Schluß mit der Ambivalenz! von Sascha Stanicic (Sozialistische Alternative, SAV) in Solidarität - Sozialistische Zeitung, Nr. 91 - Juni 2010
Anmerkungen von KoKa

Die SPD in NRW behauptet, eine Koalition mit der LINKEN sei an deren unklarer Haltung zur DDR gescheitert. Das ist vorgeschoben. Die SPD wollte nicht mit der Linkspartei regieren, weil sie mit ihr den anstehenden Arbeitsplatz- und Sozialabbau nicht so einfach hätte umsetzen können. Die DDR-Keule wird geschwungen, um genau davon abzulenken. Aber was ist dran an dem Vorwurf, DIE LINKE verteidige die DDR?

Katharina Schwabedissen vom Vorstand der NRW-LINKEN betonte, die Partei sei bereit gewesen, zu unterschreiben, daß die DDR eine Diktatur war. Und tatsächlich gibt es eine Reihe von Dokumenten der LINKEN, wie zum Beispiel den aktuellen Programmentwurf, in denen eine Distanzierung vom Stalinismus zu finden ist.

Tatsache ist aber leider auch, daß die DDR im Programmentwurf als »Sozialismusversuch« bezeichnet wird und die Kritik am DDR-Staat nur auf der Erscheinungsebene (mangelnde Demokratie, Überzentralisierung und so weiter) formuliert wird, nicht jedoch die Ursachen dafür benannt werden. Es waren die Machtinteressen und Privilegien der Bürokraten in Moskau und Ost-Berlin, die zu einer aktiven Verhinderung von demokratischen Rechten und Arbeiterselbstverwaltung in dem ostdeutschen Staat durch die SED führten. Das führt zu der Schlußfolgerung, daß zwar Millionen ArbeiterInnen nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten, ein 
»besseres«, antifaschistisches und sozialistisches Deutschland aufzubauen – dieser Versuch aber von Josef Stalin, Walter Ulbricht, Nikita Chruschtschow, Erich Honecker verhindert wurde. Der Begriff »Sozialismusversuch« gibt der KPdSU- und SED-Führung eine Legitimität, die sie vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus nicht verdient hat. Wie Heinrich Böll schon sagte: Die größten Antikommunisten saßen in Moskau und Ost-Berlin! Stasi klar verurteilen!
Schlimmer wird die Haltung der LINKEN, wenn SpitzenvertreterInnen der Partei in die Fallen der bürgerlichen Medien und Politiker tappen, weil sie zum Beispiel nicht bereit sind, die Stasi zu verurteilen.

Ist es nur die Erscheinungsebene? Die Erscheinungsebene hat doch offenbar etwas damit zu tun, wie sich die DDR als Staat selber verstand: Als Staat der Arbeiterklasse bzw. als Staat, der die Arbeiterklasse vertritt, weshalb er sich auch die fällige Zustimmung seitens seiner Arbeiterklasse weder als gar nicht zufällig ausmalte noch sie dem Zufall überlassen wollte und daher gleich als Einheit von Staat und Untertanen in die Verfassung geschrieben und im Zweifelsfall mit der (un)mittelbaren Gewalt eines Staates manifestiert hatte.
Was soll das mit den Persönlichkeiten der Staatsführung zu tun gehabt haben? Das war doch das Prinzip, an das jene Personen alle glaubten und das sie - so gut sie es verstanden - umzusetzen bestrebt waren. Dafür bekamen sie dann ihre - im Vergleich zu westlichen Politikergrößen - ziemlich bescheidenen Privilegien, sie wollten ja immerzu auch als Staatsmänner noch als Arbeiter gelten (Honecker z.B. kandidierte bei Wahlen, deren demokratischen Charakter sie zu schätzen wußten, bekanntlich immerzu als Dachdecker, der er früher einmal war), ganz im Gegensatz etwa zu westdeutschen Gewerkschaftskarrieristen, die in den deutschen Bundestag aufgestiegen sind.
Ist nicht vielmehr der Fehler darin zu suchen, als Sozialist einen Staat aufbauen zu wollen? Wenn dem aber so ist, dann zieht dieser Fehler auch die entsprechende Bürokratie nach sich, ebenso wie die Staatssicherheit und alle Überwachungseinrichtungen, die den dementierten Gegensatz (Einheit von Staat und Arbeiterklasse) das Dementi nehmen.
Warum also von einer »Legitimität« reden, die ausnahmslos ein Staat zu definieren bzw. auch allein ein Staat einem seinesgleichen abzusprechen in der Lage ist, wenn er die Gewaltfrage eröffnet? Wie und bei wem sollte denn eine ihrer Interessen bewußte Arbeiterklasse ihrerseits Legitimität einfordern können? Ist sie nicht ausnahmslos Spielball derer, die auf die Legitimität ihres Staates pochen?

