Piratenjagd am Horn von Afrika
Nicht
nur hierzulande wird das Publikum einige Wochen lang darüber in
Kenntnis gesetzt, daß an der "wichtigsten Schiffahrtslinie
zwischen Europa und Asien" vor Somalia die Piraterie ausufert und die
Politik sich darüber Sorgen macht. Da bleibt das Verständnis
dafür nicht aus, daß sich auch unsere Kriegsmarine am Horn
von
Afrika um die Ordnung kümmern und den Seeräubern den
nötigen Respekt vor fremder Fracht und Touristen beibringen
muß.
Was täten wir nur ohne unser Militär!
Der Erwerbszweig Piraterie in der globalen Marktwirtschaft
Die Piraten leben an einem Ort, der in die unterste Staatskategorie,
als 'failed state' eingestuft wird. Die früher einmal
existente somalische Staatsgewalt hat sich seit längerem
aufgelöst.
Nach jahrelangen Kämpfen zwischen rivalisierenden Clans, einer
vorübergehenden Befriedung durch fromme Milizen und einer vom
Westen in Auftrag gegebenen Intervention Äthiopiens gibt es
inzwischen eine so genannte Übergangsregierung ohne eigene
Geschäftsgrundlage und Anerkennung im Land; ihre Existenz beruht
auf Überweisungen und Anweisungen des interessierten Auslands. Die
Bevölkerung überlebt dank Hilfslieferungen der Vereinten
Nationen, wenn überhaupt. Die anarchischen Zustände locken
allerlei Geschäftsleute an. In den Hoheitsgewässern ohne
Hoheit gibt's keine Lizenzgebühren und Fangquoten. Nicht nur
europäische Fangflotten fischen regelmäßig mit ihren
Fabrikschiffen und Ladekapazitäten von tausenden Tonnen die
Bestände weg. Entsorgungsfirmen aller Herren Länder,
italienische vorneweg, verklappen ihre giftige Fracht und sparen sich
Müllentsorgungskosten. Vergiftete Fische und wachsende Krebsraten
der Einheimischen sind im Preis mit drin. Diese Art der
Geschäftemacherei gehört zu der globalisierten
Weltmarktwirtschaftsordnung schlicht dazu, ohne daß ein Aufheben
davon
gemacht wird. Zum Störfall wird die Anarchie, weil somalische
Überlebenskünstler die allgemeine Rechtlosigkeit und
Abwesenheit irgendwelcher Strafverfolgungsbehörden ihrerseits
nutzen. Die ortsansässigen Fischer, ihrer natürlichen
Nahrungsquelle zunehmend beraubt, verlangen von den auswärtigen
Berufsfischern zunächst 'Zölle' und 'Steuern', bis sie zum
Kapern übergehen. Daraus entwickelt sich eine kleine
Schiffsentführungsindustrie, bestehend aus etwa fünf
Seeräuberbanden mit mehr als tausend Mitgliedern und fünf
Dutzend Booten &
Schiffen, die 2008 etwa 110 Schiffe angreifen, 42 kapern, Dutzende
Geiseln nehmen, mehrere Seeleute töten und geschätzte 100
Mio. US $ Lösegeld kassieren. Ganze Sippen ernähren sich
davon, in gewissen Landesteilen wird ein nie gekannter Aufschwung
erzeugt. Gemessen an der Zahl der passierenden Schiffe bewegen sich die
Überfälle im Promillebereich, allerdings erfolgen sie immer
weiträumiger, die Prisen werden immer fetter (Hilfslieferungen des
UN-Welternährungsprogramms, Weizen für Iran,
amerikanische Ölbohrausrüstungen) und spektakulärer
(Panzer aus Sowjetbeständen, ein zum "9/11 der
Weltmeere" hochstilisierter saudischer Ölsupertanker), die
Londoner Versicherungsprämien
immer höher und die Vereinten Nationen, Reederverbände und
Touristikunternehmen zunehmend nervös. Erste Schiffseigner sehen
sich bereits zu der weit kostspieligeren Fahrt um Südafrika
gezwungen.
