Wie die Soziologie ihre Zeitgemäßheit beweist
Wenn ein
bürgerlicher Wissenschaftler mit Marx kokettiert, dann will er
damit zeigen, daß er, indem er Marx lässig eine gewisse
Genialität attestiert, ihm dann doch weit überlegen ist. Ob
das auf die erreichte Stufenleiter des Kapitalismus
zurückzuführen ist, ist dabei eine billige Relativierung,
bürgerlicher Bescheidenheit geschuldet - oder soll man sagen:
Arroganz? -, die der eine unterläßt, der andere nicht - je
nach Geschmack.
Heinz Bude, Soziologe in Hamburg, ist einer, der Bescheidenheit eher
nicht leiden mag. Allzuviel "Gesellschaftliches" steht hinter ihm, was
qua gesellschaftlich durchgesetzter Etablierung auch seiner
wissenschaftlichen Zustimmung sich nicht verschließen kann. Beim "Kommunistischen Manifest",
auf das sich Bude im wesentlichen bezieht, ist das ganz anders. Da
kann, da muß er schon mal einhaken: Wie in einen gymnasialen
Besinnungsaufsatz läßt er einem Ja zu dessen profetischen
Beschreibung der Globalisierung - als ob das Zweck jener Schrift
gewesen wäre - ein dickes Aber folgen. Daß Marx sich immer
weiter von diesem "emfatischen" (taz)
Frühwerk mit einer rein wissenschaftlichen Analyse entfernt hat,
mag ihm kein bürgerlicher Kopf zugute halten. Vielmehr
vermißt Bude einfach den "rein wissenschaftlichen Ansatzpunkt";
er läßt die Empörung über die gesellschaftlichen
Zustände - eine Empörung die er als Staatsdiener höherer
Dotierung so gar nicht teilen will - nicht als Ausgangspunkt gelten,
sich über die Gründe und Zusammenhänge ebendieser
Zustände rein wissenschaftlich Gedanken zu machen. Ihm fehlt -
ganz schön kontrafaktisch ignorant! - allenthalben der "rein
wissenschaftliche Ansatzpunkt". Mithilfe dieses Vaters des Gedankens
ist er auch mit Marx' "Kapital" fertig, bevor er sich überhaupt ernsthaft damit befaßt hat:
"Seine Vorstellung, Produkte
hätten bereits jenseits des Marktwerts alleine durch die in sie
investierte Arbeit einen Wert, sei nicht zu halten. Was Marx über
die Akkumulation des Anlagekapitals zu sagen habe, sei eine richtige
Diagnose - aber sonst erschöpften sich die Aussagen zur
Ökonomie in 'falschen Substanzialisierungen'. Und die Marx'sche
Vorstellung, der Mensch verwirkliche sich primär über seine
Kreativität, sei ein überaus 'angestrengtes Modell'." (taz,
07.02.07)
Wenn niemand heutzutage dem Kapital und seiner Akkumulation auf
den ersten Blick anzusehen vermag, dann kann es auch nicht stimmen,
daß die Schaffung von Gebrauchswerten - in ihrer (und das
wäre der Ansatzpunkt der Wissenschaft) zu bestimmenden Form - die
Grundlage des ganzen Systems ist. Dann behauptet Bude einfach - und das
soll ohne jedes Argument Wissenschaft sein? -, daß Produkte nicht
bloß "durch sie in sie investierte Arbeit ihren Wert hätten"
(was Marx übrigens so in ganz anderer Hinsicht auch wieder nicht
behauptet hat - oder wo bitteschön steht, daß ein Produkt
allein aus variablem Kapital + Mehrwert besteht?). Aber gut, ein solcher
Wissenschaftler braucht ja gar nicht näher das Abzuschmetternde
unter die Lupe zu nehmen, er braucht sich nicht die Mühe zu
machen, die sich Marx bei der Erklärung des Kapitals gemacht hat,
er braucht nicht zu unterscheiden zwischen der Produktionssfäre
und der Zirkulationssfäre des Kapitals, zwischen der Sfäre,
in der Wert geschaffen, und der, in der er realisiert wird. So
fällt Bude nicht nur hinter Marx, sondern selbst beispielsweise hinter
einen Adam Smith weit zurück. Zu seiner Entschuldigung mag er
anführen, daß sein Beruf die Grenze seiner
Wissenschaftlichkeit an der Grenze seines (soziologischen) Fachbereichs
hat. (Die Wahrheit ist allerdings, seine Wissenschaftlichkeit ist unter
seine Parteilichkeit subsumiert.)
Ihm als Soziologen geht es um eine Kategorisierung von Marx. Er steckt
ihn in die Schublade des Existenzialismus - da hat er neben Sartre noch
gut Platz -, weil, so Bude, mit Marx die Idee der Revolution eine
existenzielle Ermächtigung erfahren habe. Er will Marx' Denken als
subjektive Flausen abtun, kann es aber nicht recht, weil ihm eine
(rein) historische Bedeutung zukommt. Also ist Marx ein
Geschichtstheoretiker des Existenzialismus, der, bei allem Respekt,
nicht sonderlich ernst genommen werden sollte. Denn das wäre
"gefährlich". Wofür? Für Budes "falsche
Substanzialisierung", seine angestrengte bürgerliche Existenz?
(Der Artikel hat ausschließlich den taz-Artikel vom 07.02.2007 über die Veranstaltung zur Grundlage.)
11.02.2007
