Prof. Dr. Albert Krölls

Von Freud zur Frankfurter Schule

Die affirmativen Wege des Unbewußten


Einleitung
Freud ist alles andere als ein
»toter Hund«. Auch wenn sich die zeitgenössische Psychologie von seinen abenteuerlichen sexuellen Einfällen wie dem Penisneid des Weibes oder dem Ödipus- oder Kastrationskomplex zu distanzieren pflegt, so will doch so gut wie keiner der Kategorie des »Unbewußten« die wissenschaftliche Berechtigung absprechen. Im Gegenteil, nicht nur bei der Erklärung von Ausländerfeindlichkeit und Jugendgewalt spielen unbewußte Triebregungen, aggressionstheoretische, triebökonomische oder ethno-psychoanalytische Erklärungsmuster eine prominente Rolle. Geradezu zum psychologischen Allgemeingut geworden ist die Deutung staatlich organisierter Kriege als Erscheinungsform menschlicher Aggressivität oder des menschlichen Todestriebes.
Auch der freudianisch inspirierte Psychomarxismus der Frankfurter Schule ist keineswegs ausgestorben und erfreut sich insbesondere in antideutschen Kreisen regen Zuspruches. So, wenn es darum geht, mit Adorno- und Horkheimer Zitaten nach dem sado-masochistischen Ursprung des deutschen National-Charakters zu forschen oder den Grund für das fehlende Klassenbewußtsein der (modernen) Lohnabhängigen in den autoritätshörigen Abgründen ihres Seelenlebens zu entdecken.
Welche systematischen Fehlerklärungen von Krieg, faschistischem Antisemitismus und staatsbürgerlichem Gehorsam die Kategorienwelt der Psychoanalyse hervorbringt und welchen politisch-legitimatorischen Nutzwert psychoanalytische Erklärungsmuster besitzen, soll im Rahmen dieses Vortrags an den Theorien von Freud und der Frankfurter Schule aufgezeigt werden. [1]

I. Der Freud'sche Seelenapparat: eine haltlose Konstruktion mit fragwürdiger Funktion

Die Quintessenz seiner 3-Instanzenlehre hat Freud wie folgt zusammengefaßt:

"Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das ES.... So vom ES getrieben, vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken, und wir verstehen, warum wir so oft den Ausruf nicht unterdrücken können: Das Leben ist nicht leicht! Wenn das Ich seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Real- angst vor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im ES." (S. Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe, Bd.1, S. 541.)

Wille und Bewußtsein sind im Rahmen des Freud'schen Modells die Resultante eines mehrgliedrigen psychischen Kräfteparallelogramms. Die menschliche Tätigkeit ist unter das heimliche Diktat dreier miteinander in Widerstreit liegender psychischer Instanzen gestellt, welche als eigentliche Handlungssubjekte fungieren. »ES«, »ICH
« und »ÜBERICH«, die in der menschlichen Psyche miteinander und in der Auseinandersetzung mit der »Außenwelt« um Einfluß ringen und damit das Denken und Handeln des Menschen bestimmen. Und das ist heutzutage jedem halbwegs psychologisch oder pädagogisch gebildeten Menschen geläufig, daß im Es die ursprünglich biologischen, auf rücksichtslose Bedürfnisbefriedigung drängenden Triebe walten sollen, gegenüber denen das Ich die einschränkenden Anforderungen der gesellschaftlichen Realität vertritt und schließlich das Über- Ich dem Ich zur Erfüllung seiner Kontrollaufgabe die Maßstäbe der gesellschaftlichen Normen und Werte liefert.

1. Das triebhafte ES: Eros versus Thanatos

Als erstem Element dieses Apparates begegnen wir dem so genannten ES, das nach Freud das Bewußtsein bestimmt, ohne selber Bewußtsein zu sein. Dieses ES soll wie folgt beschaffen sein:

"Die Kräfte, die wir hinter den Bedürfnisspannungen des ES annehmen, heißen wir Triebe. Sie repräsentieren die körperlichen Anforderungen an das Seelenleben."
(Freud, Abriß der Psychoanalyse 1966 [1938], S. 11)

"Die älteste dieser psychischen Provinzen oder Instanzen nennen wir das Es; sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem die aus der Körperorganisation stammenden Triebe, die hier einen ersten uns in seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck finden." (ebda S. 9)

"Den Kern unseres Wesens bildet also das dunkle Es, das nicht direkt mit der Außenwelt verkehrt (...) In diesem Es wirken die organischen Triebe, selbst aus Mischungen von zwei Urkräften (Eros und Destruktion) in wechselnden Ausmaßen zusammengesetzt."
(ebda S. 53)
Während es das Bestreben der Libido ist, "immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, ist der Destruktionstrieb darauf gerichtet, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören..." (ebda S.12)

Ungeachtet der Anspielungen Freuds auf die angebliche Herkunft seiner Grundtriebe aus der Körperorganisation: Mit körperlich-biologischen Drangzuständen wie Hunger, Durst oder Sexualität und darauf gründenden Bedürfnissen haben die »organischen Triebe
« Freuds nichts zu tun. [2]
Freud präsentiert vielmehr in Gestalt seiner beiden Urkräfte eine von sämtlichen konkret-materiellen Anliegen oder Interessen losgelöste fiktiv-immaterielle Bedürfnishaftigkeit in Gestalt zweier sich auch noch wechselseitig ausschließender Grundinteressen, die kein Subjekt in der realen Welt verfolgt: Konstruktivität und Destruktivität, Aufbauen und Zerstören, Vereinigung und Trennung. Anders ausgedrückt: Freud richtet seine verhaltenssteuernde Triebquelle namens ES als Komposition dieser beiden Urkräfte mittels falscher Abstraktionen so her, daß jede konkrete Zweckbestimmung des Handelns getilgt ist. Was immer der Mensch so tut und treibt, Essen und Trinken, Vorträge halten oder Ausländerheime anzünden, ist dann umgekehrt die Manifestation dieser zwei (einander widersprechenden) Grundimpulse.

Der erste positive Grundtrieb:
Eros oder Libido genannt, ist ungeachtet der Assoziationen, die das gewählte Vokabular nahe legen mag, nicht mit Sexualität und Erotik zu verwechseln. Stattdessen geht es bei der Libido um die äußerst merkwürdige Generalzweckbestimmung: »(immer größere) Einheiten herzustellen
«. Vereinigung oder Bindung also ist das, was den Menschen recht eigentlich im Innersten so treibt. Nach dieser Logik würde ein Liebespaar im Geschlechtsakt nicht etwa seine Zuneigung praktizieren, sondern würde sich nur der allgemeine Grundtrieb, »Einheiten zu bilden« oder »sich zu vereinigen« Geltung verschaffen. Wie gut, daß die Akteure bei diesem Treiben kein Bewußtsein davon haben, was sie insgeheim so treibt, wenn sie zur Tat schreiten. So mancher liebevolle Akt würde dann sicherlich gar nicht erst stattfinden. Auch der Anschluß der DDR an die BRD würde im Lichte des allgemeinmenschlichen Motivs der »Bildung größerer Einheiten« eine ungeahnte tiefenpsychologische Dimension gewinnen.

Dieselbe krude Logik waltet beim negativen Pendant des Vereinigungstriebes: dem Destruktions- oder Todestrieb, auch Thanatos genannt. Behauptet wird die Zerstörung um der Zerstörung willen als allgemeine Antriebskraft des Menschen, die dieser Auffassung zufolge jedwede Ausübung von Gewalt, als letztlich zufällige Ausdrucksweise eines völlig unspezifischen Dranges zum »Töten und Zerstören
« erscheinen läßt. Der Mensch läuft gemäß diesem Konstrukt in der Welt herum mit einem grund- und inhaltslosem Streben nach Zerstörung auf der Suche nach Gegner und Objekt seiner Zerstörungswut.
Der zerstörerische Einsatz von Gewalt als Selbstzweck waltet aber noch nicht einmal dort, wo ihn moderne Anhänger von Triebstauerklärungen regelmäßig am Werke sehen wie in Sachen Jugendgewalt, Ausländerhaß oder bei Schüleramokläufen. Gerade im Bereich der Ausübung von Privatgewalt ist diese noch allemal Mittel zur Verfolgung wenn auch höchst seltsamer Anliegen, wie sie das bürgerliche Konkurrenzsubjekt kennzeichnen: Selbstbehauptung, Verschaffung von Anerkennung und Pflege des Selbstbewußtseins. Dasselbe gilt für die gewaltsame Betätigung politischer Subjekte. Staaten pflegen nämlich die Zerstörung von Land und Leuten des Kriegsgegners nicht als Selbstzweck sondern als Mittel einzusetzen, um den Willen des feindlichen staatlichen Souveräns zu brechen und nehmen dabei den Verlust eigenen (Menschen)materials billigend in Kauf. Der Destruktivitäts-Grundtriebslogik zufolge scheint es sich beim Krieg freilich eher um eine Veranstaltung zu handeln, die »dem Menschen" so richtig schön Gelegenheit bietet, seinen destruktiven Grundtrieb einmal hemmungslos auszuleben. [3]
Gemäß dieser Optik zünden dann Ausländerfeinde Asylbewerberheime nicht etwa aus ihren spezifischen nationalistischen Beweggründen an, sondern betätigen vielmehr nur ihren allgemeinen Aggressionstrieb, der sich statt der Ehefrau oder des feindlichen Soldaten zur Abwechslung mal einen etwas anderen Gegenstand ausgesucht hat.

