USA: Das Ende der Sklaverei vor 100 Jahren

Der nordamerikanische Bürgerkrieg war kein Aufstand von Sklaven und anderweitig gesellschaftlicher Benachteiligter, wie sie die Klasse der Lohnarbeiter in den industrialisierten Städten Neu-Englands war. Es war ein Krieg um das Quidproquo der kapitalistischen Staatsräson. Erinnern wir uns deshalb erst einmal an Marx' Sätze, damit wir wissen, mit welchem Gegenstand wir es bei der »Abschaffung der Sklaverei« zu tun haben:

"Die Voraussetzung bei der kapitalistischen Produktionsweise ist also diese: die wirklichen Ackerbauer sind Lohnarbeiter, beschäftigt von einem Kapitalisten, dem Pächter, der die Landwirtschaft nur als ein besondres Exploitationsfeld des Kapitals, als Anlage seines Kapitals in einer besondern Produktionssphäre betreibt. Dieser Pächter-Kapitalist zahlt dem Grundeigentümer, dem Eigentümer des von ihm exploitierten Bodens, in bestimmten Terminen, z.B. jährlich, eine kontraktlich festgesetzte Geldsumme (ganz wie der Borger von Geldkapital bestimmten Zins) für die Erlaubnis, sein Kapital in diesem besondern Produktionsfeld anzuwenden. Diese Geldsumme heißt Grundrente, einerlei ob sie von Ackerboden, Bauterrain, Bergwerken, Fischereien, Waldungen usw. gezahlt werde. Sie wird gezahlt für die ganze Zeit, während deren kontraktlich der Grundeigentümer den Boden an den Pächter verliehen, vermietet hat. Die Grundrente ist also hier die Form, worin sich das Grundeigentum ökonomisch realisiert, verwertet. Wir haben ferner hier alle drei Klassen, welche den Rahmen der modernen Gesellschaft konstituieren, zusammen und einander gegenüber - Lohnarbeiter, industrieller Kapitalist, Grundeigentümer.

Kapital kann in der Erde fixiert, ihr einverleibt werden, teils mehr vorübergehend, wie bei Verbesserungen chemischer Natur, Düngung usw., teils mehr permanent, wie bei Abzugskanälen, Bewässerungsanlagen, Nivellierungen, Wirtschaftsgebäuden etc. Ich habe anderswo das der Erde so einverleibte Kapital la terre-capital genannt. Es fällt unter die Kategorien des fixen Kapitals. Der Zins für das der Erde einverleibte Kapital und die Verbesserungen, die sie so als Produktionsinstrument erhält, kann einen Teil der Rente bilden, die dem Grundeigentümer vom Pächter gezahlt wird, aber sie konstituiert nicht die eigentliche Grundrente, die für den Gebrauch des Bodens als solchen gezahlt wird, er mag sich im Naturzustand befinden oder kultiviert sein. Bei einer systematischen Behandlung des Grundeigentums, die außerhalb unsres Plans liegt, wäre dieser Teil der Einnahme des Grundeigentümers ausführlich darzustellen. Hier genügen wenige Worte darüber. Die mehr temporären Kapitalanlagen, die die gewöhnlichen Produktionsprozesse in der Agrikultur mit sich führen, werden alle ohne Ausnahme vom Pächter gemacht. Diese Anlagen, wie die bloße Bebauung überhaupt, wenn sie einigermaßen rationell betrieben wird, also sich nicht auf die brutale Aussaugung des Bodens reduziert, wie etwa bei den ehemaligen amerikanischen Sklavenhaltern - wogegen sich jedoch die Herren Grundeigentümer kontraktlich sichern -, verbessern den Boden steigern sein Produkt und verwandeln die Erde aus bloßer Materie in Erde-Kapital." (Marx, MEW 25, S. 631ff)

