Das Gezerre um das Brecht-Festival abc
Kein
Staat - weder die mittlerweile heimgeholte DDR noch erst recht die
kapitalistische BRD - hat ein Interesse, mit Brechts Werken in
objektiver Form umzugehen. Zu Zeiten des Ost-West-Gegensatzes wollte
die BRD vom erklärten Kommunisten Brecht nicht viel wissen; als
unterste Staatsebene ging die Kommune, in der der Dichter geboren und
aufgewachsen war, mit diesem ungewollten Erbe entsprechend abweisend um.
Doch die Zeiten haben sich, wie das mit ihnen so ist, geändert.
Der kapitalistische Staat entdeckte Lücken in seiner ohnehin schon
ziemlich totalitären Herrschaft: Nicht alles war dem
standortbezogenen Gewinninteresse so optimal unterworfen, wie es
hätte sein können - ideologische
Berührungsängste warf Augsburg sich in Sachen Brecht selbst
vor! Mit Brecht den Standort vermarkten! Wie Schuppen fiel es den einst
engstirnigen Reaktionären von CSU und SPD von den Augen! Hatte
nicht Brecht selbst einige moralische Anknüpfungspunkte geliefert,
mit denen sie an ihn anknüpfen können? Brecht hatte
dummerweise nämlich gemeint, so sich Gehör verschaffen zu
können bei denen, die immer weghören, wenn sie mal ein Wort
der Kritik ihrer Weltanschauung zu hören auch nur vermeinen. Die
Betrachtungsweise, daß Brecht beispielsweise das Theater nur als
Mittel zum kommunistischen Zweck gedacht hatte, wird selbstkritisch
umgedreht: Wenn man in seinen Mitteln den eigentlichen Zweck erkennt,
vermag man leicht über jeden irgendwie kommunistischen weiteren
Gedanken hinwegsehen oder ihn als zeitbedingt entschuldigen.
Genau so ist das (Vermarktungs)interesse am Dichter ideologisch
konstruiert und gerechtfertigt. Dieses Interesse bekommt aufgrund des
Namens des Dichters, der irgendwie ja auch über den Tag hinaus
dachte, auch noch einen extrem positiven Touch - gerade bei den
Intellektuellen der Republik. Mit Brecht hat Augsburg also einen
Standort-Winner. Man hatte dafür jenen, jetzt abgesägten
Herrn Ostermaier das entsprechende Programm schreiben lassen. Und
ausgerechnet einem überhaupt nicht linken, sondern einfach nur
sachlich denkenden, neuen Kulturreferenten ist es aufgefallen,
daß das damit erzielte Ergebnis zwar dem Standort nützt,
aber mit Brecht eigentlich nichts wirklich zu tun hat - es traten ja
selbst solch extreme Idioten auf, die mit Brecht Staat, Kapital und
dazugehörende Ideologien glorifizierten. Und in diesem Dilemma -
Standort einerseits, Brechtwürdigung andrerseits - versucht er nun
ein neues Konzept auf die Beine zu stellen und hat sich damit
natürlich jede Menge Kritik bis hin zu den Grünen und der
Linkspartei eingefangen, die allesamt das bisherige Konzept samt
Ostermaier verteidigen zu müssen glauben: Brecht als
Totschlagargument.
Wie schön waren doch die Zeiten, als die Stadt gemeint hatte, sich
an Brecht die Finger zu verbrennen, und ihn deshalb weitestgehend in
Ruhe ließ, wenn sie ihn nicht gerade als kommunistischen
Staatsfeind verdammen zu müssen glaubte. [Abbildung:
Brecht-Illustration: Die Judenhure, Lithografie von Norbert Naßl]
(22.10.08)