Also: Eros und Thanatos sind bereits für sich, einzeln betrachtet reiner Nonsens. Wie schließlich aus diesen als barem Widersinn konstruierten gegensätzlichen Grundtrieben von Konstruktivität und Destruktivität überhaupt irgendetwas an Denken und Handeln herauskommen, und wie daraus - jedenfalls nach Freud - sogar letztlich die Summe aller Lebenserscheinungen resultieren soll,
"Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor." (Warum Krieg? Studienausgabe Bd. IX, S. 281) bleibt das Geheimnis des Wiener Tiefenpsychologen.
Freud sieht das natürlich gänzlich anders. Sein klassisches fantasievoll konstruiertes Beispiel für die kombinatorische Tätigkeit beider Grundtriebe ist die Nahrungsaufnahme. Danach ist bei der Einverleibung der Nahrung der Lusttrieb, im Zerkauen der Nahrung hingegen der Aggressionstrieb am Werk. Auch den Sexualakt betrachtet Freud als eine Verbindung beider Triebe. Das völlige Fehlen des Aggressionstriebs äußert sich dann als Impotenz, das Fehlen des Eros hingegen als Sadismus bzw. – im Grenzfall 
im Lustmord. In diese Rubrik des psychoanalytischen Kuriositätenkabinetts fällt auch die im Ankündigungsflugblatt des Vortrags zitierte zeitgenössische Deutung der palästinensischen Selbstmordattentate als Beleg für die angeblich ungebrochene Aktualität des Todestriebes. Hier sollen sich der psychoanalytischen Deutung zufolge beide Momente des Todestriebes aufs Schönste vereinigt haben: die Tendenz der Selbstzerstörung mit dem Urtrieb, andere Mitglieder der menschlichen Gesellschaft aus dem Leben zu befördern. [4]
Soweit der Dualismus von Eros und Todestrieb. Ungeachtet aller Ungereimtheiten hat diese ziemlich freie Erfindung des ES und seiner antagonistischen Grundtriebstruktur freilich durchaus Sinn und Funktion, jedenfalls im Rahmen des Freud'schen Systems. Denn Hauptsache es herrscht in der Psyche so etwas wie Triebspannung, die wegen der negativen Folgen ihrer umstandslosen Auflösung unter Kontrolle gestellt werden muß. Der ganze künstlich inszenierte Seelenaufruhr ist überhaupt nur auf den Ruf nach einem »Bändiger« zugeschnitten, der in das Chaos der gespannten Triebstruktur Ordnung bringt. Und diese ordnungsstiftende psychische Kontrollinstanz ist

2. Das triebdomestizierende ICH als Abspaltungsprodukt und Hilfskraft des ES


"Ursprünglich war ja alles Es, das Ich ist durch den fortgesetzten Einfluß der Außenwelt aus dem Es entwickelt worden." (ebda S. 23)

"Unter dem Einfluß der uns umgebenden realen Außenwelt hat ein Teil des ES eine besondere Entwicklung erfahren"
... "das sogenannte Ich", das sich "aus der Rindenschicht des Es entwickelt" hat... "Es [das »Ich«] hat die Aufgabe der Selbstbehauptung, erfüllt sie, indem es nach außen die Reize kennen lernt, Erfahrungen über sie aufspeichert (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeidet (durch Flucht), mäßigen Reizen begegnet (durch Anpassung) und endlich lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität); nach innen gegen das ES, indem es die Herrschaft über die Triebansprüche gewinnt, entscheidet, ob sie zur Befriedigung zugelassen werden sollen, diese Befriedigung auf die in der Außenwelt günstigen Zeiten und Umstände verschiebt oder ihre Erregungen überhaupt unterdrückt." (ebda S.10)

Es fragt sich bereits im Ausgangspunkt, wo dieses Bedürfnis zur Bändigung der chaotischen Triebstruktur herkommen soll. Aus dem Inhalt des ES jedenfalls nicht, denn dessen Natur bestand ja nach Freud in seiner chaotischen Gegensätzlichkeit. Und wenn das die Natur des ES ist, ist nicht einzusehen, warum das ES überhaupt Probleme mit seiner triebgespannten Struktur bekommen sollte. Aber gerade dieses Ding der logischen Unmöglichkeit will Freud allen Ernstes behauptet haben: Das ICH als Abkömmling des ES.

Denn das ICH soll sich nach Freud als Teil des ES aus der Hirnrindenschicht des ES entwickelt haben. Angesichts der Herkunft des ICH aus dem ES ist es freilich überaus rätselhaft, wie das ICH die ihm zugewiesene Rolle, die »Herrschaft über Triebansprüche zu gewinnen", überhaupt erfüllen können soll. Wie soll das ICH gegenüber dem ES, das in keinem Bezug zur Realität steht und nur sich selber und seine Triebhaftigkeit kennt, die Realität repräsentieren können, wie soll das ICH gar in der Lage sein, die geistige Leistung eines Lernprozesses zu vollziehen - wenn das ICH doch nur ein Teil des unbewußt-triebhaften ES ist? Als Repräsentant bloßer dranghafter Bedürftigkeit jedenfalls ist das ES solcher Überlegungen gar nicht fähig, wie sie mit Willen und Bewußtsein Menschen anstellen, die bei ihrer Bedürfnisbefriedigung auf Schranken stoßen und entsprechende rationelle Umgangsweisen mit der Außenwelt zu entwickeln lernen.

3. Das ÜBERICH: Abspaltungsprodukt und Hilfskraft des maßstabslosen Ichs
Dieselbe verquere Ableitungslogik wiederholt sich eine Stufe höher bei der Einführung des ÜBERICH. Die Notwendigkeit des ÜBERICH folgt der defizitären Ausstattung des ICH bei der Bewältigung seiner Aufgabe, das triebhafte ES im Zaum zu halten. Weil nämlich das ICH weder über die Kriterien verfügt, gemäß denen es die Befriedigung zuzulassen, aufzuschieben oder zu unterdrücken hat noch über die Macht, sich gegenüber dem widerspenstigen ES durchzusetzen, bedarf es einer weiteren Instanz, die diese Qualitäten innehat. Wie allerdings das ÜBERICH in den Besitz dieser Fähigkeiten gelangt sein soll, bleibt erneut höchst erklärungsbedürftig. Denn das ÜBERICH wird von Freud wiederum als verselbständigter Teil des ICH vorstellig gemacht. Wie aber sollte das ÜBERICH als Teil des ICH plötzlich den Mangel überwunden haben, mit dem das ICH definitionsgemäß behaftet ist?

Zum Verhältnis von ÜBERICH und Gewissen
Die auf diese Weise als Abspaltungsprodukt des mangelhaften ICH ins Seelenleben getretene Kategorie des ÜBERICH ist im Übrigen nicht mit dem real existierenden Fänomen des Gewissens zu verwechseln, aus dem es bei zeitgenössischen Lesern seine vordergründige Plausibilität bezieht. Die Bildung des Gewissens ist nämlich ein Werk des falschen Bewußtseins. Seine Leistung besteht darin, daß das Subjekt seine willentliche Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Anforderungen als Erfüllung höherer moralischer Beurteilungsmaßstäbe umdeutet. Das Freudsche ÜBERICH hingegen hat mit der (falschen) Einsicht in die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Beschränkungen der Interessenverfolgung, dem bewußten Anlegen moralischer Maßstäbe an sich selbst, nichts gemein. Es verfügt als von der Person abgespaltene Kraft selber über Willen und Bewußtsein, mit denen es die anderen Kräfte je nach Stand des innerseelischen Kräfteverhältnisses in Schach hält. Während bei der Bildung des Gewissens die willentliche Aneignung der gesellschaftlichen Moralmaßstäbe eine Eigenleistung des Subjektes in seiner geistigen Auseinandersetzung mit der äußeren Welt, insbesondere mit den »Vorgaben« der Eltern darstellt, gehört bei Freud die moralische Selbstkontrolle quasi zum seelischen Erbgut des Menschen.
"Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einfluß fortsetzt. Sie hat den Namen des Über-Ichs erhalten. Insoweit dieses Über-Ich sich vom Ich sondert und sich ihm entgegenstellt, ist es eine dritte Macht, der das Ich Rechnung tragen muß." (S. 10) "Das Überich mag neue Bedürfnisse geltend machen. Seine Hauptleistung bleibt die Einschränkung der Befriedigungen." (ebda)

4. Das Unbewußte als heimliche Regieinstanz der Bewußtseinsbildung
Welche Rolle spielt nun die Kategorie des Unbewußten innerhalb der 3-Instanzenlehre? Abgesehen von den originären per se als unbewußt definierten Triebregungen des ES entsteht das Freud'sche Unbewußte bekanntlich durch die Verdrängung der im ES angesiedelten frühkindlichen Triebimpulse. Diese werden auf Grund ihrer Unvereinbarkeit mit den moralischen Anforderungen des ÜBERICH vom ICH aus dem Bewußtsein ausgeschlossen, üben als nunmehr unbewußte verbotene Triebregungen ihre destabilisierende Wirkung auf das fragile seelische Gleichgewicht aus, lösen bei Versagen oder Überstrapazierung der seelischen Abwehrmechanismen vermittels ihrer Macht der Selbstbestrafung den Störfall der Neurose aus, der wiederum nur behoben werden kann durch die Bewußtmachung und willentliche Verurteilung der nichtannehmbaren Seelenregungen.
Entscheidend für die freudianische Kategorie des Unbewußten ist, daß sich das Unbewußte als ein außerhalb von Wille und Bewußtsein existierendes nichtbewußtes Denken definiert, das ohne Wissen des Subjekts den Inhalt seines bewußten Handelns bestimmt. [5]

Die immanente (Un)Logik der Kategorie des Unbewußten
In welche Denkwidersprüche man sich verwickelt, wenn man unbedingt die Eigenständigkeit von Wille und Bewußtsein bestreiten und das Dogma der Abhängigkeit des Willens vom unbewußten Wollen unter Beweis stellen will, belegt die nähere Betrachtung des Inhaltes der Freud'schen Bestimmungen des Unbewußten und des Bewußtseins und deren Verhältnis zueinander.

"Sie [unbewußte seelische Vorgänge] können mit all den Kategorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelenakte anwenden, als Vorstellungen, Strebungen, Entschließungen u. dgl. ja, von manchen dieser latenten Zustände müssen wir aussagen, sie unterscheiden sich von dem Bewußten eben nur durch den Wegfall des Bewußtseins." (ebda S. 127)

Überraschenderweise gibt es nämlich laut Freud gar keinen Unterschied hinsichtlich der Leistungen von Bewußtsein und Unbewußtem. Das Unbewußte ist und tut haargenau dasselbe wie das bewußte Denken: es stellt sich etwas vor, es will etwas und es trifft Entscheidungen, nur daß die Sache einmal bewußt und einmal unbewußt abläuft.
Der immanente Selbstwiderspruch der Konstruktion besteht darin, daß auf der Basis der Identität (der Leistungen) von Bewußtsein und Unbewußtem jeder Grund für die gleichzeitige Existenz beider entfällt. Bei angenommener Existenz des Unbewußten wäre das Bewußtsein gänzlich überflüssig. Denn warum sollten die Menschen noch bewußt denken, wenn es ohnehin in ihnen schon unbewußt denkt und der unbewußte Wille ihnen die Entscheidung abnimmt, was sie denken und wollen sollen? Umgekehrt würde die Existenz des Bewußteins ein Unbewußtes erübrigen. Denn warum sollten sich Menschen mit Wille und Bewußtsein von ihrem Un- oder Unterbewußtsein kommandieren lassen, von dessen Befehlsgewalt sie überdies gar keine Kenntnis haben?

