
" »Was
die
Arbeiterklasse zu einer Handlungsmacht macht und ihr eine
Bestimmung verleiht, ist weder ihre Armut noch ihre militante
und pseudomilitärische Organisation noch ihre
Nähe zu den (hauptsächlich industriellen)
Produktionsmitteln. Ihre Bestimmung ist allein
ihrer strukturellen Unfähigkeit geschuldet, sich
selbst zu
einer weiteren herrschenden Klasse zu organisieren. Das
Proletariat ist die
einzige (revolutionäre) Klasse in der Geschichte, die
sich
mit der Abschaffung ihres Gegenteils selbst abschafft. Das Volk,
dagegen, das sich aus
einer Unzahl von Klassen und Unterklassen, sozialen und
ökonomischen
Schichten zusammensetzt, ist strukturell nicht in der Lage, eine solche
Mission auszuführen. Ganz im Gegenteil: Wann immer dem
'Volk' als solchem eine 'historische Aufgabe'
übertragen
wurde, sah das Ergebnis entweder so aus, daß eine fetale
Bourgeoisie sofort
die Vorrangstellung einnahm und sich aufgrund eines
beschleunigten
Wachstumsprozesses zur herrschenden Klasse aufschwang (wie im
Falle der nationalen Befreiungsbewegungen) oder
daß
sich ein politisch-ideologischer Nukleus als
'Übergangsregierung' auf unbestimmte Zeit (für
das Volk oder, genauer, die
Arbeiterklasse) zur Herrschaft bestimmt sah, was mit
untrüglicher
Sicherheit zur Errichtung eines Imperiums führte (wie
im Fall der Jakobiner
und der Bolschewiki).«
[Žižek fährt dann fort:] Es ist also mehr als
heuchlerisch, daß auf dem Höhepunkt des
Stalinismus, als das gesamte Gesellschaftsgefüge
durch Säuberungsaktionen erschüttert wurde,
mit der neuen Verfassung das Ende des
»Klassen«-Charakters der Sowjetunion ausgerufen
wurde (Mitgliedern vorher ausgeschlossener Klassen wurde
wieder das Wahlrecht zuerkannt) und die sozialistischen Regime von nun
an »Volksdemokratien« genannt wurden.
Entscheidend ist hier der Gegensatz von Proletariat und
»Volk«. Hegelianisch gesprochen entspricht ihr
Gegensatz exakt dem zwischen »wahrer« und
»falscher« Allgemeinheit. Das Volk ist
inklusiv,
das Proletariat exklusiv; das Volk bekämpft
Eindringlinge, Parasiten und alle, die seine
vollständige Selbstbehauptung verhindern, das
Proletariat führt einen Kampf, der das Volk in seinem
Innersten
zerteilt. Das Volk will sich behaupten, das Proletariat will
sich abschaffen.
..." (Žižek,
S. 243 f.)
In diesem Zusammenhang kommt er auf die Demokratie der alten Griechen
zu sprechen und die Verknüpfung von Demokratie und Diktatur,
die jüngst ein ganz anderer, theoretisch unbeleckter,
nämlich der Sekretär des tschechischen Staatspräsidenten
Václav Klaus, Vladislav Jakl, in einem Kommentar zum Scheitern der
Grünen an der 5%-Hürde bei den jüngsten
Parlamentswahlen ausgedrückt hat, ohne zu wissen, was er damit
auf den Punkt gebracht hat: "Die Nachricht, daß
eine extremistische Partei [Hervorhebung: KoKa] das Parlament verläßt,
ist für mich eine recht angenehme Sache."
Die
Grünen haben sich, überall wo sie auftauchen, einem
Totalitarismus der Demokratie verschrieben, der all die ausgrenzt, die
sich nicht als Volk mit all seinen ideellen Implikationen des
Gemeinwesens zuwenden, obwohl sie formell dazugehören.
Die Ideale der kapitalistischen Gesellschaftsordnung betrachten sie als
die wahren Triebkräfte derselben; weshalb es auch völlig
unangebracht ist für sie, von "Kapitalismus" zu sprechen; das
würde viel zu sehr das Augenmerk auf eine Deformation
der Gesellschaft werfen, von der sie nichts wissen wollen, wollen sie
die doch überwinden. Insofern sie eine Utopie von Demokratie zu
installieren trachten, sind
Grüne usurpatorisch. Zum Ausdruck kommt das beispielsweise
direkt in ihrer Kampagne gegen die Raucher. Weniger offensichtlich in
der gegen die Atomkraft: Nicht hinsichtlich der gesellschaftlichen
Notwendigkeit nationaler Energieversorgung - für die zählen sie ja jede Menge
Alternativen auf -, sondern allein gegen die gesellschaftliche
Destruktivität dieser Sorte, der Atomkraft eben - sie spaltet das Volk und die
Nation und das soll nicht sein. Und der Hinweis auf die gesundheitlichen Schäden durch die Atomkraft ist allein Mittel zur
Agitation für eine - in anderer Art - totalitäre
Demokratie, die ohne Atom endlich Wirklichkeit werden soll. Das ist
auch schon der Grund, daß für diese Partei eine
Laufzeitbegrenzung für AKWs das gleiche ist wie ein Ausstieg
aus der Atomkraftnutzung. Denn in ihrem Sinne ist mit dem langfristigen
Ausstieg eine Anerkennung ihrer
Demokratie, ihres Verständnisses von ihr durchgesetzt, eines
Verständnisses, nach dem Gegensätze,
gegensätzliche Interessen in einer, ihrer Demokratie nichts zu suchen
haben und unter Berufung auf das Volk (und nicht auf
"Partikularinteressen") "gelöst", d.h. durchgesetzt
werden
müssen - und allenthalben auch werden können (dafür
werden dann lässig Gesundheitsschäden für zig Jahre in
Kauf genommen). Ein weiteres Beispiel: Der neue
Präsidentschaftskandidat der SPD findet bei den
Grünen eben deshalb soviel Anklang, weil der
keine Gegensätze kennt und kennen will, nicht einmal so
unwirkliche
und triviale wie zwischen den Bundestagsparteien. Die Linkspartei mit
ihm gleichsam zu usurpieren, dieser Zweck ist schon ziemlich
offensichtlich und der lächerliche taz-Kommentator
Stefan Reinecke schlägt denn auch gleich in diese Kerbe, wenn er ausruft, wie
geil das denn sei.
Im übrigen ist das auch der Grund dafür, daß sich
Proletariat und grüne Partei so vollkommen fremd
gegenüberstehen - und das obschon beim Proletariat kein
Klassenbewußtsein vorhanden ist. Aber allein, daß eine/r
raucht, hurt und auf die Kirche scheißt, insbesondere auch auf
eine Kirche namens Wahllokal (man denke an die Demokratiekampagnen:
Volksentscheide fordern Grüne immerzu), allein das reicht den
Grünen zur Ausgrenzung (was die Arbeiter natürlich auch ganz
ohne Blödzeitung bemerken!). Die Grünen sind, wenn man so will, päpstlicher als der Papst. (07.06.10)
