Wie der »freie Westen« Störungen beseitigt

Über Harmonie und Harmonisierung seiner kapitalistischen Weltordnung

1.
Ehemalige Mitglieder der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) protestierten im Vorfeld der Konferenz dieser Organisation (21.-26.04.12 in Doha) gegen die Versuche des »Clubs der Reichen«, ebendiese UNCTAD endgültig in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Wie wenig sie von jenem Club erstgenommen werden können, zeigt ihre Botschaft, mit der sie ernstgenommen werden wollen. Sie erinnerten daran, "daß die Analysen der UNCTAD zu Fragen der Weltwirtschaft stets die Entwicklungsperspektive berücksichtigt und alternative Sichtweisen zu den Positionen der »vom Westen kontrollierten Finanzorganisationen« Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) aufgezeigt hätten.
So hatte die UNCTAD vor dem wachsenden Einfluß des Finanzsektors über die Realwirtschaft gewarnt und die Mexikokrise von 1994 bis 1995, die Asienkrise von 1997 und den wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruch Argentiniens 2001 vorhergesagt, heißt es in dem Dokument."
(ips-Weltblick, 16.04.12)
Mit einer Kritik an den kapitalfördernden Weltfinanzorganisationen sonder Güte hat gerade in Anbetracht der Ignoranz und Verachtung, die sie der UNCTAD gegenüber an den Tag legen, dieses Heischen um Aufmerksamkeit nicht wirklich etwas zu tun. Jemanden Versäumnisse vorzuwerfen, hat mit einer – durchaus angebrachten – Infrage-Stellung von dessen Zuständigkeit gleichfalls nichts zu tun, ganz im Gegenteil.
Diese überaus lächerliche Reaktion muß umso mehr verwundern, als schon früher versucht wurde, die UNCTAD an die Wand zu drücken. Ricupero, Generalsekretär der UNCTAD berichtet: "»Als ich 1995 zur UNCTAD kam, war eine Verschwörung der »ewigen Verdächtigen«, der reichen Länder, im Gang. Dabei ging es nicht wie jetzt um eine Mandatsänderung, sondern um die Auflösung einer Organisation, die sie von Anfang an nicht akzeptierten«, ... Als Argument habe es geheißen, die UNCTAD sei nach der Gründung  der Welthandelsorganisation (WTO) wenige Monate zuvor überflüssig geworden. Diesem Angriff auf die UNCTAD sei man jedoch rigoros und mit Unterstützung der Entwicklungsländer erfolgreich entgegengetreten. ... »Es ist für niemanden ein Geheimnis, daß in den letzten Jahrzehnten der UNCTAD die Möglichkeit genommen wurde, in Bereichen zu arbeiten, denen sie ihre Existenz verdankt.« ... Dazu zähle auch der Rohstoffsektor." (ebenda)
Kurzum, die WTO hatte gründlich mit dem Idealismus, der Weltgemeinschaft habe es um »Entwicklung« zu gehen, aufgeräumt.

2.
Vor 11 Jahren lud nun die WTO selber zu einer »Entwicklungsrunde« – die armen Staaten sollten in das Welthandelssystem (besser) integriert werden – nach Doha, welche bekanntlich ergebnislos verlief, weil die Industriestaaten nicht zu substanziellen Zugeständnissen (hauptsächlich: zu einem angemessen umfasssenden Subventionsabbau für ihre landwirtschaftlichen Exportgüter) bereit waren.
Die angestrebte Liberalisierung des Handels allerdings, welche gerade im Interesse der Industriestaaten lag, unterblieb damit allerdings ebenfalls. Sehr zu ihrem Ärger!

3.
Nun wollen sie mit einem neuen Konzept auf einer Konferenz mit den BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) die Doha-Entwicklungsrunde der WTO als solche ad acta legen. "Ein Handelsgesandter ... warf den Industriestaaten jedoch vor, die Unabhängigkeit und den multilateralen Charakter der WTO zu unterwandern. »Die G20 kann die WTO nicht repräsentieren, da die ärmsten und die afrikanischen Staaten mit Ausnahme Südafrikas bei der Ausgestaltung der neuen Handelsagenda kein Mitspracherecht haben«, sagte er. ... »In dem Entwurf der Agenda für das Treffen in Cancún sind die Handelsminister aufgerufen, die Gründung eines Supergremiums unter Leitung der Chefs der WTO und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zuzustimmen, das Revisions- und Kontrollfunktionen übernehmen soll«, warnte er." (ips-Weltblick, 09.04.12)
Der von der reaktionären Regierung Mexikos der G20 vorgelegte Entwurf geht –so diplomatisch ist er formuliert – mit keinem Wort auf die WTO-Entwicklungsrunde ein, schließlich soll auch WTO-Chef Lamy seine Zustimmung geben. Ihm soll der neue Vorschlag zur Liberalisierung des Handels als adäquater Ersatz zur gescheiterten Doha-Runde einleuchten. Ein Lakai des »freien Westens«, Mexiko, 2012 Vorsitzinhaber der G20, soll also die »Schwellenländer« auf dessen Seite ziehen und von einer Solidarisierung mit dem Rest der Welt abbringen.
WTO-Chef Pascal Lamy freilich arbeitet ohnehin zusammen mit OECD-Generalsekretär Angel Gurria "seit geraumer Zeit an neuen neoliberalen Ansätzen, die jede Entwicklungsperspektive vermissen lassen." (ebenda)
Auf diese Weise ist gewährleistet, daß die angepeilte »Diskussion« produktive Resultate zeitigt:
"So wird man in Cancún auch über den »Handel als Quelle des Wachstums« und den »Imperativ, die Märkte zu öffnen und offen zu halten« diskutieren. ... »Der ganze Entwurf [Mexikos] erweckt den Eindruck, als haben wir es mit einer Geheimsprache der Industrieländer zu tun, die ausschließlich ihre Interessen berücksichtigt«, meinte Isabel Mazzei, eine ehemalige Handelsberaterin der Hilfsorganisation Oxfam." (ebenda)
Von wegen »Geheimsprache«, wo doch die Absichten so offenkundig sind!: Den Entwicklungsstaaten soll keine Chance gelassen werden, sich nach eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu entwickeln, im Gegenteil, sie sollen das Kapital – sei es als Ware, sei es als Kredit – noch viel stärker in ihre Länder lassen und nicht länger über die Subventionen für das industrielle Agrarkapital des »freien Westens« klagen. Ohne gehöriges Wachstum hier oben fallen auch keine Brosamen für die ewigen Bettler dort unten ab! Ihre Armut soll gleichwohl produktiv werden, keine Frage für wen. So also buchstabiert der »freie Westen« seinen Analfabeten Entwicklung vor...

Einem Staat wie Mexiko leuchtet das ein, weil er keine Skrupel kennen will, seine weit überwiegend arme Bevölkerung vor die Hunde gehen zu lassen. Dafür genießt er ja Respekt und Protektion der USA. Außerdem gehört er zu dem erlauchten Kreis der G20, kann also selber auf andere Staaten herabschauen...

(14.05.12)