»Literatur unter dem Hakenkreuz«

Zur ersten Veranstaltung der Reihe »Literatur unter dem Hakenkreuz
« konnte die Leiterin der Prager Literaturhauses, Lucie Černohousová die Gäste in einem vollbesetzten Vortragssaal begrüßen. Als Referent war der Berliner Germanistik-Professor Hans Dieter Zimmermann gewonnen worden, der sich mit Publikationen und mehreren Prager Symposien zur deutschen Prager Literatur einen Namen gemacht hat. Den Dialog zwischen Tschechen und Deutschen förderte er auch durch die Herausgabe der 33 Bände umfassenden Reihe »Tschechische Bibliothek«.

Wie kam es dazu, dasß deutschsprachige Autoren vor allem ab 1918 in der Ersten Republik zu Wegbereitern eines antitschechischen Nationalismus und dann auch des Nationalsozialismus wurden? Wie entstand schon Jahrzehnte vor der deutschen Okkupation eine bei den Deutschen beliebte Belletristik, in der mit Verachtung auf die tschechische Kultur herabgesehen und die Deutschen als Kulturbringer in den böhmischen Ländern gefeiert wurden, so zum Beispiel mit Sprüchen wie:
"Wo immer Blüten heut in Böhmen prangen, s ist deutsche Saat, die herrlich aufgegangen."
Oder man träumte den wirren Traum eines Großdeutschen Reiches und dichtete:
„Es wachse über Grenze, Pfahl und Stein
Ein Volk vom Böhmerwald bis an den Rhein."
Ein sudetendeutscher Wunschtraum, der dann mit dem Protektorat Böhmen und Mähren für die Tschechen zur grausamen Realität wurde.
Zimmermann verwies auf die Rolle der Heimatliteratur, die in den sogenannten sudetendeutschen Regionen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Zunächst noch in einem fast unpolitischen Gewand, der sogenannten sudetendeutschen Bauernliteratur, in der das naive Lob auf die deutsche Heimaterde gesungen wurde - eine Heimatliteratur, die die bäuerliche Lebensweise idyllisch verklärte und die heilenden Kräfte der Heimaterde beschwor. Es war eine Literatur, die dann vor allem mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg die Ängste der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber einer Tschechisierung artikulierte und nun vom Ideal des deutschen Menschen faselte, der aus »deutschem Blut und Boden
« seine Kraft im Kampf gegen die tschechische Unterdrückung schöpfte. Nun war der Weg zum Mythos der deutschen Rasse, die sich der slawischen Übermacht zur Wehr setzte, nicht mehr weit.
Diese Entwicklung einer deutschsprachigen Literatur hatte ihre Wurzeln vor allem in den ländlichen Regionen der deutschsprachigen Gebiete Böhmens, also in der Provinz. In der Metropole Prag dagegen waren die deutschsprachigen Autoren von dieser nationalistischen Ideologie Welten entfernt. Autoren wie der junge Rainer Maria Rilke, dazu die jüdischen Autoren wie Max Brod, Franz Werfel und andere setzten sich für ein friedliches Miteinander von Tschechen, Deutschen und Juden im neuen Staat ein, zu tiefst überzeugt davon, daß nur ein Dialog zwischen den Volksgruppen den
nationalen Haß in Schranken zu halten vermochte.
Gegen solche Weltoffenheit wandten sich in Prag zu Beginn der zwanziger Jahre dann völkisch-deutsche Studentenkreise, die von antideutschen und antijüdischen Ressentiments ihrer sudetendeutschen Heimatregionen geprägt waren. Referent Zimmermann dokumentierte diese studentische Bewegung mit einem Ausschnitt aus dem Roman »Der Puchner«, in dem der sudetendeutsche Autor Wilhelm Pleyer dem deutschstämmigen Georg Puchner im Jahr 1934 ein Denkmal setzte. Puchner hatte 1922 einen Streik deutscher Studenten inszeniert, der sich gegen die Ernennung des jüdischen Professors Samuel Steinherz zum Rektor der deutschen Universität richtete. Für Pleyer kämpfte Puchner einen Kampf für die deutsche Kultur, der sich gegen die »Verjudung« der Prager Universität richtete und die deutschen Studenten dazu aufrief, sich dagegen zur Wehr zu setzen, daß »die Standarte Judas auf den Mauern der ältesten deutschen Universität« gehißt wurde. Die Protestaktionen waren von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet . Im NS-Staat avancierte Wilhelm Pleyel zu einem der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller im Dienst der nationalsozialistischen Propaganda. Zimmermann verwies darauf, daß Pleyel wie auch andere sudetendeutsche Aktivisten auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik für ihre Propagierung antitschechischer Parolen Gehör fanden. So erschien noch im Jahr 2004 in Deutschland eine Würdigung Wilhelm Pleyels unter dem Titel »Wilhelm Pleyel. Unnachgiebiger Anwalt der Sudetendeutschen und des Sudetenlandes«.
Die Literaturwissenschaft zählt Wilhelm Pleyel und andere Autoren wie Hans Watzlik und Gottfried Rothacker zur sogenannten Grenzlandliteratur. Daß diese Provinzliteratur geholfen hat, dem Nationalsozialismus unter der deutschsprachigen Bevölkerung eine überwältigende Zustimmung zu verschaffen, belegt schon die Tatsache, daß die Zahl der Parteimitglieder der NSDAP nirgends eine solche Dichte aufwies wie in den sogenannten Sudetenländern. Hier fielen antitschechische und antijüdische Stereotypen auf fruchtbaren Boden, während gleichzeitig in einer Schwarz-Weiß-Malerei der Deutsche in Romanen und Gedichten mit den Attributen Fleiß, Aufrichtigkeit, Tatkraft und Treue geschildert wurde. Für eine vertiefte Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels deutscher Literatur wäre ein Dialog mit der tschechischen Literaturwissenschaft und der Bohemistik interessant, denn auch die tschechische Literatur hat vor und nach 1900 mit einer mit einer agitatorisch antijüdischen und deutschfeindlichen Literatur ein genaues Pendant zur sudetendeutschen Grenzlandprosa geschaffen."

(Prager Zeitung v. 27.01.2011)