Albert Krölls  
(Anmerkung: Der zweite Teil über den Frankfurter Psychomarxismus wird demnächst noch schöner ausformuliert.)
Das Geheimnis des Unbewußten

Kritik der Psychoanalyse und des Frankfurter Psychomarxismus


Einleitung

Freud ist alles andere als ein »toter Hund«. Auch wenn sich die zeitgenössische Psychologie von seinen abenteuerlichen sexuellen Einfällen wie dem Penisneid des Weibes oder dem Ödipuskomplex zu distanzieren pflegt, so will doch so gut wie keiner dem »Unbewußten«, die wissenschaftliche Berechtigung absprechen. Im Gegenteil, nicht nur bei der Erklärung von Ausländerfeindlichkeit und Jugendgewalt spielen aggressionstheoretische, triebökonomische oder ethno-psychoanalytische Erklärungsmuster eine prominente Rolle.  Zum psychologischen Allgemeingut geworden ist auch die triebökonomische Deutung staatlich organisierter Kriege als Ausdruck menschlicher Aggressivität oder des menschlichen Todestriebes.

Wie die Antisemitismusforschung belegt, ist auch der freudianisch inspirierte Psychomarxismus der Frankfurter Schule  keineswegs unmodern geworden und erfreut sich insbesondere in  antideutschen Kreisen großen Zuspruches, wenn es darum geht,  mit  Adorno- und Horkheimer-Zitaten nach dem sado-masochistischen Ursprung des deutschen National-Charakters zu forschen.  Adorno und Co. hatten bekanntlich den Antisemitismus als »autoritäre Aggression« aus der sadistischen Komponente des autoritären Charakters abgeleitet und damit dem Judenhaß eine  unerläßliche psychische Entlastungsfunktion für den Seelenhaushalt des Untertanen attestiert.

An den Theorien von Freud  und der Frankfurter Schule soll  im Rahmen des Vortrages aufgezeigt werden, welche systematischen Fehlerklärungen von Krieg, faschistischen Antisemitismus und staatsbürgerlichem Gehorsam die Kategorienwelt der Psychoanalyse (Ich, Es und Überich, Projektion, Identifikation etc.) erbringt und welchen politisch-legitimatorischen Nutzwert psychoanalytische Erklärungsmuster besitzen.


Psychoanalyse Freud
Psychoanalyse: Vom Kampf zweier Prinzipien und dreier Instanzen

1. Ich/Es/Überich
"Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das ES. ... So vom ES getrieben vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken, und wir verstehen, warum wir so oft den Ausruf nicht unterdrücken können: Das Leben ist nicht leicht! Wenn das Ich seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Realangst vor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im ES." (S. Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe, Bd. 1, S. 541.)

Wille und Bewußtsein sind im Rahmen des Freudschen  Modells die Resultante dieses dreigliedrigen psychischen Kräfteparallelogramms. Die menschliche Tätigkeit  ist unter das heimliche Diktat dieser mit einander in Widerstreit liegenden psychischen Instanzen gestellt, welche als eigentliche Handlungssubjekte bilden. »ES«, »ICH« und »ÜBERICH«, die in der menschlichen Psyche miteinander um Einfluß ringen und damit das Denken und Handeln des Menschen bestimmen.  Und das ist heutzutage jedem halbwegs psychologisch oder pädagogisch  gebildeten Menschen geläufig, daß im Es die ursprünglich biologischen, auf rücksichtslose Bedürfnisbefriedigung drängenden Triebe walten sollen, gegenüber denen das Ich die einschränkenden Anforderungen der gesellschaftlichen Realität vertritt und schließlich das Über-Ich dem Ich zur Erfüllung seiner Kontrollaufgabe die Maßstäbe der gesellschaftlichen Normen und Werte liefert.

Bevor auf die Bestimmungen näher eingegangen werden soll, die Freud den einzelnen Elementen und deren Beziehung zueinander gibt, soll eine  Vorbemerkung zur Methode dieser Modellbildung vorausgeschickt werden, die den Nachvollzug der Freudschen Gedankenführung  und ihrer zentralen Fehler erleichtern soll.

Das Verhältnis dieser drei  Instanzen zueinander ergibt sich nämlich gar  nicht aus ihren von Freud definierten Eigenschaftsbestimmungen. Es ist vielmehr das Produkt  der der Modellkonstruktion vorausgesetzten funktionalen Logik, wonach die psychische Funktionstauglichkeit des Subjektes auf einem sorgfältig abgestimmten seelischen Gleichgewicht zwischen ES, ICH und ÜBERICH beruht. Gemäß dieser Logik begründen die »Mängel« der ersten Instanz - dem ES, der bloßen nichtsozialisierten Triebhaftigkeit - die Notwendigkeit einer triebkanalisierenden und -bändigenden Kontrollinstanz in Gestalt des ICH, dessen Mangel der Maßstabslosigkeit  bei der Bewältigung der ihm zugeschriebenen Aufgabe der Zähmung des ES eine weitere Korrekturinstanz in Gestalt des ÜBERICH hervorbringt.

Als erstem Element dieses Apparates begegnen wir dem  sogenannten ES, das nach Freud  das Bewußtsein bestimmt, ohne selber Bewußtsein zu sein.  Dieses ES soll wie folgt beschaffen sein:

"Die älteste dieser psychischen Provinzen oder Instanzen nennen wir das Es; sein Inhalt ist  alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem die aus der Körperorganisation stammenden Triebe, die hier einen ersten uns in seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck finden."  (S. Freud, Abriß der Psychoanalyse 1938  - (Fischer Taschenbuch-Ausgabe 1966, S.9)

"Den Kern unseres Wesens bildet also das dunkle Es, das nicht direkt mit der Außenwelt verkehrt (…) In diesem Es wirken die organischen Triebe, selbst aus Mischungen von zwei Urkräften (Eros und Destruktion) in wechselnden Ausmaßen zusammengesetzt." (ebenda, S.53)

Während es das Bestreben der Libido  ist, "immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten", ist der Destruktionstrieb darauf gerichtet, "Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören..." (ebenda, S.12)

Abgesehen davon, daß noch kein Forscher Eros- und Destruktionstrieb im Mikroskop oder im Reagenzglas zu entdecken vermochte, erscheint der »Inhalt« der beiden Grundtriebe ziemlich fragwürdig. Bei jedem dieser beiden Triebe nämlich fehlt es an jeglicher faßbaren Zielbestimmung, fehlt jeder Bezug auf ein konkretes bestimmtes Bedürfnis (bspw. Hunger oder Durst). Zudem heben sich die beiden Grundtriebe in ihrer Gegensätzlichkeit auch noch wechselseitig auf. Konstruiert wird eine geistige Bedürfnishaftigkeit pur und zwar einmal mit negativem und einmal mit positivem Vorzeichen: Konstruktivität und Destruktivität, Aufbauen und Zerstören.

Zunächst zum Destruktionstrieb: Zerstörung um der Zerstörung willen als allgemeine Antriebskraft des Menschen, die  dieser Auffassung zufolge jeden Zweck, der sich gewaltsamer Mittel bedient, als bloß vordergründige und letztlich zufällige Ausdrucksweise eines völlig unspezifischen Dranges zum »Töten und Zerstören«  erscheinen läßt.

Der zerstörerische Einsatz von Gewalt  als Selbstzweck waltet aber noch nicht einmal dort, wo ihn die Anhänger von Triebstauerklärungen regelmäßig am Werke sehen wie in Sachen Jugendgewalt, Ausländerhaß oder im »Fall Erfurt«. Gerade im Bereich der Ausübung von Privatgewalt ist diese noch allemal Mittel zur Verfolgung, wenn auch höchst seltsamer Anliegen, wie sie das bürgerliche Konkurrenzsubjekt kennzeichnen: Selbstbehauptung, Verschaffung von Anerkennung und Pflege des Selbstbewußtseins. Geschweige denn ist Destruktivität eine allgemeine Zweckbestimmung des Menschen. Staaten beispielsweise pflegen die Zerstörung von Land und Subjekten des Kriegsgegners als Mittel einzusetzen, um den Willen des feindlichen staatlichen Souveräns zu brechen und nehmen dabei den Verlust eigenen (Menschen)materials billigend in Kauf. Der Destruktivitätsgrundtriebslogik zufolge scheint es sich beim Krieg freilich eher um eine Veranstaltung zu handeln, die »dem Menschen« so richtig schön Gelegenheit bietet, seinen destruktiven Grundtrieb einmal hemmungslos auszuleben. Gemäß dieser Optik zünden dann Ausländerfeinde Asylbewerberheime nicht etwa aus ihren spezifischen nationalistischen Beweggründen an, sondern betätigen vielmehr nur ihren allgemeinen Aggressionstrieb, der sich statt der Ehefrau oder der gegnerischen Fußballfans zur Abwechslung mal einen etwas anderen Gegenstand  ausgesucht hat.

Dieselbe krude Logik waltet beim konstruktiven Pedant des Destruktionstriebes, dem Ziel (immer größere) Einheiten herzustellen, die der andere Grundtrieb dann wieder zerstören darf. Eine äußerst merkwürdige Zweckbestimmung: »Einheiten herzustellen«. Nach dieser Logik würde ein Liebespaar im Geschlechtsakt nicht etwa seine Zuneigung praktizieren, sondern würde sich in der erotischen Vereinigung nur der allgemeine Grundtrieb, »Einheiten zu bilden« Geltung verschaffen. Wie gut, daß die Akteure bei diesem Treiben kein Bewußtsein davon haben, was sie im Innersten so treibt, wenn sie zur Tat schreiten. So mancher liebevolle Akt würde dann sicherlich gar nicht erst stattfinden. Auch der Anschluß der DDR an die BRD würde im Lichte des allgemeinmenschlichen Motivs der »Bildung größerer Einheiten« eine ungeahnte tiefenpsychologische Dimension gewinnen.

Und wie schließlich aus diesen als barem Widersinn konstruierten gegensätzlichen Grundtrieben von Konstruktivität und Destruktivität überhaupt irgendetwas an Denken und Handeln herauskommen soll,  und wie daraus – jedenfalls nach Freud - sogar letztlich die Summe aller Lebenserscheinungen resultieren soll, ist und bleibt das Geheimnis des Wiener Tiefenpsychologen.

"Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor." (Warum Krieg? Studienausgabe Bd. IX,  S. 281)

In letzter Instanz freilich hat diese ziemlich freie Erfindung des ES und seiner antagonistischen Grundtriebstruktur durchaus Sinn und Funktion, jedenfalls im Rahmen des Freudschen Systems. Denn Hauptsache, es herrscht in der Psyche so etwas wie Triebspannung, die wegen der negativen Folgen ihrer umstandslosen Auflösung unter Kontrolle gestellt werden muß. Der ganze künstlich inszenierte Seelenaufruhr ist überhaupt nur auf den Ruf nach einem »Bändiger« zugeschnitten, der in das Chaos der gespannten Triebstruktur Ordnung bringt. Und diese ordnungsstiftende psychische Kontrollinstanz ist das ICH:

"Unter dem Einfluß der uns umgebenden realen Außenwelt hat ein Teil des ES eine besondere Entwicklung erfahren" ... "das sogenannte Ich, das sich aus der Rindenschicht des Es entwickelt" hat ... "Es (das »Ich«) hat die Aufgabe der Selbstbehauptung, erfüllt sie, indem es nach außen die Reize kennen lernt, Erfahrungen über sie aufspeichert (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeidet (durch Flucht), mäßigen Reizen begegnet (durch Anpassung) und endlich  lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität); nach innen gegen das ES, indem es die Herrschaft über die Triebansprüche gewinnt, entscheidet, ob sie zur Befriedigung zugelassen werden sollen, diese Befriedigung auf die in der Außenwelt günstigen Zeiten und Umstände verschiebt oder ihre Erregungen überhaupt unterdrückt." (ebenda,  S.10)

Fragt sich nur, wo dieses Bedürfnis zur Bändigung der chaotischen Triebstruktur herkommen soll. Aus dem Inhalt des ES jedenfalls nicht, denn dessen Natur bestand ja nach Freud in seiner chaotischen  Gegensätzlichkeit. Und wenn das die Natur des ES ist, ist nicht einzusehen, warum das ES Probleme mit seiner triebgespannten Struktur bekommen sollte. Aber gerade dieses Ding der logischen Unmöglichkeit will Freud allen Ernstes behauptet haben: Das ICH als Abkömmling des ES.
Denn das ICH soll sich nach Freud als Teil des ES aus der Rindenschicht des ES entwickelt haben. Angesichts der Herkunft des ICH aus dem ES ist es freilich überaus rätselhaft, wie das ICH die ihm zugewiesene Rolle,  die "Herrschaft über Triebansprüche zu gewinnen", überhaupt erfüllen können soll. Wie soll das ICH gegenüber dem ES, das in keinem Bezug zur Realität steht und nur sich selber und seine Triebhaftigkeit kennt, die Realität repräsentieren können, wie soll das ICH gar in der Lage sein, die geistige Leistung eines Lernprozesses zu vollziehen - wenn das ICH doch nur ein Teil des unbewußt-triebhaften ES ist?  Als Repräsentant bloßer Bedürftigkeit jedenfalls ist das ES solcher Überlegungen gar nicht fähig, wie sie mit Willen und Bewußtsein Menschen anstellen, die bei ihrer Bedürfnisbefriedigung auf Schranken stoßen und entsprechende rationelle Umgangsweisen  mit der Außenwelt zu entwickeln lernen.
Dieselbe verquere Ableitungslogik wiederholt sich eine Stufe höher bei der Einführung des ÜBERICH. De Notwendigkeit des ÜBERICH folgt der defizitären Ausstattung des ICH bei der Bewältigung seiner Aufgabe, das triebhafte ES im Zaum zu halten. Weil nämlich das ICH weder über die Kriterien verfügt, gemäß denen es die Befriedigung zuzulassen, aufzuschieben oder zu unterdrücken hat noch über die Macht, sich gegenüber dem widerspenstigen ES durchzusetzen, bedarf es einer weiteren Instanz, die diese Qualitäten innehat. Wie allerdings das ÜBERICH in den Besitz dieser Fähigkeiten gelangt sein soll, bleibt höchst erklärungsbedürftig. Denn das ÜBERICH wird von Freud wiederum als verselbständigter Teil des ICH vorstellig gemacht. Wie aber sollte das ÜBERICH als Teil des ICH plötzlich den Mangel überwunden haben, mit dem das ICH definitionsgemäß behaftet ist?

"Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einfluß fortsetzt ... Im Elterneinfluß wirkt natürlich  nicht nur das persönliche Wesen der Eltern, sondern auch der durch sie fortgepflanzte Einfluß von Familien-, Rassen- und Volkstradition sowie die von ihnen vertretenen Anforderungen des jeweiligen sozialen Milieus ... Das Über-Ich mag neue Bedürfnisse geltend machen, seine Hauptleistung bleibt die Einschränkung der Befriedigungen." (ebenda, S.10 f.)

Überich und Gewissen
Die auf diese Weise als Abspaltungsprodukt des mangelhaften ICH ins Seelenleben getretene Kategorie des ÜBERICH ist im übrigen nicht mit dem real existierenden Fänomen des Gewissens zu verwechseln, aus dem es seine Plausibilität  bezieht.  Die Bildung des Gewissens ist nämlich ein Werk des falschen Bewußtseins. Seine Leistung besteht darin, daß das  Subjekt seine willentliche Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Anforderungen als Erfüllung höherer moralischer Beurteilungsmaßstäbe umdeutet.  Das Individuum interpretiert sich in Gestalt des guten Gewissens die vom ihm abverlangte Beschränkung seiner Interessen  als seinen höheren moralischen Vorteil zurecht, um sich durch diese ideelle Belohnung seines Bedürfnisverzichts schadlos zu halten. Das Freudsche ÜBERICH hingegen hat mit der (falschen) Einsicht in die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Beschränkungen der Interessenverfolgung, dem bewußten Anlegen moralischer Maßstäbe an sich selbst, nichts zu tun. Es verfügt als von der Person abgespaltene Kraft selber über Willen und Bewußtsein, mit denen es die anderen Kräfte je nach Stand des innerseelischen Kräfteverhältnisses in Schach hält oder zuweilen auch deren Tätigkeit fördert. Während  bei der Bildung des Gewissens die willentliche Aneignung der gesellschaftlichen Moralmaßstäbe eine Eigenleistung des Subjektes in seiner geistigen Auseinandersetzung mit der äußeren Welt insbesondere mit den »Vorgaben« der Eltern darstellt, gehört bei Freud die moralische Selbstkontrolle quasi zum seelischen  Erbgut des Menschen.
Überich und Sozialisation
Die im obigen Zitat angesprochene Rolle des Elterneinflusses bei der Ausbildung des ÜBERICH ist dabei nach Freuds eigenen Aussagen lediglich von sekundärer, unterstützender Natur. Die elterliche Erziehung  beschränkt sich nach Freud darauf, "das organisch Vorgezeichnete nachzuvollziehen und es etwas sauberer und tiefer auszuprägen" (Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Studienausgabe Bd. V,  S. 85.). Die von modernen Freudinterpreten bevorzugte Lesart einer primären oder zumindest gleichrangigen Rolle der elterlichen Sozialisation bei der Entstehung des ÜBERICH würde nicht nur im Widerspruch zu Freud selber stehen. Sie würde  zugleich auch eine zufrieden stellende Antwort auf die nahe liegende Frage nach der Herkunft dieser Traditionen bei den ersten Eltern schuldig bleiben müssen, welche die gesellschaftlichen Werte zwecks »Einschränkung der Befriedigungen« in die Psyche ihrer Nachkömmlinge transportiert haben sollen. Denn woher sollten diese ihren Wertekanon hergenommen haben? Bzw. könnte sie diese Frage wiederum nur durch Rückgriff auf dieselbe Freudsche anthropologische Setzung einer diesbezüglichen »Erbanlage«  beantworten, deren Widerspruch durch die Betonung der Sozialisation behoben werden sollte. Und mit einer derartigen Annahme wiederum würde sie zugleich ihrem eigenen Beweisanliegen den Boden entziehen. Denn auf der Grundlage der Prämisse einer natürlichen metafysischen Moralität, die a priori die gesamte "Familien, Rassen- und Volkstradition" beinhaltet, bedürfte es erst gar nicht des erzieherischen Transfers von den Eltern in die Psyche ihrer Nachkommenschaft.  

2.  Das Unbewußte
ist die wohl populärste und zugleich als Vater spekulativer Fehlerklärungen eindeutig produktivste Kategorie innerhalb der 3-Instanzenlehre. Abgesehen von den originären unbewußten Triebregungen des ES  entsteht das Unbewußte bekanntlich durch die Verdrängung der im ES angesiedelten frühkindlichen Triebimpulse: Diese werden auf Grund ihrer Unvereinbarkeit  mit den moralischen Anforderungen des ÜBER-ICH vom ICH aus dem Bewußtsein ausgeschlossen, üben als nunmehr unbewußte verbotene Triebregungen ihre destabilisierende Wirkung auf das fragile seelische Gleichgewicht  aus, lösen bei Versagen oder Überstrapazierung der seelischen Abwehrmechanismen vermittels ihrer Macht der Selbstbestrafung den Störfall der Neurose aus, der wiederum nur behoben werden kann durch die Bewußtmachung und willentliche Verurteilung der nichtannehmbaren Seelenregungen.
Entscheidend ist, daß sich das Unterbewußtsein bei Freud als ein außerhalb von Wille und Bewußtsein liegendes nichtbewußtes Denken definiert, das ohne Wissen des Subjektes den Inhalt seines bewußten Handelns bestimmt.

Abgrenzung zu anderen mit dem Namen »unbewußt« titulierten Fänomenen
Deshalb sollte man das psychoanalytische Unter- oder Unbewußte nicht mit Sachverhalten verwechseln, die im allgemeinen oder auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zuweilen ebenfalls mit diesen Ausdrücken belegt werden. Die in diesem Zusammenhang zur Plausibilisierung des Freudschen Unbewußten bemühten Fänomene sind nämlich  gänzlich anderer Natur.
a)    Damit, daß der Mensch oftmals ein unklares oder falsches Bewußtsein von Inhalt, Implikationen oder Folgen seines Denkens oder Handelns hat, insofern »bewußtlos« oder »unbewußt« agiert, hat das psychoanalytische Unbewußte ohnehin nichts zu tun.
b)     Das Gleiche gilt für  automatisierte, willentliche Tätigkeiten wie beispielsweise die tagtägliche Autofahrt zur Arbeitsstätte, die auf Grund ihrer Gewohnheitsmäßigkeit mit verminderter Aufmerksamkeit  verrichtet werden.
c)     Ebenso wenig beweiserheblich für den Gegenstand des Unbewußten im psychoanalytischen Sinne ist die naturwissenschaftlich konstatierbare zeitliche Differenz zwischen der visuellen Wahrnehmung eines Gegenstandes und der gedanklicher Registrierung und »Verarbeitung« des Sinneseindrucks im Gehirn. Das Auge faßt keinen eigenständigen Gedanken, der inhaltlich die Beurteilung des wahrgenommenen Gegenstandes steuern würde.
d)    Insbesondere ist das Freudsche Unterbewußte auch nicht zu verwechseln mit dem »interessierten Vergessen«. Die absichtsvolle »Verbannung« unangenehmer Erfahrungen aus dem aktuellen Denken beinhaltet nämlich keine Transformation dieser Gedanken in unbewußte Denkakte, die dann ein Eigenleben entfalten und  Einfluß auf den Inhalt des Denkens nehmen.

Das Unterbewußtsein ist bei Freud als ein außerhalb von Wille und Bewußtsein liegendes nichtbewußtes Denken definiert, das ohne Wissen des Subjektes den Inhalt seines Denkens und Handelns bestimmt.
Für die Richtigkeit seiner Auffassung,  "daß es ein solches unbewußtes Denken und unbewußtes Wollen gibt", (Vorlesungen, Fischer Studienausgabe Bd. 1 S. 47), beansprucht Freud über eine Reihe von Beweisen zu verfügen:
"Die Berechtigung, ein unbewußtes Seelisches anzunehmen und mit dieser Annahme wissenschaftlich zu arbeiten, wird uns von vielen Seiten bestritten. Wir können dagegen anführen, daß die Annahme des Unbewußten notwendig und legitim ist und daß wir für die Existenz des Unbewußten mehrfache Beweise besitzen." (S. Freud, Das Unbewußte, in: Psychologie des Unbewußten, Freud Studienausgabe  Bd. III, S. 125)

·    Ableitung des Unbewussten aus einem Mangel des Bewußtseins
·    Der Traum
·    Der Freudsche Versprecher
Wie es sich mit deren Beweiskraft  verhält, soll im folgenden überprüft werden.