Der Anspruch auf freie Weltmeere
Die imperialistische Ordnung ist gestört – und vor Ort
existiert einfach keinerlei zuverlässige Garantiegewalt, die sich
für die Interessen europäischer und asiatischer
Handelsnationen haftbar machen ließe und gegen die
Räuberbanden vorgehen könnte. Daß sich die Bedürftigen
in einem gescheiterten Viertweltstaat zusammenrotten und bei
Gelegenheit das Lebensnötige zusammenklauen oder Geld von denen
holen, die es haben, darf nicht zur Gewohnheit werden. Auch und gerade
unter den schwierigsten Überlebensbedingungen haben die
Ortsansässigen an jedem Weg und an jedem Ufer Wegerecht zu
gewähren. Deshalb sind die führenden Nationen
herausgefordert, Sitte und Ordnung wieder herzustellen und ihren
Prinzipien von Person, Eigentum und der Freiheit der Meere praktisch
Geltung zu verschaffen. Damit weitet sich die Piraterie zu einer
internationalen Affäre aus.
Frankreich geht voran, um nicht
nur seine Rolle als Ordnungskraft für Afrika zu bekräftigen,
sondern auch um seinen Anspruch auf den Status eines führenden
Weltpolizisten umzusetzen. Als erste
darf sich die in der Nähe stationierte französische Marine
der Piraten "aktiv annehmen". Anläßlich der
Entführung einer französischen Jacht mobilisiert der
Ministerpräsident 5000 Mann, befiehlt "Kriegsgefangene zu
machen, um zu zeigen, daß sich Verbrechen nicht lohnen", und
läßt die Piraten unter großzügiger Auslegung des
Völkerrechts durch somalische Hoheitsgewässer jagen, im
Landesinneren fangen und nach Paris verfrachten, um ihnen den
Prozeß
zu machen. Als ständiges Mitglied aktiviert Frankreich den
Sicherheitsrat, das oberste Beschlußgremium der Vereinten
Nationen, um
sein martialisches Vorgehen auch noch als Muster für künftige
Ordnungsstiftung zu legitimieren und ihm den Rang eines neuen
internationalen Rechtszustands und eine institutionelle Form zu geben.
Paris fordert die Aufstellung einer aus EU und USA zusammengesetzten
"internationalen Meerespolizei", die in allen unsicheren
Hoheitsgewässern Piraten jagen darf. Der auch von Spanien und
Griechenland unterstützte Vorstoß für eine neuartige
US/EU-definierte Welt-Innenpolitik der suspendierten
Souveränitätsrechte dienstunfähiger oder
dienstunwilliger Staaten wird jedoch abgeblockt. China weist diese
supranationale Law&Order-Politik auch im Namen anderer Insel- und
Küstenstaaten mit piratendurchsetzten Hoheitsgewässern
zurück.
Die USA sehen sich durch die
anarchischen Zustände in Somalia nicht nur als Hüter der
Freiheit der Weltmeere, sondern noch prinzipieller als die
Oberaufsichtsmacht der westlichen Weltordnung herausgefordert. Im
Rahmen ihres weltweit geführten präventiven "War on
Terror" haben sie bereits die als "strategisch
sensibel" eingestufte Gegend unter den Generalverdacht eines
Rückzugs- und Rekrutierungsraums für Gruppen mit
"extremistischer Agenda" oder "Beziehungen zum
internationalen Terrorismus" gestellt, ein Waffenembargo auch
über Somalia verhängt und ihre Verbündeten mit der
NATO-"Operation Enduring Freedom" in Stellung gebracht.
