Prof. Dr. Albert Krölls
Von Freud zur Frankfurter Schule
Die affirmativen Wege des Unbewußten
Einleitung
Freud ist alles andere als ein »toter
Hund«. Auch wenn sich die
zeitgenössische Psychologie von seinen abenteuerlichen
sexuellen
Einfällen wie dem Penisneid des Weibes oder dem
Ödipus- oder
Kastrationskomplex zu distanzieren pflegt, so will doch so gut wie
keiner der Kategorie des »Unbewußten« die
wissenschaftliche
Berechtigung absprechen. Im Gegenteil, nicht nur bei der
Erklärung von Ausländerfeindlichkeit und
Jugendgewalt
spielen unbewußte Triebregungen, aggressionstheoretische,
triebökonomische oder ethno-psychoanalytische
Erklärungsmuster eine prominente Rolle. Geradezu zum
psychologischen Allgemeingut geworden ist die Deutung
staatlich
organisierter Kriege als Erscheinungsform menschlicher
Aggressivität oder des menschlichen Todestriebes.
Auch der freudianisch inspirierte Psychomarxismus der Frankfurter
Schule ist keineswegs ausgestorben und erfreut sich
insbesondere
in antideutschen Kreisen regen Zuspruches. So, wenn es darum geht, mit
Adorno- und Horkheimer Zitaten nach dem sado-masochistischen Ursprung
des deutschen National-Charakters zu forschen oder den Grund
für
das fehlende Klassenbewußtsein der (modernen) Lohnabhängigen
in
den autoritätshörigen Abgründen ihres
Seelenlebens zu
entdecken.
Welche systematischen Fehlerklärungen von Krieg,
faschistischem
Antisemitismus und staatsbürgerlichem Gehorsam die
Kategorienwelt der Psychoanalyse hervorbringt und welchen
politisch-legitimatorischen Nutzwert psychoanalytische
Erklärungsmuster besitzen, soll im Rahmen dieses Vortrags an
den
Theorien von Freud und der Frankfurter Schule aufgezeigt werden. [1]
I. Der Freud'sche Seelenapparat: eine haltlose Konstruktion mit fragwürdiger Funktion
Die Quintessenz seiner 3-Instanzenlehre hat Freud wie folgt
zusammengefaßt:
"Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das
arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist
bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang
zu
bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft
unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe
scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das
Über-Ich und das ES.... So vom ES getrieben, vom
Über-Ich
eingeengt, von der Realität zurückgestoßen,
ringt das
Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe,
die
Harmonie unter den Kräften und Einflüssen
herzustellen, die
in ihm und auf es wirken, und wir verstehen, warum wir so oft den Ausruf nicht
unterdrücken
können: Das Leben ist nicht leicht! Wenn das Ich seine
Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Real- angst
vor
der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich,
neurotische
Angst vor der Stärke der Leidenschaften im ES." (S. Freud,
Vorlesungen, Fischer Studienausgabe, Bd.1, S. 541.)
Wille und Bewußtsein sind im Rahmen des Freud'schen Modells die
Resultante eines mehrgliedrigen psychischen
Kräfteparallelogramms. Die menschliche Tätigkeit ist
unter
das heimliche Diktat dreier miteinander in Widerstreit liegender
psychischer Instanzen gestellt, welche als eigentliche
Handlungssubjekte fungieren. »ES«, »ICH« und
»ÜBERICH«,
die in der menschlichen Psyche miteinander und in der
Auseinandersetzung mit der »Außenwelt« um Einfluß
ringen
und damit das Denken und Handeln des Menschen bestimmen. Und
das
ist heutzutage jedem halbwegs psychologisch oder pädagogisch
gebildeten Menschen geläufig, daß im Es die
ursprünglich
biologischen, auf rücksichtslose
Bedürfnisbefriedigung
drängenden Triebe walten sollen, gegenüber denen das
Ich die
einschränkenden Anforderungen der gesellschaftlichen
Realität
vertritt und schließlich das Über- Ich dem Ich zur
Erfüllung seiner Kontrollaufgabe die
Maßstäbe der
gesellschaftlichen Normen und Werte liefert.
1. Das triebhafte ES: Eros versus Thanatos
Als erstem Element dieses Apparates begegnen wir dem so genannten ES,
das nach Freud das Bewußtsein bestimmt, ohne selber
Bewußtsein
zu sein. Dieses ES soll wie folgt beschaffen sein:
"Die Kräfte, die wir hinter den
Bedürfnisspannungen des
ES annehmen, heißen wir Triebe. Sie repräsentieren
die
körperlichen Anforderungen an das Seelenleben." (Freud, Abriß
der
Psychoanalyse 1966 [1938], S. 11)
"Die älteste dieser psychischen Provinzen oder
Instanzen
nennen wir das Es; sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei
Geburt
mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem die aus der
Körperorganisation stammenden Triebe, die hier einen ersten
uns in
seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck finden." (ebda
S. 9)
"Den Kern unseres Wesens bildet also das dunkle Es, das nicht
direkt mit der Außenwelt verkehrt (...) In diesem Es
wirken
die organischen Triebe, selbst aus Mischungen von zwei
Urkräften (Eros und Destruktion) in wechselnden
Ausmaßen zusammengesetzt."
(ebda S. 53)
Während es das Bestreben der Libido ist, "immer
größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten,
ist der
Destruktionstrieb darauf gerichtet, Zusammenhänge
aufzulösen und so die Dinge zu zerstören..." (ebda
S.12)
Ungeachtet der Anspielungen Freuds auf die angebliche Herkunft seiner
Grundtriebe aus der Körperorganisation: Mit
körperlich-biologischen Drangzuständen wie Hunger,
Durst oder
Sexualität und darauf gründenden
Bedürfnissen haben die »organischen Triebe« Freuds
nichts zu tun. [2]
Freud präsentiert vielmehr in Gestalt seiner beiden
Urkräfte eine
von sämtlichen konkret-materiellen Anliegen oder Interessen
losgelöste fiktiv-immaterielle Bedürfnishaftigkeit in
Gestalt
zweier sich auch noch wechselseitig ausschließender
Grundinteressen, die kein Subjekt in der realen Welt verfolgt:
Konstruktivität und Destruktivität, Aufbauen und Zerstören, Vereinigung und Trennung. Anders
ausgedrückt:
Freud richtet seine verhaltenssteuernde Triebquelle namens ES als
Komposition dieser beiden Urkräfte mittels falscher
Abstraktionen so her, daß jede konkrete Zweckbestimmung des
Handelns getilgt ist. Was immer der Mensch so tut und treibt, Essen und
Trinken, Vorträge halten oder Ausländerheime
anzünden,
ist dann umgekehrt die Manifestation dieser zwei (einander
widersprechenden) Grundimpulse.
Der erste positive Grundtrieb: Eros oder Libido genannt, ist ungeachtet
der Assoziationen, die das gewählte Vokabular nahe legen mag,
nicht mit Sexualität und Erotik zu verwechseln. Stattdessen
geht
es bei der Libido um die äußerst
merkwürdige
Generalzweckbestimmung: »(immer größere)
Einheiten
herzustellen«. Vereinigung oder Bindung also ist das, was den Menschen
recht eigentlich im Innersten so treibt. Nach dieser Logik
würde
ein Liebespaar im Geschlechtsakt nicht etwa seine Zuneigung
praktizieren, sondern würde sich nur der allgemeine
Grundtrieb, »Einheiten zu bilden« oder »sich zu
vereinigen« Geltung
verschaffen. Wie gut, daß die Akteure bei diesem Treiben kein
Bewußtsein davon haben, was sie insgeheim so treibt, wenn sie zur Tat
schreiten. So mancher liebevolle Akt würde dann
sicherlich
gar nicht erst stattfinden. Auch der Anschluß der DDR an die BRD
würde im Lichte des allgemeinmenschlichen Motivs der
»Bildung größerer Einheiten« eine
ungeahnte
tiefenpsychologische Dimension gewinnen.
Dieselbe krude Logik waltet beim negativen Pendant des
Vereinigungstriebes: dem Destruktions- oder Todestrieb, auch
Thanatos genannt. Behauptet wird die Zerstörung um der Zerstörung willen als allgemeine Antriebskraft des Menschen,
die
dieser Auffassung zufolge jedwede Ausübung von Gewalt, als
letztlich zufällige Ausdrucksweise eines völlig
unspezifischen Dranges zum »Töten und Zerstören«
erscheinen läßt. Der Mensch läuft
gemäß diesem
Konstrukt in der Welt herum mit einem grund- und inhaltslosem
Streben nach Zerstörung auf der Suche nach Gegner und Objekt
seiner Zerstörungswut.
Der zerstörerische Einsatz von Gewalt als Selbstzweck waltet
aber
noch nicht einmal dort, wo ihn moderne Anhänger von
Triebstauerklärungen regelmäßig am Werke
sehen wie in
Sachen Jugendgewalt, Ausländerhaß oder bei
Schüleramokläufen. Gerade im Bereich der
Ausübung von
Privatgewalt ist diese noch allemal Mittel zur Verfolgung wenn
auch höchst seltsamer Anliegen, wie sie das
bürgerliche
Konkurrenzsubjekt kennzeichnen: Selbstbehauptung, Verschaffung von
Anerkennung und Pflege des Selbstbewußtseins. Dasselbe gilt
für
die gewaltsame Betätigung politischer Subjekte. Staaten
pflegen
nämlich die Zerstörung von Land und Leuten des
Kriegsgegners
nicht als Selbstzweck sondern als Mittel einzusetzen, um den
Willen des feindlichen staatlichen Souveräns zu
brechen und
nehmen dabei den Verlust eigenen (Menschen)materials billigend in Kauf.
Der Destruktivitäts-Grundtriebslogik zufolge scheint
es sich
beim Krieg freilich eher um eine Veranstaltung zu handeln, die
»dem Menschen" so richtig schön Gelegenheit bietet,
seinen
destruktiven Grundtrieb einmal hemmungslos auszuleben. [3]
Gemäß dieser Optik zünden dann
Ausländerfeinde
Asylbewerberheime nicht etwa aus ihren spezifischen nationalistischen
Beweggründen an, sondern betätigen vielmehr nur ihren
allgemeinen Aggressionstrieb, der sich statt der Ehefrau oder des
feindlichen Soldaten zur Abwechslung mal einen etwas anderen Gegenstand
ausgesucht hat.
Also: Eros und Thanatos sind bereits für sich, einzeln
betrachtet
reiner Nonsens. Wie schließlich aus diesen als barem
Widersinn
konstruierten gegensätzlichen Grundtrieben von
Konstruktivität und Destruktivität überhaupt
irgendetwas
an Denken und Handeln herauskommen, und wie daraus - jedenfalls nach
Freud - sogar letztlich die Summe aller Lebenserscheinungen resultieren
soll,
"Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie
der
andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden
gehen
die Erscheinungen des Lebens hervor." (Warum Krieg? Studienausgabe Bd.
IX, S. 281) bleibt das Geheimnis des Wiener Tiefenpsychologen.
