Obamas Abrüstungsrede in Prag
Reset mit Rußland in der Atomfrage

Der neue Präsident ist unzufrieden mit dem Erbe, das ihm seine Vorgänger in Bezug auf die strategische Lage der USA hinterlassen haben:

"Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des kalten Krieges. (...) Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. Mehrere Nationen haben solche Waffen entwickelt, die Tests gehen weiter, der Handel auf dem Schwarzmarkt mit spaltbarem Material blüht. Die Technologie zum Bau einer Bombe wurde verbreitet." (Obama, Rede in Prag am 5.4.09)

Die erfolgreiche Zersetzung des kommunistischen Machtblocks und nun bald 10 Jahre entschlossener Krieg gegen den Terror haben entgegen aller schönen Hoffnungen und Ankündigungen die Welt für
die Supermacht keineswegs zu einem better place gemacht; dem neuen Chief in Command stellt sie sich summa summarum eher dar als eine stets wachsende Ansammlung von außer Kontrolle geratenen Nuklear-Problemfällen.
Da ist es auch kein Trost, daß mit dem Untergang der Sowjetunion die Gefahr eines Atomkriegs so gut wie verschwunden ist. Verschwunden ist damit nämlich auch das – wie paradox auch immer gestrickte – ehemalige gemeinsame Kontrollregime der beiden Haupt-Atommächte über das gefährliche Zeug, wie Obamas Strategen jetzt bedauernd feststellen müssen:

"Unglücklicherweise ist das amerikanisch-russische Verhältnis, das in den 90-er Jahren zu einer bisher nie dagewesenen Kooperation in Fragen der nuklearen Non-Proliferation geführt hatte, zerbrochen.” (Center for American Progress, Orienting the 2009 Nuclear Posture Review, November 2008)

Und die Obama-Administration weiß auch, welcher Politik Amerika die neue Unübersichtlichkeit im weltweiten Umgang mit dem hochangereicherten Stoff zu verdanken hat: Der Konfrontationskurs, wie ihn insbesondere die Bush-Regierung gepflegt hat, hat sich ganz offenkundig nicht bewährt – weder im Umgang mit Rußland noch dem Rest der nuklear unmaßgeblicheren Welt.
Das Rezept schien klar: Die verbliebene Supermacht nutzt das Ende des Kalten Kriegs und den Niedergang ihres einstigen Gegenspielers als Gelegenheit, ihn nach Kräften weiter zu schwächen und einzuhegen, das eigene Waffenarsenal in allen Gattungen so fortzuentwickeln, daß mögliche Problemfälle für die amerikanische Friedensordnung von vornherein zuverlässig abgeschreckt und im Fall des Falles in einem asymmetrischen Krieg vom Typus "Shock and Awe" entwaffnet werden können – und sich bei dieser unipolaren Betreuung der Welt weder von überflüssigen Rücksichtnahmen auf einen keineswegs impotent gewordenen Russenstaat noch durch eine rasante Zunahme der zu betreuenden Problemfälle bremsen zu lassen, im Gegenteil. Bush hat die Rüstungsdiplomatie friedlich einschlafen
lassen, weil ihm vertragliche Abmachungen mit einem deklassierten Gegner wie eine völlig unnötige Aufwertung Rußlands und eine ebenso unnötige Selbstfesselung amerikanischer Rüstungsfreiheit galten. Der letzte abgeschlossene Rüstungsbegrenzungsvertrag SORT [Strategic Offensive Reductions Treaty] paßt fast auf den berühmten Bierdeckel und ist dem breiteren Publikum gar nicht zufälliger Weise bis heute so gut wie unbekannt geblieben; das mit Rußland vereinbarte Atomteststop-Abkommen wurde von den USA gar nicht mehr ratifiziert.
Bei den turnusmäßigen Konferenzen zur Überprüfung und Fortschreibung des Atomwaffensperrvertrags hat sich die Weltmacht mit einer Mischung aus Mißachtung eigener Pflichten zur Abrüstung – unter Bush wurden selbstverständlich neue Atomwaffen entwickelt und in Dienst gestellt – Abschmetterung aller Kritik am illegalen Atomstaat Israel, Anprangerung der notorischen Schurkenstaaten und kompromißlose Einschwörung der Staatenwelt auf die US-Position so unbeliebt gemacht, daß man sich zuletzt nicht einmal mehr auf eine Agenda einigen konnte.
Das Vertrauen auf die schier unbegrenzte Produktivkraft amerikanischer Gewalt hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Die Atommacht Rußland hat ihre Arsenale gepflegt und erweitert und dient ihre Potenzen zur Proliferation an, wo ein Geschäft winkt. Von Kooperation keine Spur, ganz im Gegenteil ist mit dem Georgien-Krieg die Klarstellung ergangen, daß man im Kreml nicht gewillt ist, sich amerikanischen Interessen bedingungslos unterzuordnen. Der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ist so zur Makulatur geworden und mit der Zahl der Staaten, die über das vernichtungsträchtigste aller Kriegsmittel verfügen, sieht die neue US-Regierung auch das Risiko eines Terrorangriffs mit Nuklearwaffen wachsen. Was hier auftritt in Gestalt der Sorge um die Verwundbarkeit Amerikas ist der imperialistischen Sache nach die Sorge um eine Beschränkung amerikanischer Abschreckungsmacht: Die zunehmende Verfügung anderer Staaten über das letzte Mittel des Kriegs relativiert die Freiheit der Weltmacht zur stufenlosen Eskalation in jeder Konfliktkonstellation, auf der ihre globale Abschreckungsmacht beruht.
Dagegen nutzt die Fortführung der Kur, die Welt durch immer noch mehr Gewaltanwendung zu beeindrucken und im Zweifelsfall zu entwaffnen, nichts; und gegen Atomwaffen in den Rucksäcken der Taliban schon gleich nicht, das hätte Bush in seiner eigenen Sicherheitsdoktrin nachlesen können:
"Herkömmliche Abschreckungskonzepte greifen gegenüber terroristischen Feinden nicht." (Nationale Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten, 2002)