Beweisangebot Nr. 1:
2.1 Die theoretische Ableitung des Unbewußten aus einem Mangel des Bewußtseins

(Die Existenz des Unbewußten) "ist notwendig, weil die Daten des Bewußtseins im hohen Grade lückenhaft sind. Alle diese bewußten Akte blieben zusammenhanglos und unverständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, daß wir auch alles durch Bewußtsein erfahren müssen, was an seelischen Akten in uns vorgeht, und ordnen sich in einen aufzeigbaren Zusammenhang ein, wenn wir die erschlossenen unbewußten Akte interpolieren. Gewinn an Sinn und Zusammenhang ist aber ein voll berechtigtes Motiv, das uns über die unmittelbare Erfahrung hinausführen darf." (ebenda. S. 126)

Nun soll keineswegs bestritten werden, daß das Denken der Menschen vom Standpunkt des außenstehenden Beobachters vielfach als zusammenhangslos, unverständlich oder willkürlich erscheint. Nichtnachvollziehbare Gedankensprünge, irrationelle Verknüpfungen oder Lücken im Argumentationszusammenhang sind nicht nur im Reiche der bürgerlichen Sozialwissenschaft gang und gäbe, sondern kennzeichnen zugleich auch die Urteile des normalen Bürgers, die Spezies der Neurotiker und Psychotiker eingeschlossen.
Nur: für den Inhaber der Gedanken haben diese zumeist sehr wohl einen inneren Zusammenhang, mag der Inhalt des Denkens und die Verknüpfung bestimmter Gedanken dem gesunden Menschenverstand auch noch so unverständlich, widersprüchlich oder gar widersinnig vorkommen. Der denkende Mensch selber erblickt in der objektivem Zusammenhangslosigkeit, Widersprüchlichkeit oder Lückenhaftigkeit seines Denkens  deshalb in der Regel auch keinen Mangel und hat deshalb auch keinen Bedarf, diesen ihm gar nicht bewußten Mangel durch ergänzende Lückenfüllung beheben zu wollen.
Hat der Mensch aber ein Mängelbeseitigungsinteresse wie beispielsweise im Falle sogenannter Erinnerungslücken, hilft nur die Anstrengung des Gedächtnisses. Dieses Werk der Erinnerung, frühere Denkakte zu reaktivieren, ist jedoch eine Leistung des bewußten Denkens. Dasselbe gilt für die Bemühungen, sich Klarheit über den objektiven Inhalt seines Tuns und Treibens zu verschaffen, über den bei den Betroffenen oftmals ein unklares bis falsches Bewußtsein herrscht. Sei es die Behebung von Erinnerungslücken oder die Verschaffung des Begriffes der Sache. Mängel des Denkens zu überwinden ist also ein Werk des Bewußtseins. Wie sollte auch ein inhaltliches Defizit des Denkens ausgerechnet durch seine Ergänzung um Nichtdenkakte behoben werden können.
Von daher drängt sich der Verdacht auf, daß das Bemühen, in das zusammenhanglose Denken einen Sinn hereinbringen und den in den Augen des psychologischen Beobachters nichtexistierenden Zusammenhang des Denkens durch den Rückgriff auf das Unbewußte zu stiften, allein dem Bedürfnis des Tiefenpsychologen entspringt, seine Erfindung des Unbewußten auf das Seelenleben des Patienten zu projizieren, die angeblichen Lücken durch Trauminhalte, die sogenannten Freudschen Fehlhandlungen  bzw. die psychoanalytischen Deutungen von psychischen Zwangserscheinungen stopfen zu wollen.

Dieser Verdacht bestätigt sich zugleich in Anschauung des Inhaltes der Kategorie des Unbewußten,  der dem Unbewußten von Freud zugeschrieben Funktionen und seiner Beziehung zum Bewußtsein:

Die Kategorie des Unbewußten

"Sie [unbewußte seelische Vorgänge, Einfügung durch A. K.] können mit all den Kategorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelenakte anwenden, als Vorstellungen, Strebungen, Entschließungen u. dgl. Ja, von manchen dieser latenten Zustände müssen wir aussagen, sie unterscheiden sich von dem Bewußten eben nur durch den Wegfall des Bewußtseins." (ebenda, S. 127)

Identität der Leistungen von Bewußtsein und Unbewußten

Überraschenderweise gibt es nämlich laut Freud gar keinen Unterschied hinsichtlich der Leistungen von Bewußtsein und Unbewußtem. Das Unbewußte ist und tut haargenau dasselbe wie das bewußte Denken, es stellt sich etwas vor, es will etwas und es trifft Entscheidungen, nur daß die Sache einmal bewußt und einmal unbewußt abläuft.

Der immanente Selbstwiderspruch der Konstruktion besteht darin, daß auf der Basis der Identität (der Leistungen) von Bewußtsein und Unbewußtem jeder Grund für die gleichzeitige Existenz beider entfällt. Bei angenommener Existenz des Unbewußten wäre das Bewußtsein gänzlich überflüssig. Denn warum sollten die  Menschen noch bewußt denken, wenn es ohnehin in ihnen schon unbewußt denkt und der unbewußte Wille ihnen die Entscheidung abnimmt, was sie denken und wollen sollen? Umgekehrt würde die Existenz des Bewußteins ein Unbewußtes erübrigen. Denn warum sollten sich Menschen mit Wille und Bewußtsein von ihrem Un- oder Unterbewußtsein kommandieren lassen, von dessen Befehlsgewalt sie überdies gar keine  Kenntnis haben?

Und schließlich würde  ebendiese  Eigenschaft  des Unbewußten als dem Bewußtsein entzogene Instanz auch seine Entdeckung durch das Bewußtsein ausschließen und damit die Existenz der Freudschen Lehre selber. Wenn die Qualität des Unbewußten nämlich gerade in seiner heimlichen Steuerung des Bewußtseins besteht, dann ist es dem Bewußtsein des Menschen verwehrt, das Wirken des Unbewußten wahrzunehmen, gleichgültig, ob es sich um den eigenen oder einen fremden Seelenhaushalt handelt. Von daher beinhaltet die Anwendung der Theorie des Unbewußten auf sich selber bereits ihre Selbstwiderlegung. Oder sollte heimlich und unbewußt bei Freud dessen Unbewußtes selber die Feder geführt haben, als er seine Erkenntnisse über einen Gegenstand, den sein Bewußtsein eigentlich gar nicht kennen kann, zu Papier brachte?

Der Ursprung des Unbewußten

Der aus der Doppelexistenz von Bewußtsein und Unbewußtem resultierende  Widerspruch findet seine Fortsetzung in der Erklärung des Ursprunges des Unbewußten. Die Verdrängung, welche die verbotenen Regungen des ES in das Unbewußte abschiebt, soll nämlich nach Freud ein Gemeinschaftswerk beider sein:

"Die roheste Vorstellung von diesen Systemen ist  die für uns bequemste; es ist die räumliche Vorstellung. Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen Vorraum gleich, indem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen tummeln. An diesem Vorraum schließt sich ein zweiter, engerer, einer Art Salon, in welchem noch das Bewußtsein verweilt, an. Aber an der Schwelle zwischen den beiden Räumlichkeiten waltet ein Wächter seines Amtes, der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einläßt, wenn sie sein Mißfallen erregen ... Wenn sich die Regungen im Vorraum bereits zur Schwelle ... vorgedrängt haben und vom Wächter zurückgedrängt worden sind, dann sind sie bewußtseinsunfähig: Wir heißen sie verdrängt." (Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe Bd. 1, S. 293).

Bei dieser Konstruktion stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Verdrängung durch den »Wächter« nun ein Werk des Bewußten oder des Unbewußten ist. Beide denkbaren Antwortalternativen sind mit unauflösbaren Widersprüchen verbunden. Wäre nämlich der Wächter eine Instanz des Unbewußten, hieße das,  daß das Unbewußte, dessen Existenz ja erst noch erklärt werden sollte, bei seiner eigenen Entstehung mitwirkt. Eine seltsame Erklärung, in deren Rahmen das zu Erklärende und die Erklärung identisch sind, die Erklärung das zu Erklärende bereits voraussetzt. Bei Annahme der umgekehrten Prämisse, wonach die Ausschließung unerlaubter Seelenregungen aus dem Bewußtsein eine Leistung des Bewußtseins selber wäre, könnte es das vom Bewußtsein abgetrennte Eigenleben des Unbewußten aber gar nicht geben. Dann wüßte nämlich erstens das Bewußtsein von der Existenz seines Abspaltungsproduktes und zweitens könnte das wissentliche Geschöpf des Bewußtseins nicht auch noch dem Bewußtsein ohne dessen Wissen seinen Inhalt vorgeben.

In solche Denkwidersprüche verwickelt man sich eben, wenn man unbedingt Wille und Bewußtsein deren Eigenständigkeit bestreiten und das Dogma der Abhängigkeit des Willens vom ungewußten Wollen unter Beweis stellen will.

2.2  Die Welt als Produkt verdrängter oder sublimierter sexueller Triebe

Ebenso willkürlich wie die Deduktion der Kategorie des Unbewußten ist die Bestimmung des Stoffes, aus dem das Unbewußte bestehen soll: aus einem Bündel verdrängter tabuisierter sexueller Triebregungen, denen die Entstehung neurotischer Störungen geschuldet sein soll. Recht erstaunlich mutet es an, was hier Freud alles unter dem Titel der frühkindlichen Sexualität den neuen Erdenbürgern als unehrenhafte  Motive unterstellt – vom Wunsch mit der Mutter zu schlafen und den Vater als Nebenbuhler aus der Welt zu schaffen, über die sattsam  bekannte Kastrationsangst bis hin zum Penisneid des Weibes – und für welche Fänomene er die verdrängten Triebregungen verantwortlich machen will.

Ausbau zu einer Weltanschauung

Hatte Freud seinen Erklärungsanspruch zunächst auf die Entstehung neurotischer Störungen beschränkt, so baut er seine Psychologie des Unbewußten später aus zu einer Weltanschauung, welche die Totalität aller  menschlichen Zwecke und Werke als Ausdruck nichtbewältigter unbewußter Konflikte der sexuellen Entwicklung des Menschen ableitet. Was auch immer der Mensch so treiben möge, von Religion, Recht, Ethik und Staat über Kunst und Kultur, den Antisemitismus bis hin zum Geld, wird die Totalität aller menschlichen Werke auf verdrängte oder sublimierte Sexualregungen zurückgeführt.

"..., daß Triebregungen, welche man nur als sexuelle im engeren wie im weiteren Sinn begreifen kann, eine ungemein große und bisher nie genug gewürdigte Rolle in der Verursachung der Nerven- und Geisteskrankheiten spielen. Ja noch mehr, daß dieselben sexuellen Regungen auch mit nicht zu unterschätzenden Beiträgen an den höchsten kulturellen, künstlerischen und sozialen Schöpfungen des Menschengeistes beteiligt sind." (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse,  Einführung, Studienausgabe  Bd. I,  S.48)

"Der Kastrationskomplex ist die tiefste Wurzel des Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört der Knabe, daß dem Juden etwas am Penis....abgeschnitten wird, und dies gibt ihm das Recht, den Juden zu verachten." (Kinderneurosen, Studienausgabe  Bd. VIII, S. 36, Fn. 2)

"Ebenso, daß eine der wichtigsten Äußerungen der umgebildeten Erotik aus dieser Quelle [der Analerotik, Einfügung A. K.] in der Behandlung des Geldes vorliegt, welcher wertvolle Stoff, im Laufe des Lebens das psychische Interesse an sich gezogen hat, das ursprünglich dem Kot, dem Produkt der Analzone gebührte." (Ebenda, S. 188)

Da mag sich der Mensch noch so sehr vorstellen, seine eigenen selbstgesetzten Zwecke zu verfolgen. Reine Einbildung: Ob er dem Gelderwerb nachgeht, ein Bild malt, eine Staatsverfassung konzipiert oder eine Abhandlung zur Kritik der Psychologie verfaßt,  letztendlicher Urheber aller seiner recht unterschiedlichen  Aktivitäten ist nach Freud ein und dieselbe Unterlassung: die unterbliebene und auf Ersatzaktivitäten umgeleitete Verwirklichung seiner sexuellen Triebimpulse.

