solche Familien in die eigenen vier Wände
umziehen, die es sich auch leisten konnten, und daß die
Höhe des Darlehens in einem vernünftigen
Verhältnis zum persönlichen Einkommen steht. Es gab
neben den von Fannie Mae aufgekauften Hypotheken natürlich
immer auch solche, welche die Banken in ihren eigenen Büchern
behielten. Aber da sie hier auch das volle Ausfallrisiko trugen
beziehungsweise sich dieses durch höhere Zinsen bezahlen
ließen, war auch dieser Markt begrenzt und
übersichtlich.
Der Übergang zum neoliberalen Zeitalter kündigte sich
drei Dekaden später, im Jahr 1968, mit der Privatisierung des
Hypothekenfinanzierers an. Fannie Mae blieb aber auch danach ein
Institut mit besonderem staatlichem Schutz, und an dem
zugrundeliegenden Geschäftsmodell –
einschließlich der erforderlichen Qualitätsstandards
für Hausdarlehen – änderte sich
zunächst nichts. Allerdings wurde der liberalen
Wettbewerbsideologie dadurch Genüge getan, daß dem
Institut ein zweites, ebenfalls staatlich gestütztes als
Konkurrent gegenübergestellt wurde: die Federal Home Loan
Mortgage Corporation, kurz Freddie Mac. Freddie Mac hatte genau die
gleichen Aufgaben wie Fannie Mae, und auch die von ihm aufgekauften
Hausdarlehen unterlagen strengen Kriterien.
Seit Beginn der 80er Jahre gingen Fannie Mae und Freddie Mac dazu
über, die aufgekauften Hypotheken nicht mehr allein
über die Emission eigener Anleihen zu refinanzieren, sondern
sie in größere Bündel zusammenzufassen und
in handelbare Wertpapiere zu verwandeln. Sie begannen also, Mortgage
Backed Securities zu schaffen, die sie an andere Investoren
weiterverkaufen konnten. Dabei standen Freddie und Fannie für
die Bonität dieser Wertpapiere gerade, was ihre Verzinsung
reduzierte und so den erlösten Preis erhöhte. Diese
Garantie schloß natürlich ein, bei
Zahlungsausfällen der verbrieften Hypotheken mit eigenem Geld
die den Investoren zugesagten Einnahmen auszugleichen.
Auch das Geschäft mit den garantierten MBS war
natürlich nur durchführbar, weil die aufgekauften und
verbrieften Hypotheken zunächst weiterhin strengen Kriterien
genügen mußten.
Tatsächlich lag die Ausfallquote der von Fannie Mae
übernommenen Hypotheken über Jahrzehnte bei
extrem niedrigen 1 Prozent, im Vergleich zu 2 bis 3 Prozent am
Gesamtmarkt für normale (nicht Subprime) Hypotheken.
Die von Fannie Mae und Freddie Mac emittierten MBS-Papiere waren daher
ebenso wie ihre Schuldverschreibungen eine biedere und sichere
Anlagevariante für Pensionsfonds, Versicherungen,
Investmentbanken oder wer immer sonst sein Geld mit moderater
Verzinsung, dafür aber sicher, mehren wollte.
Heute verwalten Fannie Mae und Freddie Mac zusammen ein
Hypothekenvolumen von 5 Billionen Dollar. Annähernd die
Hälfte aller US-Hauskredite befindet sich in ihrem
Portefeuille oder wird von ihnen garantiert. Wer diese garantierten
Papiere gekauft hat, hat erst einmal kein Problem. Er kann im Falle von
Verlusten bei Freddie oder Fannie vorstellig werden, die dann
für den Schaden einspringen müssen.
Wären die zur Geburtsstunde der beiden Institute
gültigen Anforderungen an Baukredite beibehalten
worden, würde dieses Modell sicher auch heute noch
funktionieren. Allerdings hätten sich dann wohl kaum
Hypothekenkredite in dem gigantischen Volumen von 5 Billionen Dollar in
ihren Büchern aufgehäuft. Das war nur
möglich, weil Fannie Mae und Freddie Mac zunehmend
zweifelhafteren Hausdarlehen ihr Garantiesiegel
aufgeprägt haben.
