Volksbeglückung als politisches Programm
Das (Staats-)Programm Volksbeglückung kommt am besten zum Tragen
– und das scheint eine Erkenntnis neueren historischen Datums zu
sein – wenn Staatseigentum und Privateigentum nebeneinander
bestehen. Es kommt nicht von ungefähr, daß in den Zeiten
zunehmender Privatisierung staatlicher Aufgaben viele, die nicht davon
profitieren, dem Staat eine Rolle als Volksbeglücker zuschreiben,
der dafür zu sorgen habe, für ein gewisses Gleichgewicht zu
sorgen, ein Gleichgewicht zwischen Privat- und
»Gemein«-interessen.
Der Gedanke, warum ein Staat bestimmte gesellschaftliche Bereiche einst
der Privatwirtschaft entzogen hat und heute das nicht mehr einsieht,
tun zu müssen, ja es geradezu als kontraproduktiv im ureigenen
Staatsinteresse betrachtet, ein Gedanke dahingehend kommt bei den
Leuten nicht auf, die auf einen gemeinwohlorientierten Staat setzen,
als hätten sie je von einem solchen profitiert. Sicher, es mag
sein, daß sich ihre Lage verändert hat, daß sie
weniger Lohn erhalten, weil sie jetzt unter privater Regie arbeiten,
mag sein, daß sie ganz wegrationalisiert worden sind. Doch gerade
dann, wäre es doch viel naheliegender, sich zu fragen, was
für eine Rationalität denn dann vorliegt. Stattdessen halten
sie einen völlig unsachlichen Appell an den Staat selber
vonnöten, als hätte sich in dessen Rationalität im
Grunde gar nichts geändert, als sei das Geschehen seiner
Fürsorge gleichsam aus der Hand geglitten.
Sie schreiben dem Staat allen Ernstes eine Funktion als
Volksbeglücker zu, die er nie hatte. Aus gutem Grund beließ
er ja sein Volk tagaus tagein in dieser Hinsicht im unklaren, nicht
selten griff er auch zu handfesten Lügen (mitunter als
»Wahllügen« verharmlost). Solche Leute sind so naiv
und nehmen die staatliche Lüge, für ein
»Gemeinwohl« zu sorgen, ernst, sehr ernst sogar.
Mitunter so ernst, daß sie meinen, eine neue Partei
gründen zu müssen, weil die alten »versagt«
hätten.
Und wenn solche Leute über den nationalen Tellerrand mal
hinausblicken, entdecken sie sogar Staaten, die Privateigentum
verstaatlichen und sich tatsächlich als Volksbeglücker in
Szene setzen. So zum Beispiel in Venezuela, wo Präsident
Chávez der Privatwirtschaft einen mächtigen staatlichen
Sektor gegenübergestellt hat. Da sind die Löhne zwar –
wenn überhaupt – kaum höher als im privaten, aber
immerhin staatlich garantiert. Da kann dann das Volk schön
vergleichen: Staatliche Volksbeglückung für prima halten und
die Privatwirtschaft mißbilligen, mißbilligen mit dem
– hier moralisch gebrauchten – Begriff
»Ausbeutung«, versehen mit einem Ausrufezeichen der
Empörung.
Doch nicht nur Freunde der »Dritten Welt« entdecken dort
ungeheuerliche Perspektiven – nicht zuletzt für ihre
politischen Programme im Zentrum des Imperialismus. Dieses Modell hat
auch Kuba nunmehr eingeleuchtet. Sowohl in ganz praktischer,
staatsrentabler Hinsicht wie in der Hinsicht, das Volk von den
segensreichen Leistungen eines sozialistischen Staates noch viel besser
zu überzeugen als bisher. [Zu diesem wichtigen Thema siehe den
Kuba-Artikel in GegenStandpunkt 1-2012!]
Wie in dem Artikel sei hier nochmal betont, daß Kuba sein
Reformprogramm nicht als einen Weg in den Status eines
»Dritt-Welt-Staates« auffaßt, daß es damit
– allen Dementis zum Trotz – eine Axt an den Staat der
Volksbeglückung gelegt hat. Der Begriff von Volksbeglückung
(man kann auch »Sozialismus« dazu sagen) ist allerdings
dehnbar. Schon dies spräche für etwas anderes, als dieses
Verhältnis einfach neu zu interpretieren. Es spräche
tatsächlich für die Auflösung des Gegensatzes von Volk
und Herrschaft, es spräche für eine Kritik der
(selbsternannten) Volksbeglücker im Staatsinteressse,
gleichgültig wieviele Untertanen ihnen zujubeln und wieviele
nicht. Es spräche auch für eine Ökonomie weder nach
Staatsdirektiven noch nach Kapitalverwertungszielen. Um das aus beiden
gezogene Abstraktum einer »Produktivität« schlechthin
geht es sowieso nie.