Den Kalten Krieg offiziell beenden
Mehr Atomwaffen, weniger Sicherheit und Berechenbarkeit für die USA als zu Zeiten des Kalten Kriegs: Damit will Obama Schluß machen und die unproduktive Politik der letzten Jahre, in denen die USA dem Putin-Staat den Status eines stark rückfallgefährdeten und vor allem durch viel Druck resozialisierungsbedürftigen (Ex-Verbrecher-)Staats zugewiesen hatten, beenden, aus dem Zwischenzustand zwischen unversöhnlicher Feindschaft, Mißachtung russischer Rechte und der nie nach Wunsch erfüllten Dauerforderung nach "Compliance" herauskommen und, wenn man so
will, den faktisch längst erledigten Kalten Krieg endgültig und ausdrücklich beerdigen.
Zur Untermauerung ihres ernsthaften Willens zu einem Kurswechsel brechen die USA ostentativ mit der Bush-Tradition: Sie zollen Rußland wieder Respekt als Vertragspartner, kündigen an, bei der Abrüstung in Vorleistung zu gehen und laden in aller Form ein, gemeinsam "das Denken des Kalten Kriegs zu beenden":

"Zunächst einmal werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen. Das Denken des kalten Krieges zu beenden, dafür brauchen wir eine Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in unserer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie. Andere mögen das gleiche tun. Aber damit kein Mißverständnis entsteht: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal behalten, um jeden Gegner potenziell abzuschrecken und unseren Verbündeten (...) zur Hilfe kommen zu können. Aber wir werden die Arbeit an der Reduzierung unseres Arsenals einleiten, unsere Gefechtsköpfe und Arsenale reduzieren. Und dafür werden wir einen neuen Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen in diesem Jahr mit Rußland verhandeln." (Obama, Rede in Prag am 5.4.09)

