
BILLI GLÖHNER UND DIE GEWERKSCHAFT
Billi Glöhner, 28, ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
Vollmitglied schon über 5 Jahre. Aber schon vorher war sie bei der
Gewerkschaftsjugend dabei. Das kam so: Ein Kollege hatte zu ihr gesagt,
sie sei doch ein helles Köpfchen. Ob sie sich nicht engagieren
wolle. Ver.di sei eine große Organisation und könne was
für die Lehrlinge tun. Traditionsgemäß gingen die
meisten Lehrlinge dieses Betriebs zur Gewerkschaftsjugend. Die
Melli sei auch jüngst erst eingetreten. Da könne man sich
bilden, habe Geselligkeit und lerne Gleichaltrige kennen; kurz: man
wisse, wo man wäre. Eine gute Sache sei's auch, denn die
Arbeitnehmer müßten zusammenhalten und solidarisch sein,
sonst machten die Bonzen mit ihnen, was sie wollten... Ungefähr so
ähnlich war es dann auch bei der Gewerkschaftsjugend.
Auf einem Bildungsseminar am Wochenende
hörte Billi zum ersten Mal von Ausbeutung und, daß die
Unternehmer nur auf Profit aus seien; daß dagegen nur Kampf um
gerechten Lohn und erträgliche Arbeitsbedingungen etwas helfe;
daß nur die Gewerkschaft diesen Kampf konsequent führe.
Billi erfuhr von der mühevollen Geschichte der Gewerkschaft, aus
der sie aber fast immer gestärkt hervorgegangen sei. Ihr wurde die
Gliederung des DGB erklärt und was dieser seit Kriegsende alles
geleistet habe. Das konnte und könne er aber nur, wenn die
Arbeitnehmer solidarisch seien. Das Wort 'Solidarität' kam
überhaupt sehr oft vor. Klar, Probleme der Jugend, der Lehrlinge
wurden auch angesprochen. Dann ging es sogar über gesellschaftliche Gründe für die ungleiche Behandlung von
Mann und Frau.
Billi ist sogar aktiv geworden, hat an drei Demos teilgenommen und
'Sandwiches' gemalt: "Wenn wir dem Meister Semmeln holen, bleibt uns
die Ausbildung gestohlen." Oder Ungereimtes: "Für eine
qualifizierte Ausbildung." Na ja, das ist für Billi Glöhner
lange her und längst vorbei. Mitglied von ver.di ist sie noch,
aber sonst! Das hat sie bald rausgekriegt, wie der gewerkschaftliche
Laden läuft, damals, als sie, nachdem sie in der Jugend war, mit
22 einen Job bei einem anderen Betrieb fand, wo ihr schon im
Personalbüro der Betriebsrat erzählte, daß drei Viertel
der
Belegschaft bei ver.di seien, obwohl Billi ihn gar nicht danach gefragt
hatte. Also war Kollegin Glöhner jetzt selbstverständlich
gewerkschaftliches Vollmitglied. Die dafür noch notwendigen
Lernprozesse hat sie nach und nach voll mitgekriegt. Hatte sie
bei der Gewerkschaftsjugend gelernt, daß gewerkschaftliche
Betriebsräte und Vertrauensleute die überaus wichtige
Vertretung der Arbeitnehmerinteressen vor Ort in die Hand nähmen,
so mußte sie jetzt feststellen, daß sich ihre Gewerkschaft
im Betrieb vor allem dadurch auszeichnete, daß sie nicht in
Erscheinung trat. Als Billi damals ihre noch naive Vorstellung einem
Kollegen mitteilte, man dürfe es sich nicht länger gefallen
lassen, daß offenkundig vom Betrieb ausspioniert werde - ihr war
diesbezüglich ein Detektiv aufgefallen -, wer viel
Einsatz zeige und wer sich eher herumdrücke, und daß man was
dagegen tun müsse, bekam sie von diesem nur einen ungläubigen
Blick zurück. Später erfuhr Billi dann, daß der Kollege
ein Vertrauensmann war und, aus der Presse, daß ihre Firma auch
Krankheitsdaten von Mitarbeitern sammelte. War so das plötzliche
Verschwinden von Willi zu erklären?