Freud sieht das natürlich gänzlich anders. Sein
klassisches fantasievoll konstruiertes Beispiel für die kombinatorische
Tätigkeit beider Grundtriebe ist die Nahrungsaufnahme. Danach
ist
bei der Einverleibung der Nahrung der Lusttrieb, im Zerkauen der
Nahrung hingegen der Aggressionstrieb am Werk. Auch den Sexualakt
betrachtet Freud als eine Verbindung beider Triebe. Das
völlige
Fehlen des Aggressionstriebs äußert sich
dann als
Impotenz, das Fehlen des Eros hingegen als Sadismus bzw. – im Grenzfall – im Lustmord. In diese Rubrik des psychoanalytischen
Kuriositätenkabinetts fällt auch die im
Ankündigungsflugblatt des Vortrags zitierte
zeitgenössische
Deutung der palästinensischen Selbstmordattentate als
Beleg
für die angeblich ungebrochene Aktualität des
Todestriebes. Hier sollen sich der psychoanalytischen Deutung
zufolge beide Momente des Todestriebes aufs Schönste vereinigt
haben: die Tendenz der Selbstzerstörung mit dem Urtrieb,
andere
Mitglieder der menschlichen Gesellschaft aus dem Leben zu
befördern. [4]
Soweit der Dualismus von Eros und Todestrieb. Ungeachtet aller
Ungereimtheiten hat diese ziemlich freie Erfindung des ES und seiner
antagonistischen Grundtriebstruktur freilich durchaus Sinn und
Funktion, jedenfalls im Rahmen des Freud'schen Systems. Denn Hauptsache
es herrscht in der Psyche so etwas wie Triebspannung, die
wegen
der negativen Folgen ihrer umstandslosen Auflösung unter
Kontrolle
gestellt werden muß. Der ganze künstlich inszenierte
Seelenaufruhr ist überhaupt nur auf den Ruf nach einem
»Bändiger« zugeschnitten, der in das Chaos der
gespannten
Triebstruktur Ordnung bringt. Und diese ordnungsstiftende
psychische Kontrollinstanz ist
2. Das triebdomestizierende ICH als Abspaltungsprodukt und Hilfskraft
des ES
"Ursprünglich war ja alles Es, das Ich ist durch den
fortgesetzten Einfluß der Außenwelt aus dem Es entwickelt
worden." (ebda S. 23)
"Unter dem Einfluß der uns umgebenden realen
Außenwelt
hat ein Teil des ES eine besondere Entwicklung erfahren" ... "das
sogenannte Ich", das sich "aus der Rindenschicht des Es
entwickelt"
hat... "Es [das »Ich«] hat die Aufgabe der Selbstbehauptung,
erfüllt sie, indem es nach außen die Reize kennen
lernt,
Erfahrungen über sie aufspeichert (im Gedächtnis),
überstarke Reize vermeidet (durch Flucht),
mäßigen
Reizen begegnet (durch Anpassung) und endlich lernt, die
Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem
Vorteil zu
verändern (Aktivität); nach innen gegen das ES, indem es die Herrschaft über die
Triebansprüche gewinnt, entscheidet, ob sie zur Befriedigung
zugelassen werden sollen, diese Befriedigung auf die in der
Außenwelt günstigen Zeiten und Umstände
verschiebt oder
ihre Erregungen überhaupt unterdrückt." (ebda S.10)
Es fragt sich bereits im Ausgangspunkt, wo dieses Bedürfnis
zur
Bändigung der chaotischen Triebstruktur herkommen
soll. Aus
dem Inhalt des ES jedenfalls nicht, denn dessen Natur bestand ja nach
Freud in seiner chaotischen Gegensätzlichkeit. Und wenn das
die
Natur des ES ist, ist nicht einzusehen, warum das ES
überhaupt Probleme mit seiner triebgespannten Struktur
bekommen
sollte. Aber gerade dieses Ding der logischen Unmöglichkeit
will
Freud allen Ernstes behauptet haben: Das ICH als Abkömmling
des ES.
Denn das ICH soll sich nach Freud als Teil des ES aus der
Hirnrindenschicht des ES entwickelt haben. Angesichts der Herkunft des
ICH aus dem ES ist es freilich überaus rätselhaft,
wie das
ICH die ihm zugewiesene Rolle, die »Herrschaft über
Triebansprüche zu gewinnen", überhaupt
erfüllen
können soll. Wie soll das ICH gegenüber dem ES, das
in keinem
Bezug zur Realität steht und nur sich selber und seine
Triebhaftigkeit kennt, die Realität repräsentieren
können, wie soll das ICH gar in der Lage sein, die geistige
Leistung eines Lernprozesses zu vollziehen - wenn das ICH doch nur ein
Teil des unbewußt-triebhaften ES ist? Als Repräsentant
bloßer dranghafter Bedürftigkeit jedenfalls ist das
ES
solcher Überlegungen gar nicht fähig, wie sie mit
Willen und
Bewußtsein Menschen anstellen, die bei ihrer
Bedürfnisbefriedigung auf Schranken stoßen und
entsprechende
rationelle Umgangsweisen mit der Außenwelt zu
entwickeln
lernen.
3. Das ÜBERICH: Abspaltungsprodukt und Hilfskraft des
maßstabslosen Ichs
Dieselbe verquere Ableitungslogik wiederholt sich eine Stufe
höher
bei der Einführung des ÜBERICH. Die Notwendigkeit des
ÜBERICH folgt der defizitären Ausstattung des ICH bei
der
Bewältigung seiner Aufgabe, das triebhafte ES im Zaum
zu
halten. Weil nämlich das ICH weder über die Kriterien
verfügt, gemäß denen es die Befriedigung
zuzulassen,
aufzuschieben oder zu unterdrücken hat noch
über die
Macht, sich gegenüber dem widerspenstigen ES durchzusetzen,
bedarf
es einer weiteren Instanz, die diese Qualitäten innehat. Wie
allerdings das ÜBERICH in den Besitz dieser
Fähigkeiten
gelangt sein soll, bleibt erneut höchst
erklärungsbedürftig. Denn das ÜBERICH wird
von Freud
wiederum als verselbständigter Teil des ICH vorstellig
gemacht.
Wie aber sollte das ÜBERICH als Teil des ICH
plötzlich den
Mangel überwunden haben, mit dem das ICH
definitionsgemäß behaftet ist?
Zum Verhältnis von ÜBERICH und Gewissen
Die auf diese Weise als Abspaltungsprodukt des mangelhaften ICH ins
Seelenleben getretene Kategorie des ÜBERICH ist im
Übrigen nicht mit dem real existierenden Fänomen des
Gewissens zu verwechseln, aus dem es bei
zeitgenössischen
Lesern seine vordergründige Plausibilität bezieht.
Die
Bildung des Gewissens ist nämlich ein Werk des falschen
Bewußtseins. Seine Leistung besteht darin, daß das Subjekt seine
willentliche Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Anforderungen
als Erfüllung höherer moralischer
Beurteilungsmaßstäbe umdeutet. Das Freudsche
ÜBERICH
hingegen hat mit der (falschen) Einsicht in die Notwendigkeit
der
gesellschaftlichen Beschränkungen der Interessenverfolgung,
dem
bewußten Anlegen moralischer Maßstäbe an sich
selbst,
nichts gemein. Es verfügt als von der Person abgespaltene
Kraft
selber über Willen und Bewußtsein, mit denen es die anderen
Kräfte je nach Stand des innerseelischen
Kräfteverhältnisses in Schach hält.
Während bei der
Bildung des Gewissens die willentliche Aneignung der gesellschaftlichen
Moralmaßstäbe eine Eigenleistung des Subjektes in
seiner
geistigen Auseinandersetzung mit der äußeren Welt,
insbesondere mit den »Vorgaben« der Eltern darstellt,
gehört
bei Freud die moralische Selbstkontrolle quasi zum seelischen Erbgut
des Menschen.
"Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der
der
werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern
lebt,
bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich
dieser elterliche Einfluß fortsetzt. Sie hat den Namen des
Über-Ichs erhalten. Insoweit dieses Über-Ich sich vom
Ich
sondert und sich ihm entgegenstellt, ist es eine dritte Macht, der das
Ich Rechnung tragen muß." (S. 10) "Das Überich mag
neue
Bedürfnisse geltend machen. Seine Hauptleistung bleibt die
Einschränkung der Befriedigungen." (ebda)
4. Das Unbewußte als heimliche Regieinstanz der Bewußtseinsbildung
Welche Rolle spielt nun die Kategorie des Unbewußten innerhalb der
3-Instanzenlehre? Abgesehen von den originären per se als
unbewußt definierten Triebregungen des ES entsteht das Freud'sche
Unbewußte bekanntlich durch die Verdrängung der im ES
angesiedelten frühkindlichen Triebimpulse. Diese
werden auf
Grund ihrer Unvereinbarkeit mit den moralischen Anforderungen des
ÜBERICH vom ICH aus dem Bewußtsein ausgeschlossen,
üben als
nunmehr unbewußte verbotene Triebregungen ihre destabilisierende
Wirkung auf das fragile seelische Gleichgewicht aus, lösen bei
Versagen oder Überstrapazierung der seelischen
Abwehrmechanismen
vermittels ihrer Macht der Selbstbestrafung den Störfall der
Neurose aus, der wiederum nur behoben werden kann durch die
Bewußtmachung und willentliche Verurteilung der nichtannehmbaren
Seelenregungen.
Entscheidend für die freudianische Kategorie des Unbewußten
ist,
daß sich das Unbewußte als ein außerhalb von Wille und
Bewußtsein existierendes nichtbewußtes Denken definiert, das ohne
Wissen des Subjekts den Inhalt seines bewußten Handelns bestimmt. [5]
Die immanente (Un)Logik der Kategorie des Unbewußten
In welche Denkwidersprüche man sich verwickelt, wenn man
unbedingt
die Eigenständigkeit von Wille und Bewußtsein bestreiten und
das
Dogma der Abhängigkeit des Willens vom unbewußten Wollen
unter
Beweis stellen will, belegt die nähere Betrachtung des
Inhaltes
der Freud'schen Bestimmungen des Unbewußten und des
Bewußtseins
und deren Verhältnis zueinander.
"Sie [unbewußte seelische Vorgänge] können mit all den Kategorien beschrieben werden,
die
wir auf die bewußten Seelenakte anwenden, als Vorstellungen,
Strebungen, Entschließungen u. dgl. ja, von manchen
dieser
latenten Zustände müssen wir aussagen, sie
unterscheiden
sich von dem Bewußten eben nur durch den Wegfall des
Bewußtseins." (ebda S. 127)
Überraschenderweise gibt es nämlich laut Freud gar
keinen
Unterschied hinsichtlich der Leistungen von Bewußtsein und
Unbewußtem. Das Unbewußte ist und tut haargenau dasselbe wie das
bewußte Denken: es stellt sich etwas vor, es will etwas und
es
trifft Entscheidungen, nur daß die Sache einmal bewußt und
einmal unbewußt abläuft.