Der Kreml soll offiziell zur Kenntnis nehmen, daß Amerika Rußland nicht mehr als unversöhnlichen Feind betrachtet; daß daher der atomare Schlagabtausch im strategischen Kalkül der USA seinen Stellenwert verloren hat und mit der Doktrin der Mutual Assured Destruction auch die für sie aufgetürmten Vernichtungsarsenale hinfällig geworden sind, also Abrüstung ansteht. Die Anfrage geht dahin, ob diese Sichtweise in Moskau konsensfähig ist, so daß man sich von der der atomaren Rüstung gegeneinander wie den überflüssig gewordenen Waffen verabschieden und das gemeinsame Bekenntnis zum Ende der atomaren Konfrontation in einem Abrüstungsregelwerk auch in aller Form ratifizieren könnte. Damit gleich verbunden ist die weitere Anfrage, ob Rußland sich Obamas neuer Definition der strategischen Lage – von wegen: "gefährlichstes Erbe" – anschließen und an ihrer Bewältigung beteiligen könnte.
Die Anfrage wird fürs Erste in beiden Hinsichten positiv beantwortet; die Botschaft, daß eine nützliche Kooperation wiederhergestellt werden soll und Rußland den schon lange beantragten Respekt als Großmacht erfährt, ohne die eine Neuverteilung der Verfügungsrechte über nukleare Potenzen weltweit nicht zu machen ist, hört man gern:

"Als Staaten mit den zwei größten Nukleararsenalen sind wir überein gekommen, unsere Verpflichtungen nach Artikel VI des Vertrags über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen (NPT) zu erfüllen und Führerschaft zu zeigen bei der Verringerung der Nuklearwaffen in der Welt." (Gemeinsame Erklärung der Präsidenten Medwedew und Obama, 1.4.09)

Der Chef der Russen steht bereit, sich an Obamas Angebot zu beteiligen, die nuklearen Potenzen und Erpressungsmittel seiner Nation zu den amerikanischen zu addieren und mit einer Fast-Monopolmacht in konzertierter Aktion dafür zu sorgen, daß die Atom-Kleinstaaten ihr Potential minimieren oder es sich gleich ganz entwinden lassen, die anderen sollen zuverlässig von diesem letzten Kriegsmittel ferngehalten werden:

"Das Angebot lautet: Länder mit Nuklearwaffen rüsten ab, Länder ohne Atomwaffen streben nicht nach ihnen und alle Länder können Zugang zur friedlichen Nutzung von Atomenergie bekommen." (Obama, Rede in Prag am 5.4.09)

Dabei ist aber auch der nicht unwesentliche Widerspruch in Rußland nicht übersehen worden, daß die als Teamwork angestrebte weltweite Abrüstung das Ziel der strategischen Parität mit den USA konterkariert. Schließlich soll Medwedew nach dem Vorbild der USA die Bedeutung der Nuklearwaffen in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie herunterstufen – in der sie derzeit die Hauptrolle spielen. Die Größenordnung, die Obama ins Auge faßt (Reduzierung zunächst auf etwa die Hälfte der aktuellen Bestände) läßt die Russen befürchten, daß das ihnen verbleibende Arsenal ihnen zwar vielleicht den Status einer Großmacht im Verhältnis zu Indien oder China sichert, in Bezug auf die USA aber wirkungslos wird:

"In den letzten Jahren (...) haben die USA ihre Überlegenheit bei den konventionellen Waffen gesteigert – bei hochpräzisen nichtnuklearen Systemen, die in der Lage sind, so gut wie jedes Ziel zu treffen, einschließlich der Ziele, die bisher nur durch Atomwaffen verwundbar waren. In einer atomwaffenfreien Welt hätten die Vereinigten Staaten absolute militärische Überlegenheit.” (Sergei Rogov, director, USA and Canada Institute, rfe/rl, 15.4.09)