Diese Bestimmung aller menschlichen Aktivitäten als Ersatzhandlung  für unterdrückte (anal)erotische Begehren beinhaltet in zugespitzter Form die theoretische Willkür, welche die Freudsche Theorie des Unbewußten überhaupt kennzeichnet.

Ersatzhandlung

So basiert die »Rückführung« aller  zweckbestimmten Taten des Menschen auf das eigentlich treibende Motiv der Befriedigung sexueller Triebregungen auf der Unterstellung der Libido als menschlicher Generalantriebskraft. Wenn der Mensch eigentlich immer nur sexuelle Befriedigung erstrebt, aber augenscheinlich ein ganzes Ensemble anderer Aktivitäten entwickelt, dann kann es sich definitionsgemäß bei diesen Aktivitäten nur um Ersatzhandlungen handeln. Schöner und grundsätzlicher und gegen jede sachliche Überprüfung immunisiert als mittels dieser Logik der Ersatzhandlung läßt sich die Selbständigkeit von Wille und Bewußtsein gar nicht bestreiten.

Die Existenz der libidinösen Generaltriebkraft einmal unterstellt, fragt sich zunächst, warum aus einer Unterlassung überhaupt etwas folgen soll. Warum sollte man etwas anderes tun wollen, wenn der eigentliche Zweck nicht zu realisieren ist? Da müßte man schon neben und im Widerspruch zum libidinösem Generaltrieb ein generelles Kompensationsbedürfnis erfinden, das nach dem Motto verfährt: Wenn das Eine nicht geht, was ich eigentlich und ausschließlich will, dann mache ich halt etwas anderes. Weiter stellt sich die Frage, wie dieser nur ein einziges Ziel kennende Trieb überhaupt auf etwas anderes umgesteuert werden kann, ja durch alle anderen Betätigungen ersetzbar ist, die rein gar nichts mit Sexualität zu tun haben. Da ist der Mensch immerzu und ausschließlich auf das Eine gepolt und läßt sich zugleich auf eine ganze Welt von Ersatzhandlungen umlenken, sodaß am Ende die Welt nur noch von Ersatzaktivitäten bevölkert ist.

Unter einem uns bereits aus der Konstruktion der Verdrängung bekannten Selbstwiderspruch leidet auch die Erklärung der Funktionsmechanismen des Umlenkungsprozesses. Wer ist nämlich der Miturheber der Sublimation? Das Bewußtsein! D. h. derselbe bewußte Wille, der einerseits nur die abhängige Variable des Unbewußten sein soll, ist zugleich mit der sehr eigenständigen Regiefähigkeit begabt, die unbewußten Triebregungen je nach Bedarf zu unterdrücken, zu verdrängen oder im Interesse ihrer Sozialverträglichkeit in eine ganze Welt von Ersatzhandlungen umzusteuern. Womit sich die ganze Konstruktion in den Zirkel aufgelöst hätte, daß das Bewußtsein einerseits als Wirkung des Unbewußten existiert und andererseits zugleich als Kontroll- und Steuerungsinstanz über das Unbewußte fungiert, von dem es heimlich regiert wird.

Fragt sich abschließend nur noch, welchen libidinös-analen Triebregungen sich die Entstehung der Freudschen Tiefenpsychologie verdankt. Oder sollte Freud seine eigene Theorie von deren Universalerklärungsanspruch ausnehmen wollen?

Weit davon entfernt, die immanenten Widersprüche der Freudschen Theorie aufdecken zu können, gehen auch der Majorität der Vertreter der zeitgenössischen Psychologie die libidinöse Monokausalität und die sexuellen Abstrusitäten aus der tiefenpsychologischen Hinterwelt ein wenig zu weit. Bei der Beurteilung der allenthalben zu beobachtenden Distanzierung der Fachwelt von Freud, die sich schwerpunktmäßig an der Bezweifelung der Erklärungskraft des Ödipuskomplexes und des weiblichen Penisneides festmacht, ist freilich Vorsicht angesagt. Denn die einschlägigen Vorbehalte gegenüber der Betonung der frühkindlicher Sexualität gehen in der Regel einher mit der gleichzeitigen positiven Wertschätzung der tiefenpsychologischen Zentralkategorien wie dem Unbewußten, der Verdrängung, Abwehr, Projektion und Identifikation etc. einher. 

Beweisangebot Nr. 2:
2.3 Der Traum als Sitz des Unbewußten

ist ein Werk des vorausgesetzten theoretischen Konstruktes der Aufspaltung des Willens in bewußte und unbewußte Willensakte, welche das Verhältnis von Traum und Wachzustand auf den Kopf stellt: Dort wo der Mensch zweckgerichtet handelt, wird die Existenz von Wille und Bewußtsein bestritten und sein Handeln auf dahinterliegende unbewußte Motive zurückgeführt. Umgekehrt, dort wo das zweckgerichtete Denken ausgeschaltet ist, soll der eigentliche Wille am Werk sein.

Während im wachen Zustand die chaotische Wahrnehmung der Realität durch den Willen, sie zu erkennen und auf dieser Grundlage zweckbestimmt zu handeln, systematisiert wird, ist der Traum umgekehrt die Abwesenheit des Willens, die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen, sie sich im Wege des Denkens anzueignen. Deshalb sind die Vorstellungen im Traum ein chaotisches Neben- und Nacheinander: Die bestimmte Art des zweckgerichteten Umgangs mit den Gegenständen findet im Traum nicht statt. Was sich dort abspielt, ist eine willkürlich-zufällige Mixtur der Beziehung auf die vorgestellten Gegenstände, von Assoziationen, Ängsten, Erinnerungen, Wünschen, (Wunsch)vorstellungen etc.

Ausgerechnet dort, wo im Schlaf der Wille des Menschen zum logischen Verknüpfen nicht mehr wach ist, nur noch Restfunktionen des Verstandes tätig sind, da nun beginnt für die Psychoanalyse die genuine Leistung des unbewußten Willens. Die Psychoanalyse erblickt gerade in dieser Sorte willkürlich-zufälliger »Verknüpfungen« eine bestimmte symbolische Systematik, die Aufschluß darüber geben soll, was Individuen in ihrem Handeln »eigentlich« wollen. Das ist das weite Feld der Traumdeutung. Weil das Denken der Menschen als selbständiges bestritten wird, ist der Traum für die Psychoanalyse von zentraler Bedeutung. Nicht die Rationalität der willentlichen Leistung sondern die Irrationalität des Traumes, der die bewußten Zusammenhänge verzerrt, zusammenhangslos und unabsichtlich wiedergibt, weil der wache Verstand sie nicht zusammenfügt, ist  der Ort des eigentlichen unbewußten Willens und damit zugleich ein Ausgangspunkt für die Therapierung des Willens per Bewußtwerdung des verdrängten Unbewußten.

Die gewöhnlich aus dem Reich der Träume präsentierten empirischen Belege  für die Existenz des Unbewußten streiten bei Licht betrachtet für das glatte Gegenteil. Der Wunschtraum etwa eignet sich kaum als Beweismaterial für den unbewußten »eigentlichen« Willen. So ist die von den Comedian Harmonists besungene »Frau, die mir im Traume erscheint«,  entweder Abbild dessen, was ich bereits im wachen Zustande möchte oder willkürliche, zufällige Verknüpfung von Gegenstand und Begehren. Und bei der Rückerinnerung an das Geträumte im Wachzustand würde es manchem nicht im Traume einfallen, den Trauminhalt wahr machen zu wollen, weil bei Tageslicht betrachtet die im Traum vielleicht begehrte Frau überhaupt nicht mehr begehrenswert erscheint.

Der im Traum gefundene Stein des Weisen wird  nicht etwa wegen, sondern trotz des Traumzustandes gefunden. Was hier stattfindet, ist die Fortsetzung des Denkens im Traum als Folge der Intensität der Beschäftigung mit einem Problem im wachen Zustand. Im Traume verfolge ich weiterhin den Gedanken, der mich bereits am Tage beschäftigte, wovon auch die  Redeweise, wonach »der Gedanke mich sogar im Traum verfolgt« Zeugnis ablegt. Die angeführten Belege aus der Welt der Träume beweisen also gerade nicht die Existenz eines dem Bewußtsein entzogenen unbewußten Willens, sondern umgekehrt die Alleinexistenz des bewußten Denkens und Wollens.


Beweisangebot Nr. 3:
2.4. Der Freudsche Versprecher

besitzt einen ähnlich negativen Beweiswert für die Existenz des Unbewußten. Hierbei handelt es sich um eine typische Fehlleistung der Verstandes der »moralischen bürgerlichen Subjektes« beruhend auf dem Spannungsverhältnis zwischen zwei gleichzeitig existierenden Willensinhalten. Das moralische Subjekt hat sich einerseits die angesagten gesellschaftlichen Wertmaßstäbe angeeignet und weiß darum, was sich nicht gehört und was man auf keinen Fall öffentlich sagen darf, beispielsweise ausländerfeindliche Sprüche von sich zu geben. Derselbe Mensch, der den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen will, ist aber zugleich nach wie vor im tiefsten Inneren seines Bewußtseins von der Wahrheit seiner diesbezüglichen ungehörigen (ausländerfeindlichen) Auffassungen überzeugt. Wenn ihm dann einmal bei unpassender Gelegenheit eine ausländerfeindliche Äußerung »herausrutscht«, dann macht sich nicht sein Unbewußtes geltend, sondern sein real existierendes bewußtes Urteil, das in Kollision gerät mit dem zugleich gefaßten opportunistischen Zweck, seine äußere Handlungsweise mit den vorgegebenen, aber von ihm gar nicht geteilten gesellschaftlichen Anforderungen an die political correctness in Übereinstimmung zu bringen. Was hier also versagt, ist nicht die Kontrolle des Ich über ein ihm unbekanntes geheimes ES, das plötzlich und aus heiterem Himmel in die Wirklichkeit des Bewußtsein tritt, sondern die willentliche Kontrolle bezüglich des eigenen, gesellschaftlich verpönten Bewußtseinsinhaltes.
 
3. Die ideologisch-legitimatorischen Leistungen der Freudschen Seelenlehre

Radikale Leugnung der gesellschaftlichen Schranken des Willens

Die ideologische Leistung der Freudschen Seelenlehre besteht zunächst in der radikalen Leugnung der realen gesellschaftlichen Schranken, denen die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft unterliegen. Die Verankerung der Normen und Werte der Gesellschaft im Seelenhaushalt, noch bevor der Mensch überhaupt Gelegenheit erhält, sich die Anforderungen der elterlichen und staatlichen Gewalt in Form eines Gewissens zu vergegenwärtigen und gute Gründe für seine Unterwerfung unter die gesellschaftlich gültigen Maßstäbe zu finden und zu akzeptieren, setzt linke Kritiker ein wenig ins Unrecht, die der Freudschen Theorie eine unzureichende Berücksichtigung gesellschaftlicher Umstände vorwerfen. Es verhält sich genau umgekehrt. Mit der anthropologischen Verankerung der Anforderungen der (bürgerlichen) Realität in der Psyche ist nämlich deren Geltung prinzipiell außer Frage gestellt und jeder kritischen Befassung entzogen. Die Probleme, die der Mensch hat, weil er bei der Verfolgung seiner Interessen in der bürgerlichen Gesellschaft  andauernd auf politökonomisch gesetzte Schranken stößt, welche ihm Verzicht und Selbstbeherrschung aufnötigen, sind damit in Probleme verwandelt, die der Mensch mit sich selber hat. Alle Probleme des Menschen mit der Welt sind erfolgreich auf psychische Funktionsstörungen zurückgeführt, die darin bestehen, daß das Verhältnis von ES, ICH und ÜBERICH gestört, das ICH zu schwach oder das ÜBERICH zu stark ausgeprägt ist und was es sonst noch an Beeinträchtigungen der seelischen  Stabilität geben soll. Und wer sich diesen Schuh anzieht, ist dann sein ganzes Leben damit beschäftigt, statt die Welt am Maßstab seiner Interessen und Bedürfnisse zu messen und gegebenenfalls an der Aufhebung der gesellschaftlichen Beschränkungen zu arbeiten, die ihm das Leben schwer machen, sein inneres seelisches Gleichgewicht  und damit zugleich die Übereinstimmung zwischen sich und der Welt (wieder)herzustellen Mit diesem Identitätsprogramm, das auf der Verlegung aller sozialen Gegensätze in die Psyche des Menschen beruht, alle Unzufriedenheit mit der Welt auf ein falsches Verhältnis des Menschen zu sich selbst zurückführt, ist Freud der Pionier der modernen Psychologie überhaupt, insbesondere ihrer praktischen psychotherapeutischen Abteilungen, deren ganze Anstrengungen der Anpassung des funktionsuntüchtigen Individuums an die Anforderungen der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft gelten.