Der immanente Selbstwiderspruch der Konstruktion besteht darin, daß
auf der Basis der Identität (der Leistungen) von Bewußtsein
und
Unbewußtem jeder Grund für die gleichzeitige
Existenz beider
entfällt. Bei angenommener Existenz des Unbewußten
wäre das
Bewußtsein gänzlich überflüssig. Denn warum
sollten die
Menschen noch bewußt denken, wenn es ohnehin in ihnen schon unbewußt
denkt und der unbewußte Wille ihnen die Entscheidung abnimmt, was sie
denken und wollen sollen? Umgekehrt würde die Existenz des
Bewußteins ein Unbewußtes erübrigen. Denn warum
sollten
sich Menschen mit Wille und Bewußtsein von ihrem Un- oder
Unterbewußtsein kommandieren lassen, von dessen Befehlsgewalt
sie
überdies gar keine Kenntnis haben?
Der Ursprung des Unbewußten: ein Werk des Bewußtseins
Der aus der Doppelexistenz von Bewußtsein und Unbewußtem
resultierende Widerspruch findet seine Fortsetzung in der
Erklärung des Ursprunges des Unbewußten. Die
Verdrängung,
welche die verbotenen Regungen des ES in das Unbewußte abschiebt, soll
nämlich nach Freud ein Werk des Bewußtseins sein.
"Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen
Vorraum gleich, in dem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen
tummeln. An diesem Vorraum schließt sich ein zweiter,
engerer,
einer Art Salon, in welchem noch das Bewußtsein verweilt, an. Aber an
der Schwelle zwischen den beiden Räumlichkeiten waltet ein
Wächter seines Amtes, der die einzelnen
Seelenregungen
mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einläßt, wenn
sie
sein Mißfallen erregen ... Wenn sich die Regungen im Vorraum bereits
zur Schwelle ... vorgedrängt haben und vom Wächter
zurückgedrängt worden sind, dann sind sie
bewußtseinsunfähig: Wir heißen sie
verdrängt."
(Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe Bd.1, S. 293).
Auf der Grundlage der Annahme, daß die Ausschließung
unerlaubter
Seelenregungen aus dem Bewußtsein eine Leistung des
Bewußtseins
selber wäre, könnte es das vom Bewußtsein
abgetrennte
Eigenleben des Unbewußten aber gar nicht geben. Dann wüßte
nämlich erstens das Bewußtsein von der Existenz seines
Abspaltungsproduktes und zweitens könnte das wissentliche
Geschöpf des Bewußtseins nicht auch noch dem Bewußtsein ohne
dessen Wissen seinen Inhalt vorgeben.
Nicht besser bestellt ist es um die Schlagkraft der empirischen
Beweisangebote für das Unbewußte, die uns Freud
präsentiert: - Der Traum, - Der Freud'sche Versprecher
Der Traum als Sitz des Unbewußten
ist ein Werk des vorausgesetzten theoretischen Konstruktes der
Aufspaltung des Willens in bewußte und unbewußte
Willensakte,
welche das Verhältnis von Traum und Wachzustand auf den Kopf
stellt. Ausgerechnet dort wo der Mensch im Wachzustand den lieben
langen Tag zweckgerichtet handelt, wird die Existenz von Willen und
Bewußtsein bestritten und sein Handeln auf dahinterliegende
unbewußte Motive zurückgeführt. Umgekehrt, dort wo
im
Schlafzustand das zweckgerichtete Denken ausgeschaltet ist,
soll
der eigentliche Wille am Werk sein.
Worin besteht der fundamentale Unterschied zwischen Wach- und
Traumzustand? Während im wachen Zustand die chaotische
Wahrnehmung
der Realität durch den Willen, sie zu erkennen und auf dieser
Grundlage zweckbestimmt zu handeln, systematisiert wird, ist der Traum
umgekehrt die Abwesenheit des Willens, die Dinge in einen Zusammenhang
zu bringen, sie sich im Wege des Denkens anzueignen. Deshalb
sind
die Vorstellungen im Traum ein chaotisches Neben- und
Nacheinander: Die bestimmte Art des zweckgerichteten geistigen
Umgangs mit den Gegenständen findet im Traum nicht statt. Was
sich
dort abspielt, ist eine willkürlich-zufällige Mixtur
der
Beziehung auf die vorgestellten Gegenstände, von
Assoziationen,
Ängsten, Erinnerungen, Wünschen,
(Wunsch)vorstellungen
etc. [6] Ausgerechnet dort, wo im Schlaf der Wille des Menschen zum
logischen Verknüpfen nicht mehr wach ist, nur noch
Restfunktionen
des Verstandes tätig sind, da nun beginnt für die
Psychoanalyse die genuine Leistung des unbewußten Willens.
Die
Psychoanalyse erblickt gerade in dieser Sorte
willkürlich-zufälliger »Verknüpfungen« eine
bestimmte symbolische Systematik, die Aufschluß darüber geben
soll, was Individuen in ihrem Handeln »eigentlich« wollen.
Das
ist das weite spekulative Feld der Traumdeutung.
Der Freud'sche Versprecher
besitzt einen ähnlich negativen Beweiswert für die
Existenz
des Unbewußten. Hierbei handelt es sich um eine typische Fehlleistung
des Verstandes des bürgerlichen Subjektes, beruhend auf dem
Spannungsverhältnis zwischen zwei gleichzeitig existierenden
Willensinhalten. Das moralische Subjekt hat sich einerseits
die
angesagten gesellschaftlichen Wertmaßstäbe
angeeignet und
weiß darum, was sich nicht gehört und was
man auf
keinen Fall öffentlich sagen darf, beispielsweise
ausländerfeindliche Sprüche von sich zu
geben. Derselbe
Mensch, der den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen
will,
ist aber zugleich nach wie vor im tiefsten Inneren seines Bewußtseins
von der Wahrheit seiner diesbezüglichen ungehörigen
(ausländerfeindlichen) Auffassungen überzeugt. Wenn
ihm dann
einmal bei unpassender Gelegenheit eine ausländerfeindliche
Äußerung »heraus- rutscht«, dann macht
sich nicht sein
Unbewußtes geltend sondern sein real existierendes bewußtes Urteil,
das in Kollision gerät mit dem zugleich gefaßten
opportunistischen Zweck, seine äußere Handlungsweise
mit den
vorgegebenen, aber von ihm gar nicht geteilten gesellschaftlichen Anforderungen der »political correctness« in
Übereinstimmung zu
bringen. Was hier also versagt, ist nicht die Kontrolle des ICH
über ein ihm unbekanntes geheimes ES, das plötzlich
und aus
heiterem Himmel in die Wirklichkeit des Bewußtseins tritt, sondern die
willentliche Kontrolle bezüglich des eigenen, gesellschaftlich
verpönten Bewußtseinsinhaltes.
Die Welt als Produkt verdrängter oder sublimierter sexueller
Triebregungen
Ebenso willkürlich wie die theoretische Konstruktion der
Kategorie
des Unbewußten ist die Bestimmung des Stoffes, aus dem das
Unbewußte bestehen soll: aus einem Bündel
verdrängter
tabuisierter sexueller Triebregungen, denen die Entstehung
neurotischer Störungen geschuldet sein soll. Recht erstaunlich
mutet es an, was hier Freud alles unter dem Titel der
frühkindlichen Sexualität den neuen
Erdenbürgern als
unehrenhafte Motive unterstellt - vom Wunsch mit der Mutter zu schlafen
und den Vater als Nebenbuhler aus der Welt zu schaffen, über
die
sattsam bekannte Kastrationsangst bis hin zum Penisneid des
Weibes – und für welche Fänomene er die
verdrängten
Triebregungen verantwortlich machen will.
Hatte Freud seinen Erklärungsanspruch zunächst auf
die
Entstehung neurotischer Störungen
beschränkt, so baut er
seine Psychologie des Unbewußten später aus zu einer
Weltanschauung, welche die Totalität aller
menschlichen Zwecke und Werke als Ausdruck nichtbewältigter unbewußter
Konflikte der sexuellen Entwicklung des Menschen ableitet. Was auch
immer der Mensch so treiben möge, von Religion, Recht, Ethik
und
Staat über Kunst und Kultur, den Antisemitismus bis hin zum
Geld,
wird die Gesamtheit aller menschlichen Werke auf verdrängte
oder
sublimierte Sexualregungen zurückgeführt.
"daß Triebregungen, welche man nur als sexuelle im engeren
wie
im weiteren Sinn begreifen kann, eine ungemein große und
bisher
nie genug gewürdigte Rolle in der Verursachung der Nerven- und
Geisteskrankheiten spielen. Ja noch mehr, daß dieselben sexuellen
Regungen auch mit nicht zu unterschätzenden Beiträgen
an den
höchsten kulturellen, künstlerischen und sozialen
Schöpfungen des Menschengeistes beteiligt sind." (Vorlesungen
zur
Einführung in die Psychoanalyse, Einführung,
Studienausgabe
Bd. I, S. 48.)
"Der Kastrationskomplex ist die tiefste Wurzel des
Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört
der Knabe,
daß dem Juden etwas am Penis.... abgeschnitten wird, und dies gibt ihm
das Recht, den Juden zu verachten." (2 Kinderneurosen, Studienausgabe
Bd. VIII, S. 36, Fn. 2)
"Ebenso, daß eine der wichtigsten
Äußerungen der
umgebildeten Erotik aus dieser Quelle [der Analerotik] in der Behandlung des Geldes vorliegt, welcher wertvolle Stoff, im
Laufe des Lebens das psychische Interesse an sich gezogen hat, das
ursprünglich dem Kot, dem Produkt der Analzone
gebührte."
(Ebd. S.188)
Da mag sich der Mensch noch so sehr vorstellen, seine eigenen
selbstgesetzten Zwecke zu verfolgen. Reine Einbildung: Ob er dem
Gelderwerb nachgeht, ein Bild malt, eine Staatsverfassung konzipiert
oder eine Abhandlung zur Kritik der Psychologie verfaßt,
letztendlicher Urheber aller seiner recht unterschiedlichen
Aktivitäten ist nach Freud ein und dieselbe Unterlassung:
nämlich die unterbliebene und auf
Ersatzaktivitäten
umgeleitete Verwirklichung seiner sexuellen Triebimpulse.
Die bodenlose Logik der Kategorie der Ersatzhandlung
Willkürlicher geht es kaum. So basiert die »Rückführung« aller zweckbestimmten Taten
des
Menschen auf das eigentlich treibende Motiv der Befriedigung
verdrängter sexueller Triebregungen zunächst auf der
grundlosen Unterstellung der Libido als menschlicher
Generalantriebskraft. Wenn der Mensch eigentlich immer nur sexuelle
Befriedigung erstrebt, aber augenscheinlich ein ganzes Ensemble anderer Aktivitäten entwickelt, dann kann es
sich
definitionsgemäß bei diesen Aktivitäten nur
um
Ersatzhandlungen handeln.
Die Existenz der libidinösen Generaltriebkraft einmal
unterstellt,
fragt sich zunächst, warum aus einer Unterlassung
überhaupt
etwas folgen soll. Warum sollte man etwas anderes tun wollen, wenn der
eigentliche Zweck nicht zu realisieren ist? Da müßte man
schon
neben und im Widerspruch zum libidinösem Generaltrieb
ein
generelles Kompensationsbedürfnis erfinden, das nach dem Motto
verfährt: Wenn das Eine nicht geht, was ich eigentlich und
ausschließlich will, dann mach ich halt etwas anderes. Weiter
stellt sich die Frage, wie dieser nur ein einziges Ziel
kennende
Trieb überhaupt auf etwas anderes umgesteuert werden kann, ja
durch alle anderen Betätigungen ersetzbar ist, die
rein gar
nichts mit Sexualität zu tun haben. Da ist der Mensch
immerzu
und ausschließlich auf das Eine gepolt und läßt
sich
zugleich auf eine ganze Welt von Ersatzhandlungen umlenken, so
daß am Ende die Welt nur noch von Ersatzaktivitäten
bevölkert ist.
