Rafik Schami:
Wenn ein Dichter beginnt, nachdenklich zu werden,
dann bleibt zwar kein Auge trocken, aber die Wahrheit auf der Strecke!
Ist es nicht peinlich, wenn einer ob seines parteiischen Zorns, in den
er aufgrund seiner moralischen – sehr unsachgemäßen!
– Betrachtungsweise der Politik gerät, schon gar nicht mehr
den offenkundigsten Widerspruch seines Standpunktes bemerkt? So wenig
die bloße Anwesenheit in einem arabischen Staat ein
Qualitätsmerkmal ist – so lautet sein Vorwurf an 2 deutsche
weltenbummelnde »Prominenz-Journalisten« [Scholl-Latour und
Todenhöfer] –, so wenig ist es nämlich ein
Qualitätsmerkmal, geschweige denn, wie er behauptet »purer
Rassismus«, "wenn einer nicht einmal ein Wort arabisch
spricht, aber Analysen über die arabischen Aufständischen im
Untergrund anstellt." (taz, 03.03.12) Gibt es nicht jede Menge Übersetzungen aus dem Arabischen, ja bloggen nicht wenige auf englisch, um in der
Welt, auf die – wie sie richtig vermuten – alles ankommt,
in den imperialistischen Staaten des »freien Westens« eben,
Gehör zu finden und verstanden werden? Wer will denn behaupten,
daß es umgekehrt sein müßte, daß jene Staaten zu
arabischen Ansprachen greifen und ihrer versammelten Intelligenz
empfehlen müßten,
arabisch zu lernen, um ganz tief einzutauchen in dieses nur allzu
fremde Bewußtsein? Doch nicht einmal der Dichter selber, welcher
vorzugsweise auf deutsch schreibt!
Aber das ist ja schon der erste »Trick« seiner sagenhaft
unsachlichen Polemik: Er tut so, als gäbe es die Welt des
Imperialismus gar nicht. Das hat den Vorteil, daß er so tun kann,
als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, daß
dessen Maßstäbe und Maßgaben – die verlogenen
wie die wirklichen (von denen er selbstredend keinerlei Begriff hat)
– gelten und, wo nicht, so doch gelten sollten. Daß die
arabischen Diktaturen – Syrien ist da wirklich eine Ausnahme
– nichts anderes sind als »selbständige«
Dependancen des »freien Westens«, ist ihm schlicht egal.
Und sollte einer darauf hinweisen, wird er stinksauer.
Diesbezüglich zitiert er einen jener
»Prominenz-Journalisten«: "Insgesamt funktioniert die
Lawrence-von-Arabien-Strategie jedoch vorzüglich. Viele Araber
erkennen nicht, daß der Westen sie noch nie befreien, sondern
immer nur beherrschen wollte." (Zitat nach FAS, 19.02.12)
Was sollte daran falsch sein [höchstens das »nur«]?
Geht nicht ein Herrschaftsanspruch immer mit der Lüge der
Befreiung einher? Nein, eine deutsche Prominenz desavouiert die
Aussage! Als ob ein Reaktionär nicht ausnahmsweise mal zu einer
richtigen Erkenntnis gelangen könnte!
Doch damit wäre der Weisheit des Dichters noch nicht gerecht
geworden. Er folgt nämlich – das ist sein zweiter
»Trick« – dem Spleen, die Wirklichkeit gegen die
Wahrheit zu setzen. Für ihn ist die Wirklichkeit nämlich
selbsterklärend, kommt also ohne ein richtiges Urteil über
sich aus! Konkret: Er denkt sich die imperialistischen Ansprüche
aus der Welt, um sie sich dann so wieder in sie hineinzudenken,
daß sie für das Gute & Schöne schlechthin stehen,
für das er selber eintritt. Das ist – wie bei allen
radikalen Moralwächtern westlicher Prägung –
vornehmlich dann der Fall, wenn der »freie Westen« einmal
mehr gegen die Diktatur in Syrien zürnt und – Augen und
Klappe zu! – gleichzeitig Panzer ins bekanntlich schwer
demokratische Saudi-Arabien verkauft, wo sogar Männer
Zivilfahrzeuge lenken dürfen!
Die zitierte Feststellung über den Westen wird keineswegs dadurch
konterkariert, daß wie der Dichter meint, sie der
Assad-Propaganda entspräche, der zufolge der Aufstand »von
außen gesteuert« werde. Es ist doch vielmehr der Westen
selber, der feststellt, daß sich der Aufstand von ihm gar nicht
steuern lasse, wo er ihn doch nur allzu gerne steuern und für sich
ausnützen würde! So sehr dem Westen an einer Destabilisierung
eines Feindstaates gelegen ist, so wenig kommt es ihm gelegen, wenn ein
»unkontrollierter« Aufstand losbricht, einer der zudem in
einem Staatsgebilde münden könnte, das sich einen feuchten
Dreck um westliche Prinzipien und Ansprüche schert.