Vor allem in den Jahren seit 2004 sind die beiden
Hypothekenfinanzierer dazu übergegangen,
kräftig in Subprime-Hypotheken und sogenannte
Alt-A-Hypotheken zu investieren. Nach Angaben der
US-Aufsichtsbehörde Ofheo (Office of Federal Housing
Enterprise Oversight) entfallen gegenwärtig etwa 9 Prozent des
Hypothekenvolumens der beiden Institute auf Subprime-Kredite.
Der Anteil von Krediten problematischer Bonität wird mit 15
Prozent angegeben. Genau wissen kann das natürlich auch Ofheo
nicht.
Daher folgte, was folgen mußte. Bereits im ersten Jahr der
Hypotheken-Krise summierten sich die Verluste der beiden
Hypothekenfinanzierer auf über 14 Milliarden Dollar.
Bei Freddie Mac überstiegen die Abschreibungen die
Vermögenswerte schon im ersten Quartal 2008 um etwa
5,2 Milliarden Dollar. Nur wenig besser sah es bei Fannie Mae
aus. Dabei steht den gesamten Verbindlichkeiten der beiden
Giganten in Höhe von 5.000 Milliarden Dollar ein
Eigenkapitalpolster von lächerlichen 83 Milliarden Dollar
gegenüber. Um den sonst unvermeidlichen Bankrott
abzuwenden, stellte der amerikanische Staat Anfang September
2008 ein Rettungspaket in Höhe von 200 Milliarden Dollar
bereit und übernahm im Gegenzug 80 Prozent der Aktien.
»Freddie und Fan- nie waren zu groß, um sie
umfallen zu lassen«, begründete der amerikanische
Finanzminister Henry Paulson diesen Schritt. Too big to fail
— zu groß, um zu scheitern —, diese
Begründung sollten die Steuerzahler in aller Welt in den
Folgemonaten noch oft zu hören bekommen.
Die beiden Hypothekenriesen untergehen zu lassen, hätte wohl
tatsächlich bedeutet, dem US-Immobilienmarkt auf Jahre den
Garaus zu machen. Denn inzwischen sind die beiden Institute fast die
einzigen, die in den USA überhaupt noch Hausdarlehen
vergeben. Wäre dieses Angebot auch noch weggebrochen,
wären die Immobilienpreise wohl in den freien Fall
übergegangen und die Bauwirtschaft endgültig
zusammengebrochen.
Aber das noch größere Problem waren die
Folgewirkungen einer Pleite auf das internationale
Finanzsystem. Denn die von Fannie und Freddie emittierten MBS und
Schuldverschreibungen befinden sich in den Portefeuilles
internationaler Geldhäuser, Fonds und sogar Zentralbanken von
Moskau über Peking bis Tokio. Bei den von Freddie Mac
emittierten Anleihen beispielsweise bilden Zentralbanken mit einem
Anteil von 43 Prozent sogar die größte
Anlegergruppe. Investmentfonds halten knapp 30 Prozent, Banken
13 Prozent und Pensionsfonds und Versicherungen immerhin 6
Prozent. Die Investorenstruktur von Fannie Mae sieht
ähnlich aus. Ein Konkurs der beiden
Hypothekengiganten hätte eine Verlustwelle in der
internationalen Finanzwelt nach sich gezogen, die dem Weltfinanzmarkt
vermutlich den Rest gegeben hätte. Zum Vergleich: Das
Geschäftsvolumen des Hedgefonds LTCM, dessen Kollaps die
amerikanische Fed im Jahr 1998 in einer konzertierten Aktion
verhinderte, weil er nach ihrer Einschätzung das globale
Finanzgebäude hätte zum Einsturz bringen
können, lag bei wenig über 1 Billion Dollar. Bei
Freddie Mac und Fannie Mae reden wir über das
Fünffache.