Der Ursprung des Unbewußten: ein Werk des Bewußtseins
Der aus der Doppelexistenz von Bewußtsein und Unbewußtem resultierende Widerspruch findet seine Fortsetzung in der Erklärung des Ursprunges des Unbewußten. Die Verdrängung, welche die verbotenen Regungen des ES in das Unbewußte abschiebt, soll nämlich nach Freud ein Werk des Bewußtseins sein.

"Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen Vorraum gleich, in dem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen tummeln. An diesem Vorraum schließt sich ein zweiter, engerer, einer Art Salon, in welchem noch das Bewußtsein verweilt, an. Aber an der Schwelle zwischen den beiden Räumlichkeiten waltet ein Wächter seines Amtes, der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einläßt, wenn sie sein Mißfallen erregen ... Wenn sich die Regungen im Vorraum bereits zur Schwelle ... vorgedrängt haben und vom Wächter zurückgedrängt worden sind, dann sind sie bewußtseinsunfähig: Wir heißen sie verdrängt."
(Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe Bd.1, S. 293).

Auf der Grundlage der Annahme, daß die Ausschließung unerlaubter Seelenregungen aus dem Bewußtsein eine Leistung des Bewußtseins selber wäre, könnte es das vom Bewußtsein abgetrennte Eigenleben des Unbewußten aber gar nicht geben. Dann wüßte nämlich erstens das Bewußtsein von der Existenz seines Abspaltungsproduktes und zweitens könnte das wissentliche Geschöpf des Bewußtseins nicht auch noch dem Bewußtsein ohne dessen Wissen seinen Inhalt vorgeben.
Nicht besser bestellt ist es um die Schlagkraft der empirischen Beweisangebote für das Unbewußte, die uns Freud präsentiert: - Der Traum, - Der Freud'sche Versprecher

Der Traum als Sitz des Unbewußten

ist ein Werk des vorausgesetzten theoretischen Konstruktes der Aufspaltung des Willens in bewußte und unbewußte Willensakte, welche das Verhältnis von Traum und Wachzustand auf den Kopf stellt. Ausgerechnet dort wo der Mensch im Wachzustand den lieben langen Tag zweckgerichtet handelt, wird die Existenz von Willen und Bewußtsein bestritten und sein Handeln auf dahinterliegende unbewußte Motive zurückgeführt. Umgekehrt, dort wo im Schlafzustand das zweckgerichtete Denken ausgeschaltet ist, soll der eigentliche Wille am Werk sein.
Worin besteht der fundamentale Unterschied zwischen Wach- und Traumzustand? Während im wachen Zustand die chaotische Wahrnehmung der Realität durch den Willen, sie zu erkennen und auf dieser Grundlage zweckbestimmt zu handeln, systematisiert wird, ist der Traum umgekehrt die Abwesenheit des Willens, die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen, sie sich im Wege des Denkens anzueignen. Deshalb sind die Vorstellungen im Traum ein chaotisches Neben- und Nacheinander: Die bestimmte Art des zweckgerichteten geistigen Umgangs mit den Gegenständen findet im Traum nicht statt. Was sich dort abspielt, ist eine willkürlich-zufällige Mixtur der Beziehung auf die vorgestellten Gegenstände, von Assoziationen, Ängsten, Erinnerungen, Wünschen, (Wunsch)vorstellungen etc. [6] Ausgerechnet dort, wo im Schlaf der Wille des Menschen zum logischen Verknüpfen nicht mehr wach ist, nur noch Restfunktionen des Verstandes tätig sind, da nun beginnt für die Psychoanalyse die genuine Leistung des unbewußten Willens. Die Psychoanalyse erblickt gerade in dieser Sorte willkürlich-zufälliger »Verknüpfungen« eine bestimmte symbolische Systematik, die Aufschluß darüber geben soll, was Individuen in ihrem Handeln »eigentlich
« wollen. Das ist das weite spekulative Feld der Traumdeutung.

Der Freud'sche Versprecher

besitzt einen ähnlich negativen Beweiswert für die Existenz des Unbewußten. Hierbei handelt es sich um eine typische Fehlleistung des Verstandes des bürgerlichen Subjektes, beruhend auf dem Spannungsverhältnis zwischen zwei gleichzeitig existierenden Willensinhalten. Das moralische Subjekt hat sich einerseits die angesagten gesellschaftlichen Wertmaßstäbe angeeignet und weiß darum, was sich nicht gehört und was man auf keinen Fall öffentlich sagen darf, beispielsweise ausländerfeindliche Sprüche von sich zu geben. Derselbe Mensch, der den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen will, ist aber zugleich nach wie vor im tiefsten Inneren seines Bewußtseins von der Wahrheit seiner diesbezüglichen ungehörigen (ausländerfeindlichen) Auffassungen überzeugt. Wenn ihm dann einmal bei unpassender Gelegenheit eine ausländerfeindliche Äußerung »heraus- rutscht
«, dann macht sich nicht sein Unbewußtes geltend sondern sein real existierendes bewußtes Urteil, das in Kollision gerät mit dem zugleich gefaßten opportunistischen Zweck, seine äußere Handlungsweise mit den vorgegebenen, aber von ihm gar nicht geteilten gesellschaftlichen Anforderungen der »political correctness« in Übereinstimmung zu bringen. Was hier also versagt, ist nicht die Kontrolle des ICH über ein ihm unbekanntes geheimes ES, das plötzlich und aus heiterem Himmel in die Wirklichkeit des Bewußtseins tritt, sondern die willentliche Kontrolle bezüglich des eigenen, gesellschaftlich verpönten Bewußtseinsinhaltes.

Die Welt als Produkt verdrängter oder sublimierter sexueller Triebregungen
Ebenso willkürlich wie die theoretische Konstruktion der Kategorie des Unbewußten ist die Bestimmung des Stoffes, aus dem das Unbewußte bestehen soll: aus einem Bündel verdrängter tabuisierter sexueller Triebregungen, denen die Entstehung neurotischer Störungen geschuldet sein soll. Recht erstaunlich mutet es an, was hier Freud alles unter dem Titel der frühkindlichen Sexualität den neuen Erdenbürgern als unehrenhafte Motive unterstellt - vom Wunsch mit der Mutter zu schlafen und den Vater als Nebenbuhler aus der Welt zu schaffen, über die sattsam bekannte Kastrationsangst bis hin zum Penisneid des Weibes – und für welche Fänomene er die verdrängten Triebregungen verantwortlich machen will.
Hatte Freud seinen Erklärungsanspruch zunächst auf die Entstehung neurotischer Störungen beschränkt, so baut er seine Psychologie des Unbewußten später aus zu einer Weltanschauung, welche die Totalität aller menschlichen Zwecke und Werke als Ausdruck nichtbewältigter unbewußter Konflikte der sexuellen Entwicklung des Menschen ableitet. Was auch immer der Mensch so treiben möge, von Religion, Recht, Ethik und Staat über Kunst und Kultur, den Antisemitismus bis hin zum Geld, wird die Gesamtheit aller menschlichen Werke auf verdrängte oder sublimierte Sexualregungen zurückgeführt.

"daß Triebregungen, welche man nur als sexuelle im engeren wie im weiteren Sinn begreifen kann, eine ungemein große und bisher nie genug gewürdigte Rolle in der Verursachung der Nerven- und Geisteskrankheiten spielen. Ja noch mehr, daß dieselben sexuellen Regungen auch mit nicht zu unterschätzenden Beiträgen an den höchsten kulturellen, künstlerischen und sozialen Schöpfungen des Menschengeistes beteiligt sind."
(Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Einführung, Studienausgabe Bd. I, S. 48.)

"Der Kastrationskomplex ist die tiefste Wurzel des Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört der Knabe, daß dem Juden etwas am Penis.... abgeschnitten wird, und dies gibt ihm das Recht, den Juden zu verachten."
(2 Kinderneurosen, Studienausgabe Bd. VIII, S. 36, Fn. 2)

"Ebenso, daß eine der wichtigsten Äußerungen der umgebildeten Erotik aus dieser Quelle
[der Analerotik] in der Behandlung des Geldes vorliegt, welcher wertvolle Stoff, im Laufe des Lebens das psychische Interesse an sich gezogen hat, das ursprünglich dem Kot, dem Produkt der Analzone gebührte." (Ebd. S.188)

Da mag sich der Mensch noch so sehr vorstellen, seine eigenen selbstgesetzten Zwecke zu verfolgen. Reine Einbildung: Ob er dem Gelderwerb nachgeht, ein Bild malt, eine Staatsverfassung konzipiert oder eine Abhandlung zur Kritik der Psychologie verfaßt, letztendlicher Urheber aller seiner recht unterschiedlichen Aktivitäten ist nach Freud ein und dieselbe Unterlassung: nämlich die unterbliebene und auf Ersatzaktivitäten umgeleitete Verwirklichung seiner sexuellen Triebimpulse.

Die bodenlose Logik der Kategorie der Ersatzhandlung

Willkürlicher geht es kaum. So basiert die »Rückführung
« aller zweckbestimmten Taten des Menschen auf das eigentlich treibende Motiv der Befriedigung verdrängter sexueller Triebregungen zunächst auf der grundlosen Unterstellung der Libido als menschlicher Generalantriebskraft. Wenn der Mensch eigentlich immer nur sexuelle Befriedigung erstrebt, aber augenscheinlich ein ganzes Ensemble anderer Aktivitäten entwickelt, dann kann es sich definitionsgemäß bei diesen Aktivitäten nur um Ersatzhandlungen handeln.

Die Existenz der libidinösen Generaltriebkraft einmal unterstellt, fragt sich zunächst, warum aus einer Unterlassung überhaupt etwas folgen soll. Warum sollte man etwas anderes tun wollen, wenn der eigentliche Zweck nicht zu realisieren ist? Da müßte man schon neben und im Widerspruch zum libidinösem Generaltrieb ein generelles Kompensationsbedürfnis erfinden, das nach dem Motto verfährt: Wenn das Eine nicht geht, was ich eigentlich und ausschließlich will, dann mach ich halt etwas anderes. Weiter stellt sich die Frage, wie dieser nur ein einziges Ziel kennende Trieb überhaupt auf etwas anderes umgesteuert werden kann, ja durch alle anderen Betätigungen ersetzbar ist, die rein gar nichts mit Sexualität zu tun haben. Da ist der Mensch immerzu und ausschließlich auf das Eine gepolt und läßt sich zugleich auf eine ganze Welt von Ersatzhandlungen umlenken, so daß am Ende die Welt nur noch von Ersatzaktivitäten bevölkert ist.
Unter einem uns bereits aus der Konstruktion der Verdrängung bekannten Selbstwiderspruch leidet auch die Erklärung der Funktionsmechanismen des Umlenkungsprozesses. Wer ist nämlich der Urheber der Sublimation?: das Bewußtsein. D. h. derselbe bewußte Wille, der einerseits nur die abhängige Variable des Unbewußten sein soll, ist zugleich mit der sehr eigenständigen Regiefähigkeit begabt, die unbewußten Triebregungen je nach Bedarf zu unterdrücken, zu verdrängen oder im Interesse ihrer Sozialverträglichkeit in eine ganze Welt von Ersatzhandlungen umzusteuern. Womit sich die ganze Konstruktion in den Zirkel aufgelöst hätte, daß das Bewußtsein einerseits als Wirkung des Unbewußten existiert und andererseits zugleich als Kontroll- und Steuerungsinstanz über das Unbewußte fungiert, von dem es heimlich regiert wird.

