BILLI GLÖHNER  UND  DIE GEWERKSCHAFT

dgb 2009 Billi Glöhner, 28, ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Vollmitglied schon über 5 Jahre. Aber schon vorher war sie bei der Gewerkschaftsjugend dabei. Das kam so: Ein Kollege hatte zu ihr gesagt, sie sei doch ein helles Köpfchen. Ob sie sich nicht engagieren wolle. Ver.di sei eine große Organisation und könne was für die Lehrlinge tun. Traditionsgemäß gingen die meisten Lehrlinge dieses Betriebs zur Gewerkschaftsjugend. Die Melli sei auch jüngst erst eingetreten. Da könne man sich bilden, habe Geselligkeit und lerne Gleichaltrige kennen; kurz: man wisse, wo man wäre. Eine gute Sache sei's auch, denn die Arbeitnehmer müßten zusammenhalten und solidarisch sein, sonst machten die Bonzen mit ihnen, was sie wollten... Ungefähr so ähnlich war es dann auch bei der Gewerkschaftsjugend.
Auf einem Bildungsseminar am Wochenende hörte Billi zum ersten Mal von Ausbeutung und, daß die Unternehmer nur auf Profit aus seien; daß dagegen nur Kampf um gerechten Lohn und erträgliche Arbeitsbedingungen etwas helfe; daß nur die Gewerkschaft diesen Kampf konsequent führe. Billi erfuhr von der mühevollen Geschichte der Gewerkschaft, aus der sie aber fast immer gestärkt hervorgegangen sei. Ihr wurde die Gliederung des DGB erklärt und was dieser seit Kriegsende alles geleistet habe. Das konnte und könne er aber nur, wenn die Arbeitnehmer solidarisch seien. Das Wort 'Solidarität' kam überhaupt sehr oft vor. Klar, Probleme der Jugend, der Lehrlinge wurden auch angesprochen. Dann ging es sogar über gesellschaftliche Gründe für die ungleiche Behandlung von Mann und Frau.

Billi ist sogar aktiv geworden, hat an drei Demos teilgenommen und 'Sandwiches' gemalt: "Wenn wir dem Meister Semmeln holen, bleibt uns die Ausbildung gestohlen." Oder Ungereimtes: "Für eine qualifizierte Ausbildung." Na ja, das ist für Billi Glöhner lange her und längst vorbei. Mitglied von ver.di ist sie noch, aber sonst! Das hat sie bald rausgekriegt, wie der gewerkschaftliche Laden läuft, damals, als sie, nachdem sie in der Jugend war, mit 22 einen Job bei einem anderen Betrieb fand, wo ihr schon im Personalbüro der Betriebsrat erzählte, daß drei Viertel der Belegschaft bei ver.di seien, obwohl Billi ihn gar nicht danach gefragt hatte. Also war Kollegin Glöhner jetzt selbstverständlich gewerkschaftliches Vollmitglied. Die dafür noch notwendigen Lernprozesse hat sie nach und nach voll mitgekriegt. Hatte sie bei der Gewerkschaftsjugend gelernt, daß gewerkschaftliche Betriebsräte und Vertrauensleute die überaus wichtige Vertretung der Arbeitnehmerinteressen vor Ort in die Hand nähmen, so mußte sie jetzt feststellen, daß sich ihre Gewerkschaft im Betrieb vor allem dadurch auszeichnete, daß sie nicht in Erscheinung trat. Als Billi damals ihre noch naive Vorstellung einem Kollegen mitteilte, man dürfe es sich nicht länger gefallen lassen, daß offenkundig vom Betrieb ausspioniert werde - ihr war diesbezüglich ein Detektiv aufgefallen -, wer viel Einsatz zeige und wer sich eher herumdrücke, und daß man was dagegen tun müsse, bekam sie von diesem nur einen ungläubigen Blick zurück. Später erfuhr Billi dann, daß der Kollege ein Vertrauensmann war und, aus der Presse, daß ihre Firma auch Krankheitsdaten von Mitarbeitern sammelte. War so das plötzliche Verschwinden von Willi zu erklären?