Seit dem erfolgreichen Vordringen islamischer Dschihadisten hat sich
die amerikanische Lageanalyse weiter drastisch zugespitzt: Die
Situation in Somalia gilt als "Bedrohung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit in der Region". Die Vereinten Nationen
anerkennen diese Beurteilung
der Lage (UNO-Resolution 1724 aus dem Jahr 2006). Seitdem halten die
USA einen Ordnungskrieg in Somalia für überfällig, den
willige Staaten im Auftrag der Vereinten Nationen durchkämpfen
sollen. Außer vorübergehend Äthiopien und einer
unterausgestatteten Ordnertruppe der Afrikanischen Union (AU) findet
sich allerdings bisher niemand dazu bereit. Die Piratenaffäre
nehmen die USA zum Anlaß für einen erneuten Versuch, ihr
zentrales Anliegen voranzubringen: Für die kriegerische
Installierung eines westorientierten Staatswesens wollen sie die
europäischen und asiatischen Welthandelsmächte gewinnen,
indem sie das Junktim aufmachen: Ohne einen Kriegseinsatz in Somalia
würden sie die Bedrohung ihrer Hauptseeroute vor Somalia niemals
los, denn Piraten und Terroristen wären nur zwei Sumpfblüten
derselben Anarchie. Einen Beschluß zu einer alle Nationen
verpflichtenden UN-Peacekeeping-Mission in Somalia erreichen sie zwar
nicht, der Sicherheitsrat verschiebt die Beschlußfassung auf Juni
2009. Allerdings schließen sich die Sicherheitsrats-Mitstreiter
konstruktiv der Sicht der USA an. Und immerhin bekräftigt der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut die amerikanische
Definition Somalias als weltfriedensbedrohlicher 'failed
state', stuft das Piratenproblem hoch zu einer "Verschärfung" der
Lage und stellt deren bewaffnete
Überfälle faktisch mit kriegerischen Handlungen gleich. Die
"fähigen Staaten, Regionalorganisationen und internationalen
Organisationen" werden "aufgefordert", sich
zunächst für ein Jahr mit "Marinefahrzeugen und
Militärluftfahrzeugen" in, vor und über Somalia "aktiv am
Kampf" gegen die Seeräuber zu
beteiligen und deren Wasserfahrzeuge und Waffen bei "hinreichend
begründetem
Verdacht" zu "beschlagnahmen" und zu "beseitigen" (UNO-Resolution 1851 aus dem Jahr 2008).
Alle Beteiligten wissen, daß die Übergangsregierung in Somalia
keine Hoheit über das Land besitzt. Gleichwohl wird der
gescheiterte Staat vom UN-Sicherheitsrat respektvoll behandelt. Seine
Souveränität, territoriale Integrität und Luft- und
Gewässerhoheit Somalias werden völkerrechtlich korrekt
aufgehoben, indem sich der Sicherheitsrat von der ohnmächtigen
Übergangsregierung durch ein "dringendes
Hilfeersuchen" beauftragen läßt, zwecks Sicherheit der
internationalen Schiffahrt das somalische Hoheitsgebiet und den
Luftraum zur Piratenjagd zu benutzen. Auf Antrag Chinas und anderer
Staaten, die wissen, wie der Westen mit auslegungsfähigen
UN-Resolutionen Politik macht, wird in der Resolution ausdrücklich
vermerkt, daß die aufgehobene Souveränität Somalias keinen
Präzedenzfall darstellt und kein Völkergewohnheitsrecht
begründet: Beim nächsten Fall will China wieder gefragt
werden! Die in der Staatenwelt übliche diplomatische Heuchelei des
verantwortlichen Helfens kommt auch nicht zu kurz: Inszeniert als
gemeinsame Hilfe für ein handlungsunfähiges Mitglied der
Staatenfamilie, läuft eine große Beistandsaktion gegen die
Piratenplage an.
Wettlauf der Mächte
Im Auftrag der Weltgemeinschaft und auf Grundlage einer
völkerrechtlich einwandfreien Lizenz kann damit das
Ordnungsstiften am Horn von Afrika eröffnet werden. Das
höchste Organ der Staatenwelt erteilt den Nationen das Recht auf
Gewalt außerhalb des eigenen Territoriums und fordert sie auf,
ihre Kompetenz dazu unter Beweis zu stellen: mit militärischen
Mitteln gegen einen militärisch gar nicht
satisfaktionsfähigen Feind. Die Gelegenheit läßt sich keine
der besonders wichtigen Nationen entgehen:
Mehr als zwei Dutzend Staaten können sich ihrer Verantwortung
nicht entziehen und beteiligen sich. Einige ergreifen die Chance, sich
erstmalig – zwar nur in einer unterklassigen Affäre,
immerhin aber in einer strategisch brisanten Weltgegend und mit einer
risikolosen und dennoch weltweit wahrnehmbaren Demonstration –
ins Weltordnungsgeschäft einzuschalten, unternehmen die Seereise
zum Golf von Aden und kümmern sich gleich vor allem einmal um eine
logistische Basis, mit der sie sich in der Region einnisten. Manche
sind als Ordnungskräfte bereits routiniert mit verschiedenen
Kommandos vor Ort tätig, haben längst ihre
Auslandsniederlassung und brauchen bloß ihre schon präsenten
Schiffe per Beflaggung umzuwidmen. Und wieder einmal sind die
Amerikaner die Allerzuständigsten, weil sie ihre Militärmacht
längst in diese heikle Weltgegend "projiziert" haben.