Natürlich haben Vertreter eines kapitalistischen Systems, das für Kriege, Umweltzerstörung, Diktaturen verantwortlich ist, und einer Bundesrepublik, in der nach dem Zweiten Weltkrieg alte Nazis Karriere machen konnten (während AntifaschistInnen ins Gefängnis wanderten), kein moralisches Recht, über die DDR zu urteilen. Nicht zuletzt, weil sie mit der SED-Bürokratie das gemeinsame Interesse hatten, die DDR-Diktatur als Sozialismus darzustellen. Warum sonst hat die SPD gemeinsame Papiere mit der SED verfaßt oder hat der frühere bayrische CSU-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß die DDR-Bürokratie mit Milliardenkrediten gestützt? Aber auch wenn linke Kritik an der DDR sich nicht mit bürgerlicher Kritik gleichsetzen lassen darf, darf der Versuch, sich von dieser abzugrenzen, auch nicht dazu führen, daß man auf Kritik verzichtet.

Das Recht, über die DDR zu urteilen, sie zu verurteilen, das hat die BRD nicht, das leistet sie sich und sie kann das dank ihrer eigenen überlegenen Macht. Das mag man als unverschämt kennzeichnen, wenn man es aber als fehlende Moral kennzeichnet, dann schwingt man sich zu einem Staatssubjekt auf, das man nicht ist: Man kritisiert die BRD genau so wie die DDR von einem alternativen Staatsstandpunkt aus.
Genausowenig zielführend ist es, der DDR absprechen zu wollen, sich als sozialistisch zu definieren. Ist es da nicht viel besser zu sagen, was für eine Art »Sozialismus« das gewesen ist, was in der Deutschen Demokratischen Republik herrschte? Und das gleiche gilt übrigens auch hinsichtlich der »Demokratie« und anderer Begriffe, die allenthalben verschieden interpretiert werden; diese jeweiligen Interpretationen obliegen nichts anderem als der Staatsgewalt selber. In diesem Irrgarten verläuft sich übrigens gerade die Linkspartei.
Und zwar deshalb, weil sie kein objektives Urteil über die DDR (und die BRD) anzustreben gedenkt, eines jenseits aller bürgerlichen Vorstellungen, denen ja offenbar auch die »Sozialisten« drüben mehr verhaftet waren, als sie je zugegeben haben. Dahin gelangt man, wenn man immer furchtbar praktisch Politik machen will und alle Theorie verabscheut: Eine Verabscheuung, die sich dann erst recht in einer wahllosen Zitateklauberei vorstellig macht, wie sie im Programmentwurf der DIE LINKE beredt vorliegt.
Klar, wenn sie gewollt hätte, dann hätte sie mittlerweile 20 Jahre Zeit gehabt, die Vergangenheit auf den Begriff zu bringen statt in die Parlamente einzuziehen. Hätten sich die interessierten Personen nicht dann aber wohl auch deshalb zusammengehockt und nicht etwa, um eine Partei zu gründen?

Bärbel Beuermann, Spitzenkandidatin der NRW-LINKEN, antwortete auf die Frage nach der Legitimität der Stasi mit der Gegenfrage: »Ist der Verfassungsschutz legitim?« Das ist nicht nur dumm. Denn wahrscheinlich drückt diese Antwort die Haltung aus, daß der »Sozialismusversuch« DDR sich gegen das feindliche, kapitalistische Ausland verteidigen mußte und die Stasi daher legitim war. Die Stasi war aber vor allem ein Repressionsorgan gegen die ostdeutsche Arbeiterklasse und damit in keiner Art zu verteidigen.