Unter einem uns bereits aus der Konstruktion der Verdrängung
bekannten Selbstwiderspruch leidet auch die Erklärung der
Funktionsmechanismen des Umlenkungsprozesses. Wer ist nämlich
der
Urheber der Sublimation?: das Bewußtsein. D. h. derselbe bewußte
Wille, der einerseits nur die abhängige Variable des
Unbewußten
sein soll, ist zugleich mit der sehr eigenständigen
Regiefähigkeit begabt, die unbewußten Triebregungen
je nach
Bedarf zu unterdrücken, zu verdrängen oder im
Interesse ihrer
Sozialverträglichkeit in eine ganze Welt von Ersatzhandlungen
umzusteuern. Womit sich die ganze Konstruktion in den Zirkel
aufgelöst hätte, daß das Bewußtsein einerseits als
Wirkung des Unbewußten existiert und andererseits zugleich
als
Kontroll- und Steuerungsinstanz über das Unbewußte fungiert,
von
dem es heimlich regiert wird.
5. Die ideologisch-legitimatorischen Leistungen der Freud'schen
Seelenlehre
Radikale Leugnung der gesellschaftlichen Schranken des
Willens
Die ideologische Leistung der Freud'schen Seelenlehre besteht
zunächst in der radikalen Leugnung der realen
gesellschaftlichen
Schranken, denen die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft
unterliegen. Die Probleme, die der Mensch hat, weil er bei der
Verfolgung seiner Interessen in der bürgerlichen
Gesellschaft
andauernd auf politökonomisch gesetzte Schranken
stößt,
welche ihm Verzicht und Selbstbeherrschung
aufnötigen, sind
damit ganz grundsätzlich in Probleme verwandelt, die der
Mensch
mit sich selber hat. Alle Probleme des Menschen in und mit der Welt
sind erfolgreich auf psychische Funktionsstörungen
zurückgeführt, die darin bestehen, daß das
Verhältnis
von ES, ICH und ÜBERICH gestört, das ICH zu schwach
oder das
ÜBERICH zu stark ausgeprägt ist und was es sonst noch
an
Beeinträchtigungen der seelischen Stabilität geben
soll. [7]
Und wer sich diesen Schuh anzieht, ist dann sein ganzes Leben damit
beschäftigt, statt die Welt am Maßstab seiner
Interessen und
Bedürfnisse zu messen und gegebenenfalls an der Aufhebung der
gesellschaftlichen Beschränkungen zu arbeiten, die ihm das
Leben
schwer machen, sein inneres seelisches Gleichgewicht und damit zugleich
die Übereinstimmung zwischen sich und der Welt
(wieder)herzustellen. Mit diesem Identitätsprogramm, das auf
der
Verlegung aller sozialen Gegensätze in die Psyche des
Menschen beruht, alle Unzufriedenheit mit der Welt auf ein falsches
Verhältnis des Menschen zu sich selbst und seinem
verqueren
Seelenhaushalt zurückführt, ist Freud der Pionier der
modernen Psychologie überhaupt, insbesondere ihrer praktischen
psychotherapeutischen Abteilungen, deren ganze Anstrengungen
der
Anpassung des funktionsuntüchtigen Individuums an die
Anforderungen der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft gelten.
Staat und Gesellschaft als Bändiger der triebhaft-aggressiven
Menschennatur
Die zweite gesellschaftsnützliche Leistung des
psychoanalytischen
Denkens besteht darin, daß zugleich alle Einrichtungen der
Gesellschaft, zuvörderst der Staat, legitimiert werden als
eine
einzige Dienstleistung am Menschen, dessen triebhafte Menschennatur mit
ihren unbescheidenen und zerstörerischen Bedürfnissen
in den
Griff zu bekommen. Dieselben gesellschaftlichen Institutionen,
die
Freud zufolge ihre Existenz den (sublimierten) Triebregungen verdanken:
der Nationalstaat, die (kapitalistische) Erwerbsarbeit etc.
schließlich sogar der Krieg erfahren im Lichte ihrer
triebdomestizierenden Leistungen ihre generelle Heiligsprechung. Denn
was – um mit Freud zu sprechen – würde wohl aus der Welt, wenn
die »angeborene Neigung des Menschen zum 'Bösen', zur
Aggression, Destruktion und damit auch zu Grausamkeit« nicht von der
unwiderstehlichen Gewalt eines Leviathan bzw. von dessen im
Über-Ich verinnerlichten Anforderungen unterdrückt
oder
zumindest in gemeinschaftsverträgliche Bahnen gelenkt
würde?:
Ausbeutung, Vergewaltigung, Raub und Mord würden die
gewalttätige Realität der Gesellschaft bestimmen. Und
da
hilft nur eines: die Existenz eines »Oberwolfes« namens
Staat,
der kraft seiner unwiderstehlichen überlegenen Gewalt
zum
Wohle aller die wölfische Menschsnatur domestiziert.
Dementsprechend erblickt Freud in der
gefühlsmäßigen
Identifikation der Untertanen mit der Staatsgewalt, mit seinen Worten
gesprochen in den »Gefühlsbindungen«, oder »Gemeinschaftsgefühlen« die sich im Zuge der
quasinatürlichen Anerkennung der nationalen
Interessengemeinschaft bilden würden, das zentrale Instrument
der
Befriedung der aggressiven Raubtiernatur des Menschen:
"Die Gemeinschaft muß permanent erhalten werden, sich
organisieren, Vorschriften machen, die den gefürchteten
Auflehnungen vorbeugen, Organe bestimmen, die über die
Einhaltung
der Vorschriften –- Gesetze –- wachen und die Ausführung der
rechtmäßigen Gewaltakte besorgen. In der
Anerkennung
einer solchen Interessengemeinschaft stellen sich unter den
Mitgliedern einer geeinigten Menschengruppe
Gefühlsbindungen
her, Gemeinschaftsgefühle, in denen ihre eigentliche
Stärke
beruht.
Damit, denke ich, ist alles Wesentliche bereits gegeben: die
Überwindung der Gewalt durch Übertragung der Macht an
eine
größere Einheit, die durch Gefühlsbindungen
ihrer
Mitglieder zusammengehalten wird." (Studienausgabe Bd. IX, Warum Krieg,
S. 277)
Die triebökonomische Laudatio des Krieges
In diesem Zusammenhang ist abschließend noch die
triebökonomische Spitzenleistung Freuds in Sachen
Staatslegitimation zu würdigen. Das im Namen einer rationalen
Triebregulierung gesungene allgemeine Loblied Freuds auf die guten
Werke von Staat und Gesellschaft als Verhinderungsinstanz der
Ausbrüche der aggressiven Menschennatur macht nämlich
selbst
vor dem Krieg nicht halt. Zwar läßt sich der Krieg eigentlich
nur
schwierig als Akt der Eindämmung menschlicher Gewalt
darstellen. jedoch möchte Freud dem Krieg als Vater
aller
Dinge eine zumindest bedingte Eignung als
Gewaltverhinderungsprogramm nicht absprechen:
"So paradox es klingt, man muß doch zugestehen, der Krieg
wäre kein ungeeignetes Mittel zur Herstellung des ersehnten 'ewigen' Friedens, weil er imstande ist, jene großen
Einheiten zu
schaffen, innerhalb deren eine starke Zentralgewalt weitere Kriege
unmöglich macht. Aber er taugt doch nicht dazu, denn die
Erfolge
der Eroberung sind in der Rege nicht dauerhaft." (ebda S. 279)
Die triebökonomisch-gesundheitsdienlichen Leistungen, die
Freud
dem Kriege zuspricht, lassen diese gewalttätige Sache jedoch
gleich in einem versöhnlicheren Licht erscheinen.
"Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit
Hilfe
besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte,
gewendet
wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, daß
es fremdes zerstört. Ein Anteil des Todestriebes verbleibt
aber im
Innern des Lebewesens tätig. ( ... ) Wir haben sogar die
Ketzerei
begangen, die Entstehung unseres Gewissens durch eine solche
Wendung der Aggression nach innen zu erklären. Sie merken, es
ist
direkt ungesund, während die Wendung dieser
Triebkräfte
zur Destruktion in der Außenwelt entlastet, wohltuend wirken
muß." (Freud Studienausgabe Bd. IX S. 282)
"Daß die menschlichen Großindividuen, die
Völker
und Staaten, die sittlichen Beschränkungen
gegeneinander
fallen lassen, wurde ihnen [den Soldaten] zur begreiflichen Anregung,
sich für eine Weile dem bestehenden Drucke der Kultur zu
entziehen
und ihren zurückgehaltenen Trieben vorübergehend
Befriedigung
zu gönnen. Dabei geschah ihrer relativen Sittlichkeit
innerhalb ihres Volkstumes wahrscheinlich kein Abbruch." (Die
Enttäuschung des Krieges, Studienausgabe Bd. IX, S.
44 f.)
Da nach Freud der Grund des Krieges im Aggressionstrieb liegt und ein
gewisses Maß an Abfuhr aggressiver Triebenergie
geradezu
förderlich für das seelische Wohlbefinden ist, weil
anderenfalls sich zuviel krankmachende Aggression nach Innen gegen das
eigene Ich wenden würde, kann aus trieb- ökonomischen
Gründen gegen eine derartige Ablenkung des Aggressionstriebes
auf
den äußeren Feind nichts eingewendet werden.
jedenfalls
solange nicht, wie noch keine weltweite Zentralgewalt existiert, auf
die sich dann das natürliche Gemeinschaftsgefühl der
Menschen
beziehen könne. Weit davon entfernt, durch staatlich
produzierte
Leichenberge an seiner Bestimmung des Nationalstaates als
humanitär-kultureller Dompteur der unfriedlichen Menschennatur
irre zu werden, gelingt es also Freud, seinen irreversibel guten
Glauben an die friedensstiftende Potenz des Nationalstaates durch die
Berufung auf den triebökonomischen Nutzen des Kriegs
für den
Seelenhaushalt der Untertanen zu bewahren.
So weit das Urteil über die theoretischen Leistungen der
Freudianischen Psychoanalyse, die zugleich die psychologische Basis des
Psychomarxismus der Frankfurter Schule bildet, der im folgenden Teil II
des Vortrags abgehandelt werden soll.