Legitimation von Staat und Gesellschaft als Bändiger der triebhaft-aggressiven  Menschennatur

Die gesellschaftsnützliche Leistung des psychoanalytischen Denkens reduziert sich jedoch keineswegs darauf, die realen gesellschaftlichen Schranken der Bedürfnisbefriedigung  theoretisch um die Ecke zu bringen und der Menschheit Mores in Sachen Bedürfnisverzicht zu lehren. Sondern zugleich werden alle Einrichtungen der Gesellschaft, zuvörderst der Staat, als eine einzige Dienstleistung am Menschen legitimiert, dessen triebhafte Menschennatur mit ihren unbescheidenen und zerstörerischen Bedürfnissen in den Griff zu bekommen. Dieselben gesellschaftlichen Institutionen, die Freud zufolge ihre Existenz den (sublimierten) Triebregungen verdanken: der Nationalstaat, die (kapitalistische) Erwerbsarbeit etc., schließlich sogar der Krieg erfahren im Lichte ihrer triebdomestizierenden Leistungen ihre generelle Heiligsprechung. Denn was würde wohl aus der Welt, wenn die "angeborene Neigung des Menschen zum »Bösen«, zur Aggression, Destruktion und damit auch zu Grausamkeit" (Studienausgabe Bd. IX, Das Unbehagen..., S. 248) nicht von der unwiderstehlichen Gewalt eines Leviathan bzw. von dessen im Über-Ich verinnerlichten Anforderungen unterdrückt oder zumindest in gemeinschaftsverträgliche Bahnen gelenkt würde?: Ausbeutung, Vergewaltigung, Raub und Mord würden die gewalttätige Realität der Gesellschaft bestimmen: "Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?" (Das Unbehagen in der Kultur, Studienausgabe Bd. IX, S. 240) Denn ohne staatliche Bändigung seines Aggressionstriebes wäre der Mensch ja geneigt, seines Mitmenschen "Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zuzufügen, zu martern und zu töten." (ebenda) Und da hilft nur eines: die Existenz eines »Oberwolfes« namens Staat, der kraft seiner unwiderstehlichen überlegenen Gewalt zum Wohle aller die wölfische Menschsnatur domestiziert. Dementsprechend erblickt Freud in der gefühlsmäßigen Identifikation der Untertanen mit der Staatsgewalt, mit seinen Worten gesprochen in den »Gefühlsbindungen«, oder »Gemeinschaftsgefühlen« die sich aus oder bei der Anerkennung der nationalen Interessengemeinschaft bildeten, das zentrale Instrument der Befriedung der aggressiven Raubtiernatur des Menschen:
"Die Gemeinschaft muß permanent erhalten werden, sich organisieren, Vorschriften machen, die den gefürchteten Auflehnungen vorbeugen, Organe bestimmen, die über die Einhaltung der Vorschriften – Gesetze – wachen und die Ausführung der rechtmäßigen Gewaltakte besorgen. In der Anerkennung einer solchen Interessengemeinschaft stellen sich unter den Mitgliedern einer geeinigten Menschengruppe Gefühlsbindungen her, Gemeinschaftsgefühle, in denen ihre eigentliche Stärke beruht."
Damit, denke ich, ist alles Wesentliche bereits gegeben: die Überwindung der Gewalt durch Übertragung der Macht an eine größere Einheit, die durch Gefühlsbindungen ihrer Mitglieder zusammengehalten wird." (Studienausgabe Bd. IX, Warum Krieg, S. 277)

In diesem Zusammenhang zu würdigen ist abschließend lediglich noch die triebökonomische Spitzenleistung Freuds in Sachen Staatslegitimation. Das im Namen einer rationalen Triebregulierung gesungene allgemeine Loblied Freuds auf die guten Werke von Staat und Gesellschaft als Verhinderungsinstanz der Ausbrüche der aggressiven Menschennatur macht nämlich selbst vor der systematischen Ausländerfeindlichkeit nicht halt, die im Rahmen der Vorbereitung und Führung kriegerischer Auseinandersetzungen von den beteiligten Staaten organisiert wird. Zwar läßt sich der Krieg nur schwierig als Akt der Eindämmung menschlicher Gewalt darstellen, obwohl Freud dem Krieg als Vater aller Dinge eine zumindest bedingte Eignung als Gewaltverhinderungsprogramm nicht absprechen möchte:
"So paradox es klingt, man muß doch zugestehen, der Krieg wäre kein ungeeignetes Mittel zur Herstellung des ersehnten »ewigen« Friedens, weil er imstande ist, jene großen Einheiten zu schaffen, innerhalb deren ein starke Zentralgewalt weitere Kriege unmöglich macht. Aber er taugt doch nicht dazu, denn die Erfolge der Eroberung sind in der Rege nicht dauerhaft." (ebenda, S. 279)
Die  triebökonomisch-gesundheitsdienlichen Leistungen, die Freud dem Kriege zuspricht, lassen die gewalttätige Sache des Krieges jedoch gleich in einem versöhnlicheren Licht erscheinen.

"Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit Hilfe besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, daß es fremdes zerstört. Ein Anteil des Todestriebes verbleibt aber im Innern des Lebewesens tätig. (...) Wir haben sogar die Ketzerei begangen, die Entstehung unseres Gewissens durch eine solche Wendung der Aggression nach innen zu erklären. Sie merken, es ist direkt ungesund, während die Wendung dieser Triebkräfte zur Destruktion in der Außenwelt entlastet, wohltuend wirken muß." (Freud Studienausgabe Bd. IX,  S. 282)
Da nach Freud der Grund des Krieges im Aggressionstrieb liegt und ein gewisses Maß an Abfuhr aggressiver Triebenergie geradezu förderlich für das seelische Wohlbefinden ist, weil anderenfalls sich zuviel krankmachende Aggression nach Innen gegen das eigene Ich wenden würde, kann aus triebökonomischen Gründen gegen eine derartige Ablenkung des Aggressionstriebes auf den äußeren Feind  nichts eingewendet werden. Jedenfalls solange nicht, wie noch keine weltweite Zentralgewalt existiere, auf die sich dann das natürliche Gemeinschaftsgefühl der Menschen beziehen könne.
Weit davon entfernt, durch staatlich produzierte Leichenberge an seiner Bestimmung des Nationalstaates als humanitär-kultureller Dompteur der unfriedlichen Menschennatur irre zu werden, gelingt es also Freud, seinen irreversibel guten Glauben an die friedensstiftende Potenz des Nationalstaates durch die Berufung auf den triebökonomischen Nutzen des Kriegs für den Seelenhaushalt der Untertanen zu bewahren. Und zumindest eine gewisse Originalität ist dieser Version der Verhimmelung des Staates als fürsorglicher psychohygienischer Dienstleister am Menschen nicht abzusprechen: Während der staatliche Kriegsherr und dessen politologische Ideologieproduzenten die souveräne Benutzung von Leib, Leben sowie Hab und Gut der Bürger von Seiten der Staatsgewalt zur Durchsetzung staatlicher Kriegszwecke gemeinhin als Maßnahme zum Schutze seiner Bürger vor der Gewalt des auswärtigen Staates auszugeben pflegen, erfindet die Tiefenpsychologie ein Dienstverhältnis spezifisch triebökonomischer Art, das im Kriege seine Betätigung erfährt. Einmal also schützt der Staat seine Bürger vor dem Feind, ein anderes Mal vor der unkontrollierten Auslebung ihrer Aggressionen, wenn er diese in gemeinschaftsdienlich-patriotischer Weise auf den auswärtigen Feind ablenkt. So oder so bewahrheit sich selbst im Kriegsfalle, daß die Staatsgewalt ihren obersten Daseinszweck in der Pazifizierung der unfriedlichen Menschennatur besitzt.
So weit das Urteil über die theoretischen Leistungen der Freudianischen Psychoanalyse, die zugleich die psychologische Basis des Psychomarxismus der Frankfurter Schule bildet, die im folgenden Kapitel abgehandelt werden soll.


Die Kritische Theorie des Subjekts:
Ein triebökonomisches Produkt des Frankfurter Psychomarxismus


1. Das Untersuchungsprogramm: Auf der Suche nach dem verloren gegangenen subjektiven Faktor

Bis auf den heutigen Tag erfreuen sich die Forschungsberichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung über den »autoritären Charakter« anhaltender Beliebtheit nicht nur in Kreisen progressiver Sozialwissenschaftler, sondern auch im Feuilleton der bürgerlichen Presse. Davon zeugt u.a. eine noch 1995 erschienene Neuauflage von Theodor W. Adornos gleichnamigen Studien, basierend auf der psychoanalytischen Interpretation der Ergebnisse einer Mitte der 40er Jahre durchgeführten empirischen Untersuchung des faschistischen Potentials innerhalb der US-Bevölkerung. Die durchaus rationell anmutende Fragestellung der Autoren der Frankfurter Schule war darauf gerichtet, eine Erklärung dafür finden zu wollen, warum sich die »unterdrückten Volksmassen« bereitwillig in den Dienst  der ökonomischen und politischen Vorhaben des deutschen Faschismus gestellt haben,  obwohl es  für die Mitglieder der arbeitenden Klasse  keine guten Gründe gegeben hat, weder für eine Mitwirkung im Kriegs- und Arbeitsdienst noch für eine Beteiligung am staatlich organisierten Judenmord. Warum also betätigen sich überwältigende Teile der Bevölkerung als Parteigänger eines nationalen Programms der Entfaltung der Macht des Staates und des kapitalistischen Eigentums, das im Widerspruch zu ihren objektiven Interessen steht?
Das auf dieser Differenz zwischen objektiver Interessenlage und subjektivem Mitmacherbewußtsein  beruhende psychoanalytische Untersuchungsprogramm der Frankfurter Schule speist sich aus der Unzufriedenheit mit der Antwort, den ein zur damaligen Zeit vorherrschender deterministisch fehlverstandener Marxismus auf diese Frage zu geben scheint. Die Vertreter der Kritischen Theorie haben nämlich im Einklang mit den marxistischen Parteien der Weimarer Republik die von Marx gegebene politökonomische Erklärung des Kapitalismus, die Erklärung der Sachzwänge, in die der normale Mensch durch Eigentum, Recht und Geld gesetzt ist, mißverstanden als Zwangsläufigkeit der freiwilligen Unterwerfung der Betroffenen unter diese Zwänge. Sie haben den Marxschen Satz »Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein« ungefähr so aufgefaßt, als würden die ökonomischen Verhältnisse automatisch das der jeweiligen Interessenlage entsprechende Bewußtsein der Bürger hervorbringen. Gegenüber diesem vorgefundenen Zerrbild des Marxismus – der Gleichsetzung von Klassenlage und Klassenbewußtsein - haben sie zu Recht eingewandt, daß bei der Bildung des  faschistischen Untertanenbewußtseins das Subjekt doch selber eine tragende Rolle spielen müsse. Weil die Bildung des Massenbewußtseins als Eigenleistung der Subjekte jedoch vom ökonomistisch-deterministischen Marxismus negiert werde, sei es angezeigt, dieses Versäumnis durch die Berücksichtigung des sogenannten subjektiven Faktors zu beheben:
"Die Studie unterstellt, daß die Menschen im allgemeinen dazu neigen, diejenigen politischen und sozialen Programme zu akzeptieren, die ihrer Meinung eigenen wirtschaftlichen Interessen dienen. Welcher Art diese Interessen sind, hängt im einzelnen Fall von der in wirtschaftlichen und soziologischen Kategorien zu bestimmenden Position des Individuums in der Gesellschaft ab…Zugleich wurde jedoch in Betracht gezogen, daß wirtschaftliche Motive nicht die beherrschende und entscheidende Rolle für das Individuum spielen mögen, die ihnen zumeist beigelegt wird. Um zu erklären, warum Personen mit gleichem sozioökonomischen Status so häufig verschiedenen Ideologien und solche mit verschiedenem Status so häufig gleichartigen Ideologien abhängen, müssen andere als rein wirtschaftliche  Bedürfnisse zugrunde gelegt werden." (Studien zum autoritären Charakter, 1. Aufl. 1973, S.10 f.)