5. Die ideologisch-legitimatorischen Leistungen der Freud'schen Seelenlehre
Radikale Leugnung der gesellschaftlichen Schranken des Willens

Die ideologische Leistung der Freud'schen Seelenlehre besteht zunächst in der radikalen Leugnung der realen gesellschaftlichen Schranken, denen die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft unterliegen. Die Probleme, die der Mensch hat, weil er bei der Verfolgung seiner Interessen in der bürgerlichen Gesellschaft andauernd auf politökonomisch gesetzte Schranken stößt, welche ihm Verzicht und Selbstbeherrschung aufnötigen, sind damit ganz grundsätzlich in Probleme verwandelt, die der Mensch mit sich selber hat. Alle Probleme des Menschen in und mit der Welt sind erfolgreich auf psychische Funktionsstörungen zurückgeführt, die darin bestehen, daß das Verhältnis von ES, ICH und ÜBERICH gestört, das ICH zu schwach oder das ÜBERICH zu stark ausgeprägt ist und was es sonst noch an Beeinträchtigungen der seelischen Stabilität geben soll. [7]
Und wer sich diesen Schuh anzieht, ist dann sein ganzes Leben damit beschäftigt, statt die Welt am Maßstab seiner Interessen und Bedürfnisse zu messen und gegebenenfalls an der Aufhebung der gesellschaftlichen Beschränkungen zu arbeiten, die ihm das Leben schwer machen, sein inneres seelisches Gleichgewicht und damit zugleich die Übereinstimmung zwischen sich und der Welt (wieder)herzustellen. Mit diesem Identitätsprogramm, das auf der Verlegung aller sozialen Gegensätze in die Psyche des Menschen beruht, alle Unzufriedenheit mit der Welt auf ein falsches Verhältnis des Menschen zu sich selbst und seinem verqueren Seelenhaushalt zurückführt, ist Freud der Pionier der modernen Psychologie überhaupt, insbesondere ihrer praktischen psychotherapeutischen Abteilungen, deren ganze Anstrengungen der Anpassung des funktionsuntüchtigen Individuums an die Anforderungen der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft gelten.

Staat und Gesellschaft als Bändiger der triebhaft-aggressiven Menschennatur
Die zweite gesellschaftsnützliche Leistung des psychoanalytischen Denkens besteht darin, daß zugleich alle Einrichtungen der Gesellschaft, zuvörderst der Staat, legitimiert werden als eine einzige Dienstleistung am Menschen, dessen triebhafte Menschennatur mit ihren unbescheidenen und zerstörerischen Bedürfnissen in den Griff zu bekommen. Dieselben gesellschaftlichen Institutionen, die Freud zufolge ihre Existenz den (sublimierten) Triebregungen verdanken: der Nationalstaat, die (kapitalistische) Erwerbsarbeit etc. schließlich sogar der Krieg erfahren im Lichte ihrer triebdomestizierenden Leistungen ihre generelle Heiligsprechung. Denn was – um mit Freud zu sprechen 
würde wohl aus der Welt, wenn die »angeborene Neigung des Menschen zum 'Bösen', zur Aggression, Destruktion und damit auch zu Grausamkeit« nicht von der unwiderstehlichen Gewalt eines Leviathan bzw. von dessen im Über-Ich verinnerlichten Anforderungen unterdrückt oder zumindest in gemeinschaftsverträgliche Bahnen gelenkt würde?: Ausbeutung, Vergewaltigung, Raub und Mord würden die gewalttätige Realität der Gesellschaft bestimmen. Und da hilft nur eines: die Existenz eines »Oberwolfes« namens Staat, der kraft seiner unwiderstehlichen überlegenen Gewalt zum Wohle aller die wölfische Menschsnatur domestiziert. Dementsprechend erblickt Freud in der gefühlsmäßigen Identifikation der Untertanen mit der Staatsgewalt, mit seinen Worten gesprochen in den »Gefühlsbindungen«, oder »Gemeinschaftsgefühlen« die sich im Zuge der quasinatürlichen Anerkennung der nationalen Interessengemeinschaft bilden würden, das zentrale Instrument der Befriedung der aggressiven Raubtiernatur des Menschen:

"Die Gemeinschaft muß permanent erhalten werden, sich organisieren, Vorschriften machen, die den gefürchteten Auflehnungen vorbeugen, Organe bestimmen, die über die Einhaltung der Vorschriften –- Gesetze –- wachen und die Ausführung der rechtmäßigen Gewaltakte besorgen. In der Anerkennung einer solchen Interessengemeinschaft stellen sich unter den Mitgliedern einer geeinigten Menschengruppe Gefühlsbindungen her, Gemeinschaftsgefühle, in denen ihre eigentliche Stärke beruht.
Damit, denke ich, ist alles Wesentliche bereits gegeben: die Überwindung der Gewalt durch Übertragung der Macht an eine größere Einheit, die durch Gefühlsbindungen ihrer Mitglieder zusammengehalten wird."
(Studienausgabe Bd. IX, Warum Krieg, S. 277)

Die triebökonomische Laudatio des Krieges

In diesem Zusammenhang ist abschließend noch die triebökonomische Spitzenleistung Freuds in Sachen Staatslegitimation zu würdigen. Das im Namen einer rationalen Triebregulierung gesungene allgemeine Loblied Freuds auf die guten Werke von Staat und Gesellschaft als Verhinderungsinstanz der Ausbrüche der aggressiven Menschennatur macht nämlich selbst vor dem Krieg nicht halt. Zwar läßt sich der Krieg eigentlich nur schwierig als Akt der Eindämmung menschlicher Gewalt darstellen. jedoch möchte Freud dem Krieg als Vater aller Dinge eine zumindest bedingte Eignung als Gewaltverhinderungsprogramm nicht absprechen:

"So paradox es klingt, man muß doch zugestehen, der Krieg wäre kein ungeeignetes Mittel zur Herstellung des ersehnten 'ewigen' Friedens, weil er imstande ist, jene großen Einheiten zu schaffen, innerhalb deren eine starke Zentralgewalt weitere Kriege unmöglich macht. Aber er taugt doch nicht dazu, denn die Erfolge der Eroberung sind in der Rege nicht dauerhaft." (ebda S. 279)

Die triebökonomisch-gesundheitsdienlichen Leistungen, die Freud dem Kriege zuspricht, lassen diese gewalttätige Sache jedoch gleich in einem versöhnlicheren Licht erscheinen.

"Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit Hilfe besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, daß es fremdes zerstört. Ein Anteil des Todestriebes verbleibt aber im Innern des Lebewesens tätig. ( ... ) Wir haben sogar die Ketzerei begangen, die Entstehung unseres Gewissens durch eine solche Wendung der Aggression nach innen zu erklären. Sie merken, es ist direkt ungesund, während die Wendung dieser Triebkräfte zur Destruktion in der Außenwelt entlastet, wohltuend wirken muß." (Freud Studienausgabe Bd. IX S. 282)

"Daß die menschlichen Großindividuen, die Völker und Staaten, die sittlichen Beschränkungen gegeneinander fallen lassen, wurde ihnen
[den Soldaten] zur begreiflichen Anregung, sich für eine Weile dem bestehenden Drucke der Kultur zu entziehen und ihren zurückgehaltenen Trieben vorübergehend Befriedigung zu gönnen. Dabei geschah ihrer relativen Sittlichkeit innerhalb ihres Volkstumes wahrscheinlich kein Abbruch." (Die Enttäuschung des Krieges, Studienausgabe Bd. IX, S. 44 f.)

Da nach Freud der Grund des Krieges im Aggressionstrieb liegt und ein gewisses Maß an Abfuhr aggressiver Triebenergie geradezu förderlich für das seelische Wohlbefinden ist, weil anderenfalls sich zuviel krankmachende Aggression nach Innen gegen das eigene Ich wenden würde, kann aus trieb- ökonomischen Gründen gegen eine derartige Ablenkung des Aggressionstriebes auf den äußeren Feind nichts eingewendet werden. jedenfalls solange nicht, wie noch keine weltweite Zentralgewalt existiert, auf die sich dann das natürliche Gemeinschaftsgefühl der Menschen beziehen könne. Weit davon entfernt, durch staatlich produzierte Leichenberge an seiner Bestimmung des Nationalstaates als humanitär-kultureller Dompteur der unfriedlichen Menschennatur irre zu werden, gelingt es also Freud, seinen irreversibel guten Glauben an die friedensstiftende Potenz des Nationalstaates durch die Berufung auf den triebökonomischen Nutzen des Kriegs für den Seelenhaushalt der Untertanen zu bewahren.
So weit das Urteil über die theoretischen Leistungen der Freudianischen Psychoanalyse, die zugleich die psychologische Basis des Psychomarxismus der Frankfurter Schule bildet, der im folgenden Teil II des Vortrags abgehandelt werden soll.