II. Adorno/Horkheimer: Die autoritäre Herrschaft - Ein ideales
Entsprechungsverhältnis zwischen Staatsgewalt und
Untertanenseele
1. Das Untersuchungsprogramm: Auf der Suche nach dem subjektiven Faktor
Die im Ausgangspunkt durchaus rationell anmutende Fragestellung der
Autoren der Frankfurter Schule war darauf gerichtet, eine
Erklärung dafür finden zu wollen, warum sich die »unterdrückten Volksmassen" bereitwillig in den
Dienst der
ökonomischen und politischen Vorhaben des deutschen Faschismus
gestellt haben, obwohl es für die Mitglieder der arbeitenden
Klasse keine guten Gründe gegeben hat weder für eine
Mitwirkung im Kriegs- und Arbeitsdienst noch für eine
Beteiligung
am staatlich organisierten judenmord. Warum also – so fragen sich
Adorno & Co – betätigen sich große Teile der Bevölkerung als Parteigänger eines
nationalen
Programms der Entfaltung der Macht des Staates und des kapitalistischen
Eigentums, das im eklatanten Widerspruch zu ihren objektiven Interessen
steht? [8]
Wenn also die objektive Klassenlage der Lohnabhängigen weder
quasi
automatisch ein revolutionäres Bewußtsein erzeugt
und es
darüber hinaus noch nicht einmal verhindert, daß Arbeiter
massenweise zu Parteigängern
autoritär-faschistischer
Regime werden, wenn demgemäß also
offensichtlich nicht
das gesellschaftliche Sein der Produzent des Bewußtseins ist, dann –
so der Schluß von Adorno, Horkheimer und Fromm – dann muß doch wohl
bei der Bildung des bürgerlichen
Untertanenbewußtseins das
Subjekt selber eine tragende Rolle spielen. Dann muß es wohl doch so
etwas wie einen so genannten subjektiven Faktor geben, dessen Existenz
angeblich vom ökonomistisch-deterministischen
Marxismus
negiert wird.
Die Art und Weise freilich, wie die Subjekte und ihre individuellen
Beweggründe der Befürwortung des Faschismus im Rahmen
der
Theorie des subjektiven Faktors vorkommen, ist von einer
höchst
eigenartigen Beschaffenheit. Die Inhalte des faschistischen
Bewußtseins spielen nämlich bei Adorno & Co im
Prinzip
für dessen Erklärung so gut wie keine Rolle. Denn
weil es
keinen Determinationszusammenhang zwischen der objektiven
Klassenlage und dem faschistischen Bewußtsein gibt, sondern
die »Anfälligkeit« für faschistisches
Gedankengut
offensichtlich ziemlich klassenübergreifend verbreitet ist,
haben
die Autoren sowohl die gesellschaftlichen Verhältnisse selber
als
auch die politischen Urteile und Standpunkte, welche die
Subjekte
über die bürgerliche Gesellschaft und die
Programmatik
des Faschismus hegen und pflegen, als relativ unerheblich für
die
angestrebte Ermittlung der subjektiven Gründe des
Erfolges
der faschistischen Ideologie erachtet.
Gemäß der vorausgesetzten deterministischen Logik, »wenn die Ökonomie als ausschlaggebende Ursache
für den
Inhalt der Bewußtseinsbildung ausscheidet, welche andere Determinante
kommt dann in Betracht?« halten sie vielmehr Ausschau nach alternativen
tieferen Gründen für die Bildung des faschistischen
Mitmacherbewußtseins und finden diese in den Abgründen des
Seelenlebens: dem »autoritären Charakter". So
stoßen
sie auf die Freudianische Psychologie und bedienen sich deren
Seelenapparates. Nicht die kapitalistische Ökonomie sondern
die
seelische Triebstruktur des Subjekts sei der entscheidende Faktor, der
den Willen zum Mitmachen beim faschistischen Untertanen
erzeuge
bzw. zumindest die Entstehung faschistischen Massenbewußtseins
entscheidend begünstige, lautet die zentrale
Botschaft der
Theorie der autoritären Persönlichkeit.
2. Ein ziemlich unlogischer Übergang vom
autoritär-faschistischen Bewußtsein in die
fiktiv-freudianischen
Abgründe des Seelenlebens
Der offensive Verzicht darauf, zur Erklärung der
Anziehungskraft
faschistischer Programme die geistigen Leistungen der Mitmacher und
Sympathisanten unter die Lupe zu nehmen, etwa der
naheliegenden
Frage nachzugehen, welchen insbesondere ideellen Nutzen sich die
Staatsbürger als Teilhaber an den Erfolgen eines
Dritten
Reiches versprochen haben, aus welchen Kalkulationen sie die
politischen Standpunkte des Faschismus geteilt haben, und stattdessen
die tieferen Gründe ihres Mitmachtertums in den
autoritätsgläubigen Abgründen ihres
Seelenlebens
erforschen zu wollen, ist freilich alles andere als zwingend.
Es ist vielmehr ein unmittelbarer Widerspruch, sich einerseits zu
fragen, warum die Leute sich Ausbeutung, Krieg und Gewalt
gefallen
lassen, was ja unterstellt, daß das durchaus keine
Selbstverständlichkeit und schon gar keine
Notwendigkeit ist,
und andererseits diese Frage mit der inneren Determiniertheit
menschlichen Verhaltens beantworten zu wollen.
Dementsprechend haltlos ist das von Adorno dafür ins Feld
geführte Argument, sich zur Erklärung des
faschistischen
Massenbewußtseins vom subjektiven Bewußtsein und seiner objektiven
gesellschaftlichen Grundlage selber ab- und stattdessen der
Psychostruktur der Massen zuzuwenden und »die
Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien
in
erster Linie als »abhängige Variable von unbewußten psychologischen Bedürfnissen« (Th. W. Adorno,
Studien zum
autoritären Charakter, 1. Aufl. 1973, S. 3) bestimmen
zu
wollen. Adorno will nämlich aus der angeblichen »Irrationalität« faschistischer Ideologien,
insbesondere antisemitischer Vorurteile, die Schlußfolgerung ziehen
auf das Walten eines seelischen, den Inhalt des Bewußteins steuernden
Determinationsprozesses. Dessen Wirkkraft sich dann die Existenz
autoritätshöriger und antisemitischer Einstellungen
verdanken soll.
"Die objektive Situation des Individuums kommt als Ursprung solcher
Irrationalität kaum in Frage; besser sieht man sich dort um,
wo
die Psychologie bereits die Quelle von Träumen, Fantasien und
Fehlinterpretationen der Welt gefunden hat - in den verborgenen
Bedürfnissen der Charakterstruktur." (Adorno
Studien... S. 12)
Zunächst einige Anmerkungen zum Stichwort »Irrationalität faschistischer Ideologien«: Es soll
ja
keineswegs bestritten werden, daß die politische Ideologie des
Faschismus eine ganze Ansammlung gedanklicher Widersprüche
beinhaltet. Sie bewerkstelligt es bekanntlich beispielsweise, unter dem
Stichwort der Verschwörung des Weltjudentums so
gegensätzliche Kräfte wie das Finanzkapital und den
Bolschewismus zu versammeln. Auch das von Adorno präsentierte
Interviewmaterial liefert höchst aussagekräftige
Beispiele
für den sonderbaren Inhalt der Gedankenwelt von (potentiellen)
Faschisten. Nur: läßt sich aus diesen Befunden ableiten, daß
deshalb der Grund für den Antisemitismus nicht in den
Köpfen der Judenhasser sondern letztinstanzlich in »psychologischen Determinanten« jenseits von Wille
und
Bewußtsein zu suchen sei?
Gegenüber diesem von Adorno vollzogenen Übergang von
der
(behaupteten) Eigenschaftsbestimmung des
Erklärungsgegenstandes - der Existenz als irrationell
titulierter
faschistischer Ideologien in den Köpfen der Menschen - auf
deren
Herkunft aus unbewußten »psychischen Impulsen« (S.139)
stellt
sich zunächst folgende Frage: Wie kommt eigentlich Adorno
darauf,
dem Bewußtsein die Fähigkeit abzusprechen,
unvernünftige bis verrückte Urteile bilden zu
können,
sich Zwecke zu setzen (wie beispielsweise für Deutschlands
Ehre
sein Leben als Soldat aufzuopfern), die auch bei
oberflächlichster Betrachtung
äußerst
schädlich sind für den Träger des Gedankens?
Anders
gefragt, aus welchen Gründen sollen derartige
objektiv »verrückte« Gedanken eigentlich nicht Gegenstand von
Wille und Bewußtsein sein können, sondern durch das Unbewußte
erzeugte »Fehlinterpretationen der Welt.«?
Abgesehen davon ist auch die Begründung für die
irrationelle
Qualität, die Adorno der faschistischen Ideologie
zuschreibt,
von eigentümlicher Natur. Adorno zufolge ergibt sich
nämlich
die »Irrationalität« besagter Ideologien
aus deren
antidemokratischem Inhalt.
Der politische Standpunkt, die Welt aus der Sicht des nationalen
Interesses zu betrachten und im Inneren unnütze bis
schädliche Elemente im eigenen Volkskörper zu
entdecken
(Ausländer, Asylbewerber, Obdach- und Arbeitslose,
Roma und
Sinti, Kommunisten etc.), ist jedoch auch dem politischen Leben
der
Demokratie gar nicht so fremd, die Adorno als rationelles Gegenmodell
zur faschistischen Irrationalität vorstellig macht.
Dasselbe
gilt für den allgemeinen Glauben an das segensreiche
Wirken
eines mächtigen Staates und starker politischer
Führerpersönlichkeiten oder für die
Ideologie der
Volksgemeinschaft. Oder kommt die Irrationalität erst ins
Spiel,
wenn die barbarisch- staatsterroristischen Konsequenzen des nationalen
Standpunktes in Gestalt der Einrichtung von Vernichtungslagern gezogen
werden? Wer die Sinnlosigkeit von Leichenbergen zuvörderst
erst im
KZ entdeckt, der muß sich fragen lassen, ob er dem massenweisen Tod
auf demokratischen Schlachtfeldern eine relative Rationalität
zusprechen möchte.
Also: mit der behaupteten einzigartigen Irrationalität
faschistischer Standpunkte ist es ohnehin nicht weit her. Erst recht
nichts taugt der Rückschluß aus der Irrationalität
des
Bewußtseinsinhaltes auf die letztendliche Herkunft dieser
Gedanken aus den unbewußt-verborgenen Mechanismen des Seelenlebens,
die für die Bildung des sog. autoritären Charakters
verantwortlich zeichnen sollen.
3. Der autoritäre Charakter als Funktionsbedingung des
Faschismus
Die Anfälligkeit der Subjekte für die faschistische
Ideologie
ist den Repräsentanten des Frankfurter Psychomarxismus zufolge
die
Auswirkung ebendieser spezifischen autoritären Ausformung der
Charakterstruktur, die das Werk der Mechanismen des Freudschen
Seelenapparates sein soll. Bereits im Ausgangspunkt der Argumentation
fällt auf, daß die Existenz dieses autoritären
Charakters
rein funktionalistisch aus den Erfolgsnotwendigkeiten des Faschismus
abgeleitet wird. D. h. den autoritären Charakter,
jene
Kombination aus »angstvoller Unterwerfung« und »aktiver
Kooperation« muß es geben, weil ansonsten der Faschismus nicht
funktionieren könnte:
"Faschismus muß, um als politische Bewegung erfolgreich zu
sein,
eine Massenbasis haben. Er muß nicht nur die angstvolle Unterwerfung,
sondern auch die aktive Kooperation der großen Mehrheit des
Volkes sichern. Da er durch seine bloße Natur Wenige auf
Kosten
der Mehrheit begünstigt, kann er nicht gut verkünden,
die
Situation der Mehrheit ihren wirklichen Interessen
entsprechend
verbessern zu wollen. Er muß deshalb in erster Linie an emotionale
Bedürfnisse - oft die primitivsten und irrationalsten
Wünsche und Ängste - appellieren und nicht an das
rationale
Selbstinteresse." (S.13)
Derartige emotionale Bedürfnisse und primitivste und
irrationalste
Wünsche und Ängste, die sich die faschistische
Propaganda so
erfolgreich zu Nutze gemacht haben soll, kennzeichnen den
autoritären oder sadomasochistischen Charakter, den
Adorno
und Horkheimer der Freudschen Psychopathologie entlehnt haben.
