Ein Alleingang undeutscher Art

Im Gegensatz zur deutschen Politik -
"Die EU-Kommission schleuderte ungewöhnlich scharfe Worte Richtung Washington: 'Die USA diskriminiert unsere Bürger, indem sie einzelne herauspickt und anders behandelt!' Der Sprecher von Innenkommissar Franco Frattini reagierte damit auf die Nachricht aus Washington, dass Tschechiens Innenminister Ivan Langer ein 'Memorandum of Understanding' mit US-Heimatschutzminister Michael Cherthoff über Visafreiheit unterzeichnen werde, was er Dienstagabend trotz des Protests der EU-Partner auch tat." (taz, 11.03.2008) -
liest man in der tschechischen Právo folgendes:

"Natürlich war das hinterrücks durchgezogene Solodiplomatie, die die Verhandlungsposition der 'alten' EU-Länder erschwert. Diesen steht der Kampf um die – bisher unkomplizierten – Einreisebedingungen in die USA erst bevor. Und natürlich haben das die tschechischen Emissäre absichtlich gemacht, um von Bush gelobt zu werden und das Gefühl zu haben, endlich jemandem nützlich zu sein. Allerdings sind die Spannungen zwischen dem 'alten' und dem 'neuen' Europa in dieser Frage zweischneidig und heuchlerisch. Vier Jahre ist Tschechien in der EU, ohne daß jemand aus Brüssel, London, Paris oder Berlin im Oval Office im Interesse der Neumitglieder auf den Tisch gehauen hat. Wo ist eigentlich das Europa von dem immer alle sprechen – unsere genauso gemeinsame wie eigenartige Heimat." (04.03.08)

So stellt man in Prag die Widersprüchlichkeit Europas fest, um am widersprüchlichen Europa festzuhalten. Eine Dialektik, die diese Zeitung aufgrund der nationalen Erfordernisse der neuen Zeit gelernt hat. Als die Zeitung noch Rudé Právo (Rotes Recht) hieß, konnte man auf solcherart Dialektik locker verzichten (- eine andere hat sie ohnehin nie gekannt).
Im übrigen: Sollte die Frage nach der Eigenart EU-Europas doch ernstgemeint sein, wären in der Zeitschrift GegenStandpunkt Antworten zu finden, z. B. Ausgabe 2/2007: Fortschritte und Verlegenheiten des Projekts 'Weltmacht Europa' oder
4-2000   Europa (I):  Währungsunion
2-2001   Europa (II): Pro-EU-Nationalismus
4-2002   Europa (III): Krise
1-2003   Europa (IV): Ost-Erweiterung
1-2004   Europa (V):  Die innere Verfassung
3-2005   Europa (VI): Welches Europa?
und manch weitere Artikel.

Hier noch ein Scherzchen aus der Prager Zeitung v. 06.03.08:
"Präsident Bush: 'Das sind unnötige Befürchtungen Mr. Topolánek [Ministerpräsident]. Niemand bei ihnen in Europa wird auf den Gedanken kommen, daß Radaranlage gegen Visafreiheit ein hübsches Tauschgeschäft ist.'" Warum wohl? Hat die EU etwa "Tauschgeschäfte" anzubieten, selbst wenn es um einen solch ungleichen Tausch ginge? -
Wenn die EU z.B. kein offenes Ohr für die Energiewünsche Tschechiens hat, ja ihm beim anvisierten Ausbau von Temelín und Dukovany gar Steine in den Weg legen will, werden die Aufträge wohl wieder an US-Firmen gehen (eine US-Firma - Westinghouse - war in Temelín ja schon einmal tätig geworden). Was der imperialistische Gegensatz zwischen der EU und den USA alles möglich macht: Er macht es möglich, daß sich ein Kleinstaat wie Tschechien, obschon nur Spielball der Großmächte, als Subjekt des Geschehens - zumindest bezüglich seines eigenen nationalen Geschicks - empfinden kann. Im Zuge und im existenziellen Sinne der Einigung Europas ist es den EU-Macher-Staaten offenbar nicht gelungen, ein erforderliches und gefordertes, grundsätzliches Stück Antiamerikanismus durchzusetzen, ganz im Gegenteil. Der Anspruch nämlich, die Einigung auf einer (supra)nationalen Einbildung namens Europa nahezu kostenlos basieren lassen zu können, ist zu vermessen, um wahr zu werden. Da kann man wie Frattini - siehe oben -  richtig antiamerikanisch losdonnern, so wird das sicher nichts.
(11.03.08)