II. Adorno/Horkheimer: Die autoritäre Herrschaft - Ein ideales Entsprechungsverhältnis zwischen Staatsgewalt und Untertanenseele

1. Das Untersuchungsprogramm: Auf der Suche nach dem subjektiven Faktor


Die im Ausgangspunkt durchaus rationell anmutende Fragestellung der Autoren der Frankfurter Schule war darauf gerichtet, eine Erklärung dafür finden zu wollen, warum sich die »unterdrückten Volksmassen" bereitwillig in den Dienst der ökonomischen und politischen Vorhaben des deutschen Faschismus gestellt haben, obwohl es für die Mitglieder der arbeitenden Klasse keine guten Gründe gegeben hat weder für eine Mitwirkung im Kriegs- und Arbeitsdienst noch für eine Beteiligung am staatlich organisierten judenmord. Warum also – so fragen sich Adorno & Co – betätigen sich große Teile der Bevölkerung als Parteigänger eines nationalen Programms der Entfaltung der Macht des Staates und des kapitalistischen Eigentums, das im eklatanten Widerspruch zu ihren objektiven Interessen steht? [8]
Wenn also die objektive Klassenlage der Lohnabhängigen weder quasi automatisch ein revolutionäres Bewußtsein erzeugt und es darüber hinaus noch nicht einmal verhindert, daß Arbeiter massenweise zu Parteigängern autoritär-faschistischer Regime werden, wenn demgemäß also offensichtlich nicht das gesellschaftliche Sein der Produzent des Bewußtseins ist, dann – so der Schluß von Adorno, Horkheimer und Fromm – dann muß doch wohl bei der Bildung des bürgerlichen Untertanenbewußtseins das Subjekt selber eine tragende Rolle spielen. Dann muß es wohl doch so etwas wie einen so genannten subjektiven Faktor geben, dessen Existenz angeblich vom ökonomistisch-deterministischen Marxismus negiert wird.
Die Art und Weise freilich, wie die Subjekte und ihre individuellen Beweggründe der Befürwortung des Faschismus im Rahmen der Theorie des subjektiven Faktors vorkommen, ist von einer höchst eigenartigen Beschaffenheit. Die Inhalte des faschistischen Bewußtseins spielen nämlich bei Adorno & Co im Prinzip für dessen Erklärung so gut wie keine Rolle. Denn weil es keinen Determinationszusammenhang zwischen der objektiven Klassenlage und dem faschistischen Bewußtsein gibt, sondern die »Anfälligkeit« für faschistisches Gedankengut offensichtlich ziemlich klassenübergreifend verbreitet ist, haben die Autoren sowohl die gesellschaftlichen Verhältnisse selber als auch die politischen Urteile und Standpunkte, welche die Subjekte über die bürgerliche Gesellschaft und die Programmatik des Faschismus hegen und pflegen, als relativ unerheblich für die angestrebte Ermittlung der subjektiven Gründe des Erfolges der faschistischen Ideologie erachtet.
Gemäß der vorausgesetzten deterministischen Logik, 
»wenn die Ökonomie als ausschlaggebende Ursache für den Inhalt der Bewußtseinsbildung ausscheidet, welche andere Determinante kommt dann in Betracht?« halten sie vielmehr Ausschau nach alternativen tieferen Gründen für die Bildung des faschistischen Mitmacherbewußtseins und finden diese in den Abgründen des Seelenlebens: dem »autoritären Charakter". So stoßen sie auf die Freudianische Psychologie und bedienen sich deren Seelenapparates. Nicht die kapitalistische Ökonomie sondern die seelische Triebstruktur des Subjekts sei der entscheidende Faktor, der den Willen zum Mitmachen beim faschistischen Untertanen erzeuge bzw. zumindest die Entstehung faschistischen Massenbewußtseins entscheidend begünstige, lautet die zentrale Botschaft der Theorie der autoritären Persönlichkeit.


2. Ein ziemlich unlogischer Übergang vom autoritär-faschistischen Bewußtsein in die fiktiv-freudianischen Abgründe des Seelenlebens

Der offensive Verzicht darauf, zur Erklärung der Anziehungskraft faschistischer Programme die geistigen Leistungen der Mitmacher und Sympathisanten unter die Lupe zu nehmen, etwa der naheliegenden Frage nachzugehen, welchen insbesondere ideellen Nutzen sich die Staatsbürger als Teilhaber an den Erfolgen eines Dritten Reiches versprochen haben, aus welchen Kalkulationen sie die politischen Standpunkte des Faschismus geteilt haben, und stattdessen die tieferen Gründe ihres Mitmachtertums in den autoritätsgläubigen Abgründen ihres Seelenlebens erforschen zu wollen, ist freilich alles andere als zwingend.
Es ist vielmehr ein unmittelbarer Widerspruch, sich einerseits zu fragen, warum die Leute sich Ausbeutung, Krieg und Gewalt gefallen lassen, was ja unterstellt, daß das durchaus keine Selbstverständlichkeit und schon gar keine Notwendigkeit ist, und andererseits diese Frage mit der inneren Determiniertheit menschlichen Verhaltens beantworten zu wollen.
Dementsprechend haltlos ist das von Adorno dafür ins Feld geführte Argument, sich zur Erklärung des faschistischen Massenbewußtseins vom subjektiven Bewußtsein und seiner objektiven gesellschaftlichen Grundlage selber ab- und stattdessen der Psychostruktur der Massen zuzuwenden und »die Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien in erster Linie als »abhängige Variable von unbewußten psychologischen Bedürfnissen«
(Th. W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, 1. Aufl. 1973, S. 3) bestimmen zu wollen. Adorno will nämlich aus der angeblichen »Irrationalität« faschistischer Ideologien, insbesondere antisemitischer Vorurteile, die Schlußfolgerung ziehen auf das Walten eines seelischen, den Inhalt des Bewußteins steuernden Determinationsprozesses. Dessen Wirkkraft sich dann die Existenz autoritätshöriger und antisemitischer Einstellungen verdanken soll.

"Die objektive Situation des Individuums kommt als Ursprung solcher Irrationalität kaum in Frage; besser sieht man sich dort um, wo die Psychologie bereits die Quelle von Träumen, Fantasien und Fehlinterpretationen der Welt gefunden hat - in den verborgenen Bedürfnissen der Charakterstruktur."
(Adorno Studien... S. 12)

Zunächst einige Anmerkungen zum Stichwort »Irrationalität faschistischer Ideologien«: Es soll ja keineswegs bestritten werden, daß die politische Ideologie des Faschismus eine ganze Ansammlung gedanklicher Widersprüche beinhaltet. Sie bewerkstelligt es bekanntlich beispielsweise, unter dem Stichwort der Verschwörung des Weltjudentums so gegensätzliche Kräfte wie das Finanzkapital und den Bolschewismus zu versammeln. Auch das von Adorno präsentierte Interviewmaterial liefert höchst aussagekräftige Beispiele für den sonderbaren Inhalt der Gedankenwelt von (potentiellen) Faschisten. Nur: läßt sich aus diesen Befunden ableiten, daß deshalb der Grund für den Antisemitismus nicht in den Köpfen der Judenhasser sondern letztinstanzlich in »psychologischen Determinanten« jenseits von Wille und Bewußtsein zu suchen sei?
Gegenüber diesem von Adorno vollzogenen Übergang von der (behaupteten) Eigenschaftsbestimmung des Erklärungsgegenstandes - der Existenz als irrationell titulierter faschistischer Ideologien in den Köpfen der Menschen - auf deren Herkunft aus unbewußten »psychischen Impulsen« (S.139) stellt sich zunächst folgende Frage: Wie kommt eigentlich Adorno darauf, dem Bewußtsein die Fähigkeit abzusprechen, unvernünftige bis verrückte Urteile bilden zu können, sich Zwecke zu setzen (wie beispielsweise für Deutschlands Ehre sein Leben als Soldat aufzuopfern), die auch bei oberflächlichster Betrachtung äußerst schädlich sind für den Träger des Gedankens? Anders gefragt, aus welchen Gründen sollen derartige objektiv »verrückte« Gedanken eigentlich nicht Gegenstand von Wille und Bewußtsein sein können, sondern durch das Unbewußte erzeugte »Fehlinterpretationen der Welt.«?
Abgesehen davon ist auch die Begründung für die irrationelle Qualität, die Adorno der faschistischen Ideologie zuschreibt, von eigentümlicher Natur. Adorno zufolge ergibt sich nämlich die »Irrationalität
« besagter Ideologien aus deren antidemokratischem Inhalt.
Der politische Standpunkt, die Welt aus der Sicht des nationalen Interesses zu betrachten und im Inneren unnütze bis schädliche Elemente im eigenen Volkskörper zu entdecken (Ausländer, Asylbewerber, Obdach- und Arbeitslose, Roma und Sinti, Kommunisten etc.), ist jedoch auch dem politischen Leben der Demokratie gar nicht so fremd, die Adorno als rationelles Gegenmodell zur faschistischen Irrationalität vorstellig macht. Dasselbe gilt für den allgemeinen Glauben an das segensreiche Wirken eines mächtigen Staates und starker politischer Führerpersönlichkeiten oder für die Ideologie der Volksgemeinschaft. Oder kommt die Irrationalität erst ins Spiel, wenn die barbarisch- staatsterroristischen Konsequenzen des nationalen Standpunktes in Gestalt der Einrichtung von Vernichtungslagern gezogen werden? Wer die Sinnlosigkeit von Leichenbergen zuvörderst erst im KZ entdeckt, der muß sich fragen lassen, ob er dem massenweisen Tod auf demokratischen Schlachtfeldern eine relative Rationalität zusprechen möchte.
Also: mit der behaupteten einzigartigen Irrationalität faschistischer Standpunkte ist es ohnehin nicht weit her. Erst recht nichts taugt der Rückschluß aus der Irrationalität des Bewußtseinsinhaltes auf die letztendliche Herkunft dieser Gedanken aus den unbewußt-verborgenen Mechanismen des Seelenlebens, die für die Bildung des sog. autoritären Charakters verantwortlich zeichnen sollen.