Beim Betriebsrat ist Kollegin Glöhner nur zweimal gewesen. Das
erste Mal bekam sie auf ihre Frage bezüglich der in Unmengen anfallenden, unbezahlten
Überstunden zur Antwort: "Da können wir nichts machen, da
haben wir keine rechtliche Handhabe." Beim zweiten Mal war der
Betriebsrat schon richtig ungehalten: "So viel zu tun... ...wenn wir
uns um alle Querulanten kümmern wollten." Ach so, dachte Billi,
der Betriebsrat ist gar keine Beschwerdeinstanz. Inzwischen weiß
Billi Glöhner, daß ein starker gewerkschaftlicher
Betriebsrat in seinem eigenen Büro sitzt, mit der Firma über
wichtige und unwichtige Dinge einvernehmlich oder nach vielen harten
Verhandlungen Vereinbarungen trifft und damit auf Betriebsversammlungen
angibt, wie sehr er sich um das Beste für die Arbeiter und
Angestellten bemüht habe. Obwohl übrigens die
Betriebsversammlungen immer gleich ablaufen - die Betriebsleitung lobt
die Belegschaft und sagt, welche Maßnahmen unumgänglich
sind; der Betriebsrat gibt an mit seinen Leistungen und ein wenig
Kritik am Management der Firma; ein hergeholter Funktionär der
Gewerkschaft ruft zu gewerkschaftlicher Solidarität auf und redet
dazu unverständliches Zeug von struktureller Arbeitslosigkeit oder
dem Dilemma gewerkschaftlicher Kampfbedingungen - geht Billi
Glöhner doch meistens hin. Und jedesmal ärgert sie sich
nachher, weil sie geglaubt hatte, doch etwas Neues, für sie
Wichtiges über den Gang des Betriebs zu erfahren. Nun gut, auf
jeden Fall weiß Billi Glöhner über ihren starken
gewerkschaftlichen Betriebsrat Bescheid.
Bei zwei Anlässen rechnet
Billi schon damit, daß der Betriebsrat rühriger wird: Wenn
größere Entlassungen anstehen, verbreitet der sein Gejammer
über den schlimmen, aber jetzt nicht mehr zu umgehenden
Arbeitsplatzabbau - den er 'sozialverträglich' gestalten wolle -,
vielleicht sogar auf einer extra Versammlung. Vor allem aber vor den
Betriebsratswahlen legt er los
und versucht zu beweisen, wie sehr die Belegschaft starke
gewerkschaftliche Betriebsräte braucht. - Vertrauensleute erkennt
Billi Glöhner übrigens inzwischen so: 1. überhaupt
nicht; 2. vor
Betriebsratswahlen; 3. weil sie die DGB-Mai-Abzeichen feilbieten,
die Billi albern findet. Sie kann auch mit der ver.di-Mitgliederzeitung
Publik nichts
anfangen. Was hätte ihre Gewerkschaft ihr auch schon Wichtiges
mitzuteilen? Daß noch mehr Solidarität vonnöten sei;
daß deutsche Unternehmer immer schlechter wirtschaften und ihr
Geld in Steuerparadiesen anlegen; daß Frau Merkel nichts wirklich gegen
die Arbeitslosigkeit tut; daß Fußballer für ihr
Geld zu wenig leisten...?
Trotzdem weiß Billi Glöhner, was sie ihrer Gewerkschaft
schuldig ist. Fast jedes Jahr ist sie zur Maikundgebung gelatscht,
nicht mit Transparenten, aber sie ist hingegangen. Das gehört
sich, sagt sich Billi. Nur einmal, da lag der 1. Mai auf einem Montag,
ist sie mit ihrer Tochter für drei Tage aufs Land gefahren und hat auch
nicht gerade ein schlechtes Gewissen bekommen. Auf der Maikundgebung interessierte sie immer ein wenig,
welcher Politiker da ist und ob der Oberbürgermeister auch da ist.
Bald bemerkte sie dann, daß der DGB eine Neben- und
Wahlhilfeorganisation der SPD ist. Seitdem klatscht Billi nicht mehr: Das
Geschimpfe auf die Schwarzen findet sie ganz schön verlogen. So findet sie es
gut, daß die Sache auch wieder rum ist: Ach, sieh da, der Dings
ist auch hingekommen. Der Lafontaine war letztes Jahr besser! Wieviel
sind eigentlich insgesamt hier auf dem Platz, mehr als letztes Jahr?
Hallo Ernstl, auch hier? Ernstl verkauft Maiabzeichen, ist also auch
ein Vertrauensmann, denkt Billi insgeheim.