Wie oben bereits gesagt, die Staatssicherheit ist gegen die eigene Arbeiterklasse gerichtet, die unter den Generalverdacht gestellt wurde, dem Staat untreu werden zu können. (- Was ja im übrigen in der BRD nicht anders ist - gerade die bundesdeutschen Arbeiternehmervertreter haben davon ja durchaus eine Ahnung, wenn sie ihren Opportunismus so dick auftragen, daß man sich schon fragt: Warum denn das? und: Ist ihnen denn gar nichts peinlich? -) Das ist zu trennen von dem anderen Argument, das selbstverständlich vom Staatsstandpunkt* der DDR aus richtig war, nach dem sie damals doch gar nicht so ohne weiteres trennen konnte zwischen der Bedrohung von außen und der von innen. Wie hätten etwa »Bürgerrechtler« - Antagonisten der Arbeiterklasse qua Begriff - ohne den imperialistischen Feind im Rücken ihre destruktiven und konterrevolutionären Bestrebungen auch nur einen Schritt voranbringen können?
Gerade auch an der Frage sieht man, daß DIE LINKE von einem Staatsstandpunkt aus zu denken für das Non-Plus-Ultra aller Politik hält. Staatskritik ist das nicht und Staatskritik geht auch nicht so, daß man dem BRD- und dem DDR-Staat einen - geradezu ideellen - sozialistischen Staat gegenüberstellt, der ohne Gewalt auskommt, denn das ist ein Widerspruch in sich.

Eine marxistische Antwort auf die gestellte Frage lautet: 
»Ich wäre in der DDR von der Stasi bespitzelt worden, weil ich für sozialistische Demokratie kämpfe. Die DDR war eine Diktatur gegen die eigene Bevölkerung. DIE LINKE hat nichts mit der DDR und Stalinismus am Hut. Wir kämpfen für Demokratie, die nicht am Betriebstor endet. Für sozialistische Demokratie, in der nicht der Profit für Banken und Konzerne herrscht. Darüber hinaus halte ich kapitalistische Geheimdienste für ebenso illegitim, wie stalinistische, denn sie handeln nicht im Interesse der Bevölkerungsmehrheit.«

DIE LINKE hat mehr als man meinen könnte, mit der DDR am Hut, keineswegs im bürgerlichen Sinne, der ja nur ausdrückt, daß die DDR keine (bürgerliche) Demokratie war (was sie ja auch nicht sein wollte). Wie gesagt ist der eine Punkt, daß DIE LINKE alles von einem Staatsstandpunkt sich zurechtdenkt, der sich gewaschen hat - sie eröffnet einen ebenso praktischen wie theoretisch falschen Gegensatz zwischen Staat und Kapital, der an das politische Verständnis der DDR erinnert. Der andere Punkt ist die von diesem Staatsdenken abgeleitete moralische Kritik an den kapitalistischen Zuständen (nicht nur am Kapital selber).

Es ist nicht hilfreich, mit Schlagworten wie Demokratie und Diktatur Kritik zu ersetzen. Es kommt auf die Inhalte darauf an, ob man dem Begriff gerecht wird. Im Prinzip kann sich ja jeder Demokrat, Sozialist oder sonstwas nennen und mit einem Che-Guevara-T-Shirt herumlaufen: Doch was heißt das schon? Was hat der Träger eines Begriffs in ihn hineininterpretiert? Und was haben Staaten aus Begriffen gemacht und wie haben sie sie etabliert, daß sie heute als allgemeingültig zu verstehen sind? Die Gleichheitszeichen zwischen Demokratie und Staat und zwischen Sozialismus und Staat können doch nur dazu führen, sich damit zu befassen, was denn der Staat ist und wie sich Staaten in ihrer jeweiligen Räson unterscheiden; und nicht zuletzt wie das Verhältnis von Kapital und Staat zu erklären ist.

Die Ambivalenz in den Aussagen der LINKEN zur DDR muß beendet werden. Nur dann kann die Skepsis, die der Partei in einem Teil der arbeitenden Bevölkerung aufgrund ihrer Geschichte weiterhin entgegen schlägt, überwunden werden.

Wenn DIE LINKE in ihren Aussagen eine Ambivalenz entdeckt, dann die zwischen den beiden deutschen Staaten, an den sie mehr - denn je - (BRD) bzw. weniger - denn je - (DDR) Gutes entdeckt. Diese Ambivalenz ist Parteiprinzip, daher unumstößlich; bzw. nur umstößlich über ihre theoretische Auflösung. Und die geht ganz bestimmt nicht, daß man sich in der Partei einzumischen versucht: Dann wird man mit gutem Grund ausgeschlossen bzw. erst gar nicht zugelassen.

Kurzum, ein (begriffliches) Urteil über den vorliegenden Gegenstand ist einer Verurteilung vorzuziehen, auch deshalb, weil man mit einer Verurteilung allenthalben das Problem hat, sich von der bürgerlich-demokratischen abzusetzen, will man ihrem moralischen Verdikt nicht rechtgeben.

(15.07.10)

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* Dokumentation: Neues Deutschland vom 18.06.1953:

Neues Deutschland 18.06.1953