Daran soll die neue Kooperation aber nicht scheitern: Die russischen Sorgen werden als verhandlungsfähig anerkannt und gehen zusammen mit den bisher erzielten strategischen Fortschritten gegen Rußland als Stoff in den anstehenden Deal ein, bzw. in den Streit im Vorfeld, was überhaupt Gegenstand der Verhandlungen werden soll. In dem sehr dialektischen Unterfangen, den potenten Partner als Mitmacher zu gewinnen für ein weltweites nukleares Abrüst- und Kontrollregime und ihn zugleich weiter abzurüsten, womöglich auf ein Niveau, das die USA nahe an das Ideal der Unverwundbarkeit
durch die russische Atomstreitmacht heranbringt, kehrt die amerikanische Führung bislang – damit ihr Projekt nicht gleich wieder versandet – demonstrativ die Seite ihrer Konzessionsbereitschaft heraus und den Willen, alte, für Rußland schädliche Positionen der USA aufzugeben:
Die US-Verhandlungsführerin signalisiert Bereitschaft, der Forderung der Gegenseite nachzukommen und über die atomaren Sprengköpfe hinaus auch die Trägersysteme in die Verhandlungen mit einzubeziehen, die neu entwickelte konventionelle Sprengköpfe mit einer Nuklearsprengköpfen vergleichbaren Vernichtungswirkung tragen können. Auch das geplante Raketenabwehrsystem der USA in Europa wird zur verhandelbaren Größe: Das russische Angebot, ein Radar in Aserbaidschan oder Südrußland anstelle des in Tschechien vorgesehenen einzusetzen, ist (wieder) im Gespräch, ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird auch ein Verzicht auf das ganze System im Gegenzug für russische Kooperation beim Proliferations-Problemfall Iran. Usw.

Mit Rußland ein wirksames Nonproliferationsregime installieren
Die Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung für den START-Vertrag ordnet Obama ausdrücklich als bloßen Einstieg in ein viel weiter reichendes Abrüstungsprogramm ein, das auch andere Waffengattungen wie die taktischen Atomwaffen erfassen soll, vor allem aber auf eines zielt: entscheidende Fortschritte bei der Durchsetzung der Nonproliferation. Hier braucht es russische Kooperation ganz unbedingt: Der Partner ist nämlich selbst die Hauptgefahrenquelle der Verbreitung von Nuklearmaterial und -technologie weltweit.
Dies (trotz Stabilisierung der Machtverhältnisse) immer noch wegen des mangelnden zentralen Kommandos über die enormen atomaren Kapazitäten des Riesenreichs, vor allem aber wegen der Wiederauferstehung der Macht. Rußland verfügt über die nötigen Technologien für die zivile wie militärische Nutzung der Atomkraft und ringt darum, sich auf diesem politisch wie ökonomisch wichtigen Feld gegen amerikanische Ausgrenzungsversuche zu behaupten; der wichtigste Streitfall ist der Iran.
Hier setzt Obama auf die Kraft der Integration: Er verspricht, den von Bush junior auf den Weg gebrachten, dann stillgelegten russisch-amerikanischen Vertrag über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der zivilen Atomenergiewirtschaft in Kraft zu setzen und der russischen Atomindustrie die bislang verwehrte Lizenz zur globalen Betätigung zu erteilen – auch auf dem enormen amerikanischen Markt; zum anderen winkt dem neuen Partner die Möglichkeit, als anerkannte Wiederaufarbeitungszentrale in einem von den beiden Hauptatommächten der Welt künftig auferlegten strikteren Nichtverbreitungs-Regime eine politische Schlüsselstellung einzunehmen und zugleich schönes Geld zu verdienen. Dafür sind gewisse "Anstrengungen" unumgänglich:

"(...) möchte ich heute eine internationale Anstrengung ankündigen, alles spaltbare Material auf der Welt innerhalb von vier Jahren zu sichern. Neue Standards und Normen zu schaffen, eine stärkere Kooperation mit Rußland einzuleiten, um alle Möglichkeiten zu verfolgen, dieses Material unter Kontrolle zu bekommen. Dann müssen wir die schwarzen Märkte unter Kontrolle bekommen, den Handel unterbinden und alle Instrumente einsetzen, um diesen gefährlichen Handel zu unterbinden. (...) mehr Ressourcen, mehr Autorität für internationale Inspektionen. (...)Vor allem müssen wir dafür sorgen, daß niemals Terroristen in den Besitz von Atomwaffen kommen. (...) Unmittelbare Konsequenzen muß es geben für Länder, die die Regeln ignorieren (...)
Einige Länder werden die Regeln mißachten. Und deshalb brauchen wir eine Struktur, die sicherstellt, daß es bei einer Mißachtung Konsequenzen für das entsprechende Land gegen wird. Gerade heute wurden wir noch einmal daran erinnert, warum wir einen neuen, energischeren konsequenteren Ansatz gegen diese Bedrohung brauchen. Nord-Korea (...) Regeln müssen eingehalten und ihre Verletzungen bestraft werden (...) Jetzt ist es an der Zeit für eine starke internationale Reaktion!" (Obama, Rede in Prag am 5.4.09)