Historisch vorausschicken muß man sicher auch den Hinweis Sidney G. Fischers, den er in seinem Werk "The Ture History of the American Revolution« gemacht hat, in dem er ausdrücklich darauf hinwies, daß es sich bei den amerikanischen Kaufleuten der neuen Kolonien um Schmuggler oder Sklavenhändler oder oft beides handelt. Immerhin war diese Klasse zunächst auch die politisch einflußreichste, die, die gegen England den Krieg begann. Bekanntlich machten die amerikanischen Schmuggler den Engländern Mühe, ihre Produkte abzusetzen. An die Aufhebung der »Stempelsteuer« 1866,  war auch gleich – um etwaigen Mißverständnissen zuvorzukommen – geknüpft, daß England das Recht zustehe, jederzeit für die Kolonien bindende Gesetze zu erlassen, und, daß die amerikanische Unterscheidung in in- und ausländische Besteuerung unzulässig sei. Dies nutzte dann der neue englische Finanzminister Townshend 1867, um neue Zölle zu erheben. Als dann der englische Ausfuhrzoll, unter dem die englischen Exporteure litten, 1770 nach dem »Boston massacre« (englische Soldaten wurden von Amerikanern verhöhnt und schossen daraufhin in die Menge) aufgehoben wurde, kam es schließlich zu dem, was als »Boston Tea Party« (1773) in die Geschichte einging: Die amerikanischen »Schmuggler« widersetzten sich plakativ der britischen Bevormundung, denn der Zoll auf Tee war zum Zeichen der Souveränität Englands aufrechterhalten worden. In Amerika wurde dies als »Kennzeichen der Sklaverei« empfunden. Schon vor dem Vorfall war offen ausgesprochen worden, z.B. von der Volkskammer in Massachussets, daß aufgrund der immer tiefgreifender werdenden gegensätzlichen Interessen, eine Loslösung von England die einzige Lösung sei.
Es waren die Antischmuggler-Gesetze Englands und die, die eine Ausdehnung der Industrie in den Kolonien untersagten, sowie Englands Restriktionen gegen die Landspekulation im Westen, die der Abhängigkeit vom Mutterland dem nicht zuträglich erschien, welche zunehmend den Zorn der aufstrebenden Geldkreise auf sich zogen.


Was also war die Grundlage der Unabhängigkeit der USA? Dazu der spätere Präsident James Madison:
"Die nach Annapolis und später nach Philadelphia gesandten Abgeordneten wurden aus Rücksicht auf die Bedürfnisse der Geschäftsleute dieses Landes zusammengeführt, nicht um den Plan einer idealen Regierung zu entwerfen, sondern einen praktischen Plan, der die geschäftlichen Forderungen des Volkes erfüllte." (zit. nach McMaster, The Acquisition of the Political, Social and Industrial Rights of Man in America, 1903, S. 27)

Von Anfang an war es dennoch so, daß die Geschäftsleute nicht in allen Fragen einer Meinung waren. So billigte der Norden dem Süden gegen die Erlaubnis von Schutzzöllen zu, bis zum 01.01.1808 weiterhin Sklaven einführen zu dürfen [mit 7:4 Länder-Stimmen - alle Entscheidungen wurden nicht im Konsens, sondern per Abstimmung getroffen]. Bis dahin sollten die Sklaven sich selber reproduzieren können, was für die Halter natürlich umständlicher war, als immer neue Sklaven – ausgewählt nach Tauglichkeit – einführen zu können. Was dem Nord-Vertreter John Adams (ebenfalls später Präsident) nicht einleuchtete: Ob ihr eure Leute Freie oder Sklaven nennt, ist ganz belanglos. In manchen Ländern werden die arbeitenden Armen freie Männer genannt, in anderen Sklaven, aber der Unterschied besteht nur in der Einbildung. Was macht es aus, ob ein Gutsbesitzer, der zehn Arbeiter auf seiner Farm angestellt hat, ihnen jährlich gerade genug Geld gibt, um sich Lebensmittel kaufen zu können, oder ob er ihnen diese Lebensmittel direkt gibt." (zit. nach Woodrow Wilson, History of the American People, vol III, 1901, S.120)
Wie die Sklavenfrage als nationales Problem behandelt wurde, machte die divergierende Haltung der Bundesstaaten deutlich: Lediglich in dem 1777 von New York abgespaltenen Vermont und in Massachussets (1784) war Sklaverei gesetzwidrig, beide Staaten zogen ohnehin keinen Nutzen aus ihr. In New Hampshire beschränkte sich deren Freiheit auf die nach dem Erlaß 1784 ansässig Geborenen. In den Staaten Pennsylvania, Connecticut, Rhode Island, New York und New Jersey blieben die Sklaven Sklaven, ihre Kinder aber mußten mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters (21., 25. oder 28.) in die Freiheit entlassen werden. Im Staate New York wurden 1827 alle Sklaven frei, gleichzeitig ihr Ein- und Ausfuhrverbot verhängt. (Eine Episode ist die Rückführung freigewordener Sklaven, überzähligen Menschenmaterials nach Afrika – hierfür wurde 1822 die Republik Liberia gegründet.)

