Die intellektuelle deutsche Öffentlichkeit – schwer kritisch unterwegs!

Solche und solche Diktaturen

Der Imperialismus sortiert und die kritische Öffentlichkeit will dabei nicht zurückstehen: »Wir können auch sortieren! - ganz von alleine bzw. ganz anders!
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Es gibt Diktaturen, solche und solche: Solche, die nach der Pfeife des »freien Westens«, des Imperialismus, tanzen, und solche, die relativ unabhängig von ihm ihr eigenes Süppchen zumindest versuchen zu kochen. Es ist keine Frage, daß beide Sorten von Diktatur für den größten Teil ihrer Untertanen ziemlich unerträglich sind. Für sie ist es praktisch ja völlig unerheblich, wer die politischen Strippen zieht.

Bei der ersten Art von Diktatur – nehmen wir Mubaraks Ägypten als Beispiel – versteht es sich von selber, daß ein Angriff auf sie gleichzeitig, ob beabsichtigt oder nicht, einen Angriff auf den Imperialismus darstellt, dem die ägyptische Herrschaft Dienstleister ist. Dienstleister heißt, Land und Leute dem westlichen Interesse entsprechend im Griff und verfügbar zu (er)halten.
Bei der zweiten Sorte – nehmen wir Syrien als Beispiel – jedoch kommt solch ein Angriff auf die Diktatur dem Imperialismus durchaus gelegen, eröffnen sich dadurch – zumindest – neue Spielräume für ihn. Während im ersten Fall also der Imperialismus zumindest potenziell auf der Abschußliste steht, so ist im zweiten Fall geradezu das Gegenteil der Fall: Der Imperialismus fühlt sich eingeladen, seinen Machtbereich durch die Etablierung ihm gefälliger Statthalter auszuweiten. Er wird, ob beabsichtigt oder nicht, geradezu beauftragt, sich in seinem Interesse einzumischen.

Für deutsche Beobachter, vorgeblich kritische zumal, stellen sich in diesem Zusammenhang offenkundig zwei Fragen, die es in sich haben:

– Soll man den syrischen Aufstand ebenso bejahen wie den ägyptischen, ungeachtet der – allerdings sehr absehbaren – positiven Konsequenzen für eine gar nicht positiv empfundene kapitalistische Weltordnung? Oder
– soll man den syrischen Aufstand ablehnen, um dem Imperialismus eine Beschränkung seines allenthalben volksschädlichen Einflußbereiches zu erhalten?

Erste Frage zu bejahen, beinhaltet zweifellos, die Ausweitung imperialistischer Herrschaft nicht nur gut zu heißen, sondern ihr auch die Ideologie als haltbar zu unterschreiben, nach der sie der Freiheits- und Glücksbringer sei, der sie all ihrer Angeberei zum Trotz nie irgendwo geworden ist, ganz im Gegenteil.

Zweite Frage zu bejahen, heißt, die Rechnung ohne den Wirt zu machen: Denn wo in aller Welt läßt sich der Imperialismus die Freiheiten, die er sich herausnimmt und herausnehmen kann, von Diktaturen  beschränken? Er, der Imperialismus, diktiert doch auch ihnen, er mißt sie an seinen Maßstäben, be- und verurteilt sie danach. In der daraus folgenden Behandlung läßt er sich erst recht alle Optionen offen. Er wägt ab, zwischen der Nützlichkeit einer bereits vorhandenen »Stabilität« und einer erst noch oder wieder herzustellenden. Er wägt ab, inwieweit er für die Herstellung ihm genehmer Verhältnisse selber eingreifen muß, und inwieweit er nützliche Idioten – als solche betrachtet er Völkerschaften offenkundig – findet, die ihm dabei zur Hand gehen.

Die Assad-Herrschaft also als Beschränkung imperialistischer Herrschaft zu begreifen, ist angesicht der Tatsachen und der überlegten Vorgehensweise imperialistischer Staaten eine ziemliche Dummheit. Wie gezeigt, handelt es sich nämlich um eine sehr relative und brüchige Herrschaft, eine von imperialistischen Gnaden abhängige Herrschaft.
Umgekehrt verrät der einiges über seine politische Weltanschauung, der das partout so sehen und Syrien als antiimperialistisches Bollwerk erhalten sehen möchte: Er kann und will sich Alternativen zum Imperialismus nicht anders als eine Staatsalternative zurechtdenken. Wobei diese seine Haltung so prinzipiell ist, daß er dabei vom politischen Gehalt einer solchen zur Staatsalternative uminterpretierten Diktatur geflissentlich abstrahiert. Sozialistische Züge lassen sich der Herrschaft in Damaskus ja schlechterdings, anders als etwa Venezuela, erst gar nicht andichten.

Umgekehrt allerdings lassen sich dem Imperialismus offenkundig noch immer menschenfreundliche Züge andichten. Eine neoimperialistische Zeitung wie die taz oder ihr politischer Arm, Die GRÜNEN, finden nichts dabei, die Aufstände in der arabischen Welt als rein innerstaatliche Angelegenheiten betrachten zu wollen. Sobald eine dem Imperialismus wieder genehme Herrschaft hergestellt ist, sodann wird diese auch der Aufmerksamkeit entlassen, jedenfalls hinsichtlich der prinzipiellen Seite, der Systemfrage, weil dann gehen ja Geschäft und Gewalt wieder ihre gewohnten Wege. Ab und an klagt man noch in rassistischer Manier über eine dort offenkundig unausrottbare Korruption, aber die will man ja eben überhaupt nicht als Ausbund kapitalistischer Herrschaft begreifen. Ansonsten? Freie Wahlen, Scheiß drauf! Der Schein genügt völlig. Umgekehrt natürlich nicht: Diktaturen, die für unpäßlich erachtet werden, wird es nicht so einfach durchgehen gelassen, ein Plebiszit zu ihrer Herrschaft einzuholen.

Dieser durch und durch verlogene Standpunkt hat hierzulande weit mehr Anhänger als der andere, der, vertreten durch die jungen welt und Teile der Linkspartei, all seine vorgeblich sozialistischen Ziele aufgegeben hat und sich eine Welt anhand von Diktaturen zurechtinterpretiert. Ein Standpunkt also, der mit der Realität herzlich wenig zu tun hat, der allerdings gerade so sich mit der realen Herrschaft hierzulande abgefunden hat.

Übrigens, daß Andreas Fanizadeh der Linkspartei unterstellt, sie hätte nichts für das syrische Volk übrig (taz, 21.01.12), trifft die Sache nicht. Jene Leute haben mehr mit seiner eigenen Haltung zu tun, als ihm recht ist: Sie sind ebenso wie er auf der Suche nach einer volksgerechten Herrschaft. Und wer mal auf diesem Trip ist, der kann die Sache selbstverständlich nach Geschmack so oder so beurteilen. Sachgerecht ist beides nicht. Zynisch dafür sehr. Und eine Alternative zur kapitalistischen Weltordnung stellt sowieso keine der beiden Ansichten dar.

(25.01.12)