Wer wie der Dichter allerdings die Gewalt eines Staates und deren Opfer
für die Wirklichkeit schlechthin hält, also jedweder
Erklärung zu entbehren gedenkt, der kommt notgedrungen über
eine moralische Verurteilung nicht hinaus. Für den gibt es nichts
als Verurteilung, jedoch kein, schon gleich kein richtiges Urteil
darüber, welche Interessen denn gelten und welche nicht. Ein
solcher will den Krieg, den gerechten Krieg versteht sich, und seine
Opfer sind ihm so egal wie der schiere Erfolg ihnen recht gibt. Was den
Dichter nun so auf die Palme bringt, ist, daß es diesen Erfolg,
momentan jedenfalls, nicht gibt. Deswegen haßt er all die, die
aus welchen Gründen auch immer an einem solchen Sieg, dem Sieg
einer gerechten Sache nicht interessiert sind.
Davon gibt es, grob betrachtet, zwei Fraktionen. Die eine ist
Rußland, das sich – wenn auch reichlich spät –
auf seine vom Imperialismus schon allzu sehr beschnittenen Interessen
zu besinnen scheint. Also eine Staatsalternative, die mit der
entsprechenden Gegengewalt ausgestattet ist, welche der Imperialismus
seinem Leidwesen zum Trotz noch immer nicht entschärft hat und der
mit seinem Stützpunkt Syrien ein weiterer Zahn gezogen werden
soll. Und im Schatten Rußlands gibt es jede Menge Parteien im
Westen selber, Linksparteien, Kommunisten etc., die sich die Welt
immerzu in nichts anderem als Gewaltalternativen staatlicher
Monopolisierung zurechtdenken wollen, weil sie im Grunde ja nichts
anderes wollen, als von den imperialistischen Mächten selber als
konstruktive, ebenso schön, wenn nicht gar besser (welt-)ordnende
Kraft anerkannt zu werden.
Da gibt es auf der anderen Seite konservative Abweichler, die den
Erfolgsweg ihrer jeweiligen Nation bezweifeln, die für einen
solchen bessere Optionen kennen, deshalb auch die Welt
»realistischer« betrachten wollen, um so vermittels einer
national durchgesetzten, konsequenteren Staatsräson endlich auch
die imperialistische Herrschaft zu einer Sache eines Gusses machen zu
können. Darauf trinken sie dann schon mal einen und sei es mit
Assad.
Bei beiden Alternativen ist nicht zu übersehen, daß die
Opfer der syrischen Diktatur gar nicht geleugnet werden, wie der
Dichter ihnen so vehement vorwirft. Nein, die Opfer werden ins
Verhältnis gesetzt zu anderen Opfern und es wird der Schluß
gezogen, daß der Aufstand gegen Assad einer Weltordnung nicht
dienlich ist, die sich moralischen Maßstäben verdankt,
Maßstäbe die eben über Syrien hinausreichen! Einer
nationalen Moral setzen dann jedenfalls die Linken unter den
Alternativen eine internationale Moral entgegen. So bescheuert beide
Seiten auch sind, ein Dichter neigt in Anbetracht dessen nie zur
Selbstkritik, nie zur Kritik der Moral als solchen: Nie findet er es
zynisch, Leichen gegen Leichen zu setzen. Schami setzt de facto die
augenblicklichen Syriens gegen die alltäglichen des Imperialismus
(die er aufgrund ihrer Alltäglichkeit schon gar nicht erst
wahrnehmen will!).
Wo gibt es denn den Staat, der nicht über Leichen geht? Würde
der syrische Dichter mal über seinen syrischen Tellerrand blicken,
würde ihm auffallen, daß die deutsche Mehrparteiendiktatur
eben gerade für ihr imperialistisches Währungsprojekt
»Euro« die griechische Arbeiterklasse verelenden
läßt. Und natürlich nicht nur das und die. Erwartet er
tatsächlich Hilfe, die etwas anderes ist als – eben ein
imperialistisches Interesse?
Die Welt ist kein Rafik-Schami-Märchen. Über deren
(Unterhaltungs-)Wert läßt sich streiten. Schamis
moralisch-politischer Anspruch hingegen hat jedenfalls überhaupt
keinen Wert.
(05.03.12)