In schöner Einigkeit übernehmen diese Staaten den UN-Auftrag,
die Lebensmittelhilfe des Welternährungsprogramms vor Piraten zu
schützen, schließlich gehört das Füttern der
somalischen "Stämme und Entitäten"
(Außenminister Steinmeier) zur Elendsverwaltung einer
Weltordnung, deren Nutznießer sich das als ihre edle Seite hoch
anrechnen. Damit hat sich's jedoch bereits mit der
Solidarität der vereinigten Piratenjäger. Denn natürlich
wissen sie Anlaß und Moral auf der einen Seite, ihr Interesse
mitzumischen, wo gewaltsame Ordnungseinsätze laufen, auf der
anderen Seite auseinanderzuhalten. Entsprechend argwöhnisch
beobachten sie einander, registrieren kritisch, wer von wo mit welchen
Gerätschaften am Horn von Afrika auftaucht, von wem wer
Stützpunktrechte erhält, wer mit wem zusammenarbeitet, und
schätzen ab, was der jeweils andere politisch im Schilde
führt. Denn jeder Staat und Staatenverband weiß vom andern,
wie berechnend Weltmächte jede Affäre ausnützen, um sich
ein Stück Respekt zu verschaffen. Und genau so richten sie ihre
Intervention auch ein:
Die USA stellen aus der
gewaltigen Streitmacht,
die sie in der Region zusammengezogen haben (u. a. die 5. Flotte im
Persischen Golf), mehrere Kriegsschiffe ab, die sich als "Vereinte
Eingreiftruppe 151" anbieten, diverse Einheiten anderer Nationen
einzusammeln, um im Golf von Aden, im Indischen Ozean und im Roten Meer
gemeinsam Patrouille zu fahren: Auch da ein bißchen "Allianz der
Willigen".
Die NATO stellt im Namen der Energiesicherheit einen
Flottenverband auf, weil der Transport des arabischen Öls durch
den Golf von Aden für die westlichen Staaten "von
höchster Bedeutung ist und nicht durch Piraten gefährdet
werden darf." (Generalsekretär J. de Hoop Scheffer) Das ist
das Bündnis seinem Anspruch auf globale Zuständigkeit
schuldig.
Die Europäische Union
nutzt die Gelegenheit, um nach der Kongo-Mission zum zweiten Mal in
Richtung afrikanischer Nachbarkontinent aufzubrechen. Durch ihren
ersten maritimen Auftritt als autonomes Weltordnungssubjekt kommt sie
mit ihrer "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik"
(ESVP) wieder einen Schritt voran: Die Mission 'Atalanta' demonstriert
ihren Willen, sich von der Angewiesenheit auf das transatlantische
Militärbündnis zu emanzipieren. Mit der Öffnung von
'Atalanta' für Drittstaaten präsentiert die EU sich
außerdem ihrerseits als Führungsmacht, die willens und in
der Lage ist, Bündnispartner um sich zu sammeln, und markiert so
ihre Konkurrenz zu den USA.
Großbritannien,
ehemalige Kolonialmacht Somalias, bei den Kriegen der USA immer an
vorderster Front mit dabei, stellt erstmalig die Kampfkraft der
königlichen Kriegsmarine in den Dienst der EU und setzt sich als
erste Kommandomacht der Euroseestreitkräfte gleich an die Spitze
von 'Atalanta', nicht ohne seinem special ally zu versichern, die
britisch-europäische Gemeinschaftsaktion sei
selbstverständlich keineswegs antiamerikanisch gemeint.