Letztes Jahr hat Billi Glöhner ihren ersten ordentlichen Streik
mitgemacht. Nun ja, besonders fest hat sie nicht daran geglaubt,
daß was für sie rüberkommt. Schon gar nicht hat sie
drauf gehofft, daß sie selbst das nötige Kleingeld mehr
bekommt. Sie selbst ist ja auf die bescheidene Forderung dieser Tarifrunde auch gar
nicht gekommen. Aber wenn die Gewerkschaft zum Streik aufruft, da
heißt es zusammenstehen. Wenn die Unternehmer so hart bleiben,
heißt es, hart zurückschlagen - das lassen wir uns nicht
gefallen bzw. da müssen wir unserer Gewerkschaft den Rücken
stärken. Bei Billi Glöhner sind zwei Dinge aus diesem
Arbeitskampf irgendwie sitzengeblieben, also die hat sie noch nicht ganz
vergessen:
An dem Tag, als in ihrem Betrieb zum Streik aufgerufen wurde, fanden
sich auf einmal Kollegen einer in einem anderen Stadtteil gelegenen
Filiale ihrer Firma ein. Die hielten den Betrieb zusammen mit den
Azubis, die nicht streiken dürfen, aufrecht. An den Eingängen
hatte die Geschäftsleitung Plakatständer aufstellen lassen:
Der Verkauf gehe ohne Einschränkung weiter - entgegen den
Ankündigungen in der örtlichen Presse. So standen sie
blöd auf dem Parkplatz herum, bis ein Gewerkschaftsfunktionär
kam und auf die uneinsichtigen Arbeitgeber geschimpft hat. Dennoch
hoffe er auf eine baldige Einigung, die schon übermorgen erzielt
werden könne, weil er hoffe, daß der Streik Wirkung zeige.
Am nächsten Tag mußten sie wieder arbeiten und zwar ein
bißchen mehr als sonst, weil etliche Kollegen zu der anderen
Filiale abkommandiert wurden, bei denen heute Streiktag war. Billi
Glöhner kam sich bei all dem ziemlich blöd vor.
Am Samstag hat sie dann noch in der innerstädtischen
Fußgängerzone Flugblätter verteilt, die um
Verständnis für den Arbeitskampf warben.
Zufällig kam der Mann ihrer besten Freundin vorbei. Er hat die
Streik-Aktivistin Billi gesehen. Da hat sie sich geschämt.
Über den Rest hat sie sich schon nicht mehr
gewundert: daß ihre Gewerkschaft das Arbeitskampf-Ergebnis
doch noch als Erfolg ausgibt, na, das müssen die wohl so machen;
daß genau besehen schon wieder eine faktische Nullrunde rausgekommen ist - da
war wohl kaum mehr drin, man müsse ja die schwierige wirtschaftliche
Gesamtlage der Branche berücksichtigen; aber immerhin ist die
Arbeitszeit nicht ausgeweitet worden, worauf die Unternehmer doch so
scharf waren...
Solche Höhepunkte im Leben des Gewerkschaftsmitglieds Billi
Glöhner kommen natürlich nicht so oft vor. Aber mitbekommen
von der Gewerkschaft tut sie so gut wie jeden Tag etwas, in Presse,
Funk und Fernsehen. Da wundert sie sich schon nicht mehr, wenn der teils hölzerne, teils schleimige
DGB-Vorsitzende Sommer die Ruhrfestspiele 2009 in Recklinghausen
eröffnet und ein paar abstrakte Sätze über den
Zusammenhang von Arbeit und Kultur drechselt. Genaugenommen kann Billi
Glöhner damit nichts anfangen, aber sie meint wohl, daß
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie der Sommer
einer ist, so etwas wohl machen müssen. Da kriegt Billi
Glöhner mit, daß der halbe IG Metall-Vorstand mit dem
Wirtschaftsminister in den Vereinigten Staaten war und dort
weltpolitische Äußerungen getan hat, die dem des Ministers in
nichts nachstanden. Was haben gewerkschaftliche Arbeitnehmervertreter eigentlich in Amerika
zu suchen? denkt Billi.
Oder bei der Frau Merkel, der sie doch so vehement vorwerfen, sie
täte nicht genug gegen die Arbeitslosigkeit? Billi Glöhner
hat
sich längst damit abgefunden, daß die Gewerkschaft in die
höheren Sfären der Politik gehört. Manchmal fällt
ihr auf, daß es ihr schwerfällt, ihre
Gewerkschaftsfunktionäre von den anderen Schlipsträgern in
der TV-Runde zu unterscheiden - es sei denn sie kennt sie alle genau.
Den Bsirske kennt sie zwar, seine schulterklopfenden markigen
Sprüche für die Kollegen findet sie soso lala, seinen
Gratis-Urlaubsflug als Lufthansa-Aufsichtsrat nimmt sie ihm nicht
krumm, aber seine psychosoziologischen Windungen und Wendungen in
der Talk-Show hält sie dann doch für ziemlich affig, sie
gehen ihr am Arsch vorbei.
Billi Glöhner ist eben ein ganz normales Mitglied einer
deutschen Gewerkschaft, so, wie sie ein schwarz-rot-goldener Verein gut
gebrauchen kann.
[Ist? War! Bis heute! Und tschüß!]