Rußland soll die amerikanische Problemdefinition übernehmen und sich für die lückenlose Kontrolle jeglichen spaltbaren Materials auf der Welt stark machen –- also seine bisherigen Geschäftspraktiken und -partner (Iran!) wie überhaupt die Idee einer exklusiven Atompolitik aufgeben. Weil Kontrolle bekanntlich besser ist als Vertrauen, peilt Obama hier mehr als Absichtserklärungen oder bilaterale Vereinbarungen an. Das neue Kontrollregime soll in die Form eines international anerkannten, fest institutionalisierten rechtlichen Regelwerks gegossen werden, das nicht mehr und nicht weniger enthält als die verbindliche Selbstverpflichtung aller Nationen – die eigene ist da nicht ausgenommen –, Inspektoren in jedes Labor zu lassen, insbesondere natürlich in die (überwiegend russischen), in denen mit hochangereichertem Uran hantiert werden könnte, und sich strafbewehrten "Regeln" zu unterwerfen, die für jedes festgestellte Vergehen zwingend entsprechende Sanktionen fordern. Diese "Struktur" hätte den Charme, daß China und wen er da sonst noch im Sinn haben mag, nicht mehr darum herumkämen, sich an einer "starken internationalen Reaktion" zu beteiligen, wenn Gaszentrifugen unerlaubt den Besitzer wechseln oder die Falschen eine Rakete abschießen – statt wie bisher von den USA angeleierte Sanktionen und Boykotts zu unterlaufen und mehr oder minder unwirksam zu machen. Regelmißachtungen in Nuklearfragen sollen deswegen auch gleich vor dem obersten Gewaltorgan verhandelt werden; Obama denkt da an einen "automatischen Verweis an den UN-Sicherheitsrat".

Flankierende Nonproliferations-Diplomatie auch mit den Störfällen

Ein hartes Sanktionsregime allein, davon geht der Präsident aus, wird für die Verwirklichung seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt nicht reichen. Neben den Versuchen, Rußland tüchtig "einzubinden", bemüht sich die US-Regierung deshalb auch intensiv um die Staaten minderer Statur. Der von Bush ignorierten Kritik der blockfreien Länder, die USA verfolgten einen "diskriminierenden Ansatz" und würden "mit zweierlei Maß messen", wenn es um Nukleartechnologie für Entwicklungsländer gehe (der iranische NPT-Gesandte Hosseini), hört die neue Regierung nicht nur zu, sie kommt ihr entgegen, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ihre beiden Hauptforderungen – Ratifizierung des Atomteststopp-Abkommens und Erfüllung der Abrüstungsverpflichtungen durch die USA – sind bei Obama ja in den besten Händen, und über Tabuthemen, die Bush routinemäßig von der NPT-Agenda gestrichen hatte, wie z.B. die nukleare Bewaffnung Israels, oder neue Streitfälle, wie den Sonderstatus, den Amerika der Atomacht Indien verliehen hat, wird neuerdings Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die neue Flexibilität im Weißen Haus dient – wie gesagt – einem ehrgeizigen Ziel: den Staaten weltweit die Unterwerfung unter ein Nichtverbreitungsregime schmackhaft zu machen, das es den USA mit russischer Unterstützung gestatten würde, das Monopol über alles spaltbare Material zu verwalten. Im Gegenzug für den Verzicht auf Eigenmächtigkeiten bliebe den Atomaspiranten die geballte Feindschaft der beiden stärksten Nationen ("Isolation und internationaler Druck") erspart, "Zugang zur friedlichen Nutzung von Atomenergie" wäre erlaubt – freilich gebunden an Lizenzbedingungen und internationale Aufsichtsrechte.

GegenStandpunkt & Diskussion (Bremen)