Deutschland weiß, was
es an Europa hat und mit der EU vorhat, und nimmt
selbstverständlich an der europäischen Antipiratenmission
teil. Verantwortungsvoll und gewissenhaft wie in sonst kaum einem Land
wird der Einsatz vorbereitet. Weil gegen die Piraten die Kriegsmarine
eingesetzt werden soll, ringt die Politik um Klarheit bei der
Arbeitsteilung zwischen den Exekutivgewalten: Die "Schmach" wird
ausgemalt, wenn unsere topausgebildeten und topausgerüsteten
Seemannschaften, die als NATO-Partner seit Jahren im Golf von Aden das
Waffenembargo durchsetzen, tatenlos den bewaffneten
Überfällen auf fremde Staatsbürger und Fracht zusehen
müßten, weil sie kein Schußrecht gegen
nicht-staatliche Missetäter haben, was die Seepolizei hätte,
der es aber wieder an Schiffen und Kanonen mangelt. Drei Tage lang
sorgt sich die Nation um Verfahrensfragen und die Einhaltung des
Instanzenwegs auf Hoher See. Das Hin und Her zwischen
Militärgewalt und Polizeigewalt, zwischen Schießen-Wollen,
-Können und -Dürfen mündet "endlich!" in die Lizenz zur
freien Handhabung des Gewaltmitteleinsatzes. Der Parlamentsvorbehalt
für militärische Auslandseinsätze wird ausgeräumt:
Die Regierung überzeugt die Volksvertreter mit dem selten
harmonischen Zusammenfallen von internationaler Verantwortung,
humanitärer Zielsetzung und Staatsmaterialismus bei der
Antipiratenmission. Der Außenminister verweist auf den Nutzen von
'Atalanta': Von den "20 000 Schiffen", die den Golf von Aden passieren,
"gehören viele davon deutschen Reedereien oder transportieren
Fracht aus oder für Deutschland". Mit sehr großer Mehrheit
beschließt der Bundestag ein "robustes Mandat", ausgedeutscht:
"Das schließt ausdrücklich die Anwendung von Gewalt ein"
(Außenminister); es geht um "echte Kampfeinsätze"
(Verteidigungsminister). Günstig andererseits, daß die
Piratenmilitanz 'asymmetrisch' ist und mit nennenswerter Gegenwehr
nicht gerechnet zu werden braucht: Deutschland erobert sich ein wenig
kriegsmäßigen Fortschritt, ohne deswegen gleich in einen
Krieg zu geraten. Kundige Berliner Weltpolitiker denken gleich noch
weiter, nämlich was sie immer denken: Vielleicht nützt ein
ebenso "robuster" wie humaner und menschenrechtlich einwandfreier
– es darf "kein Guantánamo auf hoher See geben" (Jung)
– Kampfeinsatz ja etwas für den angestrebten ständigen
Sitz im Weltsicherheitsrat, schließlich hat der Kontinent "mit seinen über fünfzig Staaten ein hohes numerisches Gewicht in multilateralen Organisationen und Institutionen" (von Klaeden, CDU).
Indien, bereits in etlichen
UN-Friedensmissionen als Ordnungsstifter mit vielen Soldaten auf dem
afrikanischen Kontinent präsent, schickt an die strategische
Gegenküste seine Marine – die macht kürzesten
Prozeß und versenkt ein Schiff – und empfiehlt sich so als
Schutzmacht des Indischen Ozeans, die afrikanischen
Geschäftspartnern mehr zu bieten hat als Geld. Gar nicht nebenbei
gelingt es, in Oman Anlegemöglichkeiten für Kriegsschiffe zu
erhalten. So wird der Raum markiert, in dem das indische Militär
'vitale Interessen' der Nation zu verteidigen hat.
China demonstriert, daß
ihm heimische Landesverteidigung, Küstenschutz und Aufstieg in
Asien nicht mehr genügen. Es beendet seine fast 600jährige
Abwesenheit auf den Weltmeeren und schickt seine beiden modernsten
Zerstörer mit "sophisticated" (China Daily)
Raketentechnik und Elitetruppen. Mit dem Besten aus eigener Produktion
dokumentiert Peking seinen Willen und seine Fähigkeiten, weit im
Westen Flagge zu zeigen. Ausgerechnet mit Teheran ist es
übereingekommen, auf einer Insel im Persischen Golf einen
Militärstützpunkt einzurichten: eine deutliche Mitteilung,
daß die Volksrepublik sich nicht vorschreiben läßt,
mit wem sie Kooperationen eingeht. Diese Botschaft richtet sich an die
USA und die EU und ebenso an die vielen afrikanischen
Rohstoffländer, denen Peking Partnerschaften und damit
Alternativen zur Abhängigkeit von den alten Weltmächten
anbietet.