Also fließt Steuergeld, um die beiden Institute, koste es,
was es wolle, am Leben zu erhalten. Natürlich weiß
niemand genau, wie viele der von Fannie Mae und Freddie Mac
garantierten Hypotheken tatsächlich faul werden. Aber
es spricht viel dafür, daß die jetzt
bereitgestellten 200 Milliarden noch nicht das letzte Wort gewesen
sind. Paulson selbst hat vorsichtshalber schon einmal
angekündigt: »Wir wissen nicht, was es den
Steuerzahler kosten wird.«
Hinzu kommt, daß sich die Zahlen durch das
gegenwärtige Geschäft der beiden Unternehmen nicht
gerade verbessern. Erst im März 2008 hatte die amerikanische
Regierung die für sie geltenden Kapitalanforderungen
weiter verwässert, damit Fannie und Freddie im
großen Stil Hypotheken aufkaufen und so den
eingefrorenen US-Immobilienmarkt wieder flüssiger
machen konnten. Hunderte Milliarden Dollar sollten auf diese Weise in
den Markt gepumpt werden, um strauchelnde Hausbesitzer bei der
Refinanzierung ihrer Hypotheken zu unterstützen.
Insbesondere dadurch ist der Anteil der beiden Riesen an den neu
vergebenen Immobiliendarlehen auf mittlerweile 80 Prozent
hochgeschnellt.
Gegen das Anliegen, durch Refinanzierungsmöglichkeiten die
Zahl der Zwangsversteigerungen zu verringern, ist natürlich
nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, daß diese
Steuergelder natürlich nicht nur den Hausbesitzern
helfen, sondern vor allem den Banken, die sich dadurch elegant von
Problemkrediten trennen können, die sie in ihren
Büchern haben.
Zurück zur Ausgangsfrage. Ein gewisser Teil der beispiellosen
Kreditausweitung läßt sich also mit dem
Wirken der Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac
erklären [!!]. Daß die von ihnen emittierten
Papiere, unabhängig von der Qualität der zugrunde
liegenden Hypotheken, interessierte Abnehmer fanden,
verwundert nicht. Immerhin waren sie dank der Garantie der
beiden Institute eine nahezu risikofreie Investition.
Aber so groß die beiden Baufinanzierer sind, beim
Aufblähen der Kreditblase waren sie eher Trittbrettfahrer als
eine treibende Kraft. Weder erklärt [!!] die Geschichte von
Fannie und Freddie die explosive Ausweitung der Subprime-Hypotheken und
der sonstigen US-Konsumentenkredite, noch lassen sie sich
für die Expansion des Leveraged-Loan-Marktes
für Firmenkredite verantwortlich machen, mit dem sie
schon gar nichts zu tun haben.
Kredite zu verbriefen und weiterzuverkaufen, wurde vielmehr auch
[Achtung! Jetzt die richtige Erklärung!!] jenseits des
staatlich regulierten Teils des Hypotheken marktes eine seit den 80er
Jahren immer beliebtere Praxis der Banken. Zum einen lagen die Margen
in diesem Geschäft deutlich höher als bei
der traditionellen Kreditvergabe, die in der Regel weniger als
10 Prozent Rendite brachte, und zum anderen konnte das Kreditvolumen
auf diese Weise weit über die Grenzen des Eigenkapitals der
betreffenden Bank ausgedehnt werden. Da die Gewinne der Bank mit jedem
vergebenen Kredit weiter anschwollen und das Ausfallrisiko ja
auf die Käufer der Kreditpapiere überging,
waren die Baufinanzierer fortan verständlicherweise
bestrebt, so viele Darlehen wie möglich an wen auch
immer zu vergeben.