Die Art und Weise freilich, wie die Subjekte und ihre individuellen Beweggründe der Befürwortung des Faschismus im Rahmen der Theorie des subjektiven Faktors vorkommen, ist von einer höchst eigenartigen Beschaffenheit. Die Inhalte des faschistischen Bewußtseins spielen nämlich im Prinzip für dessen Erklärung gar keine Rolle. Denn weil es keinen Zusammenhang zwischen der objektiven Klassenlage und dem faschistischen  Bewußtsein gibt, sondern die »Anfälligkeit« für faschistisches Gedankengut offensichtlich ziemlich klassenübergreifend verbreitet ist, haben die Autoren sowohl  die gesellschaftlichen Verhältnisse selber als auch die politischen  Urteile und Standpunkte, welche die Subjekte in ihren unterschiedlichen sozialökonomischen Positionen zum System der bürgerlichen Gesellschaft und zur Programmatik des Faschismus hegen und pflegen, als relativ unerheblich für die angestrebte Ermittlung der subjektiven Gründe des Erfolges der faschistischen Ideologie erachtet. 

Gemäß der vorausgesetzten deterministischen Logik, »wenn die Ökonomie als ausschlag-gebende Ursache ausscheidet, welche Determinante kommt dann in Betracht?« halten sie vielmehr Ausschau nach alternativen tieferen Gründen für die Bildung des faschistischen Mitmacherbewußtseins und finden diese in den Abgründen des Seelenlebens: dem »autoritären Charakter«. So stoßen sie auf die Freudianische Psychologie und bedienen sich deren Seelenapparat. Nicht die kapitalistische Ökonomie, sondern die menschliche Triebstruktur sei der entscheidende Faktor, der den Willen zum Mitmachen beim faschistischen Untertanen erzeuge bzw. zumindest die Entstehung faschistischen Massenbewußtseins entscheidend begünstige, lautet die zentrale Botschaft der Theorie der autoritären Persönlichkeit, der nunmehr in ihren Einzelheiten nachgestiegen werden soll.

2.  Die Psychologik der autoritären Persönlichkeit
2.1  Eine wegweisend falsche deterministische Fragestellung

Die Entfaltung der Theorie des autoritären Charakters beginnt mit der allgemeinen Aufgabenstellung, den"potentiellen Faschismus zu diagnostizieren und seine Determinanten zu ergründen"  (S.2)
und einem daraus abgeleiteten Bündel von Fragestellungen, welche die Forschungsrichtung und deren Resultate weitestgehend vorwegnehmen:
"Wenn es ein potentiell faschistisches Individuum gibt, wie sieht es genau betrachtet aus? Wie kommt antidemokratisches Denken zustande? Welche Kräfte im Individuum sind es, die sein Denken strukturieren? …welches sind ihre Determinanten, wie der Gang ihrer Entwicklung? Wie kommt es, daß bestimmte Personen solche Ideen akzeptieren, andere aber nicht." (S. 2, 3)

Die Aufgabenstellung, »die Determinanten des potentiellen Faschismus zu ergründen«, arbeitet mit der Unterstellung, die Gedanken der Anhänger faschistischer Ideologien seien recht betrachtet nicht ein Resultat des Gebrauches ihres Verstandes. Sondern gemäß dieser Sichtweise ist Faschismus als Potenz oder Disposition im Individuum angelegt, der potentiell faschistische Inhalt des Denkens wird von »Kräften im Individuum« »strukturiert«. Aus dieser Prämisse der Determination faschistischen Denkens folgt, daß eine nähere Befassung mit den politischen Willensäußerungen sowie den Taten der Vertreter faschistischer Ideen zur Erklärung des Fänomens nichts Entscheidendes beitragen kann. Adorno und seinen Mitautoren liegt es deshalb auch völlig fern, zur Erklärung der Anziehungskraft faschistischer Programme die geistigen Leistungen der Mitmacher und Sympathisanten unter die Lupe zu nehmen, etwa der naheliegenden Frage nachzugehen, welchen (ideellen) Nutzen sich die Staatsbürger als Teilhaber an den Erfolgen eines Dritten Reiches versprochen haben, aus welchen Kalkulationen sie die politischen Standpunkte des Faschismus geteilt haben, welche Berührungspunkte der faschistische mit dem demokratischen Untertanen-Nationalismus aufweist usw.  
Die Inhalte des faschistischen Bewußtseins spielen bei Adorno lediglich insofern eine Rolle, als aus der  angeblichen »Irrationalität« faschistischer Ideologien insbesondere antisemitischer Vorurteile die Schlußfolgerung gezogen wird auf das Walten einer inneren Determinante, deren Wirkkraft sich die  Existenz antisemitischer Einstellungen verdanken soll:

"Die objektive Situation des Individuums kommt als Ursprung solcher Irrationalität kaum in Frage; besser sieht man sich dort um, wo die Psychologie bereits die Quelle von Träumen, Fantasien und Fehlinterpretationen der Welt gefunden hat - in den verborgenen Bedürfnissen der Charakterstruktur." (S.12)
Nun soll ja nicht bestritten werden, daß die faschistische Ideologie eine ganze Ansammlung gedanklicher Widersprüche beinhaltet. Sie bewerkstelligt es bekanntlich beispielsweise, unter dem Stichwort der  Verschwörung des Weltjudentums so gegensätzliche Kräfte wie das Finanzkapital und den Bolschewismus zu versammeln. Auch das von Adorno präsentierte Interviewmaterial liefert höchst aussagekräftige Beispiele für den sonderbaren Inhalt der Gedankenwelt von (potentiellen) Faschisten. Daß insbesondere die antisemitischen Vorurteile einen absoluten "Widerspruch zwischen Urteil und Erfahrung" (S. 139) beinhalten, ist selbstevident. Nur: läßt sich aus diesen Befunden ableiten, daß deshalb der Grund für den Antisemitismus in »psychologischen Determinanten« zu suchen sei?

Der Übergang von der Eigenschaftsbestimmung des Erklärungsgegenstandes – der  Existenz als irrationell titulierter faschistischer Ideologien in den Köpfen der Menschen - auf deren Herkunft aus "starken psychischen Impulsen" (S.139) ist alles andere als zwingend. Wie kommt eigentlich Adorno darauf, dem Bewußtsein die Fähigkeit abzusprechen, unvernünftig bis verrückte Urteile bilden zu können, sich  Zwecke zu setzen - wie beispielsweise für Deutschlands Ehre sein Leben als Soldat aufzuopfern -, die auch bei oberflächlichster Betrachtung äußerst schädlich für ihn sind? Anders gefragt, aus welchen Gründen sollen derartige Gedanken eigentlich nicht  Gegenstand von Wille und Bewußtsein sein können, sondern durch das Unbewußte erzeugte "Fehlinterpretationen der Welt". 
Was soll beispielsweise den genuin politischen Gedanken, die Befreiung der Nation von Volksschädlingen als eine unumgängliche  Notstandsmaßnahme zur Rettung von Volk und Staat zu propagieren, derart disqualifizieren, daß dieser das Prädikat eines eigenständigen Urteiles nicht verdienen soll?
Abgesehen davon ist auch die Begründung für die irrationelle Qualität, die Adorno der faschistischen Ideologie, namentlich den judenfeindlichen Stereotypen zuschreibt, von eigentümlicher Natur. Adorno zufolge ergibt sich nämlich die "Irrationalität" besagter Ideologien aus deren antidemokratischem Inhalt. 
Der politische Standpunkt, die Welt aus der Sicht des nationalen Interesses zu betrachten und im Inneren unnütze bis schädliche Elemente im eigenen Volkskörper zu entdecken (Ausländer, Asylbewerber, Obdachlose, Roma und Sinti, Kommunisten etc.), ist jedoch auch dem politischen Leben der Demokratie gar nicht so fremd, die Adorno als rationelles Gegenmodell zur faschistischen Irrationalität vorstellig macht. Dasselbe gilt für den allgemeinen Glauben an das segensreiche Wirken eines mächtigen Staates und starker politischer Führerpersönlichkeiten oder für die Ideologie des Volksgemeinschaft oder des Gemeinwohls, hinter der anerkanntermaßen die egoistischen Partikularinteressen zurückzustecken haben. Oder kommt die Irrationalität erst in Spiel, wenn die barbarisch-staatsterroristischen Konsequenzen des  nationalen Standpunktes in Gestalt der Einrichtung von Vernichtungslagern gezogen werden? Wer die Sinnlosigkeit von Leichenbergen zuvörderst erst im KZ entdeckt, der muß sich fragen lassen, ob er dem massenweisen Opfertod auf demokratischen Schlachtfeldern eine relative Rationalität zusprechen möchte.

Auch die Berufung auf die eklatante Kluft zwischen dem antisemitischen Urteil und der Erfahrung hilft Adorno in diesem Zusammenhang nicht weiter. Diese Argumentation lebt von der Unterstellung, daß »eigentlich« die Bildung politischer Urteile auf der Erfahrung und dem Bedürfnis der Individuen beruhen würde, sich ihre Erfahrungen rationell erklären zu wollen. Die Empirie antisemitischer und ausländerfeindlicher Vorstellungen belehrt den unbefangenen Betrachter jedoch eines anderen. Bei der Bildung solcher »Vorurteile« waltet als vorab feststehendes Erklärungsmodell ein vorausgesetzter nationaler Standpunkt, der sich völlig frei davon gemacht hat, sich an der Kompatibilität  seiner Urteile mit der Welt prüfen lassen zu wollen. Diese a-priori-Position begründet sich nicht aus den Argumenten, die sie zu ihrer Untermauerung anführt, sondern diese Argumente sind das relativ beliebige austauschbare Belegmaterial für den voraussetzten nationalistischen Standpunkt. Dies läßt sich anschaulich am gewöhnlichen Verlauf von Diskussionen mit Ausländerfeinden demonstrieren. Kaum, daß man ihnen mühevoll die Sache mit dem »Arbeitsplatzraub« widerlegt hat, folgen mit einem großen »Aber« die fremdländischen Kulturgewohnheiten, die das Leben mit Ausländern so schwer machen, nach Widerlegung dieser die nächste ausländerfeindliche Stereotype usw.