Von den imperialistischen Staaten wird Kubas neue Politik als
allenfalls halbe Sache auf einem Weg hin zur Freiheit des Kapitals
genommen. Umgekehrt befürchten sie in Venezuela unter der Regie
von Chávez ein Umlenken in die Unfreiheit. Anhänger
volksbeglückender Staaten dagegen erscheint der Ex-Putschist und
Volkstribun in Caracas als Hoffnungsträger, der mutig dem Kapital
die Stirn bietet. Es ist keine Frage, daß man auch so sein Volk
in die Pflicht nehmen kann, in die Pflicht, einen nationalen Aufbruch
zu schaffen, der in der Tat in einem »Dritt-Welt-Staat«
auch nicht viel anders hinzukriegen ist. Und wahrscheinlich muß
man in die Volksrepublik China schauen, um das Vorbild für eine
solche Politik schlechterdings zu finden. Doch gerade an diesem Fall
sieht man sehr schön, daß die Inpflichtnahme immer beide
Seiten hat, die private und die staatliche. Und daß es auf
ein gewisses »Gleichgewicht« anzukommen scheint, wenn man
es mit der staatlichen Volksbeglückungspolitik ernst meint.
Ansonsten kommt es zu unrühmlichen »Auswüchsen«.
Auf der einen Seite kann man diesbezüglich nämlich die
staatliche »Bürokratisierung« geißeln, auf der
anderen Seite die »Ausbeutung«, womit nicht etwa der
Marxsche Sachverhalt des Arbeiterlohnes – der seinem Begriff
nach immer unter dem Wert der geleisteten Arbeit liegt, weil der
Arbeiter aufgrund seiner Armut erpreßbar ist und nur so seine
Arbeitskraft rentabel angewandt werden kann – gemeint ist,
sondern ein unterdurchschnittlicher Lohn, ja oftmals ein Lohn, der zur
eigenen Reproduktion nicht wirklich ausreicht.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Kritiken – am
Staat einerseits und an der Privatwirtschaft andrerseits – ihre
Konjunkturen haben. Ja, daß sie sich wechselseitig reflektieren.
Ja, Staaten versuchen sich durch eine diesbezügliche (partielle)
Änderung ihrer Staatsräson einen Vorteil in der
zwischenstaatlichen Konkurrenz zu verschaffen. Doch gerade diese
Tatsache macht eines deutlich, daß das, was einmal als
revolutionäre Perspektive in der »Dritten Welt« eine
Einkreisung der imperialistischen Staaten versprach, aufs brutalste
gescheitert ist. Man braucht gar nicht daran zu erinnern, daß ein
Chávez lieber mit dem Präsidenten Kolumbiens auf Du &
Du steht, als dessen Regime als vom Imperialismus gestützt einen
unnachgiebigen Vernichtungskrieg gegen Aufständische führend
zu geißeln. Es wäre in der Tat grotesk einem so
ambitionierten Staatsmann wie Chávez schmählichen Verrat an ELN und FARC vorzuwerfen. Das unterlassen selbstverständlich auch Raúl und Fidel Castro.
Gänzlich absurd ist, wenn hierzulande irgendwelche Linke
Hoffnungen auf aufstrebende, weil (inter)national bewußte und
volksbeglückend auftretende Staaten in Lateinamerika setzen. Vor
allem: Damit eine politische Kritik durch einen Hinweis auf die
Vorbildfunktion, die sie jenen Lateinamerika-Sozialismen zuerkennen,
ersetzen. Das ist nichts anderes als Solidarität mit dem eigenen
– im Grunde perspektivlosen – Bild von der Welt. Mit
Gewalt, mit Staatsgewalt soll diesem Bild eine Perspektive verschafft
werden. Traurig, aber wahr. Nicht traurig, wenn solche Linke
darüber einpacken (können).
[Abbildung: Jürgen Elsässer ist einer der
unermüdlichsten Propagandisten volksfreundlicher Herrschaft: Hier
die Abbildung seines Buches über den Iran, in dem er die
30-Stunden-Woche und den 6-Stunden-Tag der Islamischen Republik preist,
einen ganz ohne den Begriff Sozialismus verdammt volksfreundlichen
Staat also verteidigt. Ahmedinedschad durfte er gar
höchstpersönlich die Hand schütteln!]
(19.05.12)