Weil aber nun die Zahl der Familien begrenzt ist, die sich ein
Eigenheim wirklich leisten können, und die miserable
Lohnentwicklung in den Vereinigten Staaten seit Ende der 70er
Jahre auch nicht gerade dazu beigetragen hat, diese Zahl zu
erhöhen, lag es im natürlichen
Geschäftsinteresse der Banken, immer
größere Bevölkerungskreise zum
Hauskauf oder zur Beleihung ihres Hauses zu überreden, auch
wenn diese zur Rückzahlung der Darlehen absehbar
nicht in der Lage waren. Sobald der Kredit verkauft war, war das ja
nicht mehr das Problem der Bank. Wie die bereits zitierte US-Studie
über »Credit Booms and Lending Standards«
zeigt, gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der
Verlotterung der Standards bei der Hypothekenvergabe in den
einzelnen Regionen der USA und dem Anteil der Kredite, den die
Baufinanzierer jeweils verbriefen und weiterverkaufen konnten.
Je höher dieser Anteil, desto gedankenloser wurde Geld in
Subprime-Hypotheken versenkt. ....
(S. 31ff)
Und so zu. Die »Erklärung« soll mit der
Interpretation des Geschehens, wie sie mit dem Wort
»versenkt« gegeben ist, auch schon geleistet sein.
Während zum Beispiel Robert Kurz das unausweichliche Fiasko
des ganzen Kapitalismus, das er am Horizont heraufziehen sieht, noch
mit einem Wissen von dem Vorhaben des Projekts zu begleiten sucht
– er hat ja Marx soweit richtig verstanden –,
verzichtet Wagenknecht gleich auf die ganze theoretische Ableitung mit
ihrem Verweis auf die Oberfläche des Geschehens, welches sie
für selbstentlarvend hält, was es aber nicht ist.
Dann hätte sie freilich einfach Marx Kapital
studieren können, anstatt eine eigene eigenartige
Gesellschaftskritik zu fabrizieren, die sich zu Unrecht auf Marx
beruft.
Mit ihrem Wunsch, die Krise zu bannen, rennt sie zwar einerseits offene
Türen ein, doch ihre Methoden, ihn zu erreichen,
stoßen auf Ablehnung. Es paßt ja nun wirklich nicht
zusammen, einen entfesselten Geist in eine Flasche wieder
zurückzupressen, aus der sein Entweichen als der Fortschritt
schlechthin gefeiert wird und dem Sahra Wagenknecht ja durchaus ihre
Anerkennung ebenso zollt wie seiner Problematik in Krisenzeiten. Im
Grunde hat ihr erst die Krise des Kapitals ein ökonomisches
Argument in die Hand gegeben, das weder als solches noch
überhaupt eines ist.
Aber man soll es als solches nehmen. Kapital ohne Krise = ziemlich okay
(für die Sozialfälle kommt der Sozialsstaat auf, den
es dafür gibt); Kapital mit Krise = ganz schlecht, weil es den
Staat auf dem falschen Fuß erwischt. Sogesehen also auch
wieder gut, weil Sahra Wagenknecht und ihre Linkspartei auf der Matte
steht, eine bessere Staatsräson feilzubieten.
Die Allgemeinheit und das Allgemeinwohl, das Interesse an
Stabilität reden da ziemlich unverblümt der
Klassengesellschaft das Wort, die als solche aber nicht ans Licht
treten soll. Permanente Superlative negativer Art sind Wagenknechts
Ersatz für eine Erklärung der Verhältnisse,
sie sind ihre Verklärung wie ihre Verurteilung zugleich.
Andererseits sind sie die Propagierung eines vernünftigen
Kapitalismus, als ob er wie auch immer vernünftiger
überhaupt gehen könnte, Krisen inbegriffen.
(2011)
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* Sahra Wagenknecht: Wahnsinn mit Methode, Finanzcrash und
Weltwirtschaft, Verlag Das Neue Berlin, 3. korr. Auflage 2009,
[Erstausgabe 2008]