Als Zwischenfazit ist also festzuhalten, daß die beiden von Adorno dafür ins Feld geführten Argumente, sich zur Erklärung des faschistischen Massenbewußtseins vom Bewußtsein selber ab- und stattdessen der Psychostruktur der Massen zuzuwenden und "die Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien in erster Linie (als abhängige Variable) von psychologischen Bedürfnissen" (S. 3) bestimmen zu wollen,  bereits im Ausgangspunkt  den Tatbestand der systematischen Irreführung erfüllen. Denn weder läßt sich aus der fehlenden Determinationskraft der objektiven Klassenlage  ein hinreichend begründeter Schluß auf die entscheidende Maßgeblichkeit  psychischer Wirkkräfte bei der Bildung faschistischen Massenbewußtseins ziehen, noch verweist  die "antidemokratische Irrationalität" faschistischer Ideologien auf den Ursprung ihrer Akzeptanz  aus tieferen seelischen Quellen. 

3. Der autoritäre Charakter als Funktionsbedingung des Faschismus

Die Präferenz der faschistischen Ideologie ist diesem Determinationsmodell zufolge die Auswirkung einer spezifischen, nämlich autoritären Ausformung der Charakterstruktur, deren Existenz wiederum rein funktionalistisch aus den Erfolgsnotwendigkeiten des Faschismus abgeleitet wird. Den autoritären Charakter, jene Kombination aus »angstvoller Unterwerfung« und »aktiver Kooperation« muß es also geben, weil ansonsten der Faschismus nicht funktionieren könnte:
"Faschismus muß, um als politische Bewegung erfolgreich zu sein, eine Massenbasis haben. Er muß nicht nur die angstvolle Unterwerfung, sondern auch die aktive Kooperation der großen Mehrheit des Volkes sichern. Da er durch seine bloße Natur Wenige auf Kosten der Mehrheit begünstigt, kann er nicht gut verkünden, die Situation der Mehrheit ihren wirklichen Interessen entsprechend verbessern zu wollen. Er muß deshalb in erster Linie an emotionale Bedürfnisse – oft die primitivsten und irrationalsten Wünsche und Ängste - appellieren und nicht an das rationale Selbstinteresse." (S. 13)
Derartige emotionale Bedürfnisse und primitivste und irrationalste Wünsche und Ängste, die sich die faschistische Propaganda so erfolgreich zu Nutze macht, kennzeichnen den autoritären oder sadomasochistischen Charakter, den Adorno und Horkheimer der Freudschen Psychopathologie entlehnt haben:
"Nach Horkheimers Theorie…geht äußere gesellschaftliche Repression mit innerer Verdrängung von Triebregungen zusammen. Um die »Internalisierung« des gesellschaftlichen Zwanges zu erreichen, (…) nimmt dessen Haltung gegenüber der Autorität und ihrer psychologischen Instanz, dem Über-Ich, einen psychologischen Zug an. Das Individuum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung. In unserer Gesellschaftsform finden sadistische so gut wie masochistische Neigungen Befriedigung. Bei der spezifischen  Lösung des Ödipuskomplexes, welche die Struktur des hier besprochnen Syndroms bestimmt, werden solche Befriedigungen in Charakterzüge umgesetzt; …der resultierende Haß gegen den Vater wird durch Reaktionsbildung in Liebe umgewandelt. Diese Transformation bringt eine besondere Art von Über-Ich hervor. Die schwierigste Aufgabe des Individuums in seiner frühen Entwicklung, Haß in Liebe umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In der Psychodynamik des »autoritären Charakters« wird die frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt ein Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also." (S. 323)

Der Antwort 1. Teil: Herrschaft verlangt Anpassung der Herrschaftsunterworfenen an gesellschaftliche Zwänge.
Der Antwort 2. Teil: Anpassung unter die Autorität setzt voraus, daß der Untertan an Gehorsam und  Unterordnung Gefallen findet.
Der Antwort 3. Teil: Die Bildung dieses  Unterwürfigkeitsbedürfnis selber als Transformationsprozeß einer ursprünglichen Haß- in das glatte Gegenteil einer Liebesbeziehung des Untertanen zur Autorität
Der Antwort 4. Teil: Umwandlungsprozeß in masochistische Unterwürfigkeit gelingt nicht vollständig: Restaggression reagiert sich als Sadismus an Fremdgruppen (namentlich Juden) ab

Teil 1: Herrschaft verlangt Anpassung des Untertanen an Autorität

Die Bildung des autoritären Charakters als Organisator der Untertänigkeit der Massen läßt sich nicht ohne eine Reihe elementarer gedanklicher Fehlleistungen bewerkstelligen. Und diese Fehlerkette beginnt mit zwei falschen (sozialwissenschaftlichen) Abstraktionen, mit denen das Verhältnis zwischen der faschistischen Herrschaft und deren dienstbaren Bürgern als  Entsprechungsverhältnis zwischen Autorität und Gehorsam gefaßt wird.
- Die Konstruktion des Entsprechungsverhältnisses beruht auf 2 falschen Abstraktionen: Der Staat als  Autorität und die Unterwürfigkeit der Bürger
Die Bestimmung des Staates als Autorität oder Gewalt erfordert nämlich zunächst die systematische Abstraktion von allen Bestimmungen, die das spezifische Verhältnis zwischen dem bürgerlichen Staat und  seinen Staatsbürgern kennzeichnen. Das sind auf Seiten der Obrigkeit die ökonomischen und politischen Ziele der Herrschaft, ihre Erfolgsmaßstäbe und ihre Herrschaftsmittel und auf der Seite der Untertanen deren Stellung  innerhalb des Herrschaftssystems und die auf dieser Stellung beruhenden Kalkulationen im Umgang mit der Staatsgewalt. In der falschen Abstraktion einer Autorität oder Herrschaft »als solcher« sind jedoch alle diese Bestimmungen ausgeblendet, die das Wesen gerade der bürgerlichen Herrschaft ausmachen. Wie umgekehrt in den Kategorien »Unterordnung« und »Gehorsam« lediglich das von allen Inhalten der Herrschaftsbeziehung bereinigte Moment der Herrschaftsunterworfenheit festgehalten ist. Der Zweck einer Herrschaft besteht jedoch nicht darin, Gehorsam bei ihren Untertanen zu erzeugen, wie umgekehrt die Tätigkeit der Untertanen nicht darin besteht, ihre Unterwerfung unter die Obrigkeit zu organisieren. Sondern die Organisation der Herrschaftsunterworfenheit, die Herstellung der (staatbürgerlichen) Botmäßigkeit  ist das Mittel der Herrschaft, ihre Untertanen für die Verwirklichung ihrer spezifischen Herrschaftszwecke einzuspannen.
Da es im Kapitalismus welcher Spielart auch immer um die Vermehrung des Geldreichtums und die Stärkung der Staatsmacht geht, dürfte auch dem Kapitalismuskritiker Adorno, der die Redeweise von der Herrschaft des Tauschwerts ständig im Munde geführt hat, nicht gänzlich unbekannt gewesen sein.
Und wie der vom Staat durch Recht und Eigentum organisierte »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse« ganz freiheitlich die praktische Botmäßigkeit der Bürger herstellt, ist nun auch wahrlich kein großes Geheimnis. Der Kapitalismus – und das gilt auch für dessen faschistische Variante - beruht nicht einfach auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam, er löst sich nicht einfach in Kriegs- und Arbeitsdienst auf. Weder in der bürgerlichen Demokratie noch im Faschismus wurden die Lohnarbeiter durch staatliches Kommando in die Fabrik getrieben. Sie sind vielmehr dem marktwirtschaftlichen Sachzwang des Eigentums ausgeliefert. Wenn sie ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen, dann müssen sie für fremde Zwecke arbeiten wollen. Auch dieser politökonomische Grundtatbestand ist Adorno durchaus geläufig. Nur liegt ihm nichts ferner, als daraus zu folgern, daß für die praktische Botmäßigkeit der Massen der staatlich eingerichtete Zwingkraft eines Erpressungsverhältnisses namens kapitalistischem Eigentum verantwortlich sein könnte.  Eines mittels des Geldes und des Eigentums ins Leben gerufenen Erpressungsverhältnisses, auf das sich die Untertanen mit Willen und Bewußtsein so beziehen, da sie aus der Alternativlosigkeit der ihnen aufgeherrschten politökonomischen Lage den Schluß ziehen, die ihnen vorgegebenen  Einrichtungen der Gesellschaft, das Geld, die Lohnarbeit, den Sozialstaat etc. als Mittel ihrer individuellen Wohlfahrt  begreifen zu wollen und darüber auch zum theoretischen  Parteigänger der Staatsgewalt werden, welche die allgemeine Bedingung ihrer Existenz bildet. Auf der Grundlage der ihnen aufgezwungenen lebenslangen Abhängigkeit von den Konjunkturen des Kapitalwachstums betrachten sie die Erlaubnis, ihre Dienste am kapitalistischen  Eigentum leisten zu dürfen, als das höchste Gut und erteilen in der (demokratischen) Wahl dem Staat der ihnen diese lebenslange Abhängigkeit  beschert, ihre Zustimmung. Mit einem Wort: die Erfolgstory bürgerlicher Herrschaftsverhältnisse politischer und ökonomischer Art besteht gerade darin, daß diese Herrschaftsform auf der Anerkennung und Benutzung des freien Willens der  Beherrschten beruht, die sich selber fälschlicherweise als die Herren ihrer Lebensgestaltung begreifen.
In der Psychologik Adornos freilich stellt sich dieser Sachverhalt  ein wenig anders dar. Die theoretische und praktische Parteinahme der Herrschaftsunterworfenen für ihre Herrschaft ist nicht die Konsequenz von nationalistischen Berechnungen der Bürger, welche die staatliche Herrschaft, der sie unterliegen, als positive Bedingung für ihre eigenen Zwecke begreifen und sich deswegen erfolgreich für die herrschaftlichen Zwecke mobilisieren lassen. Die »Internalisierung« der herrschaftlichen Anforderungen an den Bürger ist bei Adorno nicht eine Leistung des falschen Bewußtseins, eine Übersetzung der negativen Abhängigkeit von Staat und Kapital in das eigene Interesse. Die Praktizierung staatsbürgerliche Loyalität ist vielmehr die Befriedigung einer spezifischen psychologischen Bedürfnislage des mit einem autoritären Charakter ausgestatteten Bürgers, der "an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet".
In der »autoritären Unterwürfigkeit«  verwirklicht sich die "masochistische  Komponente des Autoritarismus"(S. 50)
Das heißt, wenn der Untertan in Fabrik oder Büro schuftet, seine Steuern zahlt, im Kriegsdienst Kopf und Kragen für sein Vaterland riskiert und seiner politischen Führung zujubelt, dann alles nur, weil es sein tiefstes seelisches Anliegen ist, von seiner Herrschaft unterdrückt zu werden.