3. Der autoritäre Charakter als Funktionsbedingung des Faschismus
Die Anfälligkeit der Subjekte für die faschistische Ideologie ist den Repräsentanten des Frankfurter Psychomarxismus zufolge die Auswirkung ebendieser spezifischen autoritären Ausformung der Charakterstruktur, die das Werk der Mechanismen des Freudschen Seelenapparates sein soll. Bereits im Ausgangspunkt der Argumentation fällt auf, daß die Existenz dieses autoritären Charakters rein funktionalistisch aus den Erfolgsnotwendigkeiten des Faschismus abgeleitet wird. D. h. den autoritären Charakter, jene Kombination aus »angstvoller Unterwerfung
« und »aktiver Kooperation« muß es geben, weil ansonsten der Faschismus nicht funktionieren könnte:

"Faschismus muß, um als politische Bewegung erfolgreich zu sein, eine Massenbasis haben. Er muß nicht nur die angstvolle Unterwerfung, sondern auch die aktive Kooperation der großen Mehrheit des Volkes sichern. Da er durch seine bloße Natur Wenige auf Kosten der Mehrheit begünstigt, kann er nicht gut verkünden, die Situation der Mehrheit ihren wirklichen Interessen entsprechend verbessern zu wollen. Er muß deshalb in erster Linie an emotionale Bedürfnisse - oft die primitivsten und irrationalsten Wünsche und Ängste - appellieren und nicht an das rationale Selbstinteresse." (S.13)
Derartige emotionale Bedürfnisse und primitivste und irrationalste Wünsche und Ängste, die sich die faschistische Propaganda so erfolgreich zu Nutze gemacht haben soll, kennzeichnen den autoritären oder sadomasochistischen Charakter, den Adorno und Horkheimer der Freudschen Psychopathologie entlehnt haben. Wie dieser autoritäre Charakter gebildet wird und welche Leistungen er erbringt, ist Gegenstand folgendes Zitats:

"Nach Horkheimers Theorie...geht äußere gesellschaftliche Repression mit innerer Verdrängung von Triebregungen zusammen. Um die 'Internalisierung' des gesellschaftlichen Zwanges zu erreichen,(...) nimmt dessen Haltung gegenüber der Autorität und ihrer psychologischen Instanz, dem Über-Ich, einen psychologischen Zug an. Das Individuum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung. In unserer Gesellschaftsform finden sadistische so gut wie masochistische Neigungen Befriedigung. Bei der spezifischen Lösung des Ödipuskomplexes, welche die Struktur des hier besprochenen Syndroms bestimmt, werden solche Befriedigungen in Charakterzüge umgesetzt; ...der resultierende Haß gegen den Vater wird durch Reaktionsbildung in Liebe umgewandelt. Diese Transformation bringt eine besondere Art von Über-Ich hervor. Die schwierigste Aufgabe des Individuums in seiner frühen Entwicklung, Haß in Liebe umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In der Psychodynamik des »autoritären Charakters« wird die frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt ein Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also."
(S. 323)

Die Argumentationsabfolge gliedert sich in 4 Schritte:
• Schritt 1: Herrschaft verlangt Anpassung der Herrschaftsunterworfenen an gesellschaftliche Zwänge.
• Schritt 2: Anpassung unter die Autorität setzt voraus, daß der Untertan an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet.
• Schritt 3: Die Bildung dieses Unterwürfigkeitsbedürfnisses selber ist das Ergebnis eines Transformationsprozesses einer ursprünglichen Haß- in das glatte Gegenteil, einer Liebesbeziehung des Untertanen zur Autorität.
• Schritt 4: Der Umwandlungsprozeß in masochistische Unterwürfigkeit gelingt nicht vollständig. Die verbliebene Restaggression reagiert sich als Sadismus an Fremdgruppen (namentlich Juden) ab.
Herrschaft verlangt Anpassung des Untertanen an die Autorität
Die in der Aussage »Herrschaft verlangt Anpassung des Untertanen an die Autorität
« zusammengefaßte Argumentation gründet auf 2 falschen Abstraktionen, mit denen das Verhältnis zwischen der faschistischen Herrschaft und deren dienstbaren Bürgern als psychisches Entsprechungsverhältnis zwischen Autorität und Gehorsam präsentiert wird.
Die Bestimmung des Staates als Autorität oder Gewalt beruht nämlich auf der systematischen Abstraktion von allen Bestimmungen, die das spezifische Verhältnis zwischen dem bürgerlichen Staat und seinen Staatsbürgern kennzeichnen. Das sind auf Seiten der Obrigkeit die ökonomischen und politischen Ziele der Herrschaft, ihre Erfolgsmaßstäbe und ihre Herrschaftsmittel und auf der Seite der Untertanen deren Stellung innerhalb des Herrschaftssystems und die auf dieser Stellung beruhenden Kalkulationen im Umgang mit der Staatsgewalt. In der falschen Abstraktion einer Autorität oder Herrschaft »als solcher
« sind jedoch alle diese Bestimmungen ausgeblendet, die das Wesen gerade der bürgerlichen Herrschaft ausmachen. Wie umgekehrt in den Kategorien »Unterordnung« und »Gehorsam« lediglich das von allen Inhalten der Herrschaftsbeziehung bereinigte Moment der Herrschaftsunterworfenheit festgehalten ist. Der Zweck einer Herrschaft besteht jedoch nicht darin, Gehorsam bei ihren Untertanen zu erzeugen, wie umgekehrt die Tätigkeit der Untertanen nicht darin besteht, ihre Unterwerfung unter die Obrigkeit zu organisieren. Sondern die Organisation der Herrschaftsunterworfenheit, die Herstellung der (staatsbürgerlichen) Botmäßigkeit ist das Mittel der Herrschaft, ihre Untertanen für die Verwirklichung ihrer spezifischen Herrschaftszwecke einzuspannen.

Daß es im Kapitalismus welcher Spielart auch immer um die Vermehrung des Geldreichtums und die Stärkung der Staatsmacht geht, dürfte auch dem Kapitalismuskritiker Adorno, der die Redeweise von der Herrschaft des Tauschwerts ständig im Munde geführt hat, nicht gänzlich unbekannt gewesen sein.
Und wie der vom Staat durch Recht und Eigentum organisierte »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse
« ganz freiheitlich die praktische Botmäßigkeit der Bürger herstellt, ist nun auch wahrlich kein großes Geheimnis.
Der Kapitalismus – und das gilt auch für dessen faschistische Variante – beruht nicht einfach auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam, er löst sich nicht umstandslos in Kriegs- und Arbeitsdienst auf. Weder in der bürgerlichen Demokratie noch im Faschismus werden die Lohnarbeiter durch staatliches Kommando in die Fabrik getrieben. Sie sind vielmehr dem marktwirtschaftlichen Sachzwang des Eigentums ausgeliefert. Wenn sie ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen, dann müssen sie für fremde Zwecke arbeiten wollen. Auch dieser politökonomische Grundtatbestand ist Adorno durchaus geläufig. Nur liegt ihm nichts ferner, als daraus zu folgern, daß für die praktische Botmäßigkeit der Massen letztinstanzlich die staatlich eingerichtete Zwingkraft eines Erpressungsverhältnisses namens kapitalistisches Eigentum verantwortlich sein könnte. Eines mittels des Geldes und des Eigentums ins Leben gerufenen Erpressungsverhältnisses, auf das sich die Untertanen mit Willen und Bewußtsein so beziehen, daß sie aus der Alternativlosigkeit der ihnen aufgeherrschten politökonomischen Lage den Schluß ziehen, die ihnen vorgegebenen Einrichtungen der Gesellschaft, das Geld, die Lohnarbeit, den Sozialstaat etc. als Mittel ihrer individuellen Wohlfahrt begreifen zu wollen und darüber auch zum theoretischen Parteigänger der Staatsgewalt werden, welche die allgemeine Bedingung ihrer Existenz bildet. Auf der Grundlage der ihnen aufgezwungenen lebenslangen Abhängigkeit von den Konjunkturen des Kapitalwachstums betrachten sie die Erlaubnis, ihre Dienste am kapitalistischen Eigentum leisten zu dürfen, als Chance, als Mittel zur Verfolgung ihrer höchsteigenen Anliegen und erteilen in der (demokratischen) Wahl dem Staat, der ihnen diese lebenslange Abhängigkeit beschert, ihre Zustimmung. Mit einem Wort: die Erfolgstory bürgerlicher Herrschaftsverhältnisse politischer und ökonomischer Art besteht gerade darin, daß diese Herrschaftsform auf der Anerkennung und Benutzung des freien Willens der Beherrschten beruht, die sich selber fälschlicherweise als die Herren ihrer Lebensgestaltung begreifen.
In der Psychologik Adornos freilich stellt sich dieser Sachverhalt ein wenig anders dar. Die theoretische und praktische Parteinahme der Herrschaftsunterworfenen für ihre Herrschaft ist nicht die Konsequenz von nationalistischen Berechnungen der Bürger, welche die staatliche Herrschaft, der sie unterliegen, als positive Bedingung für ihre eigenen Zwecke begreifen und sich deswegen erfolgreich für die herrschaftlichen Zwecke mobilisieren lassen. Die »Internalisierung
« der herrschaftlichen Anforderungen an den Bürger ist bei Adorno nicht eine Leistung des falschen Bewußtseins, eine Übersetzung der negativen Abhängigkeit von Staat und Kapital in das eigene Interesse. Die Praktizierung staatsbürgerliche Loyalität ist vielmehr die Befriedigung einer spezifischen psychologischen Bedürfnislage des mit einem autoritären Charakter ausgestatteten Bürgers, der »an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet«. Die »autoritäre Unterwürfigkeit« ist dann die Verwirklichungsform der »masochistischen Komponente des Autoritarismus« (S. 50) Das heißt, wenn der Untertan in Fabrik oder Büro schuftet, seine Steuern zahlt , im Kriegsdienst Kopf und Kragen für sein Vaterland riskiert und seiner politischen Führung zujubelt, dann alles nur, weil es sein tiefstes seelisches Anliegen ist, von seiner Herrschaft unterdrückt zu werden.

Wie geht nun die Herstellung der absoluten Übereinstimmung zwischen den Funktionsnotwendigkeiten der faschistischen Herrschaft und dem sado-masochistisch bestimmten autoritären Charakter? Antwort: durch

...die Verwandlung der ursprünglichen Haß- und Furcht-Beziehung in eine Liebesbeziehung des Untertanen zur Autorität des Staates
Einmal abgesehen davon, daß der – natürlich durch den ödipuskomplex bedingte – antiautoritär-rebellische Ausgangspunkt einer Gegnerschaft des Individuums zur (staatlichen) Autorität eine reine Unterstellung bildet, ist es schlichtweg unerfindlich, wie »unterschwellige feindselige und rebellische Impulse durch Furcht im Zaum gehalten....im Individuum zu einem Übermaß an Ehrfurcht, Gehorsam, Dankbarkeit und ähnlichem« gegenüber der Autorität führen können sollen (S. 49 f.) Warum sollte ausgerechnet die Furcht vor der Obrigkeit, die um die Gegnerschaft zu ihr weiß und Gründe kennt, sich vor deren Gewalt zu ängstigen, das Individuum dazu bewegen, sich nicht länger zu fürchten und sich stattdessen mit der Autorität zu identifizieren, gar eine libidinöse Beziehung zu der Herrschaft aufzunehmen, zu der man zuvor noch feindliche Gefühle hegte? Und das Ganze auch noch unbewußt.