Wie
dieser autoritäre Charakter gebildet wird und welche
Leistungen er
erbringt, ist Gegenstand folgendes Zitats:
"Nach Horkheimers Theorie...geht äußere
gesellschaftliche Repression mit innerer Verdrängung
von
Triebregungen zusammen. Um die 'Internalisierung' des
gesellschaftlichen Zwanges zu erreichen,(...) nimmt dessen Haltung
gegenüber der Autorität und ihrer psychologischen Instanz, dem Über-Ich, einen psychologischen Zug an. Das
Individuum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es
an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die
sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung
und
Resultat gesellschaftlicher Anpassung. In unserer Gesellschaftsform
finden sadistische so gut wie masochistische Neigungen
Befriedigung. Bei der spezifischen Lösung des
Ödipuskomplexes, welche die Struktur des hier besprochenen
Syndroms bestimmt, werden solche Befriedigungen in
Charakterzüge
umgesetzt; ...der resultierende Haß gegen den Vater wird durch
Reaktionsbildung in Liebe umgewandelt. Diese Transformation bringt eine
besondere Art von Über-Ich hervor. Die schwierigste Aufgabe
des
Individuums in seiner frühen Entwicklung, Haß in Liebe
umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In der
Psychodynamik des »autoritären Charakters« wird die
frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und
schlägt in
Masochismus um, zum Teil bleibt ein Sadismus zurück, der sich
ein
Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht
identifiziert: in der Fremdgruppe also." (S. 323)
Die Argumentationsabfolge gliedert sich in 4 Schritte:
• Schritt 1: Herrschaft verlangt Anpassung der Herrschaftsunterworfenen
an gesellschaftliche Zwänge.
• Schritt 2: Anpassung unter die Autorität setzt voraus, daß
der Untertan an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet.
• Schritt 3: Die Bildung dieses
Unterwürfigkeitsbedürfnisses
selber ist das Ergebnis eines Transformationsprozesses einer
ursprünglichen Haß- in das glatte Gegenteil, einer
Liebesbeziehung des Untertanen zur Autorität.
• Schritt 4: Der Umwandlungsprozeß in masochistische
Unterwürfigkeit gelingt nicht vollständig. Die
verbliebene
Restaggression reagiert sich als Sadismus an Fremdgruppen (namentlich
Juden) ab.
Herrschaft verlangt Anpassung des Untertanen an die Autorität
Die in der Aussage »Herrschaft verlangt Anpassung des
Untertanen
an die Autorität« zusammengefaßte Argumentation
gründet
auf 2 falschen Abstraktionen, mit denen das Verhältnis
zwischen
der faschistischen Herrschaft und deren dienstbaren Bürgern
als
psychisches Entsprechungsverhältnis zwischen
Autorität und
Gehorsam präsentiert wird.
Die Bestimmung des Staates als Autorität oder Gewalt beruht
nämlich auf der systematischen Abstraktion von allen
Bestimmungen, die das spezifische Verhältnis zwischen dem
bürgerlichen Staat und seinen Staatsbürgern
kennzeichnen. Das
sind auf Seiten der Obrigkeit die ökonomischen und politischen
Ziele der Herrschaft, ihre Erfolgsmaßstäbe und ihre
Herrschaftsmittel und auf der Seite der Untertanen deren Stellung
innerhalb des Herrschaftssystems und die auf dieser Stellung
beruhenden Kalkulationen im Umgang mit der Staatsgewalt. In
der
falschen Abstraktion einer Autorität oder Herrschaft »als
solcher« sind jedoch alle diese Bestimmungen ausgeblendet, die das
Wesen gerade der bürgerlichen Herrschaft ausmachen. Wie
umgekehrt
in den Kategorien »Unterordnung« und »Gehorsam« lediglich das
von
allen Inhalten der Herrschaftsbeziehung bereinigte Moment der
Herrschaftsunterworfenheit festgehalten ist. Der Zweck einer Herrschaft
besteht jedoch nicht darin, Gehorsam bei ihren Untertanen zu erzeugen,
wie umgekehrt die Tätigkeit der Untertanen nicht darin
besteht,
ihre Unterwerfung unter die Obrigkeit zu organisieren. Sondern die
Organisation der Herrschaftsunterworfenheit, die Herstellung der
(staatsbürgerlichen) Botmäßigkeit ist das
Mittel der
Herrschaft, ihre Untertanen für die Verwirklichung ihrer
spezifischen Herrschaftszwecke einzuspannen.
Daß es im Kapitalismus welcher Spielart auch immer um die Vermehrung
des Geldreichtums und die Stärkung der Staatsmacht geht,
dürfte auch dem Kapitalismuskritiker Adorno, der die Redeweise
von
der Herrschaft des Tauschwerts ständig im Munde
geführt hat,
nicht gänzlich unbekannt gewesen sein.
Und wie der vom Staat durch Recht und Eigentum organisierte »stumme Zwang der ökonomischen
Verhältnisse« ganz
freiheitlich die praktische Botmäßigkeit der
Bürger
herstellt, ist nun auch wahrlich kein großes
Geheimnis.
Der Kapitalismus – und das gilt auch für dessen faschistische
Variante – beruht nicht einfach auf dem Prinzip von Befehl und
Gehorsam, er löst sich nicht umstandslos in Kriegs- und
Arbeitsdienst auf. Weder in der bürgerlichen Demokratie noch
im
Faschismus werden die Lohnarbeiter durch staatliches Kommando in die
Fabrik getrieben. Sie sind vielmehr dem marktwirtschaftlichen
Sachzwang des Eigentums ausgeliefert. Wenn sie ihren
Lebensunterhalt bestreiten wollen, dann müssen sie
für fremde Zwecke arbeiten wollen. Auch dieser politökonomische
Grundtatbestand ist Adorno durchaus geläufig. Nur liegt ihm
nichts
ferner, als daraus zu folgern, daß für die praktische
Botmäßigkeit der Massen letztinstanzlich
die staatlich
eingerichtete Zwingkraft eines
Erpressungsverhältnisses
namens kapitalistisches Eigentum verantwortlich sein könnte.
Eines
mittels des Geldes und des Eigentums ins Leben gerufenen
Erpressungsverhältnisses, auf das sich die Untertanen mit
Willen und Bewußtsein so beziehen, daß sie aus der
Alternativlosigkeit der ihnen aufgeherrschten
politökonomischen
Lage den Schluß ziehen, die ihnen vorgegebenen Einrichtungen der
Gesellschaft, das Geld, die Lohnarbeit, den Sozialstaat etc.
als
Mittel ihrer individuellen Wohlfahrt begreifen zu wollen und
darüber auch zum theoretischen Parteigänger der
Staatsgewalt
werden, welche die allgemeine Bedingung ihrer Existenz bildet. Auf der
Grundlage der ihnen aufgezwungenen lebenslangen
Abhängigkeit
von den Konjunkturen des Kapitalwachstums betrachten sie die Erlaubnis,
ihre Dienste am kapitalistischen Eigentum leisten zu dürfen,
als
Chance, als Mittel zur Verfolgung ihrer höchsteigenen Anliegen
und
erteilen in der (demokratischen) Wahl dem Staat, der ihnen diese
lebenslange Abhängigkeit beschert, ihre Zustimmung. Mit einem
Wort: die Erfolgstory bürgerlicher
Herrschaftsverhältnisse
politischer und ökonomischer Art besteht gerade darin, daß
diese
Herrschaftsform auf der Anerkennung und Benutzung des freien
Willens der Beherrschten beruht, die sich selber
fälschlicherweise
als die Herren ihrer Lebensgestaltung begreifen.
In der Psychologik Adornos freilich stellt sich dieser Sachverhalt ein
wenig anders dar. Die theoretische und praktische Parteinahme
der
Herrschaftsunterworfenen für ihre Herrschaft ist nicht die
Konsequenz von nationalistischen Berechnungen der Bürger,
welche
die staatliche Herrschaft, der sie unterliegen, als positive Bedingung
für ihre eigenen Zwecke begreifen und sich deswegen
erfolgreich für die herrschaftlichen Zwecke
mobilisieren
lassen. Die »Internalisierung« der herrschaftlichen
Anforderungen an den Bürger ist bei Adorno nicht eine Leistung
des
falschen Bewußtseins, eine Übersetzung der negativen
Abhängigkeit von Staat und Kapital in das eigene Interesse.
Die
Praktizierung staatsbürgerliche Loyalität ist
vielmehr die
Befriedigung einer spezifischen psychologischen
Bedürfnislage
des mit einem autoritären Charakter ausgestatteten
Bürgers,
der »an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet«.
Die »autoritäre Unterwürfigkeit« ist dann die
Verwirklichungsform der »masochistischen Komponente
des
Autoritarismus« (S. 50) Das heißt, wenn der Untertan in
Fabrik
oder Büro schuftet, seine Steuern zahlt , im Kriegsdienst Kopf
und
Kragen für sein Vaterland riskiert und seiner politischen
Führung zujubelt, dann alles nur, weil es sein tiefstes
seelisches
Anliegen ist, von seiner Herrschaft unterdrückt zu werden.
Wie geht nun die Herstellung der absoluten Übereinstimmung
zwischen den Funktionsnotwendigkeiten der faschistischen
Herrschaft und dem sado-masochistisch bestimmten autoritären
Charakter? Antwort: durch
...die Verwandlung der ursprünglichen Haß- und
Furcht-Beziehung
in eine Liebesbeziehung des Untertanen zur Autorität des
Staates
Einmal abgesehen davon, daß der – natürlich durch den
ödipuskomplex bedingte – antiautoritär-rebellische
Ausgangspunkt einer Gegnerschaft des Individuums zur (staatlichen)
Autorität eine reine Unterstellung bildet, ist es
schlichtweg
unerfindlich, wie »unterschwellige feindselige und
rebellische Impulse durch Furcht im Zaum gehalten....im
Individuum
zu einem Übermaß an Ehrfurcht, Gehorsam, Dankbarkeit
und
ähnlichem« gegenüber der Autorität
führen
können sollen (S. 49 f.) Warum sollte ausgerechnet die Furcht
vor
der Obrigkeit, die um die Gegnerschaft zu ihr weiß und
Gründe kennt, sich vor deren Gewalt zu ängstigen, das
Individuum dazu bewegen, sich nicht länger zu
fürchten und
sich stattdessen mit der Autorität zu identifizieren, gar eine
libidinöse Beziehung zu der Herrschaft aufzunehmen, zu der man
zuvor noch feindliche Gefühle hegte? Und das Ganze auch noch
unbewußt.