Beim Betriebsrat ist Kollegin Glöhner nur zweimal gewesen. Das erste Mal bekam sie auf ihre Frage bezüglich der in Unmengen anfallenden, unbezahlten Überstunden zur Antwort: "Da können wir nichts machen, da haben wir keine rechtliche Handhabe." Beim zweiten Mal war der Betriebsrat schon richtig ungehalten: "So viel zu tun... ...wenn wir uns um alle Querulanten kümmern wollten." Ach so, dachte Billi, der Betriebsrat ist gar keine Beschwerdeinstanz. Inzwischen weiß Billi Glöhner, daß ein starker gewerkschaftlicher Betriebsrat in seinem eigenen Büro sitzt, mit der Firma über wichtige und unwichtige Dinge einvernehmlich oder nach vielen harten Verhandlungen Vereinbarungen trifft und damit auf Betriebsversammlungen angibt, wie sehr er sich um das Beste für die Arbeiter und Angestellten bemüht habe. Obwohl übrigens die Betriebsversammlungen immer gleich ablaufen - die Betriebsleitung lobt die Belegschaft und sagt, welche Maßnahmen unumgänglich sind; der Betriebsrat gibt an mit seinen Leistungen und ein wenig Kritik am Management der Firma; ein hergeholter Funktionär der Gewerkschaft ruft zu gewerkschaftlicher Solidarität auf und redet dazu unverständliches Zeug von struktureller Arbeitslosigkeit oder dem Dilemma gewerkschaftlicher Kampfbedingungen - geht Billi Glöhner doch meistens hin. Und jedesmal ärgert sie sich nachher, weil sie geglaubt hatte, doch etwas Neues, für sie Wichtiges über den Gang des Betriebs zu erfahren. Nun gut, auf jeden Fall weiß Billi Glöhner über ihren starken gewerkschaftlichen Betriebsrat Bescheid.

Bei zwei Anlässen rechnet Billi schon damit, daß der Betriebsrat rühriger wird: Wenn größere Entlassungen anstehen, verbreitet der sein Gejammer über den schlimmen, aber jetzt nicht mehr zu umgehenden Arbeitsplatzabbau - den er 'sozialverträglich' gestalten wolle -, vielleicht sogar auf einer extra Versammlung. Vor allem aber vor den Betriebsratswahlen legt er los und versucht zu beweisen, wie sehr die Belegschaft starke gewerkschaftliche Betriebsräte braucht. - Vertrauensleute erkennt Billi Glöhner übrigens inzwischen so: 1. überhaupt nicht; 2. vor Betriebsratswahlen; 3. weil sie die DGB-Mai-Abzeichen feilbieten, die Billi albern findet. Sie kann auch mit der ver.di-Mitgliederzeitung Publik nichts anfangen. Was hätte ihre Gewerkschaft ihr auch schon Wichtiges mitzuteilen? Daß noch mehr Solidarität vonnöten sei; daß deutsche Unternehmer immer schlechter wirtschaften und ihr Geld in Steuerparadiesen anlegen; daß Frau Merkel nichts wirklich gegen die Arbeitslosigkeit tut; daß Fußballer für ihr Geld zu wenig leisten...?

Trotzdem weiß Billi Glöhner, was sie ihrer Gewerkschaft schuldig ist. Fast jedes Jahr ist sie zur Maikundgebung gelatscht, nicht mit Transparenten, aber sie ist hingegangen. Das gehört sich, sagt sich Billi. Nur einmal, da lag der 1. Mai auf einem Montag, ist sie mit ihrer Tochter für drei Tage aufs Land gefahren und hat auch nicht gerade ein schlechtes Gewissen bekommen. Auf der Maikundgebung interessierte sie  immer ein wenig
, welcher Politiker da ist und ob der Oberbürgermeister auch da ist. Bald bemerkte sie dann, daß der DGB eine Neben- und Wahlhilfeorganisation der SPD ist. Seitdem klatscht Billi nicht mehr: Das Geschimpfe auf die Schwarzen findet sie ganz schön verlogen. So findet sie es gut, daß die Sache auch wieder rum ist: Ach, sieh da, der Dings ist auch hingekommen. Der Lafontaine war letztes Jahr besser! Wieviel sind eigentlich insgesamt hier auf dem Platz, mehr als letztes Jahr? Hallo Ernstl, auch hier? Ernstl verkauft Maiabzeichen, ist also auch ein Vertrauensmann, denkt Billi insgeheim.