4. Die seelenhaushälterische Funktionalität des Antisemitismus
Wie gut, daß dieser Prozeß der Umwandlung der früheren Aggressivität gegenüber der Obrigkeit in die masochistische Pflege der Untertänigkeit nur unvollständig gelingt und ein Sadismus zurückbleibt, »der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert«. Die sadistische Komponente des autoritären Charakters braucht es nämlich im Konstrukt von Adorno & Co, um Antisemitismus und Haß gegen anderweitige Minoritäten psychodynamisch als »autoritäre Aggression« erklären zu können (S. 50):

"Man könnte sagen, daß in der autoritären Aggression die ursprünglich durch die Autoritäten der Eigengruppe erweckte und gegen sie gerichtete Feindseligkeit auf die Fremdgruppen verdrängt wird... der Theorie der Verdrängung zufolge muß der Autoritäre seine Aggression aus innerer Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten. Er muß es, weniger aus Unwissenheit in Bezug auf die Ursache seiner Frustration, als vielmehr seiner psychischen Unfähigkeit zufolge, Autoritäten der eigenen Gruppe anzugreifen." (S. 51 f.)

Bereits im Ausgangspunkt der Konstruktion bleibt unverständlich, warum der besagte Umwandlungsprozeß nicht vollständig gelingen und ein Restbestand an antiautoritärer Aggression zurückbleiben soll. Die Existenz eines derartigen unbewußten Absorptionsmechanismus einmal unterstellt: Aus welchen Gründen sollte dieser selektiv wirken?
Die zentrale ideologische Leistung des Konstruktes besteht darin, die Mitwirkung des Untertanen bei Verfolgung und Ausrottung der Juden und anderer Minoritäten bei psychodynamischem Licht betrachtet als eine verkappte unterschwellige Widerstandshandlung gegen die staatlichen Autoritäten erscheinen zu lassen, welche die Verfolgungsmaßnahmen anordnen. Autoritäre Aggression ist gemäß dieser Sichtweise eigentlich ein antiautoritärer Akt, der zwar einerseits mit dem kleinen Mangel behaftet ist, sich gegen die falschen Adressaten zu wenden, andererseits jedoch wegen seiner »inneren Notwendigkeit« doch letztlich irgendwie entschuldbar ist. Denn wenn sich die Aggression wegen der »psychischen Unfähigkeit« der Individuen nicht gegen den »richtigen
« Adressaten richten kann, muß sie sich ein »Ersatzobjekt« suchen. Weil: zu einer anständigen Aggression gehört nun einmal deren Entladung und die braucht »Ventile«, mittels derer die Aggressionsabfuhr erfolgen kann. Alles andere würde – dies hatte uns schon Altmeister Freud bei seiner Erklärung des Krieges aus der aggressiven Menschennatur gelehrt – eine Gefährdung der Stabilität des Gleichgewichts der psychischen Kräfte darstellen.
An dieses triebdynamische Konstrukt Freuds knüpft Adorno nahtlos an in seiner Begründung der psychischen Funktion des Judenhasses:

"Die psychische Dynamik, die nach dem antisemitischen Ventil »verlangt« – das ist im Wesentlichen die Ambivalenz autoritärer und rebellischer Neigungen" (S.110)

Und falls diesem Verlangen nicht stattgegeben wird, droht Adorno zu Folge gar der Eintritt einer Psychose:

"Das Konzept dieses Kapitels geht von der allgemeinen Annahme aus, daß die – zum großen Teil unbewußte – Feindschaft, die aus Versagung und Repression resultiert und sozial vom eigentlichen Objekt abgewandt wird, ein Ersatzobjekt braucht, durch das sie einen realistischen Aspekt für das Subjekt gewinnt, das radikaleren Äußerungen eines gestörten Kontaktes mit der Realität, d. h. einer Psychose ausweichen muß."
(S.108)

Wenig trostreich erscheint es, daß die Begründung der seelenhaushälterischen Funktionalität des Antisemitismus jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Die Redeweise von der »unbewußten Feindschaft" einmal stehen gelassen – denn zumindest Adornos Variante unbewußter Feindschaft scheint ja immer noch zu wissen, warum sie sich gegen wen richtet: hier nämlich die Autorität – stellt sich die Frage nach der Umleitung der gegen die Autorität gerichteten unbewußten Feindschaft auf ein Ersatzobjekt.
Warum –
so fragt man sich – sollte sich die auf einen bestimmten Gegner bezogene Rest- Aggressivität eigentlich damit zufrieden geben, auf ein Ersatzobjekt umgeleitet zu werden? Und wieso sollte das durch mangelnden Realitätsbezug gekennzeichnete Subjekt ausgerechnet auf den Juden als »Ersatzobjekt« kommen?
Die nahe liegende Erklärung, daß der im Volk verbreitete Judenhaß darauf zurückführen ist, daß die Mitmacher die politischen Urteile ihrer Obrigkeit über die Juden als auszurottende Schädlinge am deutschen Volkskörper geteilt haben, daß ihrem nationalistischem Bewußtsein die faschistische Judenhetze eingeleuchtet hat, kommt für Adorno natürlich nicht in Betracht. Denn erstens ist der Judenhaß ja »zum großen Teil unbewußt
«, eine Folge »unbewußten Vernichtungswillens« (S. 108) und zweitens nur eine Ersatzhandlung für die eigentlich den Autoritäten geltende Feindschaft.
Stattdessen schließt Adorno aus der Faktizität des Judenhasses zurück auf dessen Funktionalität für den Seelenhaushalt des Menschen nach der Devise: Wenn die Menschen Judenhaß gehegt haben, dann wird das ihre Psyche wohl auch benötigt haben:

"Das heißt nicht, daß Juden Haß auf sich ziehen müssen oder daß eine unabwendbare historische Notwendigkeit sie eher als andere zum idealen Angriffsziel sozialer Aggressivität macht. Es genügt, daß sie diese Funktion im psychischen Haushalt vieler Individuen erfüllen können." (S.108)

Der Mensch braucht Antisemitismus, weil andernfalls eine psychotische Störung droht - kaum zu glauben aber leider wahr – auf diese Aussage läuft die Erklärung des Judenhasses durch einen vor dem Nationalsozialismus emigrierten jüdischen Kritikers des Faschismus hinaus.
Im Lichte der von Adorno entdeckten nützlichen Beiträge des Judenhasses für den Seelenhaushalt in Gestalt der Bewahrung vor Orientierungslosigkeit – das Individuum wüßte ja glatt nicht mehr, wem es anstelle seiner Herrschaft die Verantwortlichkeit für die erlittene Repression und Triebversagung in die Schuhe schieben könnte – und der Reduzierung gesellschaftlicher Entfremdung

"Die Fremdheit der Juden scheint die handlichste Formel zu sein, mit der Entfremdung der Gesellschaft fertig zu werden. Den Juden die Schuld an allen bestehenden Übeln zuzuschieben, mag die Dunkelheit der Realität erhellen wie ein Scheinwerfer, der rasche und umfassende Orientierung gewährt."
(S. 124)

stellt sich abschließend die Frage, was man vom triebpsychologischen Standpunkt aus eigentlich noch gegen Konzentrationslager einwenden sollte? Gemäß der Sichtweise der Psychologik des subjektiven Faktors scheint es sich wohl recht eigentlich um Sanatorien zu handeln, die der geschundenen Menschenseele der faschistischen Schergen die Gelegenheit zur gesundheitsförderlichen Triebabfuhr bzw. zur gemeinschafts-identifikatorischen Sinnstiftung gegeben haben.

5. Die affirmative Generalleistung der Theorie des autoritären Charakters: Der Faschismus als Dienstleistung am Untertanenbedürfnis
Die Theorie des autoritären Charakters besteht in der psychoanalytischen Konstruktion eines idealen Herrschaftsverhältnisses, in deren Rahmen die Subjektivität des faschistischen Untertanen darin besteht, das Anforderungsprofil der Ansprüche der Herrschaft auf Untertänigkeit zu erfüllen. Die Quintessenz der Theorie besteht darin, unter vollständiger Abstraktion vom Inhalt staatlicher und ökonomischer Herrschaft im Kapitalismus, insbesondere von den Kalkulationen und Berechnungen von Untertanen, die sich als Lohnarbeiter, Steuerzahler usw. den ihnen vorgegebenen Lebensverhältnissen anpassen, die theoretische und praktische Loyalität der Bürger erklären zu wollen durch die Annahme eines psychischen Regelungsmechanismus namens autoritärer Charakterstruktur, der qua Internalisierung die geforderte Unterwerfung bewerkstelligt.
Der paßgenau auf die Bedürfnisse der Herrschaft über sie zugeschnittene untertänig-masochistische Massencharakter ist zum einen die Funktionsbedingung des Faschismus. Zum anderen wird umgekehrt die Existenz der Obrigkeit als Erfüllung der verborgenen seelischen Bedürfnisse des Menschen vorstellig gemacht. War die Botmäßigkeit zunächst als reiner, aus Furcht vor der Autorität gespeister Unterwerfungsakt des Individuums gefaßt, der sich aus den Notwendigkeiten der Herrschaft ergab, kommt als zusätzliche Bestimmung ins Spiel, daß die hingebungsvolle Unterordnung unter die Herrschaft zugleich den tiefsten Wünschen und Regungen der Menschenseele entspricht. Die aus den Notwendigkeiten der Herrschaft abgeleitete Unterordnungsbereitschaft des Bürgers wird ergänzt durch ein seelisches Dienstverhältnis der Herrschaft am Untertanen. Die Herrschaft befriedigt dadurch, daß sie den Menschen Gelegenheit gibt, sich als Untertanen zu betätigen, zugleich auch deren psychische Notdurft, welche die sadistische Entladung ihrer Aggressivität am Ersatzobjekt der Juden einschließt.
Wo angesichts dieser überaus harmonischen Lovestory zwischen der Herrschaft und ihren Untertanen eigentlich der Gegensatz zwischen der autoritären Herrschaft und den Bürgern geblieben ist, der immerhin noch am Ausgangspunkt des Versuches der Erklärung des faschistischen Massenbewußtseins gestanden hatte, wagt man da gar nicht mehr zu fragen.
Und diese triebökonomische Konstruktion einer von der Gesellschaft erzeugten autoritären Charakterstruktur, die den Menschen mit allen Qualitäten des idealen Untertanen ausstattet, versteht sich als kritische Korrektur des ökonomischen Determinismus, der dem Marxismus angeblich zu Eigen sein soll. Das also soll der subjektive Faktor sein: der sadomasochistische Untertanencharakter als gesellschaftliche Naturbestimmung der bürgerlichen Subjektivität, mit Hilfe der Freud'schen Psychologie in den Abgründen der menschlichen Seele verankert.