Der Sklavenhandel, dessen Monopol sich die englische Krone im Vertrag von Utrecht 1713 gesichert hatte, war mit der amerikanischen Unabhängigkeit also nicht vorbei. Vor allem auch deshalb, weil die meisten Nordstaaten nicht schlecht davon mit-profitierten: So wurde die Produktion von neuenglischen Alkoholika (vor allem Rum aus westindischem Zuckerrohr-Sirup) ein Exportschlager in Afrika. Die Schiffe, die die Getänke dorthin brachten, brachten die dafür eingetauschten Sklaven mit zurück. Die Faneuil Hall in Boston beispielsweise wurde aus dem Gewinn dieses Geschäfts errichtet. Dieses Handelshaus gilt als »Die Wiege der Freiheit« (»The Cradle of Liberty«).
So nimmt es kaum Wunder, daß folgender vorliegender Abschnitt in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung dann doch nicht aufgenommen wurde: "Er [der englische König] hat gegen die menschliche Natur selbst Krieg geführt, die heiligsten Rechte des Lebens und der Freiheit der Individuen eines entfernten Volkes, das ihn nie gekränkt hatte, dadurch verletzt, daß er sie einfing, sie nach einem anderen Erdteil in die Sklaverei schleppte oder auf dem Transport dorthin zu einem elenden Tod verdammte. Ein solcher Piratenkrieg, eine Schmach für mohammedanische Staaten, ist die Kriegführung des christlichen Königs von England. Er hat sein Vetorecht zur Unterdrückung jedes Versuchs der gesetzgebenden Körperschaft mißbraucht, einen so schmachvollen Handel zu verbieten oder wenigstens einzuschränken, da er entschlossen war, einen Markt offen zu halten, auf dem Menschen gekauft und verkauft werden sollten." (zit. nach Algie Martin Simmons, Class Struggles in America, 1908 [1906], S. 50)

Nun hat die einsetzende, rapide sich entwickelnde Industrialisierung des Nordens durchaus ihre Auswirkungen gezeitigt. Der Sklavenhandel war nur noch ein Nebengeschäft im Norden, der Baumwollanbau wurde produktiver durch die Baumwollreinigungsmaschine, d.h. weniger Sklaven wurden gebraucht. Die Einfuhr von Sklaven erübrigte sich so quasi ganz von selbst, der Einsatz der ansässigen, sich vermehrenden aber (noch) nicht. Allerdings auch nicht überall: Beim Zuckeranbau in Lousiana gab es steigenden Bedarf und so plädierte dieser Staat für die Wiederzulassung der Sklaveneinfuhr. Dagegen traten Sklaven züchtende Staaten wie Virginia und Maryland auf.
Als im Jahre 1831 in Virginia ein Sklavenaufstand ausbrach, wurde dieser den Kämpfern für die Sklavenbefreiung im Norden, »Yankees« gerufen, in die Schuhe geschoben, was die Gräben allenthalben vertiefte. Wahr daran ist nichts, aber das trug zu der 1836 im Repräsentantenhaus gefaßten »Knebel«-Resolution bei, nach der Fragen der Sklaverei nicht mehr einer Befassung sich erfreuen durften. Das wiederum führte zu der agitatorischen Retourkutsche, daß die weißen Sklavenhalter nicht nur die Freiheit der Schwarzen, sondern auch die der Weißen bedrohe.

Insbesondere die Ausdehnung der Union nach Westen brachte einen beständigen Kampf um die Sklavereifrage. Wir überspringen Texas, das sich von Mexiko löste, Kalifornien, in dem Gold gefunden wurde, und die Kansas-Nebraska-Akte von 1854, nach der die dortige Bevölkerung über ein Ja oder Nein zur Sklaverei entscheiden sollte (»Squatter-Souveränität«). Alle diese Affären machten den Gegensatz nur umso unüberwindlicher, während das Kapital im Norden akkumulierte, was das Zeug hielt, wobei es gleichzeitig nach seiner Verwertung im neuen Westen Ausschau hielt.