Letztes Jahr hat Billi Glöhner ihren ersten ordentlichen Streik mitgemacht. Nun ja, besonders fest hat sie nicht daran geglaubt, daß was für sie rüberkommt. Schon gar nicht hat sie drauf gehofft, daß sie selbst das nötige Kleingeld mehr bekommt. Sie selbst ist ja auf die bescheidene Forderung dieser Tarifrunde auch gar nicht gekommen. Aber wenn die Gewerkschaft zum Streik aufruft, da heißt es zusammenstehen. Wenn die Unternehmer so hart bleiben, heißt es, hart zurückschlagen - das lassen wir uns nicht gefallen bzw. da müssen wir unserer Gewerkschaft den Rücken stärken. Bei Billi Glöhner sind zwei Dinge aus diesem Arbeitskampf irgendwie sitzengeblieben, also die hat sie noch nicht ganz vergessen:
An dem Tag, als in ihrem Betrieb zum Streik aufgerufen wurde, fanden sich auf einmal Kollegen einer in einem anderen Stadtteil gelegenen Filiale ihrer Firma ein. Die hielten den Betrieb zusammen mit den Azubis, die nicht streiken dürfen, aufrecht. An den Eingängen hatte die Geschäftsleitung Plakatständer aufstellen lassen: Der Verkauf gehe ohne Einschränkung weiter - entgegen den Ankündigungen in der örtlichen Presse. So standen sie blöd auf dem Parkplatz herum, bis ein Gewerkschaftsfunktionär kam und auf die uneinsichtigen Arbeitgeber geschimpft hat. Dennoch hoffe er auf eine baldige Einigung, die schon übermorgen erzielt werden könne, weil er hoffe, daß der Streik Wirkung zeige. Am nächsten Tag mußten sie wieder arbeiten und zwar ein bißchen mehr als sonst, weil etliche Kollegen zu der anderen Filiale abkommandiert wurden, bei denen heute Streiktag war. Billi Glöhner kam sich bei all dem ziemlich blöd vor.
Am Samstag hat sie dann noch in der innerstädtischen Fußgängerzone Flugblätter verteilt, die um Verständnis für den Arbeitskampf warben. Zufällig kam der Mann ihrer besten Freundin vorbei. Er hat die Streik-Aktivistin Billi gesehen. Da hat sie sich geschämt. Über den Rest hat sie sich schon nicht mehr gewundert: daß ihre Gewerkschaft das Arbeitskampf-Ergebnis doch noch als Erfolg ausgibt, na, das müssen die wohl so machen; daß genau besehen schon wieder eine faktische Nullrunde rausgekommen ist - da war wohl kaum mehr drin, man müsse ja die schwierige wirtschaftliche Gesamtlage der Branche berücksichtigen; aber immerhin ist die Arbeitszeit nicht ausgeweitet worden, worauf die Unternehmer doch so scharf waren...

Solche Höhepunkte im Leben des Gewerkschaftsmitglieds Billi Glöhner kommen natürlich nicht so oft vor. Aber mitbekommen von der Gewerkschaft tut sie so gut wie jeden Tag etwas, in Presse, Funk und Fernsehen. Da wundert sie sich schon nicht mehr, wenn der teils hölzerne, teils schleimige DGB-Vorsitzende Sommer die Ruhrfestspiele 2009 in Recklinghausen eröffnet und ein paar abstrakte Sätze über den Zusammenhang von Arbeit und Kultur drechselt. Genaugenommen kann Billi Glöhner damit nichts anfangen, aber sie meint wohl, daß Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie der Sommer einer ist, so etwas wohl machen müssen. Da kriegt Billi Glöhner mit, daß der halbe IG Metall-Vorstand mit dem Wirtschaftsminister in den Vereinigten Staaten war und dort weltpolitische Äußerungen getan hat, die dem des Ministers in nichts nachstanden. Was haben gewerkschaftliche Arbeitnehmervertreter eigentlich in Amerika zu suchen? denkt Billi.
Oder bei der Frau Merkel, der sie doch so vehement vorwerfen, sie täte nicht genug gegen die Arbeitslosigkeit? Billi Glöhner hat sich längst damit abgefunden, daß die Gewerkschaft in die höheren Sfären der Politik gehört. Manchmal fällt ihr auf, daß es ihr schwerfällt, ihre Gewerkschaftsfunktionäre von den anderen Schlipsträgern in der TV-Runde zu unterscheiden - es sei denn sie kennt sie alle genau. Den Bsirske kennt sie zwar, seine schulterklopfenden markigen Sprüche für die Kollegen findet sie soso lala, seinen Gratis-Urlaubsflug als Lufthansa-Aufsichtsrat nimmt sie ihm nicht krumm, aber seine psychosoziologischen Windungen und Wendungen in der Talk-Show hält sie dann doch für ziemlich affig, sie gehen ihr am Arsch vorbei.

Billi Glöhner ist eben ein ganz normales Mitglied einer deutschen Gewerkschaft, so, wie sie ein schwarz-rot-goldener Verein gut gebrauchen kann.
[Ist? War! Bis heute! Und tschüß!]