6. Fazit
Damit sollte endgültig klar sein, daß es ein verhängnisvoller Irrweg ist, die Gründe für das falsche Bewußtsein der Lohnabhängigen in den geheimen Mechanismen ihrer Psyche suchen zu wollen. Wer ernsthaft an der Beantwortung der Frage interessiert ist, warum sich die lohnabhängigen Massen unter der Hakenkreuzfahne wie unter demokratischen Verhältnissen als Parteigänger der Interessen von Staat und Kapital aufführen und auf eine Änderung dieses Mißtandes hinarbeiten will, wird nicht umhinkommen, sich mit dem Inhalt des Bewußtseins der arbeitenden Klasse und deren Organisationen zu befassen. Er wird also beispielsweise klären müssen, welche Fehlschlüsse die Arbeitnehmer aus der ihnen staatlich aufgeherrschten praktischen Alternativlosigkeit der kapitalistischen Ordnung ziehen, wenn sie sich den falschen Luxus einer schwarz-rot-goldenen Gewerkschaft leisten, welche Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung, die Rettung des Sozialstaates, die Erkämpfung von Mindestlöhnen etc. auf ihre Fahnen geschrieben hat und sämtliche Belange der Arbeitnehmer an den höheren Zwecken des politischen Gemeinwesens und den Notwendigkeiten des Kapitalstandortes Deutschland zu relativieren pflegt. [9]


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[1] Überarbeitete Fassung des Vortrags, der am 19.04.2011 an der Universität Hamburg gehalten wurde. Der Vortrag beruht auf den Kapiteln 2 und 3 meines Buches »Kritik der Psychologie – Das moderne Opium des Volkes«, das 2007 (Nachdruck 2011) in erweiterter, mit einem umfangreichen Diskussionsteil versehener, Neuauflage im VSA-Verlag Hamburg erschienen ist.
[2] Mit der das Bewußtsein bestimmenden Steuerungskraft der real existierenden Triebe ist es ohnehin nicht weit her. Welche Anforderungen sollten sich auch schon aus einem leeren Magen für den Geisteszustand des Subjekts ergeben, außer daß der Mensch ein Bewußtsein seines Hungers hat? Die Triebe legen noch nicht einmal das »Wie« und »Wann« der Bedürfnisbefriedigung fest. Und selbst das »ob« der Bedürfnisstillung ist immer noch eine Frage der Entscheidung des Subjektes im Umgang mit den biologischen Notwendigkeiten. Man kann ja auch beschließen, in den Hungerstreik zu treten oder als Mönch durch das Leben zu gehen. Nein die wirklichen Triebe, deren organisches Substrat in Hormonen und diversen Körpersäften nachzuweisen ist, können gar nicht die Rolle erfüllen, die Freud ihnen im Rahmen der Konstruktion seines Seelenapparates zuweist: nämlich die zentrale Determinationsinstanz der Willensbildung zu sein. Wie soll gar die von Freud behauptete wundersame Verwandlung von Körperkräften in seelische Gesetzmäßigkeiten von Statten gehen, wie sollen die körperlichen Drangzustände einen »psychischen Ausdruck" in Bewußteinszuständen oder  Handlungsakten finden können, in denen kein Jota körperlich-biologischer Notwendigkeiten mehr vorkommt, die nach ihrer Erfüllung verlangen?
[3] Abgesehen von der üblichen psycho-tautologischen Zurückführung aller menschlichen Werke auf gleichnamige Antriebe oder Kräfte streiten die Vorgänge auf dem Schlachtfeld, die Freud als zentralen Beleg für das Walten des Thanatos heranzieht, für das glatte Gegenteil der Annahme eines triebhaft-allgemeinen Tötungsdranges. Gemeinhin nämlich pflegen die Völkerschaften nicht aus eigenem Antrieb aufeinander loszugehen, sondern ziehen auf politischen Befehl ausgerüstet mit den entsprechenden vom Staat geprägten Feindbildern in den Krieg. Sie erfüllen eben ihre vaterländische Pflicht gegenüber einem politischen Gemeinwesen, dessen Anliegen sie mehr oder weniger militant teilen. Und in vielen Fällen müssen Wehrunwillige durch die Drohung mit dem Standgericht dazu gezwungen werden, das Tötungshandwerk im Staatsauftrag auszuüben.
[4] M. Brumlik, Zur Aktualität des Todestriebes, Widersprüche, Heft 105, September 2007, S. 71 ff.
[5] Man sollte das Un- oder Unterbewußte im psychoanalytischen Sinn nicht mit Sachverhalten verwechseln, die im allgemeinen oder auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zuweilen ebenfalls mit diesen Ausdrücken belegt werden. Die in diesem Zusammenhang zur Plausibilisierung des Freud'schen Unbewußten bemühten Fänomene sind nämlich gänzlich anderer Natur.
Damit, daß der Mensch oftmals ein unklares oder falsches Bewußtsein von Inhalt, Implikationen oder Folgen seines Denkens oder Handelns hat, insofern »bewußtlos« oder »unbewußt« agiert, hat das psychoanalytische Unbewußte ohnehin nichts zu tun. Das Gleiche gilt für automatisierte, willentliche Tätigkeiten wie beispielsweise die tagtägliche Autofahrt zur Arbeitsstätte, die auf Grund ihrer Gewohnheitsmäßigkeit mit verminderter Aufmerksamkeit verrichtet werden und für körperliche Reflexe, die der willentlichen Steuerung entzogen sind. Ebenso wenig beweiserheblich für den Gegenstand des Unbewußten im psychoanalytischen Sinne ist die naturwissenschaftlich konstatierbare zeitliche Differenz zwischen der visuellen Wahrnehmung eines Gegenstandes und der gedanklichen Registrierung und »Verarbeitung« des Sinneseindrucks im Gehirn. Das Auge faßt keinen eigenständigen Gedanken, der inhaltlich die Beurteilung des wahrgenommenen Gegenstandes steuern würde. Insbesondere ist das Freud'sche Unterbewußte auch nicht zu verwechseln mit dem »interessierten Vergessen«. Die absichtsvolle »Verbannung« unangenehmer Erfahrungen aus dem aktuellen Denken ist nämlich erstens eine Leistung des Verstandes und beinhaltet zweitens auch keine Transformation dieser Gedanken in unbewußte Denkakte, die dann ein Eigenleben entfalten und heimlich Einfluß auf den Inhalt des Denkens nehmen.
[6] Die gewöhnlich aus dem Reich der Träume präsentierten empirischen Belege für die Existenz des Unbewußten streiten bei Licht betrachtet für das glatte Gegenteil. Der Wunschtraum etwa eignet sich kaum als Beweismaterial für den unbewußten »eigentlichen« Willen. So ist die von den Comedian Harmonists besungene »Frau, die mir im Traume erscheint«, entweder Abbild dessen, was ich bereits im wachen Zustande möchte oder willkürliche, zufällige Verknüpfung von Gegenstand und Begehren. Und bei der Rückerinnerung an das Geträumte im Wachzustand würde es manchem nicht im Traume einfallen, den Trauminhalt wahr machen zu wollen, weil bei Tageslicht betrachtet die im Traum vielleicht begehrte Frau überhaupt nicht mehr begehrenswert erscheint.
Der im Traum gefundene Stein des Weisen wird nicht etwa wegen, sondern trotz des Traumzustandes gefunden. Was hier stattfindet, ist die Fortsetzung des Denkens im Traum als Folge der Intensität der Beschäftigung mit einem Problem im wachen Zustand. Im Traume verfolge ich weiterhin den Gedanken, der mich bereits am Tage beschäftigte, wovon auch die Redeweise, wonach »der Gedanke mich sogar im Traum verfolgt« Zeugnis ablegt. Die angeführten Belege aus der Welt der Träume beweisen also gerade nicht die Existenz eines dem Bewußtsein entzogenen unbewußten Willens, sondern umgekehrt die Alleinexistenz des bewußten Denkens und Wollens.
[7] Überhaupt schmarotzt die Psychologie Freuds in ihrer Theoriebildung über den »Menschen an sich« vom Zurechtkommensprogramm des bürgerlichen Individuums, indem sie die geistig-moralischen Leistungen, die das bürgerliche Individuum erbringt, wenn es sich mit dem Willen der Bewährung an den vorausgesetzten gesellschaftlichen Umständen abarbeitet, als wissenschaftliches Erklärungsmodell nachbildet und als Ausdruck einer so beschaffenen psychologischen Natur des Menschen vorstellig macht. Beispielsweise, wenn so etwas wie ein Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstwert oder ein Gewissen als psychologische Naturausstattung des Menschen als solchen behauptet wird. Erscheinungsformen des falschen Bewutseins, die es überhaupt nur gibt, weil das Subjekt in der bürgerlichen Welt bei der Verfolgung seiner Anliegen andauernd auf gesellschaftliche Verbote und Gebote stößt, deren Befolgung sich der Gewissensmensch als Erfüllung seiner höheren moralischen Verpflichtungen einleuchten läßt, bilden hier das willkommene Material für die psychologische Pflege des Bildes der von inneren Konflikten erfüllten und zerrissenen Menschennatur.
[8] Die (implizite) Fragestellung »Wie konnte es (bloß) dazu kommen?« hat streng genommen nicht den Charakter einer unvoreingenommenen Frage nach den Gründen des Faschismus. Wer so fragt, hat vielmehr die Antwort bereits weitgehend vorweg genommen. Mit der Frage wird der Sachverhalt in einen Bereich außerhalb der menschlichen Vorstellung gerückt, wird der Faschismus als »anormaler« politischer Abweichungstatbestand definiert, der sich recht eigentlich aufgrund seiner »Unbegreifbarkeit« einer rationalen Beurteilung mittels der Maßstäbe entzieht, die gemeinhin für politische Sachverhalte gelten. Genau diesem Muster folgt die »Erklärung« Adornos, der auf die Befassung mit den Inhalten des politischen Bewußtseins der Mitmacher keine Zeile verschwendet und stattdessen den Grund für die aktive Teilnahme der Untertanen an der faschistischen Herrschaft in die »irrationalen« Abgründe der Menschenseele verpflanzt. Diese Erklärungsweise des Faschismus von unten ergänzt sich auf das Vortrefflichste mit der üblichen Ableitung der faschistischen Herrschaft aus der verbrecherisch-verrückten Menschennatur des Führers. Damit steht a priori fest, daß der Faschismus als psychopathologischer Tatbestand nichts mit den politischen und ökonomischen Zwecken bürgerlicher Herrschaft zu tun haben kann.
[9] Vgl. dazu Kapitel 4 und 5 meines Buches Das Grundgesetz — ein Grund zum Feiern? — Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, Hamburg (VSA) 2009