4. Die seelenhaushälterische Funktionalität des
Antisemitismus
Wie gut, daß dieser Prozeß der Umwandlung der früheren
Aggressivität gegenüber der Obrigkeit in die
masochistische
Pflege der Untertänigkeit nur unvollständig gelingt
und ein
Sadismus zurückbleibt, »der sich ein Ventil
sucht in
denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert«. Die
sadistische Komponente des autoritären Charakters braucht es
nämlich im Konstrukt von Adorno & Co, um
Antisemitismus
und Haß gegen anderweitige Minoritäten psychodynamisch als »autoritäre Aggression« erklären
zu können
(S. 50):
"Man könnte sagen, daß in der
autoritären
Aggression die ursprünglich durch die Autoritäten der
Eigengruppe erweckte und gegen sie gerichtete Feindseligkeit auf die
Fremdgruppen verdrängt wird... der Theorie der
Verdrängung zufolge muß der Autoritäre seine
Aggression aus
innerer Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten. Er muß es,
weniger aus Unwissenheit in Bezug auf die Ursache seiner Frustration,
als vielmehr seiner psychischen Unfähigkeit zufolge,
Autoritäten der eigenen Gruppe anzugreifen." (S. 51 f.)
Bereits im Ausgangspunkt der Konstruktion bleibt
unverständlich,
warum der besagte Umwandlungsprozeß nicht
vollständig
gelingen und ein Restbestand an antiautoritärer Aggression
zurückbleiben soll. Die Existenz eines derartigen
unbewußten
Absorptionsmechanismus einmal unterstellt: Aus welchen
Gründen sollte dieser selektiv wirken?
Die zentrale ideologische Leistung des Konstruktes besteht darin, die
Mitwirkung des Untertanen bei Verfolgung und Ausrottung der Juden und
anderer Minoritäten bei psychodynamischem Licht betrachtet als
eine verkappte unterschwellige Widerstandshandlung gegen die
staatlichen Autoritäten erscheinen zu lassen, welche die
Verfolgungsmaßnahmen anordnen. Autoritäre
Aggression
ist gemäß dieser Sichtweise eigentlich ein
antiautoritärer Akt, der zwar einerseits mit dem kleinen
Mangel
behaftet ist, sich gegen die falschen Adressaten zu wenden,
andererseits jedoch wegen seiner »inneren
Notwendigkeit«
doch letztlich irgendwie entschuldbar ist. Denn wenn sich die
Aggression wegen der »psychischen Unfähigkeit« der
Individuen nicht gegen den »richtigen« Adressaten
richten
kann, muß sie sich ein »Ersatzobjekt« suchen. Weil: zu einer
anständigen Aggression gehört nun einmal deren
Entladung und
die braucht »Ventile«, mittels derer die Aggressionsabfuhr
erfolgen kann. Alles andere würde – dies hatte uns schon
Altmeister Freud bei seiner Erklärung des Krieges aus der
aggressiven Menschennatur gelehrt – eine Gefährdung der
Stabilität des Gleichgewichts der psychischen
Kräfte
darstellen.
An dieses triebdynamische Konstrukt Freuds knüpft Adorno
nahtlos
an in seiner Begründung der psychischen Funktion des
Judenhasses:
"Die psychische Dynamik, die nach dem antisemitischen
Ventil »verlangt« – das ist im Wesentlichen die Ambivalenz
autoritärer und rebellischer Neigungen" (S.110)
Und falls diesem Verlangen nicht stattgegeben wird, droht Adorno zu
Folge gar der Eintritt einer Psychose:
"Das Konzept dieses Kapitels geht von der allgemeinen Annahme
aus, daß die – zum großen Teil unbewußte – Feindschaft, die
aus
Versagung und Repression resultiert und sozial vom
eigentlichen
Objekt abgewandt wird, ein Ersatzobjekt braucht, durch das sie einen
realistischen Aspekt für das Subjekt gewinnt, das radikaleren
Äußerungen eines gestörten Kontaktes mit
der
Realität, d. h. einer Psychose ausweichen muß." (S.108)
Wenig trostreich erscheint es, daß die Begründung der
seelenhaushälterischen Funktionalität des
Antisemitismus
jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Die Redeweise von der »unbewußten Feindschaft" einmal stehen gelassen –
denn
zumindest Adornos Variante unbewußter Feindschaft scheint ja immer
noch zu wissen, warum sie sich gegen wen richtet: hier nämlich
die
Autorität – stellt sich die Frage nach der Umleitung der gegen
die
Autorität gerichteten unbewußten Feindschaft auf ein
Ersatzobjekt.
Warum – so fragt man sich – sollte sich die auf einen bestimmten Gegner
bezogene Rest- Aggressivität eigentlich damit zufrieden geben,
auf
ein Ersatzobjekt umgeleitet zu werden? Und wieso sollte das durch
mangelnden Realitätsbezug gekennzeichnete Subjekt ausgerechnet
auf
den Juden als »Ersatzobjekt« kommen?
Die nahe liegende Erklärung, daß der im Volk verbreitete
Judenhaß darauf zurückführen ist, daß die Mitmacher
die
politischen Urteile ihrer Obrigkeit über die Juden als
auszurottende Schädlinge am deutschen Volkskörper
geteilt
haben, daß ihrem nationalistischem Bewußtsein die
faschistische
Judenhetze eingeleuchtet hat, kommt für Adorno
natürlich
nicht in Betracht. Denn erstens ist der Judenhaß ja »zum
großen Teil unbewußt«, eine Folge »unbewußten
Vernichtungswillens« (S. 108) und zweitens nur eine Ersatzhandlung
für die eigentlich den Autoritäten geltende
Feindschaft.
Stattdessen schließt Adorno aus der Faktizität des
Judenhasses zurück auf dessen Funktionalität
für den
Seelenhaushalt des Menschen nach der Devise: Wenn die Menschen
Judenhaß gehegt haben, dann wird das ihre Psyche wohl auch
benötigt haben:
"Das heißt nicht, daß Juden Haß auf sich ziehen
müssen oder daß eine unabwendbare historische
Notwendigkeit
sie eher als andere zum idealen Angriffsziel sozialer
Aggressivität macht. Es genügt, daß sie diese
Funktion im
psychischen Haushalt vieler Individuen erfüllen
können."
(S.108)
Der Mensch braucht Antisemitismus, weil andernfalls eine psychotische
Störung droht - kaum zu glauben aber leider wahr – auf diese
Aussage läuft die Erklärung des Judenhasses durch
einen vor
dem Nationalsozialismus emigrierten jüdischen Kritikers des
Faschismus hinaus.
Im Lichte der von Adorno entdeckten nützlichen
Beiträge des
Judenhasses für den Seelenhaushalt in Gestalt der Bewahrung
vor
Orientierungslosigkeit – das Individuum wüßte ja glatt nicht
mehr, wem es anstelle seiner Herrschaft die Verantwortlichkeit
für
die erlittene Repression und Triebversagung in die Schuhe schieben
könnte – und der Reduzierung gesellschaftlicher Entfremdung
"Die Fremdheit der Juden scheint die handlichste Formel
zu
sein, mit der Entfremdung der Gesellschaft fertig zu werden. Den Juden
die Schuld an allen bestehenden Übeln zuzuschieben, mag die Dunkelheit der Realität erhellen wie ein Scheinwerfer,
der
rasche und umfassende Orientierung gewährt." (S. 124)
stellt sich abschließend die Frage, was man vom
triebpsychologischen Standpunkt aus eigentlich noch gegen
Konzentrationslager einwenden sollte? Gemäß der
Sichtweise
der Psychologik des subjektiven Faktors scheint es sich wohl
recht
eigentlich um Sanatorien zu handeln, die der geschundenen
Menschenseele der faschistischen Schergen die Gelegenheit zur
gesundheitsförderlichen Triebabfuhr bzw. zur
gemeinschafts-identifikatorischen Sinnstiftung gegeben haben.
5. Die affirmative Generalleistung der Theorie des autoritären
Charakters: Der Faschismus als Dienstleistung am
Untertanenbedürfnis
Die Theorie des autoritären Charakters besteht in der
psychoanalytischen Konstruktion eines idealen
Herrschaftsverhältnisses, in deren Rahmen die
Subjektivität
des faschistischen Untertanen darin besteht, das
Anforderungsprofil der Ansprüche der Herrschaft auf
Untertänigkeit zu erfüllen. Die Quintessenz
der Theorie
besteht darin, unter vollständiger Abstraktion vom Inhalt
staatlicher und ökonomischer Herrschaft im
Kapitalismus,
insbesondere von den Kalkulationen und Berechnungen von
Untertanen, die sich als Lohnarbeiter, Steuerzahler usw. den ihnen
vorgegebenen Lebensverhältnissen anpassen, die theoretische
und
praktische Loyalität der Bürger erklären zu
wollen durch
die Annahme eines psychischen Regelungsmechanismus namens
autoritärer Charakterstruktur, der qua Internalisierung die
geforderte Unterwerfung bewerkstelligt.
Der paßgenau auf die Bedürfnisse der Herrschaft über
sie
zugeschnittene untertänig-masochistische Massencharakter ist
zum
einen die Funktionsbedingung des Faschismus. Zum anderen wird
umgekehrt die Existenz der Obrigkeit als Erfüllung der
verborgenen
seelischen Bedürfnisse des Menschen vorstellig gemacht. War
die
Botmäßigkeit zunächst als reiner, aus
Furcht vor der
Autorität gespeister Unterwerfungsakt des Individuums
gefaßt, der sich aus den Notwendigkeiten der Herrschaft ergab, kommt
als zusätzliche Bestimmung ins Spiel, daß die hingebungsvolle
Unterordnung unter die Herrschaft zugleich den tiefsten
Wünschen und Regungen der Menschenseele entspricht.
Die aus
den Notwendigkeiten der Herrschaft abgeleitete
Unterordnungsbereitschaft des Bürgers wird ergänzt
durch ein
seelisches Dienstverhältnis der Herrschaft am Untertanen. Die
Herrschaft befriedigt dadurch, daß sie den Menschen
Gelegenheit
gibt, sich als Untertanen zu betätigen, zugleich auch deren
psychische Notdurft, welche die sadistische Entladung ihrer
Aggressivität am Ersatzobjekt der Juden einschließt.
Wo angesichts dieser überaus harmonischen Lovestory zwischen
der
Herrschaft und ihren Untertanen eigentlich der Gegensatz
zwischen
der autoritären Herrschaft und den Bürgern geblieben
ist, der
immerhin noch am Ausgangspunkt des Versuches der Erklärung des
faschistischen Massenbewußtseins gestanden hatte, wagt man da
gar
nicht mehr zu fragen.
Und diese triebökonomische Konstruktion einer von der
Gesellschaft
erzeugten autoritären Charakterstruktur, die den
Menschen mit
allen Qualitäten des idealen Untertanen ausstattet, versteht
sich
als kritische Korrektur des ökonomischen Determinismus, der
dem
Marxismus angeblich zu Eigen sein soll. Das also soll der subjektive
Faktor sein: der sadomasochistische Untertanencharakter als
gesellschaftliche Naturbestimmung der bürgerlichen
Subjektivität, mit Hilfe der Freud'schen Psychologie
in den
Abgründen der menschlichen Seele verankert.