Teil 2-4

Wie geht nun die Herstellung der absoluten Korrespondenz zwischen und den Funktionsnotwendigkeiten der faschistischen Herrschaft  und dem sado-masochistisch bestimmten autoritären Charakter? Durch die Verwandlung der ursprüngliche Haß- und Furcht-Beziehung in eine Liebesbeziehung!
Einmal abgesehen davon, da der – natürlich durch den Ödipuskomplex bedingte – antiautoritär-rebellische Ausgangspunkt  einer Gegnerschaft des Individuums zur (staatlichen) Autorität eine reine Unterstellung bildet, ist es schlichtweg unerfindlich, wie "unterschwellige feindselige und rebellische  Impulse durch Furcht im Zaum gehalten … im Individuum zu einem Übermaß an Ehrfurcht, Gehorsam, Dankbarkeit und ähnlichem" gegenüber der Autorität führen können sollen (S. 49 f.).
Warum sollte ausgerechnet die Furcht vor der Obrigkeit, die um die Gegnerschaft zu ihr weiß und Gründe kennt, sich vor deren Gewalt zu ängstigen, das Individuum dazu bewegen, sich nicht länger zu fürchten und sich stattdessen mit der Autorität zu identifizieren, gar eine libidinöse Beziehung zu der Herrschaft aufzunehmen, zu der man zuvor noch feindliche Gefühle hegte? Und das Ganze auch noch unbewußt?

Sadismus als Restbestand der nicht in Liebe zur Herrschaft umgewandelten Aggressivität

Wie gut, da dieser Prozeß der Umwandlung der früheren Aggressivität gegenüber der Obrigkeit  in die masochistische Pflege der Untertänigkeit nur unvollständig gelingt und ein Sadismus zurückbleibt, "der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert." Die sadistische Komponente des autoritären Charakters braucht es nämlich, um Antisemitismus und Haß gegen anderweitige Minoritäten  psychodynamisch als »autoritäre Aggression« erklären zu können (S. 50):
"Man könnte sagen, da in der autoritären Aggression die ursprünglich durch die Autoritäten der Eigengruppe erweckte und gegen sie gerichtete Feindseligkeit auf die Fremdgruppen verdrängt wird… der Theorie der Verdrängung zufolge muß der Autoritäre seine Aggression aus innerer Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten. Er muß es, weniger aus Unwissenheit in bezug auf die Ursache seiner Frustration als vielmehr seiner psychischen Unfähigkeit zufolge, Autoritäten der eigenen Gruppe anzugreifen." (S. 51f.)
Bereits im Ausgangspunkt der Konstruktion bleibt unverständlich, warum der besagte Umwandlungsprozeß nicht vollständig gelingen und ein Restbestand an antiautoritärer Aggression zurückbleiben soll. Die Existenz eines derartigen unbewußten Absorptionsmechanismus einmal unterstellt.  Aus welchen Gründen sollte dieser selektiv wirken?
Unbeschadet seiner immanenten Ungereimtheiten besteht die zentrale ideologische Leistung des Konstruktes darin, die Mitwirkung des Untertanen bei Verfolgung und Ausrottung der Juden und anderer Minoritäten bei psychodynamischem Licht betrachtet als eine verkappte unterschwellige Widerstandshandlung gegen die staatlichen Autoritäten erscheinen zu lassen, welche die Verfolgungsmaßnahmen anordnen.
Autoritäre Aggression ist also eigentlich ein antiautoritärer Akt, der zwar einerseits mit dem kleinen Mangel behaftet ist, sich gegen die falschen Adressaten zu wenden, andererseits jedoch wegen seiner »inneren Notwendigkeit« doch letztlich irgendwie entschuldbar ist. Denn wenn sich die Aggression wegen der »psychischen Unfähigkeit« der Individuen nicht gegen den »richtigen«  Adressaten richten kann, muß sie sich ein »Ersatzobjekt« suchen. Weil: zu einer anständigen Aggression gehört nun einmal deren Entladung und die braucht  »Ventile«, mittels derer die Aggressionsabfuhr erfolgen kann. Alles andere würde - dies hatte uns schon Altmeister Freud bei seiner Erklärung des Krieges aus der aggressiven Menschennatur gelehrt – eine Gefährdung der Stabilität des Gleichgewichts der psychischen Kräfte darstellen.

An dieses triebdynamische Konstrukt Freuds knüpft Adorno nahtlos an in seiner Begründung der seelenhaushälterischen Funktion des Judenhasses:
"Die psychische Dynamik, die nach dem antisemitischen Ventil »verlangt« – das ist im wesentlichen die Ambivalenz autoritärer und rebellischer Neigungen."(S.110)
Und falls diesem Verlangen nicht stattgegeben wird, droht Adorno zufolge gar der Eintritt einer Psychose:
"Das Konzept dieses Kapitels geht von der allgemeinen Annahme aus, daß die - zum großen Teil unbewußte - Feindschaft, die aus Versagung und Repression resultiert und sozial vom eigentlichen Objekt abgewandt wird, ein Ersatzobjekt braucht, durch das  sie einen realistischen Aspekt für das Subjekt gewinnt, das radikaleren Äußerungen eines gestörten Kontaktes mit der Realität, d. h. einer Psychose ausweichen muß."(S.108)

Wenig trostreich erscheint es, daß die Begründung der seelenhaushälterischen Funktionalität des Antisemitismus jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Die Redeweise von der »unbewußten Feindschaft« einmal stehen gelassen - denn zumindest Adornos Variante unbewußter Feindschaft scheint ja immer noch zu wissen, warum sie sich gegen wen richtet: hier nämlich die Autorität - stellt sich die Frage nach der Umleitung der gegen die Autorität gerichteten unbewußten Feindschaft auf ein Ersatzobjekt.
Warum sollte sich die auf einen bestimmten Gegner bezogene Aggressivität eigentlich damit zufrieden geben, auf ein Ersatzobjekt umgeleitet zu werden? Und wieso sollte das durch mangelnden Realitätsbezug gekennzeichnete Subjekt ausgerechnet auf den Juden als »Ersatzobjekt« kommen?
Die nahe liegende Erklärung, daß der im Volk verbreitete Judenhaß darauf zurückführen ist, daß die Mitmacher die politischen Urteile ihrer Obrigkeit über die Juden als auszurottende Schädlinge am deutschen Volkskörper geteilt haben, daß ihrem nationalistischem Bewußtsein die faschistische Judenhetze eingeleuchtet hat, kommt für Adorno natürlich nicht in Betracht. Denn erstens ist der Judenhaß ja "zum großen Teil unbewußt", eine Folge "unbewußten Vernichtungswillens" (S.108) und zweitens nur eine Ersatzhandlung für die eigentlich den Autoritäten geltende Feindschaft.

Schluß aus der Faktizität des Judenhasses auf dessen seelenhaushälterische Funktionalität

Stattdessen  schließt Adorno aus der Faktizität des Judenhasses zurück auf dessen Funktionalität für den Seelenhaushalt des Menschen nach der Devise: Wenn die Menschen Judenhaß gehegt haben, dann wird das ihre Psyche wohl auch benötigt haben:
"Das heißt nicht, daß Juden Haß auf sich ziehen müssen oder daß eine unabwendbare historische Notwendigkeit sie eher als andere zum idealen Angriffsziel sozialer Aggressivität macht. Es genügt, daß sie diese Funktion im psychischen Haushalt vieler Individuen erfüllen können."(S.108).
Der Mensch braucht Antisemitismus, weil andernfalls eine psychotische Störung droht -  kaum zu glauben, aber leider wahr – auf diese Aussage läuft die Erklärung des Judenhasses durch einen vor dem Nationalsozialismus emigrierten jüdischen Kritikers des Faschismus hinaus.
Im Lichte der von Adorno entdeckten nützlichen Beiträge des Judenhasses für den Seelenhaushalt in Gestalt der Bewahrung vor Orientierungslosigkeit – das Individuum wüßte ja glatt nicht mehr, wem es anstelle seiner Herrschaft die Verantwortlichkeit für die erlittene Repression und Triebsversagung in die Schuhe schieben könnte - und der Reduzierung gesellschaftlicher Entfremdung:
"Die Fremdheit der Juden scheint die handlichste Formel zu sein, mit der Entfremdung der Gesellschaft fertig zu werden. Den Juden die Schuld an allen bestehenden Übeln zuzuschieben, mag die Dunkelheit der Realität erhellen wie ein Scheinwerfer, der rasche und umfassende Orientierung gewährt."(S.124)
stellt sich abschließend die Frage, was man vom triebpsychologischen Standpunkt aus eigentlich noch gegen Konzentrationslager einwenden sollte? Gemäß der Sichtweise der Psychologik des subjektiven Faktors scheint es sich wohl recht eigentlich um Sanatorien  zu handeln, die der geschundenen Menschenseele der faschistischen Schergen die Gelegenheit zur gesundheitsförderlichen Triebabfuhr bzw. zur gemeinschafts-identifikatorischen Sinnstiftung gegeben haben.

4. Die Generalleistung  der Theorie des autoritären Charakters: Der Faschismus als Dienstleistung am Untertanenbedürfnis

Die Theorie des autoritären Charakters besteht in der psychoanalytischen Konstruktion eines idealen Herrschaftsverhältnisses, in deren Rahmen die Subjektivität des faschistischen Untertanen darin besteht, das Anforderungsprofil der Ansprüche der Herrschaft auf Untertänigkeit  zu erfüllen. Die Quintessenz der Theorie besteht darin, unter vollständiger Abstraktion vom Inhalt staatlicher und ökonomischer Herrschaft im Kapitalismus insbesondere von den Kalkulationen und Berechnungen von Untertanen, die sich als Lohnarbeiter, Steuerzahler usw. den ihnen vorgegebenen Lebensverhältnissen anpassen, die theoretische und praktische Loyalität der Bürger erklären zu wollen durch die Annahme eines psychischen Regelmechanismus namens autoritärer Charakterstruktur, der qua Internalisierung die geforderte Unterwerfung bewerkstelligt.
Der paßgenau auf die Bedürfnisse der Herrschaft über sie zugeschnittene untertänig-masochistische Massencharakter ist zum einen die Funktionsbedingung des Faschismus. 
Zum anderen wird umgekehrt die Existenz der Obrigkeit als Erfüllung der verborgenen seelischen Bedürfnisse des Menschen vorstellig gemacht. War die Botmäßigkeit zunächst als reiner, aus Furcht vor der Autorität gespeister Unterwerfungsakt des Individuums gefaßt, der sich aus den Notwendigkeiten der Herrschaft ergab, kommt als zusätzliche Bestimmung ins Spiel, daß die hingebungsvolle Unterordnung unter die Herrschaft zugleich den tiefsten Wünschen und Regungen der Menschenseele entspricht. Die aus den Notwendigkeiten der Herrschaft abgeleitete Unterordnungsbereitschaft des Bürgers wird ergänzt durch ein seelisches Dienstverhältnis der Herrschaft am Untertanen. Die Herrschaft befriedigt dadurch, daß sie den Menschen Gelegenheit gibt, sich als Untertanen zu betätigen, zugleich auch deren psychische Notdurft, welche die sadistische Entladung ihrer Aggressivität am Ersatzobjekt der Juden einschließt.
Wo angesichts dieser überaus harmonischen Lovestory zwischen der Herrschaft und ihren Untertanen eigentlich der Gegensatz zwischen der autoritären Herrschaft und den Bürgern geblieben ist, der immerhin noch am Ausgangspunkt der Erklärung des faschistischen Massenbewußtseins gestanden hatte, wagt man da gar nicht mehr zu fragen.
Und  diese triebökonomische Konstruktion einer von der Gesellschaft erzeugten autoritären Charakterstruktur, die dem Menschen mit allen Qualitäten des idealen Untertanen ausstattet, versteht sich als kritische Korrektur des ökonomischen Determinismus, der dem Marxismus angeblich zu eigen sein soll.
Das also ist der subjektive Faktor sein: Der sadomasochistische Untertanencharakter als  gesellschaftliche Naturbestimmung der bürgerlichen Subjektivität, mit Hilfe der Freudschen Psychologie in den Abgründen der menschlichen Seele verankert.