Vasilis
Vasilikos –
Βασίλης
Βασιλικός
Die Fotografien [Originaltitel: Οι φωτογραφίες]
In
diesem 1971 ins Deutsche übertragenen Roman setzt sich er sich mit
der neuen Zeit auseiander, erst halb erstanden aus Krieg und
Befreiuungskrieg überwältigt die Moderne.
"Und
mir war, als hätte ich seine Augen geerbt, um das zu sehen, was er
vor seiner Vergasung gesehen hatte. Ich stand vor dem rosaroten Kopf
einer Puppe, deren Augen voll Verwunderung weit aufgerissen waren.
Daneben lag eine alte Zeitung, auf der mit großen Buchstaben zu
lesen war, daß das Spielkasino von Kerkyra [Korfu] »seinen
Betrieb unter der Leitung des deutschen Großunternehmers von
Richthoften wiederaufnehmen« würde. Und wieder stand Inos
vor meinen Augen, auf dem Karren, den Stern am Arm, winkend, und
wußte noch immer nicht, ob er einen Ausflug oder eine weite Reise
machte. In derselben Zeitung stand, daß ein
»Super-Jet« am Vortag erfolgreich in Cape Canaveral erprobt
worden sei."
"Und
wieder überwätigte ihn der Ekel, die Seekrankheit in dieser
haltlosen, schwankenden Gesellschaft, unmenschlich in ihren
Fundamenten, mit politischen Gefangenen, mit Gefängnissen, wo die
Mäuse groß wie wohlgenährte Kater sind, und die Katze
der Frau Coumcan kümmert sich sowenig um die Mäuse wie ihre
Herrin um die Gefängnisse, sie begnügen sich mit dem Spiel
auf der Ebene wilder Tiere – eine Gesellschaft ohne Tradition,
ohne andere Gegenwart als die Modernisierung, die aus Autos besteht,
aus Staubsaugern, aus tausendundeinem Kunststoff, aus organisierten
Auslandsreisen, ..., aus einer Welt, die aus dem Mythos des Herakles
eine Zementfabrik macht und aus dem Fönix, der aus seiner Asche
aufersteht, das Symbol einer Lebensversicherungsgesellschaft,
während die Bauern Hilfe schreien, Sulfate einatmen, während
sich die Dörfer eins nach dem anderen entvölkern...."
"Über ihren Köpfen hing eine große Inschrift: »Sauberkeit bedeutet Kultur. Während der Untersuchung durch die deutschen Ärzte müßt ihr unbedingt
sauber sein, mit gewaschenen Füßen und geputzten
Schuhen.« Sie begriff, daß sie sich vor einem
Auswanderungsbüro befand. ..."
Z
(ζήτα ['zita])
Heute,
1
Jahr nach den dramatischen Ereignissen in Griechenland: Aufgrund eines
Mordes an einem Jugendlichen durch die Polizei – der Prozeß gegen
zwei Polizisten wird erst am 20.01.2010 beginnen – hatte sich ein
Aufstand
entwickelt, mit dem das Etablishement nicht gerechnet hatte. Wie
gewöhnlich drückte es sich um eine Erklärung der
kapitalistischen
Verhältnisse herum, Verhältnisse, die nicht über Nacht
hereingebrochen
waren und die mit dem unmittelbaren Druck staatlicher Gewalt auf den
Jugendlichen und – genaugenommen – nicht nur auf ihnen lasten. Der
stumme Zwang der Verhältnisse war auf einmal nicht mehr stumm.
Den Roman Z veröffentlichte Vasilikos 1968 unter dem Eindruck der Ermordung eines als
Linksextremisten verfolgten Parlamentariers: Der Friedensidealist und
Parlamentsabgeordnete Grigorios Lambrakis (von der ΕΔΑ, Vereinigung der
demokratischen Linken, Vorläufer der ΠΑΣΟΚ) wird am 22.05.1963
ermordet, nachdem er in Thessaloniki eine Kundgebung für den Frieden
abgehalten hat. Ermordet von der ehrenwerten Gesellschaft, die sich
nicht selber die Hände schmutzig macht, sondern dafür die Not haltlos
gewordener Menschen in Anspruch nimmt. Ermordet von Kreisen im
griechischen Staatsapparat, die dort bis heute über Einfluß verfügen
und mit der sich die Papandhréu-Partei PASOK längst arrangiert hat, was
ihr ermöglichte, von der Abschußliste jener gestrichen zu werden.
Das
Bemerkenswerte an den in Romanform gegossenen Ereignissen ist zunächst
einmal, daß die nach rechts offene Ideologie der herrschenden Kreise
ebenso zur Sprache kommt wie ihre gleichsam natürliche Abneigung gegen
alles, was auch nur nach Sozialismus riecht, sofern es sich also
anstellt, die Staatsräson nicht zu teilen: Staatsgewalt unter die Moral
zu stellen, obschon bzw. gerade weil die aus ihr abgeleitet wird, ist
für jene Kreise ein Verbrechen. Dabei mag man es geradezu als Hohn der
Geschichte betrachten, daß ausgerechnet dabei auch noch das Moskauer
Bolschoi-Ballett eine Rolle spielt: Mit dem Obermoralisten Chrustschow
- er hatte seinen legendären Vorgänger aufs schärfste der Unmoral
bezichtigt - hat sich an der konterrevolutionären weltpolitischen Rolle
der Sowjetunion nichts geändert. Im speziellen: Stalins Verrat an den
griechischen Kommunisten findet hier seine Fortsetzung als Farce. Was
im übrigen den Sowjets nicht zur Last gelegt wird: Wie sollte es auf
der Ebene der Unterhaltung auch Anfeindungen geben?
Als ob das
alles nicht schon fänomenal genug wäre, würzt Vasilikos seinen Roman
mit Original-Zitaten aus der griechischen Presse: Wie sie sich anstellt, den
Mord zu bewältigen, wie sie alle Register journalistischen Know-hows
zieht, wie sie gar versucht, den Kommunisten selber den Mord
anzulasten, um dann auch wieder einen kleinen Schritt zurückgehen zu
können und in verlogenster Form anderweitige Bedenken und
Bedenklichkeiten zu ventilieren. All das aufgelistet zu haben, ist mehr
wert als jedes Lehrbuch des Journalismus, wie es sich an den
Universitäten findet: Es ist ein fulminanter Angriff auf den
Journalismus als (bürgerlichen) Ausbildungsberuf. Denn der Journalismus
zielt darauf ab, das Gewaltsystem des Kapitalismus mit aller Wortgewalt
zu verteidigen und nichts anderes.
Der Roman wurde ürbigens von Kostas Gavras mit der Musik von Mikis
Theodhorakis 1969 verfilmt (die griechische DVD von der Tageszeitung
ΤΑ ΝΕΑ herausgegeben (Doppel DVD mit 3
Filmen von Gavras auf französisch mit griechischem Untertitel; der Film
wurde auch auf deutsch damals gezeigt, allerdings so wohl kaum auf DVD
erhältlich). Er erhielt einen Oskar für den besten
fremdsprachigen Film und für die Bearbeitung. [Foto aus dem Film]
Das Buch ist in deutscher Sprache bei rororo und KiWi erschienen.