So kam es, wie die kapitalistische Rationalität es erfoderte:

"Sklaven sind teure Produktionswerkzeuge, und die Waren die sie erzeugen, müssen verkauft werden, um die Leute mit Kleidung und Lebensmitteln zu versorgen. Ein von Sklaven betriebenes Unternehmen, das alle die Waren erzeugt, die es gebraucht, und nichts auf den Markt schickt, mag unabhängig dastehen; aber sobald es für einen Markt arbeitet, gerät es in Abhängigkeit von ihm, sowohl in seinen Verkäufen als auch in seinen Käufen. Da der Pflanzer seine Leute zu versorgen hat, muß er oft sein Produkt zu diesem Zwecke verkaufen. Eine Sklavenbevölkerung behindert ihre Besitzer in mehrfacher Weise, und wir haben Grund zu der Annahme, daß der niedrige Preis, zu dem Erzeugnisse der Sklavenarbeit  verkauft werden, die Folge der Notwendigkeit ist, die die Sklavenbesitzer zwingt, zu verkaufen, um seine Leute am Leben zu erhalten. Die Verantwortung desjenigen, der freie Arbeiter beschäftigt, ist zu Ende, sobald er den ausbedungenen Lohn bezahlt hat, und die größeren Vorteile, die er in seinen Geschäften auf dem allgemeinen Markte genießt, werden dadurch veranschaulicht, daß größere Vermögen von den Dienstherren freier Arbeiter verdient werden als von Sklavenbesitzern. Die Astors, die Girards und die Longworthys sind die Millionäre der Vereinigten Staaten, so wie die Rothschilds, die Lloyds und Barings die Millionäre der Welt sind – nicht die wenn auch noch so wohlhabenden Sklavenbesitzer Carolinas, Cubas oder Brasiliens." (London Economist, 1853, zit. nach A. M. Simmons, a.a.O., S. 55f)

Und die Arbeiter hatten das auch mitbekommen, freilich so richtig erst nach dem Krieg, für den sie den Blutzoll entrichten mußten, um diese ihre Freiheit überhaupt beanspruchen zu dürfen:

"Wir, die Arbeiter von Dunkirk, erklären, daß die unter dem jetzigen System erheischte Länge der Arbeitszeit zu groß ist und dem Arbeiter keine Zeit für Erholung und Entwicklung läßt, ihn vielmehr auf einen Zustand der Knechtschaft herabdrückt, der wenig besser als die Sklaverei ist (a condition of servitude but little better than slavery). Deshalb beschlossen, daß 8 Stunden für einen Arbeitstag genügen und legal als genügend anerkannt werden müssen; daß wir zu unsrem Beistand die Presse anrufen, den gewaltigen Hebel ... und alle, die diesen Beistand versagen, als Feinde der Arbeitsreform und Arbeiterrechte betrachten." (Beschlüsse der Arbeiter zu Dunkirk, Staat New York, 1866; zitiert nach Marx, MEW 23, S. 318f)

Die Sklavenhalter konnten mit ihren vergleichsweise geringen Profiten nicht mehr gegen das Industriekapital des Nordens konkurrieren, ihr letzter Strohhalm bestand in ihrem Einfluß auf die politische Macht des Gesamtstaates. Und so entwickelte sich der Bürgerkrieg, ja, ein Krieg bourgeoiser Interessen, aus eben diesen. Und die Abkehr von der Sklaverei war ein Kollateralschaden für die Südstaaten, die ihre letzte Bastion im - sie schützenden - Staat verloren, nun zurückgeworfen auf die Lage ihrer ohnehin unterlegenen Wirtschaft. Für die Bourgeoisie des Nordens war der Sieg ein zusätzlicher Gewinn. Endgültig hatte jetzt das Eisen die Baumwolle abgelöst, der freie Arbeiter den Negersklaven, der Geld- den Tauschhandel. Endgültig waren allein den Maßstäben überlegenen Profits zur wahren Freiheit Amerikas verholfen, der ökonomischen Freiheit als Unterpfand der politischen Gewalt.
So sah sie also aus, die »Rettung« der Nation, über die Abraham Lincoln faselte, die Gefallenen seien nicht umsonst gestorben, sondern eben dafür »that the nation, shall have a new birth of freedom, and that government of the people by the people for the people, shall not perish from the earth
« (19.11.1863):

"Mein oberstes Ziel in diesem Krieg ist es, die Union zu retten; es ist nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Könnte ich die Union retten, ohne auch nur einen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun; könnte ich sie retten, indem ich alle Sklaven befreite, so würde ich es tun; und könnte ich die Union retten, indem ich einige Sklaven befreite und andere nicht, so würde ich auch das tun. Alles, was ich in Bezug auf die Sklaverei und die Schwarzen tue, geschieht, weil ich glaube, daß es hilft, die Union zu retten." (New York Tribune, 22.08.1862)

Heuchelei in all ihrer nationalistischen Wahrheit. In der Tat selten schöner formuliert.

(24.04.2011)