Japan stellt klar, daß
es exakt so viele gute Gründe für die Antipiratenmission hat
wie die anderen großen Nationen auch. Für den Fall,
daß Tokio dieser Verantwortung ausweichen sollte und nicht als
volltaugliches, gleichberechtigtes und gleich befähigtes
Staatenmitglied vor Afrika dabei ist, sieht ein ehemaliger
Verteidigungsminister das "ökonomische Interesse der
zweitgrößten Handelsnation" gefährdet und das
"Vertrauen der internationalen Gemeinschaft" (Nakatani)
schwer beschädigt. Durch die berühmte pazifistische
Verfassung, die nur die Selbstverteidigung der eigenen
Staatsbürger, Schiffe und Frachten erlaubt, darf sich die
zweitgrößte Kriegsmarine im asiatisch-pazifischen Raum
jedenfalls nicht länger fesseln lassen. Für die juristisch
noch notwendigen Regelungen bieten die Schiffsüberfälle vor
Afrika eine passende Gelegenheit: Eine "antipiracy legislation" ist in
Arbeit.
Rußland begleitet mit
seinen Marineeinheiten ebenfalls die Schiffe der UN-Nahrungsmittelhilfe
und etliche kommerzielle Fahrten diverser Nationen und handelt mit der
Übergangsregierung einen Vertrag über einen Stützpunkt
in Somalia aus; die Errichtung weiterer Stützpunkte – im
Jemen, in Syrien und in Libyen – wird sondiert. So arbeitet
Moskau daran, aufgegebene Basen zurückzugewinnen und nach
20jähriger Abstinenz ein ehemaliges sowjetisches
Einflußgebiet wieder dauerhaft als Aktionsraum für die
Kriegsmarine zu erschließen. Das russisch-indische
Seemanöver 'Indra 2009' vor der Küste Somalias signalisiert
den neuen solidarischen Willen zweier aufstrebender
Großmächte, das Weltordnen nicht den einstweilen noch
größeren Rivalen zu überlassen.
Der Iran, ebenfalls
angewiesen auf gesicherte Handelswege für seine Ölausfuhren
und Importe, ist auch mit zwei Zerstörern vor Ort, ist also auch
"fähig" im Sinne der UNO-Resolution, aber deswegen noch lange
nicht berechtigt, sich den übrigen Ordnungshütern solidarisch
anzuschließen. Aus maßgeblicher amerikanischer Sicht ist
die Präsenz persischer Kriegsschiffe nichts als der untaugliche
Versuch, Kontrolle über die Region zu gewinnen. Ohnehin
betätigt Iran sich als Ober-Störenfried in der Region, nimmt
sich zu viel heraus und gehört schon längst
'eingedämmt'. Nicht zuletzt deswegen hält sich
schließlich die 5. Flotte im Persischen Golf für alle
Eventualitäten bereit. Die frische "Vereinte Eingreiftruppe 151"
ist auch zum Aussortieren und Aufspüren von falschen
Waffenladungen am Golf von Aden. Daß Teherans logistische Basis
ausgerechnet ein Hafen in Eritrea ist, bestätigt vollends eine
Verdachtskette, wonach aus dem Iran stammende Waffen über Eritrea
zu den kämpfenden Islamisten in Somalia geschmuggelt werden.
Nebenbei gibt es schließlich auch noch eine Initiative, die
ausnahmsweise mehr mit den Piraten zu tun hat als mit den
weltordnungsdiplomatischen Berechnungen, die die imperialistisch
kompetenten und ambitionierten Nationen mit der Entsendung von
Kriegsschiffen ans Horn von Afrika verbinden:
Die Internationale Seeschiffahrts-Organisation
(IMO) der UNO verpflichtet neun arabische und afrikanische Staaten im
"Djibouti Code of Conduct" dazu, Informationen über potenzielle
Seeräuber auszutauschen, sie zu verfolgen, vor Gericht zu bringen
und einzusperren. Dafür müssen sie sich wechselseitig
erlauben, mit Militär in die
Hoheitsgewässer der je anderen einzudringen. Der Bequemlichkeit
beim Piratenfang dient ebenso das Abkommen der EU mit Kenia über
die gerichtliche Entsorgung eingesammelter Störenfriede. Die
würden nämlich sonst nur stören – bei dem
großen Seemanöver, für das ihre Missetaten den
Anlaß
hergeben, das aber einen politischen Inhalt hat, von dem die Piraten
sich mit Sicherheit nichts haben träumen lassen: Nationen, die als
wichtige Seemächte zur Kenntnis genommen und als für die
Region zuständige Ordnungsmächte anerkannt werden wollen,
zeigen Flagge.
(aus: GegenStandpunkt & Diskussion, Nr. 20, Bremen)