6. Fazit
Damit sollte endgültig klar sein, daß es ein
verhängnisvoller Irrweg ist, die Gründe für
das falsche
Bewußtsein der Lohnabhängigen in den geheimen Mechanismen
ihrer
Psyche suchen zu wollen. Wer ernsthaft an der Beantwortung der Frage
interessiert ist, warum sich die lohnabhängigen
Massen unter
der Hakenkreuzfahne wie unter demokratischen Verhältnissen als
Parteigänger der Interessen von Staat und Kapital
aufführen und auf eine Änderung dieses Mißtandes
hinarbeiten
will, wird nicht umhinkommen, sich mit dem Inhalt des Bewußtseins der
arbeitenden Klasse und deren Organisationen zu befassen. Er wird also
beispielsweise klären müssen, welche
Fehlschlüsse die
Arbeitnehmer aus der ihnen staatlich aufgeherrschten
praktischen
Alternativlosigkeit der kapitalistischen Ordnung ziehen, wenn
sie
sich den falschen Luxus einer schwarz-rot-goldenen Gewerkschaft
leisten, welche Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung, die Rettung des
Sozialstaates, die Erkämpfung von
Mindestlöhnen etc. auf
ihre Fahnen geschrieben hat und sämtliche Belange der
Arbeitnehmer an den höheren Zwecken des politischen
Gemeinwesens und den Notwendigkeiten des Kapitalstandortes Deutschland zu relativieren pflegt. [9]
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[1] Überarbeitete Fassung des Vortrags, der am 19.04.2011 an der
Universität Hamburg gehalten wurde. Der Vortrag beruht auf den
Kapiteln 2 und 3 meines Buches »Kritik der Psychologie – Das
moderne Opium des Volkes«, das 2007 (Nachdruck 2011) in erweiterter,
mit einem umfangreichen Diskussionsteil versehener, Neuauflage im
VSA-Verlag Hamburg erschienen ist.
[2] Mit der das Bewußtsein bestimmenden Steuerungskraft der real
existierenden Triebe ist es ohnehin nicht weit her. Welche
Anforderungen sollten sich auch schon aus einem leeren Magen
für
den Geisteszustand des Subjekts ergeben, außer daß der
Mensch
ein Bewußtsein seines Hungers hat? Die Triebe legen noch nicht einmal
das »Wie« und »Wann« der
Bedürfnisbefriedigung fest.
Und selbst das »ob« der Bedürfnisstillung ist immer
noch
eine Frage der Entscheidung des Subjektes im Umgang mit den
biologischen Notwendigkeiten. Man kann ja auch beschließen,
in
den Hungerstreik zu treten oder als Mönch durch das Leben zu
gehen. Nein die wirklichen Triebe, deren organisches Substrat in
Hormonen und diversen Körpersäften nachzuweisen ist,
können gar nicht die Rolle erfüllen, die Freud ihnen
im
Rahmen der Konstruktion seines Seelenapparates zuweist:
nämlich
die zentrale Determinationsinstanz der Willensbildung zu sein. Wie soll
gar die von Freud behauptete wundersame Verwandlung von
Körperkräften in seelische
Gesetzmäßigkeiten von
Statten gehen, wie sollen die körperlichen
Drangzustände
einen »psychischen Ausdruck" in Bewußteinszuständen
oder Handlungsakten finden können, in denen kein Jota
körperlich-biologischer Notwendigkeiten mehr vorkommt, die
nach
ihrer Erfüllung verlangen?
[3] Abgesehen von der üblichen psycho-tautologischen Zurückführung aller menschlichen Werke auf
gleichnamige
Antriebe oder Kräfte streiten die Vorgänge auf dem
Schlachtfeld, die Freud als zentralen Beleg für das Walten des
Thanatos heranzieht, für das glatte Gegenteil der Annahme
eines
triebhaft-allgemeinen Tötungsdranges. Gemeinhin
nämlich
pflegen die Völkerschaften nicht aus eigenem Antrieb
aufeinander
loszugehen, sondern ziehen auf politischen Befehl ausgerüstet
mit
den entsprechenden vom Staat geprägten Feindbildern in den
Krieg.
Sie erfüllen eben ihre vaterländische Pflicht
gegenüber
einem politischen Gemeinwesen, dessen Anliegen sie mehr oder weniger
militant teilen. Und in vielen Fällen müssen
Wehrunwillige
durch die Drohung mit dem Standgericht dazu gezwungen werden,
das
Tötungshandwerk im Staatsauftrag auszuüben.
[4] M. Brumlik, Zur Aktualität des Todestriebes,
Widersprüche, Heft 105, September 2007, S. 71 ff.
[5] Man sollte das Un- oder Unterbewußte im psychoanalytischen Sinn
nicht mit Sachverhalten verwechseln, die im allgemeinen oder auch im
wissenschaftlichen Sprachgebrauch zuweilen ebenfalls mit diesen
Ausdrücken belegt werden. Die in diesem Zusammenhang
zur
Plausibilisierung des Freud'schen Unbewußten
bemühten Fänomene sind nämlich gänzlich anderer
Natur.
Damit, daß der Mensch oftmals ein unklares oder falsches Bewußtsein
von Inhalt, Implikationen oder Folgen seines Denkens oder
Handelns
hat, insofern »bewußtlos« oder »unbewußt«
agiert,
hat das
psychoanalytische Unbewußte ohnehin nichts zu tun. Das
Gleiche
gilt für automatisierte, willentliche Tätigkeiten wie
beispielsweise die tagtägliche Autofahrt zur
Arbeitsstätte,
die auf Grund ihrer Gewohnheitsmäßigkeit mit
verminderter
Aufmerksamkeit verrichtet werden und für körperliche
Reflexe,
die der willentlichen Steuerung entzogen sind. Ebenso wenig
beweiserheblich für den Gegenstand des Unbewußten im
psychoanalytischen Sinne ist die naturwissenschaftlich
konstatierbare zeitliche Differenz zwischen der visuellen
Wahrnehmung eines Gegenstandes und der gedanklichen
Registrierung
und »Verarbeitung« des Sinneseindrucks im Gehirn. Das Auge
faßt
keinen eigenständigen Gedanken, der inhaltlich die Beurteilung
des
wahrgenommenen Gegenstandes steuern würde. Insbesondere ist
das
Freud'sche Unterbewußte auch nicht zu verwechseln mit dem
»interessierten Vergessen«. Die absichtsvolle
»Verbannung«
unangenehmer Erfahrungen aus dem aktuellen Denken ist
nämlich
erstens eine Leistung des Verstandes und beinhaltet zweitens auch keine
Transformation dieser Gedanken in unbewußte Denkakte, die
dann
ein Eigenleben entfalten und heimlich Einfluß auf den Inhalt des
Denkens nehmen.
[6] Die gewöhnlich aus dem Reich der Träume
präsentierten
empirischen Belege für die Existenz des Unbewußten
streiten
bei Licht betrachtet für das glatte Gegenteil. Der Wunschtraum
etwa eignet sich kaum als Beweismaterial für den
unbewußten »eigentlichen« Willen. So ist die von den Comedian Harmonists
besungene »Frau, die mir im Traume erscheint«, entweder
Abbild
dessen, was ich bereits im wachen Zustande möchte oder
willkürliche, zufällige Verknüpfung von
Gegenstand und
Begehren. Und bei der Rückerinnerung an das Geträumte
im
Wachzustand würde es manchem nicht im Traume einfallen, den
Trauminhalt wahr machen zu wollen, weil bei Tageslicht betrachtet die
im Traum vielleicht begehrte Frau überhaupt nicht mehr
begehrenswert erscheint.
Der im Traum gefundene Stein des Weisen wird nicht etwa wegen, sondern
trotz des Traumzustandes gefunden. Was hier stattfindet, ist
die
Fortsetzung des Denkens im Traum als Folge der Intensität der
Beschäftigung mit einem Problem im wachen Zustand. Im Traume
verfolge ich weiterhin den Gedanken, der mich bereits am Tage
beschäftigte, wovon auch die Redeweise, wonach »der
Gedanke
mich sogar im Traum verfolgt« Zeugnis ablegt. Die angeführten
Belege aus der Welt der Träume beweisen also gerade nicht die
Existenz eines dem Bewußtsein entzogenen unbewußten Willens, sondern
umgekehrt die Alleinexistenz des bewußten Denkens und Wollens.
[7] Überhaupt schmarotzt die Psychologie
Freuds in ihrer
Theoriebildung über den »Menschen an sich« vom
Zurechtkommensprogramm des bürgerlichen Individuums, indem sie
die
geistig-moralischen Leistungen, die das bürgerliche Individuum
erbringt, wenn es sich mit dem Willen der Bewährung an den
vorausgesetzten gesellschaftlichen Umständen abarbeitet, als
wissenschaftliches Erklärungsmodell nachbildet und als
Ausdruck einer so beschaffenen psychologischen Natur des
Menschen
vorstellig macht. Beispielsweise, wenn so etwas wie ein
Bedürfnis
nach Anerkennung und Selbstwert oder ein Gewissen als psychologische
Naturausstattung des Menschen als solchen behauptet wird.
Erscheinungsformen des falschen Bewutseins, die es überhaupt
nur
gibt, weil das Subjekt in der bürgerlichen Welt bei der
Verfolgung
seiner Anliegen andauernd auf gesellschaftliche Verbote und Gebote
stößt, deren Befolgung sich der Gewissensmensch als
Erfüllung seiner höheren moralischen
Verpflichtungen
einleuchten läßt, bilden hier das willkommene Material
für
die psychologische Pflege des Bildes der von inneren Konflikten
erfüllten und zerrissenen Menschennatur.
[8] Die (implizite) Fragestellung »Wie konnte es
(bloß) dazu
kommen?« hat streng genommen nicht den Charakter
einer
unvoreingenommenen Frage nach den Gründen des Faschismus. Wer
so
fragt, hat vielmehr die Antwort bereits weitgehend vorweg
genommen. Mit der Frage wird der Sachverhalt in einen Bereich
außerhalb der menschlichen Vorstellung gerückt, wird
der
Faschismus als »anormaler« politischer
Abweichungstatbestand definiert, der sich recht eigentlich
aufgrund seiner »Unbegreifbarkeit« einer rationalen
Beurteilung mittels der Maßstäbe entzieht, die
gemeinhin
für politische Sachverhalte gelten. Genau diesem Muster folgt
die
»Erklärung« Adornos, der auf die Befassung
mit den
Inhalten des politischen Bewußtseins der Mitmacher keine Zeile
verschwendet und stattdessen den Grund für die aktive
Teilnahme
der Untertanen an der faschistischen Herrschaft in die
»irrationalen« Abgründe der Menschenseele
verpflanzt.
Diese Erklärungsweise des Faschismus von unten
ergänzt sich
auf das Vortrefflichste mit der üblichen Ableitung der
faschistischen Herrschaft aus der
verbrecherisch-verrückten
Menschennatur des Führers. Damit steht a priori fest, daß der
Faschismus als psychopathologischer Tatbestand nichts mit den
politischen und ökonomischen Zwecken
bürgerlicher
Herrschaft zu tun haben kann.
[9] Vgl. dazu Kapitel 4 und 5 meines Buches Das Grundgesetz —
ein
Grund zum Feiern? — Eine Streitschrift gegen den
Verfassungspatriotismus, Hamburg (VSA) 2009